Deutsche Front" attackiert Völkerbundsausschuß

Unerhörte Ausfälle gegen ein Mitglied der eben gewählten Kommission

Saarbrücken  , 23. Januar 1934.

Das Hauptorgan der sogenannten deutschen Front" des Saargebietes, die Saarbrücker Zeitung  ", hat sich gestern wieder einmal eine ungeheuerlichkeit geleistet, die auch das nationalsozialistische Abendblatt" in etwas abgeschwächter Form übernommen hat:

99

Noch ehe überhaupt der neue, vom Völkerbund gewählte Saarausschuß zur Ueberprüfung der Plebiszitfragen feine Tätigkeit aufgenommen hat, wird er von den beiden gleichgeschalteten Organen der sogenannten deutschen  Front" in der schwersten Weise beleidigt durch die Verdächtigung und Diffamie rung eines seiner Mitglieder!

Dem spanischen Mitglied dieses Saarausschusses, dem Herrn Botschafter Madariaga, einem der bedeutend ſten Männer des politischen und geistigen Lebens Spaniens   und einem der geschäßtesten Mitglieder der internationalen Diplomatie, wird von diesen gleich: geschalteten Presseerzeugnissen seine liberalistisch demokratische Staatsphilosophie" und seine frankophile Stimmung vorgeworfen und die durchsichtige Ber­dächtigung mangelnden Mutes und Charakters sich in seiner Eigenschaft als akkreditierter Botschafter bei der französischen   Regierung von naheliegenden Rücksichten und Befangenheiten frei zu halten und seine Ueber­zeugung auch gegenüber Einflüsterungen und Wünschen Frankreichs   zu wahren und zu vertreten", gegen ihn aus­gesprochen. Was wieder einmal vor allem diese wotans: gläubigen Auerochsen im politischen Porzellanladen der Saarpolitik kennzeichnet!

99

Soweit wir Herrn Madariaga, einen Mann von hoher Kultur, feinster Bildung und politischen Erfolgen kennen,

btung wird er über dieses Schakalsgekläff mit Berachtung quittieren.

Aber die in diesen echt nationalfoziali stischen Geistes blüten liegende Heze und Brunnenvergiftung gegen den gesamten neuen Gaarausschuß des Völkerbundes kennzeichnet besser als selbst die um fangreichsten Denkschriften die patho logische Mentalität und unzulängliche Geistesverfassung der treibenden Kräfte der sogenannten deutschen   Front". Es ist uns im Traum nicht eingefallen, das italie nische Mitglied des Saarausschusses und Ratsbericht­erstatter über Saarfragen, Herrn Baron Aloisi, etwa deshalb anzugreifen, weil er vielleicht eine faschistische Staatsphilosophie" besige oder etwa hitlerfreundlicher Stimmung" sei. Wir haben im Gegenteil schon in der ver­gangenen Woche in unsern Berichten aus Genf   gerade italienischen Ratsmitgliede ausdrücklich seine Loyalität bescheinigt und wir erinnern uns mit großem Vergnügen der sehr aufschlußreichen Unter redung mit Herrn di Bianci, dem Vertreter des Herrn Aloisi, bei der wir nicht nur eine große Kenntnis des Problems, sondern auch ein überzeugendes Maß von Ver­ständnis für das Saarproblem antrafen, das uns sehr angenehm berührte. Und genau das gleiche müssen wir vom argentinischen Ratsmitglied, Herrn Cantilo; Bot schafter seines Landes in Rom  , feststellen, von dem wir uns nach einer halbstündigen Unterredung mit ihm in Genf   in der Ueberzeugung des besten wil lens zur Gerechtigkeit in der Saarfrage entfernten.

Wir bedauern es außerordentlich, daß sich Auch deutsche, die wir leider nicht daran

hindern können, den einst geachteten Namen unseres hindern können, den einst geachteten Namen unseres Vaterlandes zu bekleckern und in einer unglaublichen Taktlosigkeit lediglich den eigenen Mangel an Herzens­bildung und Willen zum fair play zu dokumentieren, in dieser ungemein aufschlußreichen Weise wieder einmal vor dem gesamten Auslande und dem Völkerbunde decouvrierten. Wir stellen dazu nur fest, daß diese Leute nicht im Namen der wahren Deutschen des Saargebietes sprechen, für die deutsche Kultur und deutsche Gesittung immer noch weit mehr bedeuten, als elende feige Gleichschaltung vor der rohen Gewalt.

Aber es genügt vielleicht darauf hinzuweisen, daß solche Leute immer das, was sie selbst nicht besigen, auch dem anderen nicht gerne zugestehen möchten, wie sich das bei einer Bewegung der Minderwertigen und Gescheiterten" sehr leicht erklärt. Tragikomisch ist dabei nur die Tat­sache, daß solche Leute für die Taten von anderen immer jene Tugenden verlangen, die sie für die eigenen Handlungen ablehnen: Dieselbe Saarbrücker Zeitung  ", die jetzt, ohne auch nur die Taten des neuen Saar­ausschusses abzuwarten, ihm die Forderung nach Objektivität und Neutralität", wie sie fie versteht, entgegenschreit dieselbe Saarbrücker Zeitung  " hat erst kürzlich für ihren Teil Objektivität und Neutralität in der Saarabstimmungsfrage ausdrücklich abgelehnt, wie aus verschiedenen Leitartikeln des Blattes wortwörtlich nachzuweisen ist....

Es zeugt weder von der Güte der Sache, die die soge­nannte beutsche Front" vertritt, noch von der Sicherheit eines guten Gewissens, wenn sie dem Untersuchungs­ausschuß des Völkerbundes schon von weitem, noch ehe er überhaupt in Sichtnähe ist, entgegenschreit: Saltet M. B. den Dieb!"

Sturmtage in Oesterreich

Kriegserklärung Dollfuß' an die Nazis- Ein Schritt Englands und Frankreichs  - Das Werben um die sozialdemokratischen Arbeiter

dnb. Wien  , 22. Januar 1984.

Bundeskanzler Dollfuß   hielt während einer Kundgebung der Vaterländischen Front vor dem Bundeskanzlere amt vor einer durch Polizeiketten streng abgesperrten Menge eine Ansprache, in der er sich hauptsächlich mit dem Stampfe der Regierung gegen den Nationalsozialismus befaßte. Der Bundeskanzler erklärte, die Regierung habe eine Geduld bewiesen, die ihresgleichen suche. Sie habe gehofft, es werde Vernunft einkehren. Je geduldiger sie aber warte, um so mehr würde ihre Geduld von gewisser Seite als Schwäche ausgelegt. Er wolle hier nicht Klage darüber führen. Darüber werde er sich an anderer Stelle und in anderer Form auseinandersezen. Die heutige Kundgebung verkünde warnend: Bis hierher und nicht weiter!" Nach Wochen und Monaten geduldigen Abwartens wolle die Regierung nunmehr mit aller Strenge gegen jene vorgehen, die den Frieden und die Freiheit des Landes gefährdeten. Desterreich sei fein Polizeistaat, Aber hinter der Regierung und ihrer Exekutive stehe jeder gute Bürger. Sie erklärten, bereit zu sein, Schulter an Schulter aufzustehen, wenn es notwendig werde. Tausende Kameraden hätten sich bereits dem Schuhkorps zur Verfügung gestellt. Hunderttausende warteten noch, es tun zu dürfen. Vor aller Welt erkläre er: Mit unserer Geduld ist es zu Ende! Als Regierung haben wir die Pflicht, die treuen Bürger zu schützen." Alle, die vielleicht noch glaubten, der Terror würde fiegen, würden sehen, was es heiße, wenn das Volk Mann für Mann aufstehe. Die Vaterländische Front   stehe über allen Parteien. Sie wolle das Land erneuern. Oesterreich   lebe durch den Willen seiner bodenständigen Bevölkerung.

Die Gesandten Englands und Frankreichs  bei Dollfuẞ

dnb. Wien, 22. Jan. Die Gesandten Englands und Frankreichs   haben Montag abend dem Bundeskanzler einen Besuch abgestattet. In unterrichteten Kreisen nimmt man an, daß Bundeskanzler Dollfuß   die Vertreter der beiden Groß: mächte über die weiteren Pläne der österreichischen Regie: rung unterrichten wollte. Der Ministerrat ist für Dienstag nachmittag zu einer außerordentlichen Sigung einberufen ung einberufen worden.

2511

C

V..

Kabelbrand im Wiener   Parlamentsgebäude

dub. Wien  , 22. Jan. Im Parlamentsgebäude brach am Montagnachmittag aus unbekannter Ursache ein Kabel­brand aus. Das Feuer war in einem Kellerraum des Par­lamentes entstanden und verbreitete sich unter starker Qualmentwicklung mit großer Geschwindigkeit. Vor dem Parlament hatte sich eine große Menschenmenge angesam melt. Der Feuerwehr gelang es, den Brand in furzer Zeit zu löschen

So meldet das Hitler- Büro. Sollte die Sache wirklich so harmlos sein?

eded nouas bau aus V Wien, 23. Januar 1934. Die Lage in Oesterreich   spitzt sich mehr und mehr zu. Die offenen Putschversuche der National­sozialisten lassen alle Befürchtungen zu. Inzwischen haben die Annäherungsversuche des Bundes. kanzlers Dollfuß   an die österreichische Sozialdemokratie Verhandlungen zur Folge gehabt, die aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem Ergebnis führen werden, das alle Pläne der Nationalsozialisten zer­stören dürfte. Vorläufig sind die Verhandlungen noch zu keinem endgültigen Abschluß gelangt. Die sozialdemokratische Stellungnahme ist noch nicht bekannt.<

Bisher war die Taktik des Bundeskanzlers Dollfuß auf den hoffnungslosen Versuch gerichtet, die sozialdemokra­tischen Arbeiter von ihren alten Führern, insbesondere von dem Bolschewisten" Otto Bauer   zu trennen. Es spricht einstweilen nichts dafür, daß diese Taktik aufgegeben ist. Noch in der Nacht zum Sonntag ist ein neuer Schlag gegen die sozialdemokratische Arbeiter- Zei­ tung  " geführt worden mit dem Ziele, dieses Parteiblatt poli­tisch und geschäftlich zu schädigen, möglichst sogar zu vernich ten. Wie schon vor einiger Zeit ist der Arbeiter- Zeitung  " strafmeise untersagt worden, ihr Blatt durch Träger zustellen

oder im Straßenverkauf abseßen zu lassen. Bis Ende März darf die Arbeiter- Zeitung  " nur durch die Post übermittelt werden. Das bedeutet eine schwere organisatorische Schikane und große geschäftliche Belastung für die Arbeiter- Zeitung  ", hindert auch die redaktionelle Ausgestaltung.

Der Besuch des französischen   und des englischen Gesandten bei Bundeskanzler Dollfuß   deutet die schweren internatio­nalen Gefahren an, die der Ausbruch eines Bürgerkrieges oder das Gelingen einer revolutionären Machtergreifung der Nationalsozialisten hervorrufen müßte. Die Garnisonen Mussolinis stehen mit der Front zum Brenner marschbereit.

Holländische Glossen

Ueber den Krampf in Deutschland.com  .

Neuer deutscher Trost

Wir entnehmen aus De Nieuwe Rotterdamsche Courant":

In den deutschen   Regierungsfreisen sest man seine Hoff­nung auf bessere Zeiten, die im Sommer kommen sollen. Das ift augenblicklich eines der nationalsozialistischen Dogmen. Diese Hoffnung hat auch ihre guten Gründe: die neue Wohlfahrt ist dann absolut notwendig geworden, da die Gelder für Arbeitsbeschaffung verbraucht sein werden. Von Papen hat, wie man sich noch erinnern wird, im Jahre 1982

zwei Milliarden zur Verfügung gestellt. Die Regierung hat noch einmal zwei Milliarden dafür hergegeben. Dies Geld wird im Sommer aufgebraucht sein. Wenn nun die Konjunf tur halsstarrig bleibt und keine Wunder geschehen, wie muß es dann weiter gehen? Niemand weiß es. Jedoch sind sich alle, arm und reich, in Deutschland   darüber einig, daß aus dem Steuerzahler nichts mehr zu holen ist. Jest weniger als je! Man huldigt darum vorläufig mal einem nicht gerade berechtigten Optimismus, weil man keinen anderen Troft hat,"

Zahlen, die betrügen

Zur Frage der Arbeitsbeschaffung in Deutschland   schreibt De Nieuwe Rotterdamsche Courant" ferner noch:

Man hat in Deutschland   die Decke geredt, um sie größer Zahl derer, die noch mehr als das Allerdringendste, das sie verkleinert. Es ist wie in Rußland  : man erzwingt für die Propaganda schöne Ziffern auf Kosten der allgemeinen Wirt­ichaftslage. Die Methoden, deren man sich in Deutschland   zur Arbeitsbeschaffung bedient, sind auch absolut nicht von den Nationalsozialisten erfunden worden. Kein Geringerer als Stinnes hat sich seinerzeit darüber ausgelassen und sie als verhängnisvoll verworfen. Auch andere haben die Schatten­seiten, die Deutschland   jetzt in stets zunehmendem Umfange fühlen muß, vorausgesehen. Aber die neue Regierung in Deutichland hatte keine Wahl: sie mußte Resultate er­zwingen."

zu machen; aber dadurch iſt ſie ſehr dünn geworden. Die zum Leben brauchen, faufen konnten, hat fich dadurch wieder

Amüsanter Vergleich

Wir entnehmen aus Het Vaderland"( Den Haag  ): Es ist nicht unamüsant, einmal eine Parallele zu ziehen zwischen der gleichgeschalteten Literarischen Welt  "( Berlin  ) und der unabhängigen( aber keineswegs unverträglichen) Zeitschrift Die Welt im Wort", die von in Prag   wohnenden Deutschen   herausgegeben wird. Während das gleichgeschaltete Blatt beginnt mit einem süßlichen Artikel über Die Ente deckung der deutschen Landschaft"( illustriert mit einer idyllischen Fotografie Pappeln am Bach") und außerdem un­gefähr nichts enthält als eine- aller Genialität entbehrende Studie von irgendeinem Professor über deutsche Bäume, bringt Die Welt   im Wort" u. a. einen Artikel von Aldous Hurley über Arbeit und Muße", der von A bis 3 wirklich lejenswert ist, ferner einen Aufsatz von Raoul Auernheimer  über die Mutter von Cosima Wagner  , ein interessantes Do­fument, ein spannendes Essay von Margareth Susman über die neue angelsächsische Literatur, außerdem noch ein inter effantes Feuilleton über P. H. Lawrence und einen Nachruf für den kürzlich verstorbenen Schriftsteller Poenatsjaresfi. Ich zweifele keinen Augenblick an dem Wert der Land­schaft und der Bäume. Aber ich möchte doch sagen, daß es Zeit wird, daß ein bißchen europäische Luft weht in Den Pappein am Bach". Sonst zwingt man uns wörtlich, den deutschen   Geist heimlich aus Prag   zu beziehen."

M. t. B.

Aus der Post Scripta" der Haagschen Post" zitieren wir folgenden Abschnitt: Göring- Göbbels!

Wer auch in Deutschland   Sorgen haben mag, öring hat jedenfalls keine. Er glänzt auf jedem Gebiet ,, und es kann immer noch etwas dazu kommen. Kürzlich ist er General ge­worden ein großer Sprung vom Kapitän. Er hat sich auch schon seine Lorbeeren als Jurist verdient, als er im Prozeß van der Lubbe als Zeuge auftrat. Die ganze Presse hat ihm zugejubelt. Als augenblicklicher Nero begehrt er aber auch Künstlerlorbeeren. So hat er ießt die Leitung der beiden preußischen Staatstheater übernommen. So hat er nun alle Schauspieler, Schauspielerinnen und auch das andere Perso= nal zusammengerufen und ihnen seinen überraschenden Ent­schluß mitgeteilt. Er hat, wie er sagt, diese Aufgabe über­nommen, um den beiden Theatern den Platz zu geben, der ihnen zukommt. Sie müßten sich nun in großzügiger Weise entwickeln Mit den hohen Gagen muß es aus sein. Das führt nur zu materialistischer Verflachung. Der Künstler hat im nationalsozialistischen Staat eine besondere Aufgabe zu erfüllen. Diese Aufgabe wird Göring   ihm nun weisen. Es verlautet nun, daß Göbbels   von dieser Tat seines Amts­follegen absolut nicht eingenommen ist und daß er am lieb ften die ganze Angelegenheit geheim gehalten hätte. Wir würden darüber, wenn wir deutscher   Propagandaminister wären, natürlich ebenso wenig beglückt sein; denn diese neue Liebhaberei von Göring   lichtet ein wenig den Schleier, der über dem Geisteszustand von diesem Temperamentsfrater liegt. Was haben wir nun noch mehr von Göring   zu er warten, ehe der Vulkanausbruch tommt, von dem kein Ein­geweihter glaubt, daß er ausbleiben wird? Es ist zweifellos außerordentlich interessant, daß die deutschen   Blätter von noch höherer Instanz den Befehl erhielten, Görings Rede zu veröffentlichen. Eine neue Verschärfung der Gegenüber­stellung Göbbels- Göring?"

( Post Scripta, Haagsche Post)