Deutsche Stimmen. Beilage zur Deutschen Freiheit" Ereignisse und Geschichten

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Mittwoch, den 24. Januar 1934

Ein Dichter sucht Blut und Boden

Von Vheodor Baldauf

Damals, als Max Soundso an seiner Feder verzweifelte, saẞ er noch im Berliner Literaturcafé und wartete auf die weiße Taube der Eingebung. Er hatte das rosige Kinn sorgenvoll in die Hand gestützt und schüttete mir sein zerfurchtes Herz aus. Schwer sei es mit dem Dichten jetzt, sehr schwer. Vor ihm lag ein Zeitungsausschnitt, ein Preisausschreiben für den besten Roman des ,, dritten Reiches". Völkisch heroisch sollte das Buch sein, erwachsen aus ,, Blut und Boden ", das Hohe­lied des neuen, heldischen, nationalsozialistischen Menschen..

Seit drei Wochen bebrütete Max sozusagen sich selbst. Er ist heute ein weitverbreiteter Typus in Nazedonien; seine Schmerzen sind die Schmerzen vieler freiwilliger oder un­freiwilliger brauner Groß- und Kleindichter, denn wie und was soll man, klagte er ganz folgerichtig, bei den neuartigen Ansprüchen eigentlich dichten? Einige braune Musterromane fehlten, bei denen das Heroische soundso lang liegt und das Nationale soundso breit. Jeder der neuen Literaturpäpste forderte etwas anderes. Göbbels möchte Soziales fürs Kind, aber das vertrug sich weder mit Thyssen, noch mit den Ein­künften der neuen Bonzen. Kultusbeamter Wilfried Bade ver­langte in seiner Broschüre die ,, konservativ- revolutionäre Dichtung", als ob der Dichter aus jeder Konfusion ein Ge­bilde gestalten könnte. Durch Erhalten etwas umstürzen erst können vor Lachen... Nein, so herum gings auch nicht. Und das Erotische? Etwa zum hundertsten Male den SA.­Jüngling beschreiben, der durch seinen erhebenden Herois­mus, so im Maulhalten oder Judenverdreschen besteht, eine schon durch langes blondes Haar genügend deutsch veranlagte Marxistin bekehrt? Solcher Kitsch überschwemmte den Markt bereits hinreichend und Hans Grimm konnte den Schüne­mannpreis trotzdem nicht verteilen...

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Blut und Boden wenn man nur wüßte, was das ist?? War es die frühere Heimatkunst mit einem Schuß Anti­semitismus? Hat man von letzterem jedoch zuviel dran, so entstand unzulässiges Greuelmaterial für's Ausland, zu wenig Antisemitismus hinwiederum galt als Mangel an guter Ge­sinnung. Ein Elend wars!

Vielleicht versuchte man's mit einem historischen Rassen­Roman? Wie aus deutschem Boden der deutschbürtige Arier erstand! Jedoch in der rassischen Vergangenheit herum­wühlen, war zu gefährlich. Nichts als Mischrasse, soweit das blaue Auge zwischen Rhein und Oder reichte. Und wenn schon die Japaner arisch sein sollten, wer dann nicht? Viel leicht könnte man den ganz nordischen Menschen zum Epos verwalken! Aber die Kerle dachten demokratisch und ließen sich mit Vorliebe von marxistischen Ministern regieren... Ein Kreuz war das, ein Kreuz von der Religion gar nicht zu reden. Wotan oder Christus welcher braune Dichter konnte seine Leute noch richtig und preisgekrönt beten lassen?

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Da lag nun das Preisausschreiben und forderte den neuen Heldentyp! Schließlich konnte man, wenn mans recht be­

dachte, eigentlich kaum fehlgehen, wenn man einen Führer zum Helden des Romans erwählte. Aber wen? Hitler

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der war etwas zu unbeweibt; da fehlte die Liebesgeschichte mit nachfolgenden Kindern... Untauglich. Und Göring ? Zuviel Morphium dabei und die schwedische Etappe. Göbbels zu schwach über die Brust; reden wir nicht davon: Röhm das würde ein Buch für Lustknaben und solche, die es werden wollen... Frick konnte zwar endlich einer mit Frau und Kindern protzen. aber dafür kannte er den großen Krieg nur von Pirmasens aus.

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Ist es dem Dichter zu verdenken, daß er stöhnte? In allen Konjunkturen hatte man sich zurecht gefunden in der Neuromantik, im Expressionismus, in der neuen Sachlichkeit. in der rasenden Reportage und plötzlich konnte mans nicht mehr erdichten... Kein Zweifel, so hatten ihn, verdammt nochmal, der Marxismus und die alles verweichlichende De­mokratie verdorben! Damals durfte einer dichten, wie er wollte, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Infolgedessen versagte man jetzt vor der braunen Maßarbeit. Weil man nie gelernt hatte, auf höheres Kommando nach nationalen Richtlinien zu fabulieren. Das war es und das rächte sich jetzt... Eine Dichterschule mußte her, ein Arbeitslager aus Blut und Boden für nenheroische Poeten

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Als ich den noch immer Ringenden das lettemal traf, hockte er im Café ,, Vaterland". Dort sammelte Max zwischen SA .- Uniformen heroische Inspirationen. Jetzt habe ich meinen Stoff, bin schon feste drüber!" blitzte er mich triumphierend ab. ,, Denken Sie sich einen Dichter, der seinem Volke dienen und etwas Großes, Heroisches schreiben will. Aber er findet den Stoff nicht und findet ihn nicht, er hat die Verbindung mit Blut und Boden verloren, weiß nicht,

Wiegenlied

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Von der Wiege bis zur Bahre 20W 200 V

leitet dich mit Rat und Tat

daß der Himmel dich bewahre!- unser guter Vater Staat.

Eia popeia... schlaf ein, meine Maus, unten kommt ein SA.- Mann nach Haus. Schlafe, schlafe, kleiner Hase, träume, liebes Kindel,

denn sonst steckt er seine Nase noch in deine Windel.

Eia popeia... schlaf ein, schlaf ein, niemand darf greinen und unartig sein. Ach, schon früher, holder Kater, ehe dich der Storch gebracht, hat für dich der große Vater

mich mit strengem Aug bewacht.

Eia popeia... ich lache ganz leis: doch gibt es manches, was er nicht weif Aber du, der Süße, Gute, mit dem blonden Wuschelkopf, bist aus arisch- echtem Blute, war dein Vater auch ein Tropf.

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Eia popeia... mein Blauäugelein," du brauchst ja nicht klug und weise zu sein. Von der Wiege bis zur Bahre führt dich ja der Vater Staat, und ich wüßt nicht- Gott bewahre! wer da was zu denken hat.

Eia popeia... nun schläfst du wohl sacht. Eia popeia... Gutnacht, Gutnacht! M. I. Grant

was das ist. Gedankenfreiheit und Demokratie haben ihn Hitler- Gottes Finger

bequem gemacht, er kapiert das neue Stichwort nicht. Doof sitzt er da, verzweifelt an sich, flucht der ehemaligen Frei­schießt sich.... heit, die jeden dichten ließ, wie er wollte, geht hin und er­

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Mit großem Blick belauerte er in meinem Gesicht die Wirkung seiner Konzeption. Was denn?" frug ich nicht ohne Tremolo in der Stimme. ,, Sie wollen sich erschießen?" ,, liich," machte er erstaunt ,,, wieso denn ich??" ..Warum denn gerade Sie nicht?" gab ich roh zurück.

Max sah mich teils erzürnt, teils bestürzt an, einige berufsmäßige Horcher machten bereits lange Ohren, und wer weiß, was geschehen wäre, wenn in der Nähe der Tür sich nicht ein Tumult erhoben hätte. SA .- Leute hatten einen alten Herrn, der grußlos eintrat, mit einem ,, Heil Hitler !" ange­donnert. Gott zum Gruß." antwortete der. Das wurde als Provokation betrachtet, und braune Uniformen bemächtigten sich des grauhaarigen Störenfrieds.

Dieser Wirbel drehte auch mich unauffällig mit hinau, während Max die Füllfeder zückte und heroisch vor sich hin dichtete. tine:

Getaenter Ullstein

,, Lösung der Rätsel"

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In Wien erscheint seit Oktober die Wiener Illustriert e", die sich auch die Tschechoslowakei und wahrscheinlich ebenso andere Nachbarländer Deutschlands als Absatzgebiete zu erobern sucht. Die Mutmaßung, daß es sich bei diesem Blatt um einen getarnten Ersatz der sowohl in der Tschechoslowakei als auch in Oesterreich verbotenen, völlig im Dienste des Hakenkreuzes stehenden Berliner Illustrirten" handelt, lag nahe für die, welche wußten, daß an der Wiener Druckerei Waldheim Eberle u. Co., in der die Wiener Illustrierte" gedruckt wird, der Berliner Ullstein­Verlag mit beträchtlichem Kapital beteiligt ist und daß der Chef dieser Zeitschrift der frühere Redakteur der Berliner Illustrirten ", Herr Korff, ist.

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Diese Mutmaßung ist jetzt durch ein recht fatales Malheur ganz und gar unfreiwillig bestätigt worden. In einer der letzten Nummern der., Wiener Illustrierten" stand nämlich in der Rätselecke die Ueberschrift: ,, Lösung der Rätsel aus der Berliner Illustrirten vom vorigen Donnerstag". So hat ein Lapsus der Redaktion die bisher so gut sitzende Tarn­kappe zerrissen und den Tatbestand eindeutig enthüllt, daß das Ullsteinkapital auf diese Weise das Verbot der Berliner Illustrirten " wettzumachen sucht. Er ging dabei recht vor­sichtig zu Werke und gab der Wiener Illustrierten" ein harmlos neutrales Gesicht, das die Leser in den deutsch­sprachigen Auslandsgebieten darüber hinwegtäuschen sollte, daß sie mit dem Kauf der ,, Wiener Illustrierten" das Ullstein­Unternehmen und damit wider Willen die nationalsozia­listischen Geschäftemacher füttern.

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Dieser Berliner Ullstein- Verlag ist nämlich nicht einfach der von früher, der nun etwa im Auslande Fuß zu fassen und sich damit der Gleichschaltung zu entziehen versuchte. Er ist vielmehr völlig gleichgeschaltet. Die Aktienmajorität ist auf dem Wege einer Verrechnungsschenkung an fa­schistische Treuhänder aus dem Bereiche der national­sozialistischen Kulturorganisationen, des Propagandaministe­riums usw. übergegangen, die alten Besitzer sollen solange Dividende erhalten, bis die Neubesitzeranteile eingezahlt sind. Mögen sich dahinter vielleicht auch zum Teil die alten Besigverhältnisse verstecken, so ist doch die ideologische Gleichschaltung des Ullstein- Verlages, der jetzt z. B. auch die ,, Sirene", die illustrierte Zeitschrift des Luftschutzbundes herausbringt, um so vollkommener. Die Redaktion der ,, Vossischen Zeitung" ist mit hundertprozentig sicheren Nationalsozialisten besetzt. Die geistige Uniformierung weit überhaupt von Geist noch die Rede sein kann hat natürlich auch für die Ullsteinblätter wie für das gesamte reichsdeutsche Zeitungswesen einen empfindlichen Leser­schwund zur Folge, an dem z. B. das Ullsteinsche Tempo" schon gestorben ist und den die Vossische Zeitung" dadurch einzudämmen sucht, daß sie mit der Formel Reklame macht: ,, Alle Zeitungen schreiben gleich? Nein! Bitte lesen Sie die

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Vossische!" womit sie nur verrät, wie langweilig die gleich geschaltete Eintönigkeit der Zeitungen im ,, dritten Reiche" den Lesern schon geworden ist.

Diesem tödlichen Blätterfall im reichsdeutschen Zeitungs­walde sucht nun der gleichgeschaltete Ullstein- Verlag durch getarnte Unternehmungen im Auslande für seinen Teil zu begegnen. Er möchte sich damit auswärtige Positionen schaffen, die ihm die Existenz im Dienste des faschistischen Regimes erleichtern helfen. Eines dieser getarnten Ullsteinunternehmungen ist die Wiener Illustrierte" dieses süße Geheimnis hat die kleine Fehl­leistung in der Rätselecke verräterisch enthüllt.

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A. Männecke, dem wir bereits manchen Beitrag ver­danken, begrüßt im Deutschen Nahrungsmittelarbeiter" das neue Jahr so: ,, Während der 14 Jahre, wo Priester und Marxisten, politisch verbündet, unser Vaterland regierten und intellektuelle Wühlmäuse innerhalb und außerhalb der Universitäten den Gottesglauben zernagen durften, kehrten Millionen der Kirche den Rücken. Heute können wir mit tiefer innerer Befriedigung feststellen, daß Millionen und aber Millionen unseres Volkes dem christ­lichen Glauben wiedergewonnen wurden, und zwar weniger durch die Wirkung kirchlicher Dogmen und Lehrsätze als durch das weltwendende Geschehen, das sich in der gött. lichen Sendung unseres Führers zur Rettung unseres Volkes und Vaterlandes in der höchsten Stunde der Not offenbarte und worin Millionen unseres Volkes, die Ohren hatten, zu hören, und die Augen hatten, zu sehen, den Finger Gottes erkannten.

Zeit- Notizen

Kampf um ein Dach

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Das staatsgefährliche flache Dach des von Professor Gro. pius errichteten Bauhauses in Dessau bekommt nach vieleu Angriffen im Dessauer Gemeinderat jetzt ein ,, solides Holz­dach" aufgesetzt.

Jüdisch infiziert

Professor Dr. Rietzler, der ehemalige Kurator der Frankfurter Universität, mußte sein Kolleg abbrechen, da die Studenten durch ununterbrochenes Scharren zum Aas­druck brachten, daß sie ihn nicht hören wollten. Die Ursache des Studententerrors liegt darin, daß Professor Riegler während seiner Amtszeit jüdische Dozenten an die Frank­ furter Universität gezogen habe.

,, Rassenausstellung" in München

In München ist eine ,, Rassenausstellung" eröffnet worden. Man hat zahlreiche Fotos von Juden zusammengeholt, um den Unterschied aufzuzeigen, der zwischen Ariern" und ,, Nicht- Ariern" besteht.

Zeig her deine- Großmutter

Aus dem Schulaufsatz eines 13jährigen deutschen Jungen druckt die Zeitung für Deutschkunde"( Verlag Teubner, Leipzig - Berlin ) folgenden Passus nach nicht ohne die Themenstellung aufs höchste zu loben-:

, Was ich von meinen Vorfahren weiß": Am Donnerstag fuhr ich mit dem Rade nach Sülbeck zum Pastor, um meine Vorfahren zu erkunden. Der Pastor war gerade dabei, seine Häckselkiste mit blauer Lackfarbe an­zumalen. Als ich ihm dann sagte, was ich wollte, ging er mit mir auf sein Zimmer. Hier holte er die Kirchenbücher vom ältesten bis zum neuesten aus seinem Schrank. Dann fing er an zu suchen, und schließlich fand er: Friedrich Wilhelm Homburg, geboren am 26. März 1887. Er suchte weiter und fand einen Heinrich Wilhelm Homburg, ge boren 15. März 1854 und noch einen Heinrich Wilhelm Homburg, geboren am 1. November 1827. Dann fand er noch einen Friedrich Wilhelm Homburg, geboren am 21. Oktober 1786. Dieser war als Dienstknecht aus Obernbeck nach Ehlen gekommen, hatte sich dann mit Sophie Eleo­nore Bolte aus Liekwegen verheiratet und ein Stück Land gekauft. Hier baute er ein Haus und ist so der Begründer unserer Familie in Wendthagen geworden. Der Pastor sagte nun, daß, wenn ich noch weiter zurückgehen wollte, ich nach Menighuffen zu dieser Gemeinde gehörte Ober­beck fahren müßte. Ich überlegte nicht lange und fuhr am nächsten Tage dorthin...

Es geht nun im gleichen Stil weiter, es findet sich ein Heinrich Gottlieb und noch ein Friedrich Wilhelm, noch eine Urahne und noch eine. Dieser als Muster angeführte Aufsatz ist keine Einzelerscheinung, im Gegenteil! Die Groß­mutter ist eines der beliebtesten Aufsagthemen für Ter­

tianer.

tausend deutsche Dreikäsehoche mit Straßen- und Unter­grundbahn von Großstadtteil zu Großstadtteil, um ihre Ur­ahnen aus dem Grabe zu scheuchen.

Das bedeutet weiter: eine Kinder- und eine Elterntragödie reiht sich an die andre. Da gibt es natürlich Uneheliche zu Dutzenden, die plötzlich im ohnehin spannungsgeladenen Entwicklungsalter fassungslos vor der Tatsache stehen, daß eine väterliche Ahnenreihe für sie nicht existiert, daß sie keinen Vater haben"! Da gibt es Jugendliche zu Hun­derten und aber Hunderten, die eine Großmutter etwa des Namens Judith Rosenbaum aufstöberten und, da sie in der Schule bereits genügend verbogen wurden, zeitlebens ein Minderwertigkeitsgefühl davontrugen. Da gibt es Eltern- Beamte. Staatsangestellte die bisher einen dunklen Punkt" oder vielmehr einen gelben Fleck in der Familienvergangenheit geschickt verschleiern konnten und nun durch den Schulaufsatz des ahnungslosen Söhnchens, der zwölfjährigen Tochter verraten werden. Ganz ohne Absicht werden ja die Kinder nicht auf die Spur der Großmutter ge­setzt!

Die Sünden der Väter des ,, dritten Reiches" rächen sich bis in dritte und vierte Glied ihrer Untertanen!

Ukas

Durch Anschlag mach ich euch bekannt Heut ist kein Fest im deutschen Land. Drum sei der Tag für alle Zeit

zum Nichtfest- Feiertag geweiht.

Aus Alle Galgenlieder", Seite 289, von Christian Morgenstern , Verlag Bruno Cassierer.

Das bedeutet praktisch: alle Monate fahren ein paar Morgenstern ,

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