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250

Freiheit

Pentjake

Nummer 332. Jahrgang

207

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Freitag, 9. Februar 1934

Chefredakteur: M. Braun

Aus dem Inhalt

P.

Saar- Nazis unter sich

Seite 3

Deutschlands Kriegsstofflager

Seite 4

Dimitroff spricht zur Welt

Seite 7

Geheimnis der Stratosphäre

Seite 7

Von Tardicu bis Renaudel?

Große Kammermehrheit für Doumergue   in Aussicht

H. W. Die Geschlossenheit der französischen   Linken im

Kampfe gegen die parlamentarische und außerparlamen­tarische heftige Aktion der Rechten hat nur wenige Stunden gehalten. Ministerpräsident Daladier   hat dem Austurm von rechts her weichen müssen und die Trennung der Radikal­sozialisten von den Sozialdemokraten ist vollzogen. Die parlamentarische Mehrheit, die sich noch am Dienstag dreimal für Daladier   aussprach zerfiel, als offenbar wurde, wie tief­gehend die Erregung im französischen   Volke ist.

War es wirklich nur der Zorn über die schweren Korrup tionsfälle, der die Massen gegen die Deputiertenkammer in Bewegung setzte und sie mit solcher Zähigkeit kämpfen ließ? Waren es wirklich nur Haufen von Demonstranten, die im Grunde führerlos ihrer elementaren Leidenschaft folgten? Ober war nicht doch die entscheidende Führung dahinter, die auf die Beseitigung eines Links kabinetts mit allen Mitteln hinarbeitete? Hat auch deutsches Propagandageld gearbeitet, mie radikalsozialistische Zeitungen behaupten? Wenn ja,- und die Wahrscheinlichkeit liegt nahe hat es sich gegen die Interessen Hitler- Deutschlands ausgewirkt, denn das Er­gebnis der Straßenunruhen ist keine Schwächung, sondern eine Stärkung der französischen   Regierungsautorität. Der Kurs ist über Nacht von Links nach Rechts gewechselt. Von Revolution in Paris  " jedoch, wie die nationalsozialistische Bresse Deutschlands   jubelnd in Riesen lettern schrieb, ist keine Rede.

Nachfolger des zurüdgetretenen Ministerpräsidenten Dala­ dier   wird der frühere greise Präsident der Republik Doumergue  . Er hat den Auftrag erst angenommen, als ficher war, daß er die Kammer werde auflösen können, wenn sich ihm eine Mehrheit verweigern würde. Die Parlaments­

auflösung ist aber schon abgewehrt, da sich ein Stabinett

früherer Ministerpräsidenten von Tardieu bis Herriot  , von der Rechten bis zu den Radikalsozialisten zusammenfinden dürfte. Dieser großen Mehrheit würde dann nur die Oppo sition der Sozialdemokraten und der Kommunisten gegen­überstehen.

Nachdem das Linkskartell nicht die Kraft und die Ge­schlossenheit entwickelt hat, die in einer Zeit so großer innerer und äußerer Gefahren gefordert werden muß, ist das Kabi­nett der Konzentration, das schon lange am Horizont sicht bar wurde, der einzige Ausweg aus einer verworrenen und gefährlichen Lage.

Europa   wird nun, wenn man von den nordischen Staaten abfieht. überall ohne und gegen die Sozialdemokratie re­giert. Die Spannungen im Innern und nach außen sind überall so groß geworden, als daß eine Zusammenarbeit zwischen den sich bedroht fühlenden Verfechtern der alten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung und der Sozialdemokratie nur sehr schwer möglich ist. Auch für Frankreich   hat sich das nun erwiesen, obwohl es an ehr­lichen Versuchen, die Zusammenarbeit zwischen Linksbürger­lichen und Sozialdemokraten zu ermöglichen, nicht fehlte und vieles für diese Politik sprach. Die Sozialdemokratie ist nun auch in Frankreich   von der Verantwortung für die schweren sich anbahnenden Entscheidungen frei und braucht sich nicht an Aufgaben zu schwächen, die einer sozialdemokratischen Partei verhängnisvoll werden können.

12 Tote- 580 Verletzte Die blutige Nacht

Paris  , 8. Febr. Erst jezt war es auf Grund von Nach forschungen in den Krankenhäusern und in den Kasernen möglich, die genaue Zahl der Opfer festzustellen. Nach einer

Neusozialisten für Doumergue Chiappe kommt wieder

Paris  , 8. Febr.( Eig. Meldg.) Die Neusozialisten haben­mit allen gegen 5 Stimmen beschlossen, die Regierung Doumergne zu unterstützen. Ob eines ihrer Mitglieder in das Kabinett eintritt, ist noch nicht sicher. Die Unterstügung des Kabinetts durch die Radikalsozialisten ist gewiß. Wahr: scheinlich wird Herriot   dem Kabinett angehören, nicht jedoch Daladier, der nicht nur durch die Straßenunruhen, sondern auch durch sein Schwanken während der lezten Wochen sehr kompromittiert ist. Es war unmöglich, die Regierung im Amte zu halten, da das französische   Volk bei blutigen Un­ruhen in derartigem Umfange rein ftimmungsgemäß in seiner großen Mehrheit sich gegen die verantwortliche Re gierung wendet.

In einigen politischen Kreisen wird behauptet, Doumergne habe an seinen Auftrag zur Kabinettsbildung u. a. folgende Bedingungen geknüpft: Sofortige Auflösung der Kammer, Ausschreibung der Neuwahlen nicht vor sechs Monaten, Revision der Verfassung, Wiedereinsegung des von Daladier seines Amtes enthobenen Polizeipräfekten Chiappe.

Daran ist wohl nur richtig, daß mit dem Wiedereinsetzen Chiappes zu rechnen ist. Die anderen genannten Bedings ungen" dürften nur gesprächsweise als legte Möglichkeiten genannt worden sein, die aber nicht in Betracht kommen, da das Kabinett Doumergue   mit einer breiten parlamentarischen Basis rechnen kann.

Das Rätsel England

Dr. O. G. 2ondon, 7. Februar.

Das Abrüstungsmemorandum Sir John Simons hat in der ganzen englischen Bresse von der faschistischen ,, Daily Mail" zum sozialistischen Daily Herald" eine fast be­geisterte Aufnahme gefunden. Auch im Parlament hatte Simon fast einhellige Zustimmung. Nur Lord Cecil   hat in der Presse eine leise Kritik gewagt. Alle Zeitungen suchen die Simon- ,, Lösung" als das ideale Kompromiß hinzustellen. Fein säuberlich suchen sie herauszuarbeiten, was Deutschland   zugestanden und was Frankreich   be­willigt würde.

Für Deutschland  : Erlaubnis zur sofortigen Auf­rüstung( Tanks und Geschütze sofort, Militärflieger in zwei Jahren), 300 000- Mann- Heer, Anerkennung der SA.

und SS.

Für Frankreich   ständige Kontrolle, Beratung der Mächte im Falle eines gemeldeten Bruchs der Abrüstungs­konvention, Rückkehr Deutschlands   in den Völkerbund.

Die meisten Blätter lügen sich und ihren Lesern damit etwas vor. Nur wenige Blätter, wie der ,, Observer" und die Sunday Times", sind in dieser Beziehung aufrichtiger: sie gestehen ein, daß das englische Memorandum im Grunde den deutschen   Forderungen viel weiter entgegen­kommt als den franzöfifchen; sie erkennen, ohne es offen auszusprechen, auch, daß es sich praktisch um eine Rapitulation vor Hitler   handelt. Sie recht­fertigen diese Tatsache, die ihnen herzlich zuwider ist, damit, daß Deutschland   ja ohnehin aufrüsten würde, daß

Waffenstillstand bis Jahresende niemand es daran hindern könne, wenn man nicht gerade

Wunsch des neuen Ministerpräsidenten

Der fünftige Ministerpräsident hat einem Mitarbeiter des Intransigeant" telefonisch über seine Pläne folgendes erklärt: Ich bin fest überzeugt, daß sich noch alles ins Reine bringen läßt; doch müßte die Kammer von sich aus alles für eine Einigung und Entspannung tun. Wenn sie die Führer aller großen Parteien und die ehemaligen Ministerpräsiden­ten auffordern würde, sich zusammenzusehen und ihre Strei­tigkeiten zu begraben, wenn sie die Verpflichtung übernähme, diese Männer zu unterstützen, dann würde die Ordnung schnell wieder hergestellt sein. Aber ich betone, die Rammer muß diesen Schritt von sich aus tun. still stand bis Ende dieses Jahres gewährt werden Ein derartiges Kabinett, dem beispielsweise ein Waffen­könnte, und das von den Führern der großen Parteien und den ehemaligen Ministerpräsidenten gebildet wäre, würde im wahrsten Sinne des Wortes ein Kabinett der nationalen Einigung sein. Es müßte sich einzig und allein mit der Ver­abschiedung des Staatshaushalts, der Wiederherstellung der Lage und der aufmerksamen Prüfung der äußerst ernsten außenpolitischen Lage befassen.

Daß Männer, aus sämtlichen Parteien genommen, die Ordnung wieder herstellen müßten, ist auch die Auffassung des Matin, der wie die meisten Blätter nach einer Re­gierung der nationalen Einigung ruft.

Das Blatt ist davon überzeugt, daß das Kabinett schon heute gebildet werde. Wenn das Fieber gefallen sei, könne man daran denken, Neuwahlen auszuschreiben.

Andere Blätter glauben allerdings, daß mit dieser Rammer überhaupt nichts anzufangen ist, und daß sie sofort aufgelöst werden müsse. Das Volf, erklären diese Organe, werde sich mit dem Rücktritt des Kabinetts Daladier Frot   nicht begnügen.

Rerlautbarung des Innenminifteriums find folgende Ber: Sozialistischer Aufruf

Iufte zu verzeichnen: 12 Tote, davon 6 Manifestans ten und 6 Soldaten der republikanischen Garde. Die Leichen der Gardisten wurden von der wütenden Menge sofort in die Seine ge= worfen; 580 Verlegte, davon 170 Manifestanten, 180 Polizisten, 180 Soldaten der republikanischen Garde und 100 Soldaten der mobilen Garde. Unter den Berlegten befindet fich außer einigen Stadtratsmitgliedern der Senator Menier, der von der Menge erkannt und übel zugerichtet wurde.

Ehrenvolle Beisetzung

Paris  , 8. Febr. Der Vorstand des Pariser   Gemeinderates hat beschlossen, die bei den Pariser   Unruhen ums Leben gekommenen Personen auf Kosten der Stadt beiseßen au Laffen

Paris, 8. Februar.( Eig. Meldung.) Die Vorstände der Sozialistischen Partei und der sozialisti­ schen   Parlamentsfraktion erlassen folgenden Aufruf:

Angesichts der schweren durch die royalistischen und antis faschistischen Attentate geschaffenen Situation wie anges sichts des Bersagens der Männer, denen die Demokratie die Macht anvertraut hatte, ers klärt sich die Sozialistische Partei bereit zu allen Maß nahmen, die notwendig sind, um die republikanischen Freis heiten und die Freiheiten der Arbeiterflaffe zu verteidigen. Um eine Regierung zur Verteidigung dieser Freiheiten zu schaffen, appelliert sie an alle Personen und Organisas tionen, die fich an ihre Seite stellen wollen, um die

einen Krieg heraufbeschwören wolle, und daß eine ge­regelte Aufrüstung immer noch besser sei als eine unge­regelte, die in ein Wettrüsten ausarten würde, Also England kapituliert vor vollendeten Tatsachen.

Freilich scheinen sich die Engländer dabei über eines nicht klar zu sein. Wenn England heute nicht gewillt ist, ernsthaft gegen den Bruch eines immerhin noch in Kraft befindlichen Vertrages aufzutreten, wo bleibt dann die Sicherheit für Frankreich  . Würde England sich bei einem festgestellten Bruch der Abrüstungs­konvention nicht genau so um jede Handlung herum­drücken, wie es sich gegenüber Japan   beim Mandschurei­unternehmen, und wie es sich heute gegenüber Deutsch­ land   bei der vertragswidrigen Aufrüstung herumdrückt? Würde England nicht auch bei einem Bruch der Abrüftungskonvention wieder vor vollendeten Tatsachen kapitulieren?

Es ist wohl selbstverständlich, daß Frankreich   sich diese Frage stellen wird. So ist es im Grunde das Ausweichen Englands, das einen Erfolg der Abrüftungskonferenz ver­eitelt( womit allerdings nicht gesagt sein soll, daß eine andre Haltung Englands einen Erfolg der Konferenz garantieren würde). England, das sich nach keiner Seite festlegen will, das nicht einmal Sanktionen gegen einen Staat versprechen will, der die Abrüstungskonvention brechen würde, ist heute die schwerste Gefahr für den Frieden gerade weil es so pazifistisch ist, daß es vor jedem Konflikt ausweicht.

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Genau dasselbe ist in der österreichischen Frage festzustellen. Auch dort weicht England nach anfänglich kräftigen Worten zurück. Von England aus wurde Doll­ fuß   immer wieder geraten, nicht an den Völkerbund zu appellieren denn was könne Genf   schon machen? Eng. land fürchtet, in Genf   vor eine klare Entscheidung gestellt zu werden, die zu mehr verpflichtet als zu einer billigen Sympathieerklärung. Darum hofft es auf Mussolinis gute Dienste, ja ehe es hart auf hart geht, würde es sogar eine Nazifizierung Desterreichs hinnehmen( die liberale ,, News­Chronicle" sagt schon, das sei ja gar nicht so schlimm, wenn nur der formale Anschluß vermieden würde).

Oft hört man von den europäischen   Kreisen, die diese ausweichende Politik Englands für ein Verhängnis halten, Vorwürfe gegen Macdonald. Dazu muß gesagt werden, daß diese Ankläger des englischen Minister­präsidenten ihn weit überschätzen. Macdonald ist nicht der böse Geist, der aus falsch verstandenem Pazifismus Eng­land in die Sackgasse führt. Macdonalds Einfluß ist nicht groß genug, um überhaupt etwas Positives zu erreichen. Fortsetzung fiehe 2. Seite Wenn Baldwin und die Konservativen anders wollten,