Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschen Freiheit"

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Freitag, den 9. Februar 1934

Eine Filmkulisse fällt um

Es war kaum ein O- du- mein- Wien- Film denkbar ohne einige Szenen beim Heurigen in Grinzing  . Daß es eine Ku­lisse war, aufgebaut im Glashause des Filmateliers, berankt mit künstlichem Weinlaub, beschienen vom Mondlicht der Jupiterlampen das tat der berechneten Wirkung keinen Abbruch. Und wer nach Wien   kam, fuhr bestimmt auch eines Abends nach Grinzing   hinauf, suchte die Filmkulisse dort in der Wirklichkeit und fand sie!

Das heißt: wenn Kundige ihm den richtigen Tip gegeben hatten. Denn durch das ganze, lang bergaufziehende Grin­ zing   reiht sich beinahe lückenlos Weinschank an Weinschank. In der Ortsmitte steht ein Pfahl mit vielen Tafeln, auf denen angezeigt wird, wer im Wechsel gerade ausg'steckt" hat. Ueberall hängen die einladenden Tannenreiskränze als Schankzeichen und nachts signalisieren grüne Glühbirnen an langen, schräg über die Straße ragenden Stangen: Hier gibts Heurigen! Manche dieser Heurigenstuben sind denkbar einfach. Der Weinbauer so nennt man hier die Wein­bauern räumt seine Stube aus, stellt ein paar Tische und Bänke hinein und schenkt seinen Wein aus, solange der Vorrat reicht. Manchmal klimpert ein alter Mann auf einer noch älteren Zither. Die richtigen Weinbeißer sitzen still genießend hinter ihrem soundsovielten Viertel, denn hier ist der Wein die Hauptsache, wenn auch da und dort ein schwärmendes Pärchen sich dafür hält und in seiner Tisch­ecke alles andre vergißt. Im engen Hof stehen Tische und Bänke unter einer Weinlaube aus krummen Stangen ein leeres Sommergerüst; jetzt im Winter ist das kahl und kalt und die Liebe zu Wein und Mädchen betut sich in der Stube, in der es gar nicht wie im Film aussieht.

Das sind die alten, herkömmlichen Heurigenstuben, wie sie es in den Winkeln von Nußdorf   und Grinzing  , Heiligen stadt und Klosterneuburg   und sonstwo noch gibt.

Dec Fußtritt

Ein S.A- Stiefel spricht

Die Pressestelle der SA. der Gruppe Berlin- Brandenburg bringt in ihrer Korrespondenz einen Artikel vom Sturm­führer Haffke, in dem es u. a. heißt:

,, Die SA. ist im letzten Jahr ein beliebtes Thema geworden Für uns ein viel zu beliebtes Thema, denn viel Literatur" davon ist von Leuten verfertigt worden, die sich lieber einen anderen ,, Stoff" hätten aussuchen sollen. Denn durch diese Schreiblinge, die, wenn es anders in Deutschland   gekommen wäre, wenn unser Führer am 30. Januar 1933 das Steuer nicht fest in die Hand genommen hätte, dieselben Helden­gesänge auch auf die Kommune angestimmt hätten, braucht sich die SA. nicht verherrlichen zu lassen. Wir SA.- Männer verbitten es uns ganz energisch, daß man aus uns Salon- helden, die den Heldenfiguren amerikanischer Kitsch­filme verdammt ähneln, machen will. So, wie gewisse Lite­raten unseren Kampf schildern, war er nicht. Ich behaupte, daß man 50 vom Hundert der vielen SA.- Bücher, die von geschäftstüchtigen Verlegern herausgegeben wurden, getrost mit einem Umschlag versehen könnte: Wie der kleine Morit sich den Kampf um Deutschland   vorstellte."

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Wenn man einige dieser Schreibseleien gelesen hat, kommt man in Versuchung, sich den SA.- Mann etwa wie folgt vor­zustellen: Mindestens zwei Meter groß, versehen mit der Kraft eines Box weltmeisters, der ständig schwülstige Reden führt. Nein, so sahen die alten Kämpfer, die die Pharussaalschlacht schlugen, nicht aus. Aehnlichen Unsinn verzapfen leider heute noch die Berichterstatter mancher Zeitungen Meine Herren Berichterstatter, schreiben Sie nicht jedesmal, wenn Sie S A. A ufmärsche schildern, daß die Fahnen flatterten; schreiben Sie nicht immer vom klingenden

Eine Füdin

erlebt das neue Deutschland  

Von Lilli Körber

( Im Verlag der Buchhandlung Richard Lanyi in Wien  ) Schauspielerin ist sie, aus der Provinz kommt sie nach Ber­ lin  . Man schreibt eben das Jahr 1933. Kurz vorher hat sie ibren geliebten Freund geheiratet. Christ ist er, ein lieber, blonder, gutmütiger Mensch. Sie schaffen sich ein behag­liches Zuhause. Sie sind angefüllt von ihrem Beruf: er von der Arbeit, die ihm Brot und Geborgenheit gibt, sie vom

Und dann gibt es, in Abstufungen nach oben auch den Preisen nach, die anderen Wirtschaften, in denen der Be­trieb die Hauptsache ist, Betrieb mit Schrammelmusik und Jazzband, mit Geldschneiderei und forcierter ,, Stimmung", hinter der man den Motor surren hört, der den Rummel antreibt- er wird von der Kasse aus angekurbelt. Draußen warten die Autos und die großen Gesellschaftswagen mit den Fahrtschildern ,, Wien   bei Nacht". Die Chauffeure treten hin und her und warten, bis ihre Fahrgäste drinnen ge­nügend Wiener Volksleben beim Heurigen" genossen haben. In diesen Gaststuben sieht es genau so aus und geht es genau so zu wie in den Filmszenen ,, in Grinzing  " Kulisse ist beides.

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Und nun ist solch eine Kulisse umgefallen. ,, Der Rucken­bauer", der bekannte Grinzinger   Heurigenwirt, dessen Gast­stätten eben wegen dieses Grinzinger   Betriebs berühmt waren, hat um Ausgleich gebeten. Er, der Nachfahre einer uralten Weinbauerndynastie und Repräsentant einer ganzen Familiensippe mit mehreren Geschäften dieser Aufmachung, hatte den Stimmungsbetrieb aus dem Filmatelier in seine Gasträume verpflanzt oder haben umgekehrt die Film­regisseure ihr Kulissen- Grinzing beim Ruckenbauer ab­geguckt? Genau läßt sich das nicht sagen. Da nun aber das goldene Wiener   Herz nicht einmal mehr im Film weiter. zuleben vermag, da das wirkliche Wien   immer tiefer in eigener und in österreichischer Not versinkt, kommt auch der Grinzinger   Fremdenbetrieb nicht mehr auf die hohen Kosten. Die eingesessenen Weinbeißer haben sich schon seit langem aus den geräuschvollen Stimmungslokalen in die einfachen Heurigenstuben zurückgezogen. Ruckenbauer geht entblößt von allem Stimmungszauber in den Ausgleich eine Film­kulisse ist umgefallen und unbezahlte Rechnungen wirbeln

hoch.

Manfred.

Spiel, sehen Sie sich lieber einmal die Gesichter der vorbei­marschierenden Männer an; schreiben Sie über die von ihnen vertretene kämpferische Weltanschauung; schildern Sie weni­ger das glänzende Bild, das sich Ihnen bot, schreiben Sie vielmehr davon, welches Opfer jeder einzelne der Marschierer bringen muß, um dieses Bild gestalten zu helfen; berichten Sie, daß sich die meisten der Männer ihre Uniform mühsam zusammengespart haben. Und dann erwähnen Sie nicht bei jeder Gelegenheit die Toten unserer Bewegung. Haben Sie Achtung vor denen, die fielen, benutzen Sie sie nicht, um da­mit Ihren Bericht zu würzen".

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Und dann, meine Herren von den Provinzzeitungen, wenn Sie über einen SA.- Führer Ihres Bezirkes schreiben, dann tun Sie es in schlichter Form, ohne dabei auf den Schmus der vergangenen Jahre zu verfallen. SA.- Führer lehnen es ab, in den Zeitungen ähnlich wie einst Film größen beweih­räuchert zu werden."

Das ist bitter und deutlich. Wie gut dieser Haffke seine Pappenheimer kennt. Dieser Sturmführer scheint seine Er­ziehung in der liberalistisch- marxistischen Aera genossen zu haben und noch von ihr zu zehren, denn sonst wäre er außer­stande, sich außerhalb des Sieg- Heil- Kitschs zu halten und den Wert der braunen Literatur in seiner wahren Bedeutung zu durchschauen. Seine Beobachtung, daß die jähen Helden­sänger der Kommune zu einem großen Teil mit der gleichen Andacht gedient hätten wie jetzt dem ,, dritten Reich", macht unseren Haffke sogar verdächtig, im geheimen der materia­listischen Geschichtsauffassung zu frönen.

Kampf der Zukunft, in die Gestaltung der Zukunft weisen. Der rote Alltag war ein Versprechen, die Jüdin im neuen Deutschland   hat es erfüllt.

Man liest noch einmal die Abschnitte der ,, nationalen Er­hebung", eingebettet in ein Menschenschicksal, das unsere Teilnahme gewinnt.

Das kommende Buch muß mehr sein. Kein entsagendes, den Vorhang herunterlassen der kleinen Ruth, sondern Kampf, meinetwegen im Alltag der Emigration, dem wir mit allen zeitlichen Psychosen nicht zu entrinnen vermögen. Ellinor Werrer.

Theater, das ihrem Dasein erst den Sinn schenkt... Bis die Kosmetischer Bolschewismus

nationale Erhebung" beginnt.

Was ist alle äußere Gestaltung einer Handlung in diesen paar hundert Seiten? Hier geht es um einen einmaligen Menschen, den der Nationalsozialismus völlig aus der Bahn schleudert.

Eine bewußte Jüdin war sie nie, die Frau des Christen, so wie Tausende ihrer Schwestern. Ins positive Judentum kann sie nicht hineinfinden. Die Bereitschaft für Palästina, die ihrer Familie den Weg in die Zukunft weist, wird nie in ihr aufleben. Aus dem Beruf gestoßen, der ihr Lebens­inhalt war, fühlt sie sich zu Recht aus der deutschen Volks­gemeinschaft, die sie erfüllte, gedrängt. Plötzlich wächst, von Woche zu Woche, von Tag zu Tag unüberbrückbarer, eine Kluft zwischen ihr und ihrem Manne. Aus einer glücklichen

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Der Völkische Beobachter" donnert in seiner Nummer 19 gegen das Schminken am hellichten Tag":" Dieser kos metische Bolschewismus, der uns von artfremden Menschen aufgehängt wurde, ist gottlob überwunden. Aber es ist noch genug geblieben, was gleichfalls ausgerottet wer­den muß."

,, Kosmetischer Bolschewismus" ist bildschön... wobei nur zu bedenken ist, daß Stabschef Röhm, der öffentlich gegen die Spießer wettert und für die ungehemmte Schmink­freiheit der deutschen Frau plädiert, damit also zum ,, k o s metischen Bolschewiken" avanciert wäre.

Großstädterin ist ein armer, gehetzter Mensch geworden, dem Marsch ins Märchenland

nur noch ein Ausweg offen steht: der Tod.

Mit dieser kleinen Schauspielerin zerbricht die Epoche, die sie auf ein Piedestal gestellt hatte, vom schmeichelnden Rampenlicht erleuchtet.

Es ist nicht der erste Roman. den Lilli Körber schrieb. Es wird hoffentlich nicht das letzte sein, was diese Schrift­stellerin den Leidensgefährtinnen in der Emigration zu sagen hat. Die Frau, die über das Erlebnis des roten Alltags in Rußland   wesentliches schrieb, ist uns schuldig, Bücher zu schreiben, die aus dem Uferlosen auf die andere Seite, in den

Der Verlag Otto Beyer  , Leipzig  - Berlin  , der auch schon ein­mal bessere Tage gesehen hat, kündigt in der reichsdeutschen Presse ein Märchenbuch von Marie Falkenheim an, das den schönen Titel trägt: ,, Rechtsum, marsch ins Märchenland!"

Das sind ja wirklich zackige Träumereien an neupreu­Bischen Kaminen! Formierung der Märchenfront! Wer sich nicht ei reiht, wird nach beliebtem Muster. ,, auf der Flucht" erschossen!

Ereignisse und Gescitcfiten

Emigrant schreibt an Hermann G  .

Von Lot Anker

Ministerpräsident Hermann Göring   hat in einem neuen Erlaß die Polizeibehörden aut. gefordert, in kürzester Zeit Listen aller Emigranten aufzustellen und in ihnen wenn möglich deren gegenwärtigen Aufenthalts­ort(!) anzugeben.

Lieber Hermann! Dank für Deine werte Sorge um mein Wohlergehn! Kaum, daß ich von Deiner Sorge hörte, mußte ich vor Rührung in mich gehn.

Und nur schluchzend kann ich Dir dies schreiben, denn ich fühle: Hermann denkt an mir! Tat er mich aus Deutschland   auch vertreiben, will er in Konnex doch mit mir bleiben und sich zeigen als ein Kavalier.

Schimpft auch Adolf weiter unversöhnlich auf das Emigrantenpack

nun, ich nehme das nicht so persönlich, denn des Kanzlers Deutsch   ist halt gewöhnlich, stets holt es den Knüppel aus dem Sack. Sind's auch emigrierte Kreaturen-: Göring   denkt; nun sei's des Grolls genug; drum errötend folgt er ihren Spuren, Weil sie einfach außer Landes fuhren ohne Hermanns Abschiedshändedruck.

Siehst Du, Hermann, sind wir auch Marxisten, rührt uns doch Dein Sehnsuchtsschrei. Endlich gibt's, was wir bis jetzt vermiẞten: Offizielle Emigranten- Listen

Deiner braunen Wohlfahrtspolizei.

Ganz genau willst Du von jetzt ab wissen, wie es in der Fremde uns ergeht.

Ob wir heimattreu den Heil!-Gruß hissen oder ob aus Greuel- Gabelbissen unser täglich Gratisbrot besteht.

Nicht platonisch nur ist Dein Interesse, nein, Du bist für Präzision,

Du bist scharf auf Namen und Adresse und daher, eh' ich's vergesse:

ich persönlich hab' auch Telefon!

Willst nicht mal fernmündlich mit mir fluchen?! Zwischen 2 und 4

ruf' mal an bei mir!

Besser noch, Du kommst mich mal besuchen. Darauf wär'n wir Emigranten scharf! Drahte, wenn ich Dich erwarten darf!

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Krause, Reichsfilmdramaturg

Reichsminister Dr. Göbbels hat im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda   die Stelle eines Reichs­filmdramaturgen geschaffen und in sie den Schriftleiter des Angriff Willi Krause   berufen. Der Reichsfilmdrama­turg hat die Aufgabe, die Filmindustrie in allen wichtigen Fragen der Filmherstellung zu beraten, die ihm vorzulegen­den Manuskripte und Drehbücher zu prüfen und rechtzeitig zu verhindern, daß Stoffe behandelt werden, die dem Geist der Zeit zuwiderlaufen. Das Arbeitsgebiet des bisher bei der Reichsfilmkammer bestehenden dramaturgischen Büros ist damit auf den Reichsfilmdramaturgen übergegangen. Alle Manuskripte und Filmentwürfe sind daher künftig nicht mehr der Reichsfilmkammer, sondern dem Reichsfilmdrama­turgen einzureichen.

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Die Vossische Zeitung" sagt dazu: Neue Hoffnung im Film." Der verluderte, verkitschte, von Jahr zu Jahr lang­weiliger werdende deutsche Film soll nun von der Kritik

her erneuert werden. Krause muß es schaffen.

Kam ein flotter Bursch gegangen

Die Wochenbeilage zur, Göttinger Zeitung  ", betitelt ,, Die Frau in Heim und Beruf" zitiert in ihrer Nummer 42 einige Sätze aus dem Buche des deutschen Philosophen Professor Ernst Bergmann   ,, Erkenntnisgeist und Muttergeist" folgen­den Wortlauts:

,, Einehe auf Lebenszeit ist widernatürlich und artschädlich. Wo sie wirklich durchgeführt wird und beim Menschen ist dies trots aller Gesetze glücklicherweise nicht möglich ge­wesen, muß die Art verkümmern. In einem richtig ge­bauten Staat ist das Weib, das nicht geboren hat, unehren­haft. Zur Begattung der vorhandenen Frauen und Mädchen finden sich willige und fleißige Männer und Jünglinge genug, und glücklicherweise genügt ein flotter Bursch für zehn bis 20 Mädchen, die den Willen zum Kind noch nicht ertötet haben, bestände nur nicht der naturwidrige Kulturunsinn der monogamen Dauerehe."

Büchereingänge

Ingenieur Paul Jansen Der Krieg im Aether Fdition COTSF., Paris   1934. Ingenieur Paul Jansen: Radio für alle. Jaed- Verlag, Paris  . Internationale Literatur( Her­ausgeber internationale Vereinigung revolutionärer Schrift­steller.)

Es ist Schande für die Deutschen  , daß ein Fremder sie be­einträchtigen kann; und es ist noch größere Schande für sie, daß ein Fremder ihr Retter sein soll. J. G. Seume.

Keine Barbaren  ".

Im Mittelpunkt der Berliner   ,, Grünen Woche" steht eine ,, Entwicklungsschau", über die die Nazipresse schreibt: ,, Es soll aufgeräumt werden mit der Darstellung, als ob unsere Vorfahren kulturlose Barbaren gewesen seien. So soll die Grüne Woche  " sozusagen zur Ehrenrettung des deutschen Bauern werden und nachweisen, daß unsere Vorfahren schon in grauer Vorzeit zuweilen eine kulturelle Höhe erreicht haben, wie fast nie wieder."