Panipale

Freiheit

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Nummer 34-2. Jahrgang

Saarbrücken , Samstag, 10. Februar 1934

Chefredakteur: M. Braun

Aus dem Inhalt

Österreichs Arbeiter warten

Seite 2

neu beginnen

Seite 3

3774000

amtliche Erwerbslose

Seite 4

Pariser Uncuhen im Bild Seite 6

Acbeiterregierung

in Norwegen Seite 8

Görings Greuelpropaganda

Sein Barbarenbuch im Urteil englischer Zivilisation

London , 9. Februar. Göbbels beginnt auf dem Gebiet der Auslands­propaganda bald die gleiche Geschicklichkeit zu entwickeln, die er in der Jnlandspropaganda bewiesen hat. In Eng­land z. B. arbeitet die Nazipropaganda planmäßig unter Gesichtspunkten, die der englischen Mentalität ent­sprechen. Es wäre Selbsttäuschung, wenn man behaupten wollte, daß diese Propaganda völlig erfolglos wäre. Zwar mißfallen dem Durchschnittsengländer nach wie vor die brutalen Methoden der Hitlerpolitik, zwar ist er nach wie vor ein wenig mißtrauisch gegenüber den Friedens­versicherungen, zwar macht er sich nach wie vor über die Ausgeburten der Rassenfantasie lustig und ist tief beun­ruhigt über den Kirchenstreit, aber in einem Punkte hat Göbbels gewisse Erfolge gehabt: der Durchschnitts­engländer beginnt allmählich zu glauben, daß der Nationalsozialismus auch seine guten Seiten habe. Er glaubt an den Nazischwindel von der Säuberung Berlins von der Prostitution und von Schmutz und Schund; er glaubt an die Bekämpfung der Korruption durch die Nazis; er glaubt, daß das deutsche Volk wieder optimistisch ist, weil so viel gesungen wird.

Die Gegenpropaganda ist schwach, sie hat ja auch nicht die Milliarden zur Verfügung, die Göbbels für solche Zwecke besitzt. Die Labour Party versagt auf diesem Ge­biete völlig. Ihre Zeitung macht sogar gelegentlich direkt Nazipropaganda mit( wobei offenbar auch eine perverse Form des Pazifismus mitspielt; man möchte Hitler nicht reizen).

Freilich gelegentlich machen die Nazis selber Gegen­propaganda, bisweilen unterlaufen schlimme Regiefehler, die selbst Göbbels nicht hat hindern können. Und dann ist in der Regel Göring der Sünder. So war es bereits beim Fall Dimitroff . Der Freispruch der 4 Angeklag­ten war nebenbei ein glücklicher Griff von Göbbels . Die englische Presse lobte die deutsche Justiz und meinte, daß es also doch nicht so schlimm in Deutschland sein könne. Aber als nun die Bulgaren und Torgler immer weiter in Haft behalten wurden, als gar die Mutter des auch hier sehr populären Dimitroff schnöde behandelt wurde, war es mit der Wirkung des Freispruchs wieder aus. Dauernd wird Görings Drohung gegen Dimitroff zitiert, fast alle englischen Zeitungen veröffentlichten wiederholt Leit­artikel in dieser Angelegenheit. Göring mit seiner Rach­sucht hat Göbbels einen Strich durch die Rechnung gemacht.

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Aber er hat jetzt noch Schlimmeres begangen. Er hat ein Buch über Deutschlands Wiedergeburt" geschrieben( er hat es wirklich selbst geschrieben, das merkt man an dem leeren Gepolter). Nicht genug mit dieser Sünde, er hat dieses Buch sicher gegen Göbbels Willen ins Eng lische übersetzen lassen, zur Verbreitung in englisch sprechenden Ländern. Die hochkonservative ,, Morning Post" hat das Recht zum Vorabdruck einiger Kapitel dieses Buches erworben und hat dieses Recht durch Ver­öffentlichung von 6 Kapiteln ausgeübt. Schon als Vor­bereitung betonte das Blatt, daß es mit dieser Veröffent­lichung nicht etwa eine Uebereinstimmung mit Görings Gedanken dartun wolle, im Gegenteil, es mißbillige aus. drücklich einen Teil der nationalsozialistischen Gedanken und Methoden, aber es wolle einem der markantesten Ver­treter dieser Gedanken das Wort geben, damit man aus erster Quelle die Nazigedanken kennen lernen könne.

Vor jeder der 6 Veröffentlichungen rückte die, Morning

Boſt" in einer Borbemerkung erneut von Görings Ge Buch ist eigentlich nichts weiter als dasselbe wilde Gerebe.

danken ab. Und das war kein Wunder. Denn Görings

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das man aus seinen hemmungslosen Rundfunkergüssen kennt. Da spricht er von der Einkreisung Deutschlands durch neidische Feinde( für die englisch sprechende Welt!), da lobt er den Durchmarsch durch Belgien ( für die englisch fprechende Welt!), da proklamiert er, daß Deutschland eigentlich den Krieg gewonnen habe, wenn nicht die Ver­räter Marristen und Juden den berühmten Dolch gezückt hätten, und dann tobt er los, in seiner bekannten Hemmungslosigkeit, gegen Juden, Marxisten, gegen das verrottete Parlamentssystem, das ein System der Feigheit sei( für englische Leser!). Dann preist er den Austritt aus dem erbärmlichen Völkerbund, als Meisterstück, durch das Hitler sich zum Führer der Welt gemacht habe Kurz und gut: Herr Göring treibt Greuelpropaganda, mehr als jeder Emigrant es vermag, bemüht er sich, die

Stimmung Englands gegen Nazideutschland aufzu peitschen. Und mit Erfolg. Am Tage, da das letzte der 6 Kapitel veröffentlicht wurde, schrieb die Morning Post" den folgenden Leitartikel:

Es ist die ständige Klage der Naziverteidiger, daß die öffentliche Meinung des Auslands durch die Lügen­propaganda" von Juden, Marristen, Emigranten und anderen erklärten Feinden des dritten Reiches" irre­geführt werde. Als wir diese Artikel eines so hervor­ragenden Vertreters der Sache veröffentlichten, war es unser Ziel, mit einem Schlag uns selber von jedem Vor­wurf der Parteilichkeit zu entlasten und zugleich unseren Lesern die Möglichkeit zu geben, direkt sich mit den An­sichten Nazideutschlands bekannt zu machen. Das Bild, das General Göring gezeichnet hat, ist außerordentlich auf­klärend, aber es wird. so nehmen wir an, ge= rade die entgegengesezten Gefühle erweck t haben, als der Autor beabsichtigte. In der Tat, eine schädlichere Propaganda gegen den Nazismus fonnte faum von dem schlimmsten Feinde dieses Systems getrieben werden. Denn vom Anfang bis zum Ende stoßen wir auf einen Fanatismus, der für jeden englischen Instinkt abstoßend ist Absatz auf Abjazz hemmungsloses Schimpfen auf Gegner und uner= trägliche Selbstbeweihräucherung, dazwischen faum ein Körnchen eines konstruktiven Biels, das für das bloße Auge sichtbar wäre.

General Görings wilder Sturzbach von Prahlerei und Drohungen fann nicht gerade unseren Respekt für das Nazitum erhöhen, selbst wenn sie durch die Wahrheit gerechtfertigt wären. Aber wir werden zu dem Schluß gezwungen, daß die Nazis mindestens so energisch im Fälschen der Geschichte sind wie sie es im Machen von Ge­schichte sind. Kann z. B. irgend jemand ernsthaft die Lehre Görings akzeptieren, daß der Krieg durch marristische Verräterei" in der Heimatfront verloren wurde? Sicher­lich ist es eine beweisbare Tatsache, daß der moralische Zusammenbruch im Innern die Folge und nicht die Ursache einer militärisch hoffnungslosen Lage war. Die Annahme, daß die deutschen Armeen selbst unter den günstigsten Umständen mehr als ein paar Wochen länger hätten standhalten tönnen, ist pure Täuschung. Die deutsche Diplomatie, nicht marcistischer Verrat, hat den Krieg für Deutschland verloren dadurch, daß sie sich eine Welt von Feinden schuf. Und es scheint manchmal, daß die deutsche Diplomatie aus dieser Lehre weniger gelernt hat als man annehmen sollte.

Dann hat General Göring weiter- um ein anderes Beispiel zu nennen die Marristen" beschuldigt, Deutsch­ land in das Elend der Inflation gestürzt zu haben. Aber jeder, der nicht General Görings Sache zu vertreten hat, weiß, daß die Großindustriellen( die heute die Bundesgenossen der Nazis find) die Urheber und Nutz­nießer der Inflation waren, und daß sie sich im übrigen als sehr wirksame Abwehrwaffe gegen die Franzosen im Ruhrgebiet erwies.

Wir haben diese Beispiele von Geschichtsklitterung er­wähnt( und wir könnten viele andere erwähnen), weil General Göring sich so viele Mühe aibt. das Nazitum mit den angeblichen Verbrechen seiner Vorgänger zu recht­fertigen. nicht etwa weil es unsere Sache wäre, das Ver­halten der verflossenen Republik anzugreifen oder zu ver­teidigen. Wir für unseren Teil hätten es vorgezogen, wenn wir die Missetaten der Republik hätten akzeptieren können

Rom verstimmt

Drei deutsche Erzbischöfe gegen Hitler Rom

, 9. Febr.( Inpreß.) Wie wir aus besonders gut unterrichteten Kreisen erfahren, wächst in katholischen Kreisen die Stimmung gegen den Nationalsozialismus ständig. Es wurde festgestellt, daß die drei deutschen Erzbischöfe Faul haber- München, Schulte- Köln und Bertram- Breslau schärffte Gegner Hitlers find. Auch die Mehrzahl der deutschen Bischöfe hat sich gegen Hitler ausgesprochen. Diejenigen Bischöfe, die mit ihm sympathisierten, weil sie sich vom Kon­kordat viel für die katholische Kirche versprachen, haben sich jetzt davon überzeugt, daß dieser Vertrag von den National= sozialisten doch nicht gehalten wird. Infolgedessen nimmt die katholische Kirche , wie auch das kürzliche Telegramm des Kardinals Paccelli an Faulhaber beweist, eine immer schärfere Stellung gegen den Nationalsozialismus ein.

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Ueberall Katholikenverfolgung

Düsseldorf , 9. Febr. Die Regierungspressestelle teilt mit: " Auf Grund mehrfacher 3wischenfälle hat die Staatspolizeistelle Düsseldorf im Interesse der öffentlichen Ordnung für den Gesamtbereich des Regierungsbezirks Düsseldorf eine Anordnung getroffen, wonach den kon= fessionellen Jugendverbänden bis auf weiteres jedes geschlossene Auftreten in der Oeffentlichkeit, jedes Führen von Fahnen oder Wimpeln, das Tragen von Bundestrachten, Kleidungsstücken und Ab­zeichen, die den Träger als Angehörigen dieser Organi­sationen kenntlich machen, sowie jede sportliche oder volfssportliche Betätigung untersagt wird. Alle entgegenstehenden Reglungen der Kreis- und Orts­polizeibehörden treten damit außer Kraft."

und dann mehr darüber gehört hätten, mit welchen Methoden General Göring eine Besserung herbeiführen hofft. Auf die Frage nach seinem konstruk­tiven Programm meist er lediglich auf seine sch Itchten und tapferen" SA.-Leute hin und fügt den unfruchtbaren Gemeinplay hinzu, daß wir allein die Grundsäße als Pro grammpunkte anerkennen, die der För­derung des Wiederaufbaus und der Stär­fung der Stellung Deutschlands dienen; daß wir aber alle anderen Dinge, die unserem Lande schaden können verwerfen und sie zerstören." In der Außenpolitik( wo er wieder sehr wenig positiv ist) stellt er sich als Mann des Friedens vor, aber man kann nicht sagen, daß er wie ein solcher spricht. In der Tat, der ganze Ton dieser Artikel ist dazu angetan, das Mißbehagen, das die Nazipolitik geweckt hat, eher zu verschärfen als zu zerstreuen. Wir müssen glauben, daß diese Enthüllung der Nazilehre durch einen, der in der Nazihierarchie mit am höchsten steht, auf die Gruppen der öffentlichen Meinung Englands, die bisher den Aufstieg des Naziregimes mit einer gewissen Sympathie betrachtet haben, wie ein Schock wirken wird."

Diesem Artikel des rechtskonservativen Organs braucht man nichts mehr hinzuzufügen. Göbbels wird schäumen, aber das Unglück ist bereits geschehen. Wird diese Katastrophe den Sturz Görings beschleunigen?

Kabinett der nationalen Einigung

Die Aufgaben der Burgfriedensregierung Doumergue- Starke Beteiligung von Militärs

Paris , 9. Febr. Die Morgenpresse rechnet bestimmt damit, daß das Kabinett Gaston Doumergue im Laufe des heutigen Nachmittags gebildet sein wird, so daß die Er­nennungsdekrete im Journal Officiel" vom Samstag er­scheinen könnten. Doumergue wird ein Kabinett des öffent lichen Wohls, der nationalen Einigung, des Burgfriedens bilden. Er scheint, wenn man einigen Blättern Glauben schenken darf, mit einer bestimmten Ministerliste nach Paris gekommen zu sein, auf der, dem ,, Echo de Paris" zufolge, auch der abberufene Polizeipräfekt Chiappe als Innenminister estanden habe, aber bei Besprechungen mit den verschie­ensten politischen Persönlichkeiten auf gewisse Schwierig­feiten gestoßen sein.

Nichtsdestoweniger soll Doumergue bei seinen Besprechungen

von Donnerstag ein gutes Stück vorwärts gekommen sein. Er hat Freitag früh um 9 Uhr die Vorsitzenden sämtlicher Gruppen von Senat und Kammer versammelt, um sie zur Mitarbeit an der Rettung des Landes und der Verteidigung nationalen Einigung ersuchen. Doumergue werde, so erklärt der republikanischen Verfassung auf der Grundlage der natio der offiziöse Petit Parifien", die Fraktionsvorsitzenden per­sönlich um ihre Mitwirkung bitten und im Falle der Weige­rung ihnen vorschlagen, diejenigen ihrer Fraktionsgenossen zu benennen, die nach ihrer Ansicht für den Eintritt in die Regierung in Frage kommen.

Doumergue werde also die Operation wiederholen, die unter seiner Präsidentschaft Poincare zur Zufriedenheit aller Franzosen und zum Besten des Landes 1926 durch= geführt hatte. Man rechnet damit, daß sämtliche Fraktionss führer von Herriot bis Marin fich zur Mitarbeit ihrer