Deutsche Stimmen. Beilage zur Deutschen Freiheit". Ereignisse und Geschiciten

Samstag, den 10. Februar 1934

Das alte Deutschland über das neue

Von J. G. Seume( 1763-1810)

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Mit umglühter, heißer Stirne fronen Unter der Despoten Eisenstab Ganze große, schöne Nationen

Von der Kummerwiege bis ins Grab. Freiheit ist ein Schall vor ihren Ohren; Der Gedanke wäre Hochverrat; Weil zum Troß der Sklaverei geboren Unsinn ihren Geist gefesselt hat. Und auf ihrem Wolkenthrone sitet Rings umher die alte Möncherei, Blicket grimm, aufs Vorurteil gestütet, Und ihr Zepter wieget schwer wie Blei. Unter ihrem schwarzen Rabenflügel Zischen die Kabalenzungen Gift,

Brechen Laurer frech das Freundschaftssiegel, Sinkt dem Streiche, wen der Spürhund trifft. Ihre Geier drohn in allen Zonen,

Wo die unterdrückte Wahrheit spricht, Mit Bastillen, Inquisitionen, Türmen, Minen, Eisen, Blutgericht.

Wenn Banditen nur mit Dolchen morden, Bleicht man ihren Schädel auf dem Holz; Aber wenn der Helden Troß in Horden Länder würget, sind die Helden stolz. Wenn der Mann dem Manne, der ihm glaubet, Seinen Säckel stiehlet ists Betrug; Aber Herrschsucht, die Provinzen raubet, Nennt der Staatskunst hohe Schule klug. Durch der Politiken schiefe Brille

Ist Moralität ein Possenspiel,

Ein Zivilist

Und Gerechtigkeit nur eine Grille, Die in Philosophenschädel fiel. Arme Brüder, hat euch Gott in Ketten, Zu des Unsinns Eisenjoch gemacht? Und vermag kein Rächer euch zu retten Aus der Vorurteile langer Nacht? Gleich Insekten kriechet ihr als Knechte Unter Frongebot und Knutenhieb; Und ihr würgt am eigenen Geschlechte, Wo euch die Vernunft den Freibrief schrieb Hier sitzt, um die Nachwelt zu betrügen Menschenfeindlich glotzend ein Gesicht, Spähet aus dem Staub gelehrter Lügen Für den jämmerlichsten Bösewicht. Dort wirft von dem hohen Rednerstuhle Eine Bonzenseele schleichend Gift, Spinnet mit der Ketzerei der Schule Zwietracht aus dem Friedensbrief der Schrift. Hier durchwühlt der Geiz mit Gnomenfreude, Unbekümmert um der Waisen Fluch , Seiner Koffer goldenes Eingeweide, Und durchzählt sein langes Rentenbuch. Dort durchspähn, die Richter zu bestricken, Weil ein Schurke schwere Säcke beut, Rabulisten mit Hyänenblicken Jedes Schlupfloch der Gerechtigkeit. Gott , du schufst so herrlich schön die Erde, Nicht zum Sitz für Tyrannei und Trug, Als dein väterliches Machtwort ,, Werde!" Aus dem Nichts die Sonnenbälle schlug.

ein Zivilist!"

Eine Prophezeiung, die in Erfüllung ging...

Als mit dem Jahre 1900 das zwanzigste Jahrhundert ein­geläutet wurde, machte sich der ,, Ulk", damals ein beliebtes Witblatt, den Spaß, zeichnerische Zukunftsbilder zu ver­öffentlichen, die den Zustand Deutschlands im Jahre 2000 voraussagen sollten. Große Heiterkeit erregte namentlich ein Blatt, auf dem man eine zahlreiche Menge lustwandeln sah, aber Männer, Frauen, Kindermädchen und Kinder, selbst die Hunde, steckten in Fantasie- Uniformen. Alle wandten ihre teils erstaunten, teils miẞbilligenden Blicke einem alten Herrn zu. der verdattert in grauem Pelerinenmantel dastand: ,, Ein Zivilist ein Zivilist!"

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Es hat keines Jahrhunderts, sondern gerade nur eines Drittels davon bedurft, um dieses Fantasiebild im wesentlichen zu verwirklichen. Man schlage nur die gleich­geschaltete Presse auf: überall wimmelt es von neuen Uni­formverleihungen und Uniformerlassen. Entdeckt man auf den Fotos der Tagungen, die der ,, Völkische Beobachter" in großer Aufmachung bringt, wirklich einmal einen Zivilist, so scheint dieser ebenso kläglich verlegen, von Minderwertig­keitsgefühlen gedemütigt, wie der letzte Zivilist" des Ulk­Bildes von 1900.

Acme Anstreicher

Da denkt mancher Konjunkturwendige, er könne nun ruhig schlafen, da sein brauner Anstrich noch zeitig ausge­führt und er so dicke Farbe gewählt habe, daß sie dauerhaft genug und der rote, schwarzrotgoldene oder schwarze Hinter­grund nicht mehr zu sehen sei. Aber der Arme hat sich geirrt.

クラ

Walter v. Molos Bemühen, sich in die heutige deutsche Lage einzufügen, hat für den Wissenden etwas Rührendes, denn auch er kann ebenso wenig wie Kasimir Edschmid oder Hanns Heinz Ewers über den Schatten seiner Vergangenheit springen."

Besonders hübsch scheint uns der Vergleich mit Ewers. Soviel Humor hätten wir dem grimmen Borries- Recken eigentlich nicht zugetraut. Aber er soll nicht zu braun tun. Herr v. Münchhausen möge sich beispielsweise an die Worte erinnern, die vor nicht langer Zeit sein Bekenntnis Zur Judenfrage" sein sollten und über die er sich nun ebenfalls mit einem Sprung hinweggesetzt hat. Damals sprach er ,, mit Trauer von der Tatsache des Antisemitismus. Denn es ist etwas unendlich Trauriges um die Tatsache, daß auf Tausend und aber Tausend guten anständigen Menschen ein Fluch liegt..."

All die braun Angestrichenen reichen jedoch nicht aus, um dem Kulturhun er des dritten Reiches" zu genügen. Im Anzeigenteil der muffig ver- Rauch- ten Literarischen Welt" lesen wir folgenden Wunsch eines Verlages:

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,, Kurz- Romane oder auch Novellen, die politische, wirtschaftspolitische oder allgemeinwissenschaftliche Fragen zum Gegenstand haben( Umfang 1000 bis 1200 Zeilen) und sich zum Abdruck in einer Zeitschrift in Fortsetzungen eignen, von Berliner Verlag gesucht. Angebote unter.. In einer andern Nummer derselben Zeitschrift nehmen wir von folgendem Herzensschrei Kenntnis:, Guter Unter­haltungs- Roman( Frauen) von arischer Autorin gesucht. Eil­angebote nur fertiger Manuskripte unter..."

Das hat wenigstens revolutionäres Tempo: ,, Eilangebote nur fertiger Manuskripte...

Letztmalig verwaent

Neue Betätigung des Reklameministeriums Die ,, Frankfurter Zeitung " meldet:

Heinz Wielek.

,, Die Landesstelle Württemberg- Baden des Reichspropa­gandaministeriums für Volksaufklärung teilt mit, es sei ver­schiedentlich vorgekommen, daß Rundfunkhändler aus durch­sichtigen Gründen Käufer davon abgehalten haben, einen Volksempfänger zu erwerben, in dem sie das Gerät als minderwertig bezeichneten. Die Händer würden jetzt let t malig verwarnt. Bei Wiederholung solcher Fälle wird rücksichtslos strafend eingeschritten."

Man muß es ihnen lassen, sie verstehen ihr Geschäft, die Kulturerneuerer Nazilands. Josef Göbbels läßt Radiogeräte fabrizieren und in einem propagieren. Jetzt meint irgendein harmloser Rundfunkhändler, diese Apparate hatten den Gipfel der Qualität noch nicht erklommen. Diese seine ver­werfliche Privatmeinung vertritt er einem Kunden gegen­über. Und schon ist das Malheur passiert.

grund nicht mehr zu sehen sei. Aber der Arme hat sich Dimitrofflied

Kasimir Edschmid betätigt sich in diesem Sinn auch als Anstreicher, allerdings trägt er nicht zu dick auf. Der Herr ist vorsichtiger. Radikaler ist schon der weiland Prä­sident der republikanischen Dichterakademie, Walter von Molo . Nun aber tut sie ein Dritter, der wodanische Balladen­Haudegen, Borries von Münchhausen, mit einer ge­ringschätzigen Handbewegung ab, den Edschmid und den Molo. Innerhalb einer Buchbesprechung im November- Heft der ,, Neuen Literatur" schreibt Münchhausen:

Die musikalische SA ....

Um solchen Komplexen abzuhelfen, haben durch Ver- Musikalien fügung Hitlers vom 20. Januar alle PO.- Leiter der NSDAP . ( politische Leiter) ihre Dienstanzüge nebst Rangabzeichen er­halten. Ein Aufruf des Stabsleiters des trinkfrohen Phrasen­Ley bemerkt hierzu:

,, Durch vorstehende Verfügung hat der Führer endgültig den Dienstanzug genehmigt und damit zum Ausdruck ge­bracht. daß es sein Wille ist, daß der durch den Kampf herausgebildete Typ des politischen Leiters der NSDAP . nichts mit den zivilen Politikern früherer Parteien und Staaten zu tun hat, sondern daß in den politischen Leitern der NSDAP . dem deutschen Volke endlich Vertreter der politischen Führung entstanden sind, die uns 2000 Jahre lang(!) fehlten. Wir sind Pre­diger und Soldaten zugleich. Das ist Stolz! Dem soll der Dienstanzug der PO. weithin sichtbar Ausdruck verleihen."

Der Dienstanzug ersetzt den Menschen. Daran hat es 2000 Jahre gefehlt. Hätten die Germanen Armins Uniform ge­tragen, so hätten sie sicher schon damals Rom erobert.

Natürlich ergeben sich aus dem Uniformsegen die schwie­rigsten Etikettefragen. Jüngst war durch ein Urteil eines Sondergerichtes der Eindruck entstanden, als habe das Ge­richt die Frage nicht für geklärt angesehen, ob die Arbeits­dienstuniform als Uniform eines hinter der Regie­rung stehenden Verbandes" anzusehen sei. Aber gefehlt. Ent­rüstet weist die Justiz pressestelle Berlin ausdrück­lich darauf hin, daß das Sondergerichtsurteil keinerlei Zweifel gehegt habe, daß die Arbeitsdienstuniform im Sinne des Gesetzes der Uniform der SA.. SS. oder des Stahlhelms vollwertig an die Seite zu stellen sei.

Gott sei Lob und Dank! Die Arbeitsdienstuniform ist voll­wertig Und der blaue zweireihige Einheitsfestanzug, mit dem Ley seine Arbeitsfront geziert hat, ist natürlich noch viel voll­wertiger. Vollwertigehem hat die Justizpressestelle bemerkt, wie schön dieses Wort mit minderwertig" korre­spondiert! Kein Zufall! Die vollwertige" Uniform beseitigt die Minderwertigkeitsgefühle ihrer Träger.

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Und se dürften denn in kürzester Zeit die Staatsfeinde" in Deutschland an einem untrüglichen Merkmal zu erkennen sein: daß sie als die einzigen in Zivil herumlaufen!

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Wenn sich in früheren Jahren einmal die Arbeitersänger als die Regimentskapelle der Arbeiterschaft" bezeichnet hatten dann war das immerhin noch eine Verbindung mit etwas musikähnlichem! Der Deutsche Sängerbund aber er war immer neutral! erklärt sich heute zur musika­lischen SA. Die SA. ist die Armee des Faschismus, die Garde des Führers. Nun reißen sich die Deutschen Sänger auch um die Ehrenbezeichnung musikalische SA. Dabei beklagt sich der Artikelschreiber über die kulturhemmende Wirkung der militärischen Verpflichtungen der SA . ,, Der Besuch der Singstunden wurde im vergangenen Jahre immer schlechter". Weil die Sänger durch die SA., SS. , St. usw. zu stark beansprucht werden. ,, Musik- und Spielmannszüge er­setzen die deutschen Sänger nicht." So jammert der gute Mann in der ,, Sängerzeitung". Was würde er erst sagen, wenn er Herrn Götsch in einem Vortrag in Hamburg hätte sagen hören: Die deutschen Männergesangvereine müßten einmal für 20 Jahre ihren Konzertbetrieb einstellen und sich nur der politischen Propaganda zur Verfügung stellen." Jaja das ist eben ein garstiges politisches Lied"? Will man musikalische SA. sein dann kann man eben keine Kunst mehr treiben. Da wird exerziert!

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Schönberg , Stravinsky , Hindemith

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Den richtigen braunen Deutschen sind diese Namen Gift. Frohlockend kündeten sie die Säuberung der deutschen Kunst von diesen Bolschewisten der Kunst. Hindemith ist der ein­zige, den man noch als Professor an der Berliner Hochschule duldet, die anderen aber nur Scheiterhaufen! Und jetzt schreibt ein gewisser Steinhauer im, Melos"( Heft 1, 1934): Im Rundfunk seien junge Autoren erfreulicherweise zu Wort gekommen. Von einem sagt er, daß er sich zu den Stilprinzipien von Schönberg mit gutem Erfolg be­kennt", vom anderen, daß er ein..hindemithierendes Streichquartett" schuf. Einem dritten wird attestiert, daß., er sich mehr oder weniger stark von Schönberg beeinflußt zeigte". Arme deutsche Musik, die vom deutschen Rundfunk, der doch so rein von nichtarischem Blut ist, ins Reich der

Das Internationale Befreiungskomitee für Dimitroff , Thäl­ mann , Torgler , Popoff, Taneff und alle in Deutschland ge­fangenen Antifaschisten hat ein von Erich Weinert ge­schriebenes und von Paul Arma vertontes Dimitroff - Lied in Postkartenform herausgegeben und in einer Massenauflage in deutscher und französischer Sprache verbreitet. Das Lied ist von zwei Arbeiterchören bereits anläßlich der letzten Massenversammlung im Salle Wagram gesungen worden. In der Versammlung selbst wurden über 1000 Postkarten ver­kauft. Das Lied bekommt eine rasche und große Popularität.

Schönberge geführt wird! Und der Ketzer Steinhauer wagt sich weiter vor. Er sagt: Wenn nun aber ihr Stil auf dem Umweg über ihre Schüler stillschweigend akzeptiert wird, dann sollte man es den Wegbereitern selbst nicht als ein schweres Verbrechen zur Last legen, daß sie ein paar Jahre älter sind und nur deswegen schon während der berühmten 14 Jahre ihre Erfolge hatten." Die Lehrer haben Erfolge gehabt und die neuen nationalsozialistischen Komponisten arbeiten nach diesen Wegbereitern Schönberg seine Jünger usw. Der jüdische Meister wird verbrannt aber sind die entdeckten Künder neuer deutscher Kunst! Steinhauer- los- ins Konzentrationslager!

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Horst Wessel - Lied- kein hohes Niveau

Die musikalischen Elemente der Nazis haben manchmal lichte Augenblicke. So auch ein Dr. Schönfeld in der Ton­kunst, dem Organ der Berliner deutschen Sänger. In einem Artikel kommt er zu dem Schluß: Die Melodie des Horst­Wessel- Liedes entspricht nicht dem hohen musikalischen Niveau des deutschen Volkes." Das konnte jeder musikalische ABC.- Schütze von allem Anfang sagen. Aber da hätte es gar nicht genug Gefangenenlager geben können. Wenn aber ein anderer dasselbe sagt-? Dieselbe Tonkunst gibt darauf Antwort. Der bekannte Musikkritiker und-schriftsteller Bekker hat über dasselbe Lied gesagt: Es könne als Massen­hymne nur psychologisch gewertet werden; den neuen Massenbewegungen fehle die musikalische Sturmfahne. Weil es aber der verfemte Bekker schreibt, nicht ein anerkannter Nazi, deswegen wird dem Manne wegen desselben Urteiles das Genick gebrochen. Er ist natürlich ein Feind Deutsch­ lands . Dabei weiß jedes Kind in Deutschland , wie arm die Dritte- Reich- Musik an musikalischen Werten ist. Da preist man den erbärmlichen Schmarren ,, Lore" als das neue deutsche Volkslied. Ein aus allen möglichen Melodiefetzen zusammengeschmiertes sogenannte Lied. Und was hat dieses neue Deutschland an Volksgesängen noch aufzuweisen? Wann wir schreiten von einem Marxisten! Brüder, zur Sonne von einem Marxisten! Die übrigen Lieder waren längst vor dem ,, dritten Reiche" Allgemeingut der deutschen Arbeiterschaft, besonders seiner Jugend! Man lebt von dem, was aus dem marxistischen Zeitalter" übrig blieb!

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