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Freiheil

Nummer 37-2. Jahrgang

516

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Mittwoch, den 14. Februar 1934 Chefredakteur: M. Braun

Aus dem Inhalt

Oesterreichs Bürgerkrieg

Seite 3

Schwierigkeiten show al deutscher Handelspolitik

Seite 4

Labour Party

und Rüstungsfeage

Pilsudskis neuer Staatsstreich

Seite 5

Freiheitsschlacht der Sozialdemokratic

Oesterreichs bewaffnete Arbeiter retten die Ehre und zeigen den Zukunftsweg

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Wenn wir noch knien könnten, wir lägen auf den Knien; Wenn wir noch beten könnten, wir beteten für Wien  ! Doch lange schon verlernten wir Kniefall und Gebet Der Mann ist uns der beste, der grad und aufrecht steht, Die Hand ist uns die liebste, die Schwert und Lanze schwingt Der Mund ist uns der frommste, der Schlachtgesänge singt. Wozu noch bittend winseln? Ihr Männer, ins Gewehr Heut ballt man nur die Hände, man faltet sie nicht mehr! Es ist das Händefalten ein abgenutzt Geschäft Die Linke an die Scheide, die rechte Hand ans Heft! Die Linke an die Gurgel dem Sklaven und dem Schuft, Die Rechte mit der Klinge ausholend in der Luft! Ein riesig Schilderheben, ein Ringen, wild und kühn and Das ist zur Weltgeschichte, das rechte Flehn für Wien  !

D. F. Die Sozialdemokratie Desterreichs kämpft. Mit dem politischen Generalstreik nicht nur, sondern mit der Waffe in der Hand. Sie hat wahr gemacht, was sie immer warnend angekündigt hat: die waffenfähigen Mann­schaften verteidigen die Volksrechte unter Einsatz des Lebens. Es ist in der Geschichte der Sozialdemokratie aller Länder das erste Mal, daß die sozialdemokratische Arbeiterpartei im Bürgerkrieg steht. Auch die öster reichische Sozialdemokratie hat gezögert, bis ihr nur noch die Entscheidung blieb, kampf- und ruhmlos abzutreten, oder alle ihre außerparlamentarischen Machtmittel ein­zusetzen. Sie hat sich für den bewaffneten Widerstand ent­schieden. Wie der Kampf enden wird, ist zur Stunde un entschieden. Gewiß aber ist, daß die mutige zu allem ent­schlossene Haltung der österreichischen Sozialdemokratie das durch den deutschen   Zusammenbruch schwer erschüt terte Vertrauen in den Ernst des Kampfwillens der Sozialisten wieder beleben wird. Auch wenn der helden mütige Widerstand der österreichischen Sozialdemokraten gegen überlegen bewaffnete Polizei- und Heerestruppen mit dem militärischen Siege der Bundesregierung erden sollte, bleibt das Beispiel sozialistischen Heroismus, das von Desterreich her gegeben ist, bleiben die unversiegbaren Glaubens und Kampfkräfte, die dieses Heldentum neu in die Reihen der Sozialisten und insbesondere ihrer Jugend tragen wird. Die österreichische Sozialdemokratie zeigt den Geist und die Moral, die für die harten Ent­scheidungen der kommenden Jahre unerläßlich sind. Sie stellt den Soldaten der faschistischen Diktatur die Sol­daten der sozialistischen   Freiheit entgegen-: Anders als durch militante Demokratie und militanten Sozialismus werden die drängenden Lösungen in den großen Gesell­

schaftskonflikten des überlebten europäischen   Kapitalis

mus nicht zu finden sein.

Die österreichischen Nationalsozialisten haben, wie nie­mand anders erwartet hat, jede Solidarität mit den kämpfenden Sozialdemokraten abgelehnt und gleichzeitig erklärt, daß sie die Regierung Dollfuß   mit aller Macht" bekämpfen würden. Daran ist soviel wahr, daß die Nationalsozialisten hoffen, der Schlag des Bundeskanz­lers gegen Links werde den Austrofaschismus stürzen und den reichsdeutschen Faschsimus zur Macht bringen. Die einen wie die anderen aber hetzen mit der Verleumdung, die Sozialdemokratie befinde sich im bolschemistischen Aufstand. Das ist die große Lüge, die den in Desterreich fehlenden Reichstagsbrand ersetzen soll. Wahr ist indes, daß die Bundesregierung sich im Aufstand befindet gegen die von ihr beschworene demokratische Verfassung und die Sozialdemo­kratie gegen Staatsverbrecher, die Polizei und Heer zum Staatsstreich mißbrauchen, die Volksrechte und Bolksfrei­heiten verteidigt.

Das Ziel der Sozialdemokratie ist, die legale Bundes verfassung aufrechtzuerhalten, das Ziel der Regierung und ihrer Verbündeten aller Art ist, illegal dem Volke eine faschistische Verfassung aufzuzwingen. Das sind die beiden großen Gegenfäge. Innerhalb der faschistischen Front be stehen nur Kämpfe um die Verteilung der Beute. Die Austrofaschisten wollen eine österreichische Diktatur unter Anlehnung an Italien  , die Hitlerfaschisten wollen die dik­tatorische Gleichschaltung mit Deutschland   und die Aus

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Freiligrath.

schaltung aller ihrer Gegner, auch der Klerikalen, nach deutschem Muster. Beide erstreben Verfassungszustände,

die von den jegigen parlamentarisch- demokratischen For men nichts mehr übrig lassen. Beide können ihre Ziele men nichts mehr übrig lassen. Beide können ihre Ziele nur durch Gewalt und Eidbruch erreichen. Die Sozial demokratie hat von Millionen verfassungstreuen Dester. reichern das Mandat, diese Anschläge zu vereiteln. Wenn sie nun das Wirtschaftsleben Desterreichs stillzulegen und die Staatsverbrecher mit Flinten und Maschinengewehren abzuwehren versucht, führt sie diesen Volksauftrag aus. Die Sozialdemokratie erfüllt ihre staatsbürgerliche Pflicht. Sie ist Verfassung und Gesetz. Der Bundeskanzler und die Seinen stehen außerhalb der Geseze. Wenn sie sich behaupten oder andere Faschisten an ihre Stelle treten sollten, so lehrt das die Sozialisten aller Länder nur ein­dringlicher denn je, daß jedes Recht verloren ist, wenn es gegen seine Feinde nicht mit überlegener Gewalt ge­schützt werden kann.

Die nach der ersten Kampfnacht vorliegenden amtlichen Meldungen berichten von vielen Toten und Verwundeten der Regierungstruppen und der Polizei.

Wieviele Sozialdemokraten ihre Treue zum Arbeitsvolk und dessen Freiheitsidealen mit ihrem Blute und ihrem Leben besiegelten, ist noch nicht zu erfahren. Da die Bundesregierung alle Heereswaffen, auch Artil­lerie, eingesetzt hat, wird der Bürgerkrieg in den Reihen der Sozialdemokraten viele Tote und Verletzte gefordert

Der Generalstreit wird weithin durchgeführt, allerdings find heute Vormittag die Zeitungen, die gestern durch den Segerstreit lahmgelegt waren, wieder erschienen. Es ist also gelungen, ein Teil des Buchdruckereipersonals aus der Streiffront loszubrechen. Gegen mittag ist es überraschend auch in der inneren Stadt Wien   zu schweren Zusammens stößen gekommen, über deren Charakter und Umfang im Augenblick noch nichts zu ermitteln ist

Artillerickämpfe

Generalstreik und Bürgerkrieg

Wien  , 13. Febr. Die Wiener   Zeitungen find am Dienss tag infolge des Streits in wesentlich kleinerem Umfang er: schienen. Die beiden sozialdemokratischen Blätter, die ,, Arbeiterzeitung" und das Kleine, Blatt" find natürlich nicht erschienen.

In den Morgenstunden bietet die Umgebung der Polizeis direktion das Bild strengster Absperrung und Bewachung. Die Straßenbahnen und die Autobusse haben den Berkehr noch nicht wieder aufgenommen. Aus der Ferne hört

man weiterhin Kanonendonner.

Das Fahrtorps der Vaterländischen Front ist aufgeboten worden, um einen Berbindungsdienst aufrechtznerhalten. Auf diese Weise sei es, wie die Vaterländische Front   mitteilt, gelungen, auch in den Ländern die Landesleitungen und Bes zirksstellen in Verbindung zu halten und darüber hinaus einen Relaisdienst für das gesamte Bundesgebiet vorzusehen.

Die Vaterländische Front   hat ferner ein Aufgebot Arbeitss williger veranlaßt, und sich mit der Leitung des staatlichen

Arbeitsdienstes ins Einvernehmen gefeßt, um für eine auss reichende technische Nothilfe Vorsorge zu treffen. Mit ihrer

Hilfe sei es gelungen, in allen staatlichen Betrieben wie Post, Telegraf, Bundesbahnen und dergleichen einen bes schränkten Betrieb sicherzustellen.

Die Heimwehren haben ihre gesamten Kräfte mobil ge macht. Die für Dienstag einberufene Bundesführertagung, an der auch die befreundeten vaterländischen Organisationen hätten teilnehmen sollen, ist auf unbestimmte Zeit verschoben worden. sdobog

Die Wiener   Polizeidirektion gibt bekannt, daß die Ereku­tive in Defterreich am Montag den Verlust von 21 Mann zu verzeichnen hat. Die Verluste der Aufrührer sind noch nicht bekannt. Es ist aber anzunehmen, daß die Zahl der Toten und Verletzten ziemlich erheblich ist.

haben. Die Sozialisten, die Republikaner  , die Anti- Es beginnt erst in Wien  ! faschisten in aller Welt ehren diese Opfer und grüßen Desterreichs heldenmütige Sozialdemokratie.

Keine Kapitulation!

Widerstand bis zum Letzten

Wien, deu   13. Februar 1934.( Eig. Bericht.) In den Vormittagsstunden entwickelten sich neue Kämpfe in den Außenbezirken, von wo man lebhaftes Maschinen­gewehrfeuer hört. Der Rückzug der Sozialdemokraten auf die Borstädte entspricht dem Plan, die innere Stadt und die bürgerlichen Bezirke preiszugeben und sich in den proletari: schen Stadtteilen festzusetzen, wo die Bevölkerung den kämp schen Stadtteilen festzulegen, wo die Bevölkerung den kämp= fenden Arbeitern einen Rückhalt im Widerstand bietet. Die Versorgung mit Elektrizität ist im Laufe des Vormittags zum Teil wieder ermöglicht worden, jedoch nur sehr unregel mäßig und sehr unvollkommen. Der gesamte Straßenbahn­verkehr liegt still. Die polizeilichen und militärischen Ab­sperrungen nehmen noch zu. Ueberall werden Maschinen­gewehre in Stellung gebracht. Die Bundesregierung läßt ver­tünden, daß sie Herrin der Lage sei, doch trifft dies zur Stuns de keinesfalls zu. Mindestens in Wien  , in Linz   und in dem steiermärkischen Industriezentrum Brud wird erbittert gekämpft und ist der Widerstand der Sozialdemokraten un­gebrochen. Die Bundesregierung versucht, durch Zweck: meldungen die Arbeiterschaft zu verwirren und einen Teil der Führer zu diffamieren. So wurde erst gemeldet, Dr. Deutsch und Otto Bauer   feien verhaftet. Dann hieß es, fie seien ins Ausland geflohen. Beides ist unrichtig. Dr. Deutsch   und Otto Bauer   befinden sich dort, wohin sie in dieser Stunde gehören: bei den kämpfenden Arbeitern,

Die Auflösung der Sozialdemokratischen Partei

Wien  , 13. Febr.( Eig. Drahtb.) Bei der Verhängung des Standrechts in Wien  , über ganz Nieder- Defterreich, Kärnten  und die Steiermark sind die verzweifelten Versuche der öfter­reichischen Arbeiterschaft, sich gegen den Heimwehrterror zn wehren, noch verschärft worden. Im ganzen Lande er= folgen Einzelaftionen mit vielfach blutigen Kämpfen. Wien   befindet sich in vollkommener Panixftim­mung. Ueberall Stacheldrahtverhaue und militärische Kor­dons. Nur an bestimmten Stellen dürfen die Straßen pas­fiert werden. Alle Geschäfte find von Käufern überfüllt. Jeder will sich noch schnell mit Brot, Mehl und Kerzen eindecken. Die Stadt ist erfüllt von Gerüchten über Schießereien und Blutvergießen. An mehreren Stellen der Stadt sieht man Panzerwagen.

Am Dienstagmorgen erfuhren die Wiener   Arbeiter die in der Nacht vom Kabinett beschlossene Auflösung der österreichischen Sozialdemokratischen Par= tei. Die Meldungen über Verhaftungen der Führer wider­sprechen sich. Angeblich soll Bürgermeister Seit festgenommen worden sein; nach andern Nachrichten ist er noch im besetzten Rathause unter polizeilicher Aufsicht. In den Randbezirken sind die Arbeiter noch vielfach Herren der Lage. Im Arbeiter: bezirk Simmering  , wo sich die wichtigsten städtischen Werfe befinden, wurde noch in den Morgenstunden heftig gekämpft. Vor allem befindet sich das Elektrizitätswert nach wie vor in der Hand der sozialdemokratischen Arbeiter. Polizei und Militär umringen die Gebäude und erwarten Verstärkungen des Bundesheeres, das angeblich mit Ar: tillerie anrücken soll. Ein Hauptmann des Bundesheeres und fünf Polizeibeamte wurden bei verschiedenen Zusammen­stößen getötet. Die Zahl der Gesamtopfer ist bis zur Stunde