Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschen Freiheit" Ereignisse und Geschichten

Ottakring  

assdal 08

Freitag, den 16. Februar 1934

Und sie standen in den Höfen, dort vom Schutzbund hinbefohlen,

Josef Müller und Franz Seidler  , keiner brauchte sie zu holen. Jeder wußte, wo die Flinte hing.

Freund, wir lassen Wien   uns nicht verderben!

Was wir schufen, soll kein Dollfuẞ erben Also wars in Ottakring  .

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Floridsdorf   und Semmering  , dorthin schossen Feys Haubitzen, Häuser rissen auseinander, Kinder sanken in die Pfützen,

Die im Februar noch eisbedeckt.

Matter wurden schon die müden Hände,

Doch kein Kämpfer dachte an das Ende,

Der noch eine Kugel sich versteckt.

Nein, die Donau   ist nicht blau und kein Himmel voller Geigen, Keiner darf mit einem Liedel noch hinauf nach Grinzing   steigen, Denn in breiten Bächen steht das Blut.

Adler tauchen kreischend ihre Flügel

In den zitternd dunkelroten Spiegel,

Wo das Herz der Freiheit ruht.

Starben viele auf dem Rasen, drüben an der Straßenecke,

Faust geballt zum letzten Schwure, ohne Segen, ohne Decke,

Nur allein dem Recht geweiht.

Ihre Fahnen werden nie mehr sinken, Jeder rote Flecken ihnen winken, Wenn wir befreit.

Andreas Howald.

Die große Wildenbruchiade

Das Getümmel dec braunen Literatur

Von Agnes Abel.

In Deutschland   gastiert gegenwärtig eine Seuche: das Pathos! Es greift um sich und fordert immer neue Opfer. Nicht jenes Pathos, das aus dem großen Gefühl oder Ge­danken aufglüht und neue Kráfte entfacht, sondern jenes andre, das Denken und Fühlen durch Phrase und Geste er­setzt. Der sogenannte heroische Stil", der sich anfangs nur in Theater, Roman und Rundfunk breitmachte, greift nach­gerade auf Milch- und Eierinserate, auf Wurst- und Schuh­putreklame über. Es wird zur ,, hehren Pflicht" des Deutsch­gesinnten", dies oder jenes heimische Erzeugnis zu konsu­mieren; wer die deutsche Landwirtschaft, ihre Produkte verzehrend, unterstützt, trägt eine Dankesschuld an ,, Blut und Scholle" ab. Die Hirne werden so hoffnungslos mit dem neuen Gift verkleistert, daß alle gesunden Maßstäbe schnell und sicher zum Teufel gehen. Schon werden viele halbwegs normale Nazedonier von unstillbarem Brechreiz befallen, schon wagen sich in schöngeistigen Zeitschriften Zensor zum Trotmanche Warner hervor.

,, Kegerisch und verwerflich"

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dem

Im Januarheft der ,, Literatur"( Deutsche Verlagsanstalt  Stuttgart  ) lesen wir:

Es taumeln nicht nur Dutzende von Konradin  - und Canossa­fachen Leuten offenbar unverstandene weltanschauliche Brocken zu hören bekommt, deren Herkunft aus einem populären" Radiovortrag unverkennbar ist. Das sind Zeichen der Auflösung, die bedenklich stimmen. Jenseits der politischen Willenbildung durch den Staat, die der Funk natürlich zu übernehmen hat, ist darum, so kotzerisch das klingt, die Unterhaltung die eigentliche Aufgabe der Programme, und das Verlangen so vieler Hörer: Mehr Musik weniger Vorträge!" ist keineswegs so verwerflich wie man oft geglaubt hat."

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Man sieht die vorsichtigen Mahner betrachten sich selbst als Ketzer" und Teufelskerle, weil sie überhaupt sanft zu widersprechen wagen.

24 Stunden heroisch

tinkerle, weil sie überhaupt

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Wie hoch aber muß die Kurve der Kitschfabrikation ge­stiegen sein, wenn sogar ein Alfred Rosenberg   den sicher niemand zu den Vernunftmenschen zählt die Bühnen­leiter in einem Interview( Völkischer Beobachter) anfleht, auch mal weniger gespreizten Autoren das Wort zu gönnen:

,, Alles glaubt sich jetzt um jeden Preis auf den, hero­ischen Stil" einstellen zu müssen. Aber niemand von unsern Volksgenossen ll und kann 24 Stunden am Tage heroisch durchs Leben gehen."

In der Tat führt das heldische Gedröhn und Gefasel un­aufhaltsam zu Ruin des deutschen Theaters, denn das Pub­likumdem immer noch der Ausweg bleibt, sich den Blöd­sinn auf Stelzen nicht anzuhören meidet die Stätten literarischen Grauens. Die Theaterdirektoren wiederum sind in einer Klemme: was dürfen sie bringen, was nicht? Wo hört die ,, Asphaltliteratur" auf, wo fängt die Volkskunst an? Nicht mal Nathan der Weise" darf sich offiziell blicken lassen, er flüchtete auf die jüdische Bühne. Manche Leiter helfen sich, indem sie Kindertheater machen, zu dem sie die Erwachsenen freundlich einladen. Und siehe: die Er­wachsenen kommen, kommen in hellen Haufen! Jüngst hat zum Beispiel das Stadttheater in Mainz   ein ,, Seeräub stück für deutsche Jungens" von Walter Bat(,.Pitt kapert den Pirat") in den Abendspielplan aufgenommen. Trotzdem dieser Reißer, wie die Literatur" feststellt, nur Kolpor­tage ist mit einem Einschluß vaterländischer Moral", füllten sich zum ersten Male seit langer Zeit die Kassen, denn

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stellt die ,, Literatur" weiter fest.., neuerdings läßt sich eine auffällige Vorliebe für kindliche Darstellungen und kind­hafte Stoffe in der Literatur beobachten, die als Hinwen­dung zum Naiven und Ueberdruß am Problematischen zu erklären ist." So ihr nicht werdet wie die Kindlein....!

Vermottete Nichtskönner

Den Kritikern ist in ihrer Haut genau so unbehaglich zu Mute wie den Theaterleitern. Weiß denn so ein armer Schreiber auf seinem wackligen Stühlchen, in welchem Grade der Autor irgendeines Schmarrens mit irgend einem Ober­oder Unterführer verwandt ist? Weiß er denn, ob er darf, wie er möchte? Wissen wir denn, ob er möchte, wie er muß? Zeitschriften, die noch ein offenes Wort gegen die pathetische Seuche riskieren, werden verboten, ehe sie sichs versehen. Es sollte uns nicht wunde, wenn die ,, Tat" ( sie stand früher dem General Schleicher nahe und wagt noch gelegentlich vorsichtige Opposition) demnächst diesem Schicksal verfiele. Sie brachte jüngst einen Aufsatz von Karl Rauch ,, Neue Literaturkritik", in dem es wörtlich heißt:

,, Es geht ernstlich nicht an, sich an der Feststellung herumzudrücken, daß die Literaturkritik im sogenannten nationalen Lager nicht erst unterm Weimarer   Regime, sondern bereits im Vorkriegsdeutschland elendiglich ver sagt hat.... Und wie steht es heute? Die vermotteten Nichtskönner trumpfen mit der wovenden Ernte vieler Jahrzehnte auf, während derer sie, die sich berufen Wähnenden. schmählich im Schatten gestanden" haben. Es taumeln nicht nur dutzende von Konradin  - und Canossa­Dramen über die Bühnen, an deren Gehalt und Niveau gemessen man Wildenbruch zum Aeschylus   der Deutschen  ernennen möchte. Eine Flut von Romanen ist während der letzten Monate hervorgeprasselt, deren vaterländische Gesinnung ohne allen Zweifel die lauterste ist, was leider nicht ausschließt, daß die Begabung und künstlerische Be­rufung ihrer Verfasser vielfach gleich Null gesetzt werden muß. Der kleinste Unterhalter wird von gewissen un­qualifizierten, aber einflußreichen Tageszeitungskritiken als geniale Begabung" bejubelt, was nicht nur dem Ge­lobten den Kopf verdreht und dilettantischen Dünkel züchtet, sondern jeden Instinkt innerhalb der Leserschaft abtötet und dazu beiträgt, alle Wertbegriffe von Unter­

Das

,, jüdische" Kapital

"

Wenn gegens Judenkapital ihr eifert,

Daß euch der Haß aus allen Mäulern geifert, Wißt ihr sehr gut, wie ihr das Volk belügt; Denn hinter eurem kunstgerechten Schnauben Vollzieht sich ungeniert das große Rauben Des Christenkapitals, das keiner rügt.

Und von den armen jüdischen Proleten, Die ebenso wie euer Volk" getreten,

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Schweigt ihr beharrlich, denn das macht sich schlecht. Doch wißt ihr wohl, daß sie die Mehrheit bilden, Und daß in ökonomischen Gefilden

Bei allen Rassen gilt das gleiche ,, Recht"!

Daß also wie bei Juden so bei Christen

Die gleiche Herrenschicht mit gleichen Listen Die Massen um das Lebensrecht betrügt. Und wenn ihr schreit, es gäbe keine Klassen, Es gäbe nur den Machtkampf zwischen Rassen, Dann lügt ihr, wie nur euresgleichen lügt!

Mit dem Pfeil. dem Bogen

Horatio

Nazideutschland, das mit den fürchterlichen Errungen­schaften der modernsten Technik, mit Flugzeugen, Flieger. bomben, Giftgasen, Cholerabazillen zum nächsten Krieg rüstet, bereitet längst auch sein Kanonenfutter, seine Kinder, auf die seelischen Erbauungen dieses Sterbens in Gestank und Feuer vor. Jedoch Blaukreuz und elektrische Fernzündung sind zwar wunderbare Mittel, um in wenigen Minuten das Zehnfache dessen auszurotten, was sich vor fast zweitausend Jahren in tagelangen Kämpfen in der Schlacht im Teutoburger Wald   gegenseitig umgebracht hat, aber für Heldenpathos ist das leider doch nicht recht ge­eignet. So lernt denn, was ein Häkchen werden und der. einst vierzig Kilometer weit tragende Brandbomben ab­schießen will, beizeiten den Bogen krümmen und mit Pfeilen schießen. Darum plädiert die ,, Deutsche Allgemeine Lehrerzeitung" für eine Waffenweihe der deutschen Jungen":

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,, In die Hand des in die Mannbarkeit tretenden deut schen Jungen gehört die bligende Waffe und in die Faust des jüngeren Bruders der Speer und der Bogen. Im Umgang mit der Waffe und Auge in Auge mit der Gefahr gehen ihm die tiefsten Geheimnisse seines Wesens und Wertes ahnungsvoll durch die Seele und lassen ihn nicht mehr los."

O ahnungsvoller Engel, wart' nur, bis du mit der blitzenden Waffe der Flammenwerfer verkohlt im Straßenkot liegen wirst und bis dich die tiefsten Geheimnisse der Vergasung für Zeit und Ewigkeit nicht mehr loslassen werden, deutsche  Jugend, du wirst dann wissen, warum du just im ,, dritten Reich" in die Mannbarkeit treten mußtest. In der Faust den Speer, im Gürtel Handgranaten, im Tornister Schopen­ hauer   und Nietzsche  , in den Eingeweiden Hunger, im Hirn Mord und Totschlag wahrhaftig, vor zweitausend Jahren haben in der Barbarei der Urwälder Germaniens   bessere Menschen gelebt....

Wieder kaserniect

Oberregierungsrat Dr. Müller vom Polizeipräsidium Essen   begründet die Kasernierung der Prostitution so: In der Erkenntnis, daß nur eine solche Regelung des Dirnen­wesens den Erfordernissen der nationalen Er. hebung gerecht werden kann, die unter radikaler Aus­nutzung der gesetzlich gegebenen Möglichkeiten die Dirnen aus dem öffentlichen Verkehrswesen herausbringt, hat der Polizeipräsident in Essen durch eine Dienstanweisung für die Ueberwachung der Dirnen die Kasernierung der Prosti­tution angeordnet. Diese Dienstanweisung geht von der Er­wägung aus, daß nach der Außerkraftsetzung der Artikel 114 und 115 der Reichsverfassung auch im Gegensatz zur Ausschließlichkeit des Gesetzes zur Bekämpfung der Ge­schlechtskrankheiten und über dessen Rahmen hinaus Raum gegeben ist für eine allgemeine ordnungs- und sicherheits­polizeiliche Ueberwachung und Beeinflussung des

Dirnengewerbes."

haltungsschriftstellerei, guter Druchschnittsleistung und Zeit- Notizen

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wirklicher Dichtung noch ärger durcheinanderzurütteln." Die einflußreichen Tageszeitungskritiker" aber haben ihre Beziehungen und sind unantastbar Karl Rauch und die ,, Tat" sind leichter anzntasten. Wir sind gespannt, wie oft wir ähnliche herzerfrischende Aufrichtigkeit noch zu lesen bekommen.

Einfach und packend komisch

Die Ursachen der Völkerwanderungen hat die neue dentsche Wissenschaft endlich entdeckt. Im Ver­lag der Ura- Linda- Chronik erscheint die nicht minder wissen­schaftliche Darlegung von Edmund Kiẞ  : Die kosmischen Ursachen der Völkerwanderungen." Auf 116 Seiten wird folgendes ausgeführt: Warum entstand die uralte arktische Hochkultur im Zeitalter ewigen Frühlings gerade im hohen Norden, und welche Ursachen erzwangen die Abwanderungen ganzer Rassen nach Süden? Diese Völkerwanderungen sind schicksalshaft erzwungen, sie werden einfach und packend kosmisch begründet mit der Flutwirkung packend kosmisch begründet mit der Flutwirkung von Erdmonden. Besonders lesenswert ist die überzeugende Darstellung der Ursachen der Eiszeiten, die Begründung der nordischen Riesengletscher über Entfernungen von mehr als 1000 Kilometer bis in die Gegenden Mitteldeutschlands  . Das Buch ist ein wahrhaft volkstümlicher Beitrag zur Neuge­staltung unseres Weltbildes."

,, Wie, Fischer, Sie auch im Braunhemd?"

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Was soll man machen? Wer kann bei den Einnahmen noch weiße Hemden bezahlen?"

Hanns Johst   entsichert seinen Revolver

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Wie der Völkische Beobachter" meldet, wird Hanns Johst   ,,, um in lebendiger Beziehung mit der Entwicklung des europäischen   Theaterlebens zu bleiben, eine Reise in die wichtigsten Kulturländer unternehmen". Die Reise ist auf eine Dauer von sechs Monaten beabsichtigt.

,, Politische Medizin"

In einer Rede über das Thema ,, Der Arzt am Scheidewege erklärte der Ministerialrat Dr. Conti   in einer national­sozialistischen Aerzteversammlung: Das Aufgabengebiet des Aerztestandes hat in früheren Zeiten nichts mit Politik zu tun gehabt. Der Arzt hat seine Pflege jedem angedeihen lassen, ob er Deutscher  , Jude, Chinese oder Neger gewesen ist. Die rassischen Grundsätze sind beinahe ganz unter den Tisch gefallen, was sich bitter gerächt hat."

,, Nationale Symbole"

Auf Grund des Gesetzes zum Schutze ,, nationaler Symbole sind u. a. verboten worden: Waffelfiguren, SA.- Männer dar stellend; Sofakissenbezüge in den Farben schwarz- weiß- rot und mit der Aufschrift Heil"; Haarzopfhalter mit Haken­kreuzdruckknopf.

Es gibt nur geborene Nazis"

In München   ist eine neue Gauschule der NSDAP  . er­öffnet worden, die bis zum Oktober 1934 20 000 Schüler auf­nehmen soll. Es handelt sich angeblich weniger darum, die Naziüberzeugung zu vertiefen und zu verstärken, als den ,, Charakter der Schüler zu bilden". Der Gauführer erklärte anläßlich der Eröffnung: Ein Nazi kann nicht gemacht werden: er muß für diese Mission geboren sein."

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