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Fretheil
Danfare
Nummer 412. Jahrgang
Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Saarbrücken, Sonntag Montag, 18./19. Febr. 1934 Chefredakteur: M. Braun
Anschluß verboten
Europäische Aktion für Austrofaschismus gegen Hitlerdeutschland
Paris, 17. Februar. Im französischen Außenministe: tium find mit den Vertretern Italiens , Englands und der Tschechoslowakei Besprechungen über die Veröfs fentlichung einer gemeinsamen Erklärung geführt worden, in der die Mächte die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der österreichischen Unabhängigkeit feststellen wollen. Minifterpräsident Doumergue hatte mit dem österreichischen Ges sandten eine Unterredung, die offenbar ebenfalls der Unab hängigkeitserklärung zugunsten Desterreichs galt,
Die Dreimächteerklärung Für Oesterreichs Unabhängigkeit
London , 17. Febr. Der Pariser „ Time 3"- Berichterstatter meldet zu der angeblichen italienischen Anregung einer Dreimächteerklärung für die Unabhängigkeit Desterreichs, man glaube, daß die englische Regierung erflärt habe, sie sei nicht gewillt, einen solchen Schritt zu unternehmen. Der Pariser Reuter- Berichterstatter sagt, die Antworten der drei Mächte England, Frankreich und Italien auf das öfterreichische Dossier über die angebliche deutsche Einmischung und die beigefügte Note, daß Desterreich eine Anrufung des
würde, daß die Unabhängigkeit und unversehrtheit Defter: reichs geachtet werden müffe. Macdonald wünscht
Paris , 17. Febr. Die Morgenpresse beschäftigt sich eingehend mit dem angeblichen Plan einer Erklärung Englands, Frankreichs und Italiens zugunsten der Unabhängigfeit Oesterreichs .
,, Echo de Paris" schreibt, die beabsichtigte Erklärung der drei Mächte hätte normalerweise gestern aufgesetzt werden sollen. Jetzt bezeichne man eine Verzögerung um 24 oder 48 Stunden als unvermeidlich. Das Hindernis liege beim Foreign Office. Macdonald habe nämlich zu der Erklärung einen 3uias vorgeschlagen, der zum Ausdruck bringen solle, daß die drei Mächte die Erklärung nicht als Billigung der in Oesterreich ergriffenen Gewaltmaßnah= men ausgelegt sehen wollten.
„ Deuvre" schreibt, die Massakrierung der Sozialdemotraten in Desterreich mache heutzutage jeden Schritt Desterreichs beim Völkerbund unmöglich.
" Figaro" schreibt, wenn die Erklärung der drei Mächte so platonisch ausfallen werde wie die früheren Erklärungen, so fönne man sicher sein, daß der Anschluß unverzüglich ve wirklicht werde.
Bölferbundes beabsichtigte, hätten Meinungsverschieden Zoll- Union?
heiten hervorgerufen. Besonders Italiens Haltung habe Desterreich hinsichtlich der geplanten Anrufung des Völkerbundes entmutigt. Um etwaigen Gerüchten von Meinungsverschiedenheiten über grundlegende Punkte zuvorzukom men, habe so will der Reutervertreter erfahren haben,
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die italienische Regierung die gleichzeitige Veröffentlichung einer Verlautbarung in den drei Hauptstädten vorgeschlagen, die den gemeinsamen Wunsch der drei Mächte aussprechen
London , 17. Febr.„ Daily Telegraph " behauptet, die englische Regierung habe bereits bekanntgegeben, daß sie feinen Einwand erheben werde, wenn Deutschland und Oesterreich eine Zollunion abschlössen. Auch würde sich England nicht zur Einmischung veranlaßt fühlen, wenn Oesterreich durch eine Voltsabstimmung nationalsozialistisch würde und entschlossen wäre, sein Geschick mit dem des nationalsozialistischen Deutschland zu verbinden(?).
Nach den Kämpfen
Die letzten Schüsse...
Wien , 17. Februar. Die letten Schüsse fielen nach dem polizeilichen Bericht am Donnerstag um 11.30 Uhr auf dem Karl- Marr- Hof, der sich somit am längsten gehalten hat. Erst auf die Androhung neuen Artilleriefeuers verstummten die Schüsse und aus etwa 40 Fenstern wurden weiße Wäschestücke als Zeichen der Kapitulation herausgehängt. Die verhafteten Schutzbündler es handelt sich um einige Tausend werden in Not- Arresten untergebracht, die zum Teil provisorisch in der Stiftskaserne und in einer Wagenfabrik im 9. Bezirk eingerichtet werden mußten.
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Zahllose Geflüchtete kehrten die ganze Nacht und den Morgen über zu ihren Familien zurück. In einzelnen Fällen fam es zu tragischen Szenen. Einige Schub- bundler begingen Selbstmord wegen der Niederlage ihrer Sache, so u. a. auch der ehemalige sozialdemokratische Landeshauptmann von Niederösterreich , Johann Sever, dessen Frau im Verlaufe der Kämpfe tödlich verwundet worden war.
Es wird jetzt ein allgemeiner Abbau aller Sozialdemofraten, die sich in leitenden Stellungen befinden, durchgeführt. In den sozialdemokratisch eingestellten und in den städtischen Betriebn werden Aufsichtspersonen eingeseßt, sowie umfangreiche Entlassungen in den leitenden Stellungen vorgenommen. Die Bilder sozialdemokratischer Persönlichfeiten in den Amtszimmern und den Schulen werden durch Bilder von Lueger bzw. Dollfuß ersetzt. Im Stadtschulrat werden nach der Absetzung seines Direktors Glöckel weitere Entlassungen vorgenommen, und schließlich werden neuerdings weitere 26 sozialdemokratische Vereine aufgelöst und zahlreiche Versammlungslofale sozialdemokratischer Vereine gesperrt und beschlagnahmt.
Auch wird äußerlich durch die Wiedereinführung des alten Wiener Stadtwappens, des doppelten Adlers der freien deutschen Reichsstätte, dem Wandel Ausdruck gegeben.
Ebensee in Oberösterreich konnte rasch und ohne Blutvergießen erobert" werden.
Wie die„ Reichspost" mitteilt, sind die Arbeiter banf und deren Wechselstuben polizeilich gesperrt und der Direktor dieses Instituts Otto Großmann verhaftet worden. Die Arbeiterbank, deren Präsident Dr. Jac ques Freundlich ist, verfügt über ein Aktienkapital von 4 Millionen Schilling. bei einem Einlagenbestand von ca. acht bemokratischen Unternehmungen, von denen die„ Inva" und die Kiba" die bekanntesten sind.
Amtliche Bilanz
Minister Ludwig vor der Presse
Wien , 16. Febr. In einer Pressefonferenz führte Minister Ludwig u. a. aus: Es sei auch nicht beabsichtigt, die sozial= demokratischen Konsumvereine und andere Wirt= schaftsunternehmungen zu vernichten, wenn sie auch unter andere Leitung fommen werden. Desterreich habe nie eine fommunistische Bewegung gefannt. Der Minister schäßte ferner, daß insgesamt etwa 20000 Sicherheitstrup= pen allein in Wien eingesetzt wurden, denen 14 bis 15 000 Angehörige des Schußforps gegenüberstanden, doch fonnte sich der Minister für die Richtigkeit der Zahl nicht verbürgen. Demgegenüber ist es interessant, daß im KarlMarr Hof allein etwa 6000 Personen wohnen, von denen allerdings nur ein verschwindend kleiner Teil sich an den Kämpfen beteiligte. Der angerichtete Schaden an den Gebäuden ist nach den bisherigen Feststellungen nicht so groß, wie man befürchtet hatte. Selbst im Karl- Marr- Hof brauchten nur etwa 60 bis 70 Prozent der Mieter ihre Wohnungen zu räumen. Es wurde dafür Vorsorge getroffen, daß niemand, auch nur vorübergehend, obdachlos bleibt. Für die hinterbliebenen Waisen werde gesorgt werden.
Es verdient noch vermerkt zu werden, daß in den oberösterreichischen Schulen fünftighin als Gruß der Schüler beim flassenweisen Verlassen der Schule das Gelöbnis:„ Treue Oesterreich er!" eingeführt wird.
,, Ihr könnt das Wort verbieten!"
Der Geist lebt
Wien , 17. Februar. In der amtlichen Verlautbarung über die Ministerratssigung, die sich bis Samstag früh 1 Uhr hinzog und in der sich der Ministerrat für die sofortige Aufhebung des Standrechtes in Tirol und im Burgenlande und die baldige Aufhebung in den übrigen Ländern aussprach, wird ferner mitgeteilt, daß der Bundespräsident den Staatssekretär für Arbeitsbeschaffung Neustädter- Stür.ter, der bisher den Heimwehren angehörte, zum Minister für soziale Verwaltung und den bisherigen Sozialminister Schmitz, der Bundeskommissar für die Gemeinde Wien geworden ist, zum Minister ohne Portefeuille ernannt
Fortsetzung siehe 2. Seite
Dollfuß
Aus dem Inhalt
Aufcuf der Jugendinternationale
Seite 2
Kampf um die Saar
Seite 3
Eine deutsche Frau
Seite 4
Was wird aus der Mack?
Seite 5
Seite 7
Seite 8
gegen ,, Deutsche Freiheit"
Der Mörder fürchtet uns
Prag , 17. Februar.( Eigener Bericht). Die in Saarbrüder erscheinende Tageszeitung„ Deutsche Freiheit" ist heute füi das ganze österreichische Bundesgebiet verboten worden. Das Blatt gehörte zu den deutschen Tageszeitungen, die in den Wochen der kritischen Zuspigung einen großen Leserkreis in Desterreich gewonnen hatten. Seine Berichterstattung ans Wien ermöglichte den österreichischen Lesern Kenntnis über österreichische Vorgänge zu erhalten, die von der bürgerlichen österreichischen Presse verschwiegen wurden und in der unter Borzensur stehenden sozialdemokratischen Presse nicht ges bracht werden durften.
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Das Blatt des Vorstandes der Sozialdemokra tischen Partei Deutschlands , Sitz Prag der ,, Neue Vorwärts" schreibt über„ Die Februarschlacht von Wien ":
Der Vortrupp des österreichischen Proletariats hat sich zur Verteidigung der Freiheit erhoben in einem Kampf von geschichtlicher Größe, dessen Eindruck und dessen Lehren jahrzehntelang in der revolutionären Arbeiterbewegung fortwirken werden. Aus der unheilschweren Gewitterwolke, die drohend über Europa liegt, ist ein jäher Blizz herniedergezuckt. Der Krieg in seiner grauenhaftesten Gestalt hat sich in Desterreich erhoben. Die Tage von Wien sind ein schreckliches, Unheil verkündendes Vorspiel. Was kommt danach?
Wien ! Das wird für immer fortleben in unserem Gedächtnis. Es wird immer leben als Bekenntnis zur revolutionären Arbeiterbewegung, voll Begeisterung und Trauer werden wir in Zukunft immer das Wort aus. sprechen.
Wien ! Das ist eine düster rot leuchtende Fackel, die uns die Zukunft erhellt. Die heldenmütigen Arbeiter des sozialdemokratischen Schutzbundes in Wien haben gekämpft. Bekämpft! Das ist Schicksal und Bestim mung der revolutionären Arbeiterbewegung in der Zukunft. Revolutionäre Arbeiterbewegung das heißt Uebereinstimmung zwischen Wort und Tat, zwischen Programm und Kampf. Die Gewalt unterdrückt die Freiheit in der Welt Gewalt gegen Gewalt und die Frei heit erobern!
Die revolutionäre Arbeiterbewegung ist eine Tatsache. Die Faschisten aller Länder wissen nach Wien : Die Hoffnung ist eitel, daß die Krise alle revolutionären Energien in der Arbeiterschaft gebrochen hat, so daß sie nun kampflos ihre Handgelenke den Fesseln der Knechtschaft entgegenstreckt. Freiheit und Kampf sind untrennbar verbunden wir werden es nie wieder vergessen.
Wien ! Das ist einer jener geschichtlich weithin leuch tenden Kämpfe um Freiheit, aus denen die Arbeiterschaft ihre revolutionären Energien und ihr Kraftbewußtsein zieht, es ist die Besieglung ihres moralischen Rechts und ihres Freiheitswillens mit dem Blute der Besten.
Jhr Kameraden vom Schutzbund, auf die wir voll Stolz und Freude und Hoffnung geblickt haben, ihr lehrt uns, und mit uns allen, die heute noch in Sicherheit und Freiheit leben, daß die Freiheit nicht ein Geschenk ist, das den Tatenlosen und Hoffenden zufällt, sondern daß sie aus Kampf und Opfer emporsteigen muß, daß sie ein Vermächtnis ist, das mit dem Einsatz der ganzen Kraft bewahrt und heilig gehalten werden muß! Ihr habt gekämpft und euer Kampf hämmert uns die Lehre ein: zu Vorstoß und Verteidigung müssen wir immer vorbereitet und wach sein. Niemals dürfen die Arbeitermassen ganz von der Bühne der Geschichte abtreten, niemals dürfen ihre revolutionären Energien durch Erfolge und besseres Leben sich abschwächen lassen. Auch in der Demokratie müssen sie zum Schutze der Frei heit immer lebendig sein!
Der erste Schritt von der Bahn der Demokratie, das ist der Schritt zur Gewalt, zur Brutalisierung der Freiheit. Gegen Gewalt aber hilft nur die Gewalt! Der Satz vom Rampf mit revolutionären Mitteln hat einen tragisch realen Hintergrund erhalten er steht heute vor dem heldenhaften Kämpfen und Sterben der Besten aus Desterreich!
Das dramatische Geschehen zeigt die Linie des großen immerwährenden Klassenkampfes klar herausgehoben aus den zufällig geschichtlichen Bedingtheiten der euro päischen Verstrickung.
Wien war für uns die Stadt der kampfesfrohen Sozialdemokraten, des Fortschritts und des Aufbaues, eine unvergeßliche Verheißung des Sozialismus. Wien - das