Sonntag- Montag, den 18. und 19. Februar 1934
Erinnerung am Flusse
Von Walter
Wie mag sich das von unten her ansehen? Vielleicht sehen die Fische im Flußwasser die dicke Eisdecke über sich wie eine Oberlichtverglasung; es schimmert grünlich gedämpftes Licht in die Wassertiefe, traumhaft leuchtend dicht unter der Eisdecke, wolkig getrübt, zwischen Steinen, faulendem Holz und schleimigem Wassergewächs versinkend auf dem Grunde.
Netförmige Sprünge durchziehen das Eis. Manchmal nachts knallt ein Schuß von Ufer zu Ufer. Dann hat ein neuer Sprung das Eis zerrissen. Die Fische stört es nicht; hören sie es überhaupt?
Hören sie die Tritte der Männer auf dem Eise, das Krachen der langgestielten Aexte. Runde Löcher brechen auf. Das Licht des Himmels sinkt wie Ampelschimmer ins Wasser. Und in jedem dieser sich öffnenden Lichtkegel schwebt ein Wurm, eine unwiderstehliche Lockspeise, von einer Aureole umleuchtet.
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Ein Fisch schnellt draufzu, ein silbern aufbligender Schimmer im Wasser da spießt sich ihm jäh der verborgene Haken in den Gaumen, in die Kiemen, ein Wölkchen Rot trübt das Wasser, und im nächsten Augenblick flattert der Fisch hochgerissen an der Angelschnur in der tödlichen Luft. Noch einige schnellende Schläge mit der ganzen Kraft des silbernen Leibes dann liegt der Fisch, aufgeschlitzt und blutend auf dem Eise. Flach und rund glotzen die Augen in das maßlose Licht. Sein Blut gefriert zu rosenfarbenem Eis. Die herausgerissenen Eingeweide versinken langsam in der Schattentiefe des Wassers. Und wieder fligt die Angelschnur mit Köder und Haken in das Loch im Eise.
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Im himmlichen Lichte schwebt der Tod....
Es hat gar nichts miteinander zu tun, aber die Erinnerung drängt sich auf.
Es war ein Tag an der Front. Eine lockere, weißgraue Wolkenschicht schwebte unterm Himmel, schwebte langsam dahin. Wenn man auf dem Rücken lag und hinaufschaute, schienen die Wolken stille zu stehen und die Erde, mit uns,
mit allem, schwebte langsam und feierlich durch den Tag. Ueberall, an vielen Stellen, waren Lücken in der Wolkendecke, durch die wie durch runde Fenster das himmlische Blau darüber leuchtete.
Wir hatten das feine helle Singen schon heranklingen gehört, aber nicht weiter beachtet. Da erschienen die feindlichen Flieger, schimmernd wie seidige Motten, über den blauen Himmelsfenstern. Sie zogen mit singenden Motoren durch das Blau. Einer nach dem andern erschien für Augenblicke über den Wolkenlücken, erschien und verschwand. Es war ein großes, breit gestaffeltes Geschwader.
Plötzlich explodierten rings um unser Lager die Bomben. Vulkane von Rauch und Erde sprangen brüllend auf. Feurige Sträucher schossen zwischen Wagen und Pferden empor. Wir rannten durcheinander. Die Pferde rissen wie wahnsinnig an den Zügeln. Geschrei. Gellende Explosionen. Peitschendes Geprassel von Erde, Steinen und Splittern. Ein Baum sprang mitsamt dem Wurzelballen hoch in die Luft. Pferde zappelten im Blut.
Nach dem Fliegerüberfall trugen wir vier Kameraden weg. Einer war tot. Als ein Sergeant den aufgerissenen Pferden Spektakel der Explosionen den Revolver in die Stirnen abfeuerte, plärrten nach dem die Schüsse lächerlich dünn.
Die Wolkendecke schwebte wie zuvor, weißgrau mit blauen Fenstern in den Himmel.
innerung. Es hat gar nichts miteinander zu tun. Es ist nur eine Er
Ereignisse und Geschichten
Tausend Jote
Tausend Tote! Der Zeitungsbote
bringt es in mittelmäßigen Lettern. Menschen lesen's und blättern weiter,
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mehr oder weniger ernst oder heiter, denken vielleicht, wenn sie's gelesen: Im Krieg sind es doch Millionen gewesen! Tausend Tote, was ist das schon!
Tausendmal Bruder! Tausendmal Sohn! Tausendmal röchelndes Todes- Grauen...
Ihre Frauen, tränenlos,
falten die Arbeits- Hände im Schoß, senken die müden, schweren Lider, warten, als kämen sie jemals wieder, warten still ohne Hoffnung und Sinn, leben dahin...
Zweitausend tote Augen starren
stumpf in den gläsernen Himmel hinein... Schließlich kommen Beamte und scharren sie ein....
Doch bedeckt man auch ihr Gesicht, wir, die wir leben, vergessen sie nicht! Denn wir haben ihr Sterben geseh'n Und wir wissen: Wofür
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und durch wen--! Boll
Die Angler auf dem Eise sind harmlose Männer. In den Deutsche Kunst in Holland
Gärtnereien haben sie die warm dampfenden Komposthaufen nach Würmern durchwühlt. Nun stehen sie, dick angezogen, mit Ohrenschützern unter den Mügen, hacken Löcher ins Eis und hängen die Angel ins Wasser, einen scharfen Haken mit dem Köder für die dummen Fische. Wie mag sich das von unten her ansehen? Diese Löcher in der Eisdecke Todesfenster unterm Himmel. Nur diese Vorstellung erinnerte mich an jenen Tag...
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Sie binden den Helm fester!
Ecbfeind Bronislaw Hubermann im Anmarsch
,, Der jüdische Geiger Bronislaw Hubermann ist gebeten worden, doch wieder in Deutschland konzertieren zu wollen, mit der Begründung ,,, Einer muß ja den Anfang machen, die trennende Wand durchbrechen". Als Antwort hat Hubermann eine hochmütige Ablehnung erteilt. Hubermann bezeichnet darin die an ihn gegangene Bitte als Versuch einer„, Rettung des Konzertwesens vor der drohenden Vernichtung durch die Rassereiniger". Er rühmt in gleichem Atem Toscanini wegen seiner Absage an Bayreuth und Paderewski wegen seiner Teilnahme am Pariser Hilfs konzert". Diese Solidarität nennt er gleiche Sorge um den Bestand unsrer Kultur".
Hubermann fährt fort, keinen Kompromiẞ! Er forderte eine weitergehende Grundlage für seine Wiederbeteiligung am deutschen Musikleben", und diese Grundlage ist für ihn einzig die Beseitigung des Rassegedankens. Und zwar nicht nur in der Musik und im Konzertsaal! Er schreibt: ,, Denn zum Begriff der Kunstpflege im allgemeinen gehören in erster Linie die Lehrinstitute und Kunstsammlungen, und zum innersten Wesen der Musikpflege im besonderen gehören die staatlichen und städtischen Opernhäuser, und doch ist mir nicht bekannt geworden, daß nunmehr die Wiederanstellung jener Museumsdirektoren, Kapellmeister und Musiklehrer beabsichtigt sei, die wegen ihrer jüdischen Abstammung oder abweichenden politischen(! lies: kommunistischen).... Einstellung entlassen wurden."
Da sieht man doch wo und wie. Das Wort Moritz Goldsteins soll wieder Wahrheit werden:„ Wir Juden verwalten die deutsche Kultur." Es soll den Lehrern an den erwähnten Anstalten unmöglich gemacht werden, immer neue Definitionen über Rassereinheit gegenüber dem noch ungereiften
Die Verankerten
Das Führerprinzip im Buchhandel
Ohne Debatte wurde auf der außerordentlichen Hauptversammlung des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler die Verankerung des Führergrundsages" ausgesprochen. 859 stimmten für den Führergrundsay, 2 dagegen und 26 Stimmen waren ungültig. Damit ist die seit März faktisch betriebene Politik der Buchhändlerorganisation auch in den Statuten festgelegt. Immerhin erfordert die Haltung der Auslandsbuchhändler" Aufmerksamkeit. Im Protokoll der Hauptversammlung heißt es hierüber: ,, Herr Lang Bern bekundet das besondere Interesse der Auslandsbuchhändler an der Satzungsänderung. Die Auslandsvereine haben sich untereinander verständigt und die Abgabe folgender Erklärung beschlossen: Die Auslandsvereine sind mit der Umstellung der Sagung des Börsen vereins auf den Führergrundsatz einverstanden, sie bitten aber in Berücksichtigung der besonderen Verhält. nisse, unter denen sie die Arbeit für das deutsche Buch zu leisten haben, die Selbstverwaltung des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu erhalten und ihnen entsprechende Einflußnahme auf Führung und Verwaltung des Börsenvereins zu sichern. Sie vertrauen darauf, daß die neue Satzung eine Fassung erhält, durch die die Jahrhunderte alte kulturelle Zusammengehörigkeit des deutschen Sprachge. bietes und seines Buchhandels nicht erschüttert wird."" Der Vorsitzende sagt zu, daß den ausgesprochenen Wünschen nach Möglichkeit Rechnung getragen werden soll. Den Auslandsvereinen wird der Entwurf der Sagungsänderung vor der Abstimmung zu Kantate zur Kenntnis gegeben werden,
01230
Kunstjünger... anzuwenden"; darum: fort mit ihnen und Juden an ihre Stelle! Verlangt Hubermann.
Aber der höchste Gipfel kommt erst! Hubermann wirft den heutigen bestellten Hütern deutscher Kultur" vor( Sie werden es nicht glauben, aber es ist so):
... geflissentliche Unterschlagung der nunmehr einwandfrei nachgewiesenen halbjüdischen Abstammung Richard Wagners...."
Darauf antworten wir: ,, Herr Hubermann! Diese Ihre Be hauptung ist eine geflissentliche Unterschlagung der nunmehr einwandfrei nachgewiesenen arischen Ab. stammung Richard Wagners, und nur die betonierte Stirn, die Sie und Ihresgleichen zu kennzeichnen pflegt, kann es fertig bringen, die feststehende Wahrheit immer wieder aufs frechste zu beleidigen und hinwegzulügen!"
Herr Hubermann faßt dann noch einmal die Voraus setzungen seiner europäischen Kultur"( die es nicht gibt)
zusammen:
,, Die Freiheit der Persönlichkeit und ihre vorbehaltlose, von Kasten und Rassefesseln befreite Selbstverantwortlichkeit!"
Das alles haben wir gehabt: wißt ihr es nicht mehr? Deutsche Männer, deutsche Künstler: bin. det den Helm fester!"
Otto Tröbes.
Dieses Dokument altgermanischen Heldengeistes beweist uns, daß die braunen Mannen vor jedem Ansturm der Persönlichkeiten gesichert sind. Kaum hat Hubermann mit seiner Geige gedroht da haben die SA.- Sturmkolonnen schon ihre blasse Furcht überwunden und binden den Helm fester.
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damit sie etwaige Wünsche noch geltend machen können... Im Hinblick darauf, daß in den nächsten Tagen ein Jahr nationalsozialistischer Revolution verflossen ist, erhebt sich die Versammlung zu einem Sieg- Heil" auf den Reichspräsidenten und den Reichskanzler von den Plätzen.
Immerhin sei festgehalten, daß die schweizerischen,
Der erste Versuch, einem ständigen Ensemble emigrierter deutscher Schauspieler in Holland wirtschaftlichen und künstlerischen Raum zu schaffen, ist mit der Auflösung der sogenannten Jeßner- Truppe kläglich gescheitert. Leo pold Jeẞner und seine Truppe haben sich, nachdem sie stürmisch von der holländischen Presse begrüßt worden waren, mit sehr häßlichen gegenseitigen Beschimpfungen in derselben holländischen Presse, voneinander getrennt.
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Als Jeẞner mit Schillers ,, Kabale und Liebe" zum ersten Male in Haarlem an die Oeffentlichkeit trat, hatte er einen schlechten Publikums-, aber einen großen Presseerfolg. Wer das deutsche Theater kannte, fühlte im voraus, daß dieser Versuch, eine deutsche Truppe in Holland zu domizilieren, fehlschlagen mußte. Jeßners Spieler waren z. T. gute Chargenspieler, z. T. Anfänger, z. T. Schauspieler, die jahre. alle in Deutschland ziemlang erwerbslos gewesen waren lich unbekannt nur Jeẞners Namen war das große Reklameschild. Erfolg im Ausland kann aber nur eine Truppe haben, die Standardleistung der Regie, des Spiels und des Spielplans bringt. Außer in Holland spielte Jeßner auch in England. Dort soll auch der Publikumserfolg groß gewesen sein. Wie sich jetzt herausstellt, spielte die Truppe auf der Basis eines miẞverstandenen Kollektivs: die Truppe ver langte von Jeßner die Aufführung von Kassenstücken. Jeẞ
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ner hatte Angst, seinen künstlerischen Ruf zu verlieren. Man trennte sich und nun werfen sich Leiter und Truppe oder vielmehr einzelne Schauspieler der aufgelösten Truppe gegenseitig Verrat vor, als wären sie noch in Deutschland und nicht in der Emigration. Dem Ansehen der deutschen Künstler in der Emigration wird dieser schauderhafte aber unnütze Pressedisput nicht nügen, zumal einige minder. wertige österreichische Ensembles, die unter der Flagge deutscher Truppen segelten, schon einige holländische Kritiker gegen deutsch - sprachige Gastspiele auf den Plan gerufen haben.
Jeßner inszeniert zur Zeit als Gast bei den RotterdamschHoofdstadtooneel( Direktion Cor van der Lugt- Melsert) Schillers Tell". Die Aufführung wird mit großer Spannung erwartet. Wiederholt hat die Presse über die Proben berichtet. Den holländischen Theatern fehlt nämlich der große Regisseur. Es gibt in Holland kein einziges staatliches oder städtisches oder mit staatlichen oder städtischen Mitteln subventioniertes Theater, nur 14 im ganzen Land gastierende Theatergruppen, die in dem kleinen, inzwischen von der Krise ebenfalls längst erfaßten„ reichen Holland " schwer zu kämpfen haben. Die Truppe, die unter der Direk. tion von Cor van der Lugt- Melsert spielt, ist die größte und eine der künstlerisch erfolgreichsten. Die holländische Presse erörtert seit einiger Zeit das Problem, ob ein großer Regisseur imstande wäre, die künstlerische Krise des hollän dischen Theaters - denn die gibt es als Folge der wirtschaftliche Krise natürlich auch zu beheben. Wie verlautet, ist Jeßners Regiegastspiel bei dem atter dam- Hoofdstadtooneel ein Versuch in dieser Richtung. Havo,
sudetendeutschen und österreichischen Buchhändler bei der Zeit- Notizen
Faschisierung des inner- und auslandsdeutschen Buchhandels offiziell und deutlich mitmachen. Die Erklärung des Herrn Lang- Bern ist doch wohl im Einvernehmen mit diesen genannten Vereinen gemacht worden. Oder wurde sie nur im Einvernehmen mit dem Führer Oldenbourg gemacht? Der deutsche Buchhandel wird die bittere Lehre empfangen, daß der Führergrundsatz noch immer kein Mittel gegen den Konkurs sei.
männeckes materialisition Geist wird in Hitler Fleisch
A. Männecke veröffentlicht wiederum im Deutschen Nahrungsmittelarbeiter"( 5) einen Vorabdruck aus der D. F.": ,, So wurde unser Führer bei der Berufung zu seiner welthistorischen Mission, als er, fast erblindet, im Lazarett zu Pasewalk 1918 von dem Unglück Deutschlands erfuhr, von der Idee der Rettung Deutschlands " so gewaltig ergriffen, daß er von ihr besessen" wurde. Die Idee Deutsch lands ", nichts als Deutschland " wurde soin unserem Führer Fleisch". Sie trat damit sozu Isagen als geistig gestaltete Materie in die Erscheinung und übte ihre alles beherrschende, die Umwelt formende Macht aus."
,, Der Hochgesang"
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,, Das Horst- Wessel- Lied. Wege eines deutschen Volkslied. Quellen Ursprung Werden unseres nationalen Hochgesangs. Ferner: Musik im dritten Reich" Freude
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Kraft durch
Verboten
laut Kriminalpolizeiblatt 1769/70: Die Einheitsfront der Tat"; Mit Sichel und Hammer", Nr. 8;„ Der Zeitspiegel", Nr. 13 und Nr. 14; Jewish Daily Bulletin"( Neuyork); ,, The passing show"( London ); Otto Heller :„ Der Unter gang des Judentums"; La Fin du Judaisme"; A. M. Frey , „ Die Pflasterkästen", Berlin , Kiepenheuer.
,, Vermögen" beschlagnahmt
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Unter den Namen der deutschen Schriftsteller, von denen die Geheime Staatspolizei Vermögen" beschlagnahmt hat, befinden sich Johannes R. Becher , Bert Brecht , Dr. Wolf gang Bretholz , Max Brod , Leonhard Frank , Oscar Maria Graf, Thomas Theodor Heine , Erich Kästner , Else LaskerSchüler, Rudolf Leonhard , Balder Olden , Rudolf Olden , Ernst Ottwald Theodor Plivier , Joseph Roth , Anna Seghers , Erich Weinert , Arnold Zweig .