lexion 1960 bas

Freiheit

Nummer 45-2. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Freitag, den 23. Februar 1934 Chefredakteur: M. Braun

Braune Bestien

Dokumentarische Zeugnisse Knaben im Konzentrationslager

Paris  , 21. Febr.( Inpreß.) Der Internationale Untersuchungsausschuß zur Aufklärung des Terrors in Hitler- Deutschland trat im Saale der Societe pour l'Encouragement de l'Industrie", Paris  , 44, Rue de Rennes, zu seiner zweiten öffentlichen Sigung zusammen. Angesichts der Scheußlichkeiten und Verbrechen, die un­aufhörlich und mit grauenhafter Steigerung gerade wieder in den letzten Wochen von Nationalsozialisten verübt worden sind, hielt es der Untersuchungsausschuß für seine Pflicht, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die blutigen Methoden der Hitlerdiktatur durch eine neue öffentliche Sitzung hinzulenken.

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Die Vernehmung einer Reihe von Zeugen wurde geleitet von dem Deputierten der französischen   Kammer, dem be­kannten Pariser   Rechtsanwalt Campinchi; von den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses waren schienen: Frau Professor Lahy- Hollebecque, Professor Brenant, die Rechtsanwälte Chanvin, Drugeon, Milhaud, Kieffe, Jean Rous und die Aerzte Cord, Martini, Taeger und Weißmann- Retter. Was wir, Franzosen   und Deutsche  , die das Gefühl für Recht befizen, heute zu unter­nehmen beabsichtigen," erklärte Capinchi, ist, die Wahr heit festzustellen. Was in Deutschland   geschieht, entehrt ein Land, das zivilisiert ist oder das wir für zivilifiert qe­halten haben."

,, Der Hund lebt noch"

Der Saal der Societe pour l'Encouragement de l'In­duſtrie" war von Zuhörern, die den Vernehmungen mit stärkster Anteilnahme und oftmaligen Entseßensrufen folgten, dicht besetzt. Als erster Zeuge erschien der frühere tommunistische Reichstagsabgeordnete und Par­teisefretär Hans Beimler   aus München  , der im April vorigen Jahres von sechs Kriminalbeamten, die das Hafenkreuz trugen, verhaftet, zunächst ins Polizeigefängnis abgeführt und dann von drei Nazis gefesselt in einen Keller­raum des Ausstellungsgebäudes Weißer Saal" transpor tiert wurde. In diesem Kellerraum mußte Beimler sich völlig entkleiden, man warf ihn über einen Tisch und schlug so lange wahl- und ziellos von Kopf bis Fuß auf ihn ein, bis er feinen Laut mehr von sich geben fonnte. Nach einiger Zeit führte man ihn in den Weißen Saal" zurück, in dem fich 50 bis 60 Nazis und Stahlhelmer aufhielten. Schreie empfingen ihn. Die Luft war mit Todesdrohungen geladen. Was, der Hund lebt noch!" brüllten die Nazis. Schlagt ihn tot!" Schläge und Tritte hagelten auf ihn nieder, man trat ihn derart, daß er im Saal zusammenbrach; heute noch ist fein Körper nicht frei von Schmerzen. Schließlich schleppte man ihn aus dem Saal und warf ihn in eine Gemeinschafts­zelle des Polizeigefängnisses, die für 14 Personen berechnet war, in der sich jedoch durchweg 24 Häftlinge befanden. Die Gefangenen mußten auf dem Boden schlafen, das Fenster der Zelle war klein, die Luft verpestet, die Verpflegung schlecht, das Ungeziefer unerträglich.

Hölle Dachau  

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Nach einem kurzen Aufenthalt im Gefängnis wurde Beimler   ins Konzentrationslager Dachau   überführt. Nach meiner Einlieferung mußte ich alle Gegenstände, die ich be= faß, abgeben. Ich vergaß dabei- ich vergaß es wirklich einen fleinen Bleistift aus meiner Tasche zu nehmen. Der SS- Mann Steinbrenner fand ihn. Herr Kommandant," rief Steinbrenner, er wollte einen Beistift schmuggeln." 14 Tage Arrest," rief der Kommandant zurück. Ich wurde in eine Zelle gebracht, in der sich, als das Gebäude des Non­zentrationslagers noch als Pulverfabrik verwandt wurde, ein Abort für die Arbeiter befand. Wieder mußte ich mich entkleiden. Jetzt aber schlugen die Nazis nicht nur mit Gummiknüppeln, sondern mit 60 bis 70 Zentimeter langen Ochsenziemern. In den ersten vier Tagen wiederholten sich diese Mißhandlungen vormittags, mittags und nachts. Ich erhielt Seife und Handtuch, aber kein Wasser. Ich erhielt Eß­schüssel, Gabel und Messer, aber kein Essen. Am fünften Tag brachte man mir die erste Nahrung: eine dünne Scheibe Wurst, ein Stüd Brot und ein Glas warmen Tee. Es war das einzige Mal, daß ich etwas zum Trinken oder Eisen bekam, das warm war. Sonst erhielt i Waffer Brot und Prügel."

,, Selbstmord"

Diese barbarischen finden gerüaten den Nazis nicht. Man wollte Beimler beseitigen. Man wollte ihn durch Selbstmord" beseitigen. Der Verwalter des Lagers brachte dem Gefangenen einen Strick, ließ ihn an einem Wasser­Ieitunasrohr, das sich von früher her noch in der Zelle be­fand, befestigen und erklärte mit zynischer Offenhett: Wenn Du irgendwelche Zweifel bekommen solltest, dann steht Dir

der Strick zur Verfügung." Tagelang erschien der Komman­dant des Lagers bis zu siebenmal täglich in der Zelle. " Der Strick ist immer noch unbenußt," sagte er. Du lebit also immer noch? Mach doch Schluß. Du kommst doch nicht gedrängt, Selbstmord zu begehen. Tag um Tag wurde er mehr lebend heraus." Tag um Tag wurde der Gefangene furchtbar mißhandelt. Nach einigen Wochen stellte man ihm ein Ultimatum: Jeßt ists 2 Uhr. Du hast Zeit bis 5 Uhr. Wenn es dann nicht erledigt ist, wird es von uns erledigt." Man führte ihn in die Zelle des ermordeten Gefangenen Dressel. Dressel lag nackt auf dem Boden; der ganze Körper war schwarz und blau; die Pulsadern waren geöffnet. Wir wollen Dir nur zeigen," sagte der Kommandant, wie man es macht, wenn wir es machen."

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Mit der rettenden Ausrede, daß sein Sohn gerade heute Geburtstag habe, erwirkte Beimler Aufschub bis zum nächsten Morgen. Aus Liebe für Deinen Sohn," erklärte Stein­brenner. Aber gibt mir Dein Ehrenwort, daß morgen um 7 Uhr alles erledigt ist." In dieser Nacht gelang es Beimler  , aus dem Konzentrationslager zu entfliehen.

fangenen durch den Aufenthalt im Konzentrationslager an Auf die Frage des Vorsißenden Campinchi, ob die Ge­ihrer Ueberzeugung irre würden, erklärte Beimler  : Wer durch das Studium des Marrismus- Leninismus und durch seine früheren Erfahrungen nicht Kommunist geworden war, wird es im Konzentrationslager."

Die Liste des Grauens

Der zweite Zeuge, Rohlfing, der aus dem Ruhrgebiet  stammt, gehörte bis 1926 der SPD.   und später feiner politischen Partei an. Er wurde abends verhaftet, weil er gegen die Hitlerregierung sei", und am nächsten Morgen wieder frei­gelassen. In dieser einen Nacht wurde er in einem Lyzeum in Witten   a. d. Ruhr von mehreren SA.- Leuten mit Stuhl­beinen so lange mißhandelt, bis er bewußtlos zusammen­brach. Als er aufwachte, mußte er feststellen, daß er auf einem Auge fast erblindet war.

Auch ein weiterer Zeuge, der seinen Namen nicht nennen kann, weil seine Eltern sich noch in Deutschland   befinden, wurde und zwar in Stuttgart   von Nazis   bis zur Be­wußtlosigkeit geschlagen. Er war im Konzentrationslager Heuberg während vier Monaten interniert; die Gefangenen wurden mit schwersten Arbeiten, in Steinbrüchen und beim Straßenbau, beschäftigt.

Die Witwe eines Berliner   kommunistischen   Funktionärs sagt aus, daß ihr Mann verhaftet worden war und daß sie zunächst über sein Schicksal nichts erfahren konnte. In der Strafanstalt Tegel, wo sie sich erfundigte, legte man ihr drei Fotos vor und fragte sie, ob das ihr Mann sei. Sie bejahte. Dann fragte sie, wo sich ihr Mann befinde. Wissen wir nicht." Die Frau fragte in Moabit  . Wissen wir nicht." Nach sechs Wochen erfundigte sie sich im Horst- Wessel- Haus und erhielt die Antwort: Der Lump lebt nicht mehr."

Der fünfte Zeuge, Heinemann, war in den Konzentra­tionslagern Mooring und Oranienburg   interniert worden, weil er Jude ist. Während der ersten 18 Tage ließ man ihn fast nicht schlafen: Man schlug mich Tag und Nacht. Man wollte Geständnisse erpressen. Alle Juden, Marristen und marristische Juden, die mir bekannt seien, sollte ich angeben. Am 18. Tag brach ich fast leblos zusammen. Ich mußte ins Hospital transportiert werden, aber die SS.   versuchte, den Transport zu verhindern, weil mein Körper sich in einem grauenerregenden Zustand befand. Schließlich wurde ich in einem Einzelzimmer des Hospitals untergebracht, damit feiner der andern Kranken mich sah."

Das Bild des Schreckens wurde ergänzt durch die Aus­sagen eines Jungen von 18 Jahren, Feldmann, der, ohne einer politischen Partei anzugehören, im Konzentrations­ lager Oranienburg   interniert wurde, weil er Jude ist. Er befand sich dort mit Kameraden, deren jüngster 13 Jahre alt war.

Der Vorsißende, Rechtsanwalt Campinchi, schloß die Sizung mit einem Appell an die Oeffentlichkeit; es sei, er­flärte er, Aufgabe eines jeden Einzelnen, sich mit allen seinen Kräften gegen die Grausamkeiten zu wenden, die un­unterbrochen in Nazi- Deutschland begangen werden.

Der frühere Organisationsleiter des Unterbezirks Gisenach der KPD.  , Zieger, der seit Mai vorigen Jahres mehrfach verhaftet worden war, aber immer wieder entlassen werben mußte, weil ihm nichts nachgewiesen werden konnte, ist jetzt nach erneuter langer Haft in seiner Zelle tot, mit geöffneten Pulsadern, aufgefunden worden. Schulkinder ohne Schuhe

( Inpreß.) Nach Ermittlung des Karlsruher   Schulamts aibt es in Karlsruhe   3900 Schulkinder, die, fein normales Schuhzeug befißen. Viele Kinder müssen in billigen Turn­schlappen und sogar in Strümpfen bei Schnee und Eis zur Schule gehen. 42 Prozent aller Schüler und Schülerinnen find bedürftig.

Aus dem Inhalt

Nach der

österreichischen Schlacht

Seite 2

Edens heikle Mission

Seite 2

Landestrauer und Arbeitermoed

Seite 3

Weltkeise nimmt zu

Seite 4

Geschichtliche Parallelen

Seite 7

Millionär Löbe

Und nun bezieht er Arbeitslosenunterstützung? Soeben erscheint eine Biografie des Präsidenten der Arbeitsfront Dr. Robert Ley  . Die Herren haben es alle, recht eilig, sich biografisch verherrlichen zu lassen, denn man fann nicht wissen, wie lange es noch möglich ist.

In dem kleinen Buch wird mit besonderem Stolz das. Räuberstückchen vom 2. Mai erzählt: der Ueberfall auf die Gewerkschaftshäuser und der Diebstahl des marxistischen  Arbeitervermögens. Zum ersten Male wird öffentlich zuge­geben, daß der Reichskanzler von dieser angeblich nichtamt= lichen Aktion wußte, sie ausdrücklich gebilligt hat und die Polizei Befehl erhalten hatte, sich passiv zu verhalten. Also Hitlers   und seiner Spießgesellen. ein durchaus legaler" Aft ganz im Sinne der Eide Adolf

Bei der Schilderung des Einbruchs in die Gewerkschafts­kassen werden natürlich auch die Bonzen" als Inhaber großer Banffonten vorgestellt. So heißt es u. a.:

,, Es stellte sich heraus, daß der Proletarierführer Löbe ein Konto von über 3 Millionen Mark hatte. Es war aller= höchste Zeit, daß eingegriffen wurde.

Es ist dankenswert, daß Löbes 3 Millionen Mark, von denen man so lange nichts mehr gehört hat, nun noch einmal auftauchen. Inzwischen wird überall im Auslande ein Inter­view Löbes verbreitet, in dem er schildert, daß er Arbeit suchend durch die Straßen Berlins   pilgert wie Hundert­tausende andere auch und 11 Mark Arbeitslosenunterstützung die Woche bezieht wie zahlreiche Leidensgefährten auch. Wie reimt sich das mit dem Bankkonto von 3 Millionen Mark zusammen? Will sich der Dr. Robert Ley   nicht dazu äußern?

Gewiß gäbe es die Möglichkeit, daß Paul Löbe   die 3 Mil­lionen Marf unrechtmäßig erworben gehabt hätte, aber dann würde ihm doch längst ein großer Korruptionsprozeß ange­hängt worden sein und wir hätten schon hundertmal in allen deutschen   Zeitungen von der Verworfenheit dieses marristi­schen Spizbuben gelesen. Die 3 Millionen Mark wären mit Glanz und Gloria enteignet worden, aber das wäre be­stimmt nicht still und rücksichtsvoll mit Rücksicht auf Löbes Reputation geschehen.

Wahrheit ist natürlich, daß Löbe   diese 3 Millionen Mark nie besessen hat, so wenig wie Severing jemals die 2 Mil­lionen Mark, deren Diebstahl ihm während des vor­jährigen März- Wahlkampfes von allen Platatsäulen Deutsch­ lands   vorgeworfen worden ist.

Es herrscht in Deutschland   eine Bande von Verleumdern. Die Lüge von Löbes 3- Millionen- Konto erweist es von

neuem.

Alle Bäckermeister in Schutzhaft! Der pfälzer Gauleiter macht seine Drohung wahr! Aus der Pfalz   vird gemeldet:

Sämtliche Bäckermeister von Winnweiler  , ferner einer von Rockenhausen   wurden durch den Sonderkommissar beim Bezirksamt Rockenhausen   in Schutzhaft genommen, weil sie den Brotpreis um 10 Pfennig für den Laib erhöht hatten. Diese Maßnahme erfolgte auf Anordnung der Gauleitung, die auf dem Standpunkt steht, daß eine Preiserhöhung des wichtigsten Lebensmittels bei gleichbleibendem Einkommen der Arbeiter einer Sabotage gleichkomme.

Eine Aktion gegen unsoziale Wohnräume des Personals von Fleischern und Bäckern

Berlin  , 21. Febr.( Vd3.) Die Reichsfachschaftswarte der Fleischer und Bäcker in der Deutschen Arbeitsfront   haben eine Anordnung erlassen, wonach vom 15. Februar ab in Verbindung mit den Obermeistern der zuständigen In­Unterkunftsräume aller bei Meistern wohnenden Gesellen, nungen eine Generalkontrolle sämtlicher Schlafstellen und Lehrlinge und Verkäuferinnen vorzunehmen ist. Bei Schlaf­räumen, die nicht dem Gutachten des Reichsgesundheits­amtes entsprechen, ist dem Meister eine Frist von 14 Tagen zur Abstellung dieser Mißstände zu geben. Sollten dennoch einzelne Meister sich weigern, die Räume in Ord­nung zu bringen, so ist unverzüglich Strafanzeige zu erstatten. Die Bezirksfachschaftsmarte haftent mit ihrer Person dafür, daß die Schlafstellen der Gesellen, Lehrlinge und Verkäuferin. nen ab 15. März in Ordnung sind.

Lehrlingserziehung

In der Arbeitsrechts- Sammlung"( LAG. Nr. 32) sinden wir folgenden pädagogischen Grundsatz: Ein 15jähriger Junge, welcher in der Familie eines kommunistischen   Stadt­verordneten aufgewachsen ist, hat keine eigene politische Mei­nung, er ist irregeleitet und muß erzogen werden, um auf den rechten Weg zu kommen. Wenn er Heil Moskau  " ruft, so ist dies als Dummerjungenstreich anzusehen, und der Meister wird ihm derartige Streiche durch Anwendung der gefeßlich erlaubten Zuchtmittel austreiben können und müssen."