Dr. Arthur Sämid:
Dieser Tage wurde der Tod von König Albert I. ge- Meldet. Die Meldungen waren anfangs etwas unklar. Später gab man detaillierte Berichte über das Bor- kommnis. Fast gleichzeitig mit der Todesnachricht kamen die Nach- richten von der Landestrauer, die in Belgien herrsche. Im schweizerischen Radio verkündete man, daß die Anteilnahme des Schweizervolkes an dem tragischen Tod des Königs der Belgier groß sei. Diese Mitteilung wurde in einem Moment verkündet, in welchem der kleinste Teil des Schweizervolkes die Todesnachricht er- halten hatte. Es handelt sich also in erster Linie um eine Hoflichkeitsmeldung. Die Regierungen beeilten sich, dem belgischen Ministe- rium und dem belgischen Volke Beileidstelegramme zu senden. Auf den Regierungsgebäuden wurden die Fahnen auf halbmast gesetzt. Der belgische König ist nicht ganz 60 Jahre alt ge- worden. Wir haben den Eindruck, daß er ein guter Mensch und, so weit das in seinen Verhältnissen möglich war, ein gerechter König war. Sein Tod fällt in eine Zeit hoch- politischer Spannung! in eine Zeit, wo auch dem kleinen Belgien , das im Weltkrieg so unendlich viel gelitten hat. wiederum die Kriegsgefahr vor Augen steht. Sicher ist es. nach den diplomatischen Gepflogenheiten unserer Tage, verständlich, daß die Höflichkeitsformeln in der Teilnahme am plötzlichen Tode des belgischen Königs zum Ausdruck kommen. Aber kennzeichnet das nicht die ganze heutige Situation, wenn man auf der andern Seite das Schweigen über die gefallenen Helden in Oesterreich diesem lebhaften Beileidssturm beim Tode des Königs gegenüberstellt? Dabei geht man in den Kreisen der herrschenden Diplomatie noch viel weiter. Man schweigt nicht nur, sondern man lobt Dollfuß und sichert ihm sein Regime. So sprechen nicht nur die Diplo- maten Mussolinis, sondern auch die Diplomaten Englands und Frankreichs . * In Oesterreich sterben Männer des Volkes, tapfere und mutige Arbeiter und Angestellte, intelligente und wert- volle Menschen. In Oesterreich werden Führer des Schutz- bundes und der Sozialdemokratie gehängt. In Oester- reich herrscht die Ungerechtigkeit und namenloses Elend. Wegen der toten Helden in Oesterreich werden keine Beileidstelegramme versandt. Es wird nicht auf halbmast geflaggt. Es wird am Radio nicht verkündet, daß ein großer Teil des Volkes warme Anteilnahme für die öfter- reichischen Helden und ihre Hinterlassenen empfindet. Das Radio ist in den Händen der Machthaber. Die Regierungen haben diplomatische„Pflichten". Man nimmt als Leitsatz für alles Handeln, wenn es um tote Freiheit?- Helden geht, Sprüche, wie:„Man darf sich nicht in fremde Angelegenheiten einmischen. Es geziemt Zurückhaltung!" Die Wahrheit darf also nicht ausgesprochen werden. Die Gerechtigkeit ist zu verleugnen. Aus diplomatischen, politischen und Gründen der Klassenzugehörigkeit muß das ganze Geschehen in Oesterreich entweder totge- schwiegen werden oder, was noch schlimmer ist. in das Gegenteil verkehrt werden. Der Hauptschuldige an der österreichischen Tragödie, Dr. Dollfuß. empfängt die Pressevertreter in Wien Die Depeschenagenturen und die Radiosender verkünden, daß der Bundeskanzler Dr. Doli- fuß eine große Rede vor der ausländischen Presse ge- halten habe. Ein paar Minuten später verkünden sie, daß es in Oesterreich sehr wahrscheinlich nicht mehr lange dauern werde, bis alle Parteien aufgelöst werden. Die Christlichsozialen würden sich sehr wahrscheinlich selber auflösen. Ein paar Minuten später verkünden die Sender, daß der Metallarbeitersekretär Styonek in Graz vom Standgericht zum Tode verurteilt und einige Stunden später gehängt worden sei. Ein paar Stunden später ver-
künden die Sender, daß man Kolman Wallisch, auf dessen Kopf eine Prämie von 5000 Schilling ausgesetzt war. ge- fangen genommen habe, und sie vergessen nicht, um ihn in den Augen aller ruhigen Bürger zu diskreditieren, bei- zufügen, daß er an der Räteregierung in Ungarn beteiligt gewesen sei und andere Sender erklären, daß man in Wien erwarte, daß er zum Tode verurteilt und gehängt werde. Aber über die Trauer, die in den Herzen des arbeiten- den Volkes herrscht, wird am Radio nichts gesagt. Man schweigt das alles tot. Die Millionen von Radiohörern sollen den Eindruck haben, als ob das Land, für das der Sender spricht, alles das in Ordnung findet, was der Sender bekannt gibt. Damit erweckt man bewußt den Eindruck, daß die österreichische Tragödie erledigt sei, und daß man in dem betreffenden Land sich mit diesen Tat- fachen abgefunden hätte. Das ist ein Mittel, um die Coli- darität der Gerechtigkeit und des Mitleides nicht zum Ausdruck kommen zu lassen. Das ist ein Mittel der Herr- schaftsmethoden der heutigen Herrschenden.
Ein König verunglückt— die ganze Welt spricht davon. Helden des Sozialismus werden in schwerem Kampfe überwunden. Man schweigt über sie oder versucht, ihre Sache schlecht zu machen und sie zu diskreditieren. In solchen Stunden müßte es allen Arbeitenden und allen Gerechtdenkenden und allen jenen, die nach Freiheit und Gerechtigkeit dürsten, klar werden, daß jede Ab- lenkung und jede Unklarheit schädlich ist. Nie werden die Mittel der Herrschenden in den Dienst der Wahrheit und der Gerechtigkeit gestellt, denn wir leben in einer Welt des Unrechts und der Un- freiheit. Wir leben in einer Welt, in der die Diplo- matie herrscht. Wir leben in einer Welt, wo man sich von oben bis unten fragt:„Darf man das so oder darf man das anders sagen? Was nützt es der oder jener Schicht, wenn man es so sagt und wenn man es nicht anders sagt?" Wenn man diese Zustände sieht und sie endlich klar sieht, dann ist das schon ein großer und gewaltiger Fort- schritt. Aber die Erkenntnis, die aus diesem Fortschritt des Denkens resultiert, wird ewig unfruchtbar bleiben, wenn man sich damit begnügt, über die Ungerechtigkeit dieser Welt zu jammern und Anklagen zu erheben gegen die Herrschenden. Mit diesen Anklagen allein istesnichtgetan. Das nehmen die Herrschaften nicht tragisch. So wenig wie sie es tragisch nehmen, daß in Oesterreich eines der größten Kulturverbrechen begangen wurde. Die großen Massen des Volkes müssen endlich einmal zur Einsicht kommen, daß von ihnen und nur von ihnen und sonst von niemanden anders in der Welt das Schicksal der Völker abhängt. Dabei müssen sie sich auch klar sein, daß die Macht der Arbeiterklasse unendlich groß ist. Nichts hat das deutlicher gezeigt, als die österreichische Tragödie. Nur ein ver- hältnismäßig geringer Teil des arbeitenden Volkes hat in diesen Kämpfen mitgewirkt. Ein anderer Teil ist seiner täglichen Arbeit nachgegangen, auch wenn sein Leid bei den Kämpfenden war. Ein anderer Teil war bei den Henkern. Das waren jene, die ihre Seele ihnen schon längstens verkauft hatten. Das arbeitende Volk wäre unbesiegbar, wenn es aktiv wäre. Aber die Aktivität kann nicht durch einen Wunsch und nicht durch ein Wunder herbeigeführt werden. D i e Aktivität erwächst aus dem kleinen täg- lichen Geschehen heraus. Die Aktivität erwächst aus der klaren Erkenntnis dessen, was ist. Die Aktivität wächst und wächst und wird zur realen entscheidenden Macht, wenn das Volk einmal erkennt, daß es im Alltag und zwar jeden Tag handeln muß.
Wer der Meinung ist, daß wir das Radio besitzen müßten, daß wir die bürgerliche Presse besitzen müßten, daß wir die bürgerliche Verwaltung besitzen müßten und alle Machtmittel des heutigen Staates, um etwas tun zu können, der ist im Grunde genommen ein großer Pessimist, ein Kleingläubiger, wie er im Buche steht. Solche Gedanken können nur ablenken von der täglichen Arbeit. Solche Gedanken können nur schädigen. Mit solchen Gedanken erobert man die Machtmittel des Staates nicht. Gerade in diesen Tagen, wo man über den Tod eines Königs so viel schreibt, so viel spricht, so viele Telegramme versendet, so viele Fahnen auf halbmast setzt, und wo man in den Kreisen der Herrschenden über das gewaltigste Ge- schehnis dieses Jahrzehnts, über den Heldenkampf des österreichischen Proletariats schweigt, müßte es dem letzten Arbeitenden, dem letzten Mann und der letzten Frau klar werden, daß auf ihnen eine schwere und gewaltige Ver- antwortung liegt. Die Verantwortung nämlich, daß sie handeln müssen. Wenn das Radio schweigt über die Helden von Oester- reich, dann müssen die Menschen sprechen. Jene Menschen, in denen das österreichische Leid widerhallt und die von einer seelischen Not erfüllt sind. Der Wunsch, aus dieser Welt hinauszukommen, genügt nicht, so begreiflich dieser Wunsch ist. sondern es ist eine unumgängliche Pflicht, daß man trotz Leid und dem brennenden Gefühl der herrschen- den Ungerechtigkeit zur Tat übergeht. Und diese Tat ist, die Menschen wachzurütteln. sie zu erfüllen mit dem. was Wahrheit ist und was das Radio und die offi- zielle Presse verschweigen. Hier nützt kern Schimpfen und kein Toben, sondern nur die tiefgehende, aus der mitempfundenen Not resultierende Aufklärung?- arbeit. Aber die muß jeder einzelne tun. Wenn man das erreichen könnte, daß die Massen schließlich sich als die Aktiven und Verantwortlichen fühlen, daß jeder einzelne seinen Teil des Handelns auf sich nimmt, dann würden die Machtmittel der Feinde der Arbeiterschaft in sich zusammenbrechen. Das ist die große Lehre, die in diesen Tagen be- herzigt werden muß. Man darf die Tage, in denen die Menschenherzen zittern und sich nach Wahrheit sehnen, nicht in müßiger Selbstbeschaulichkeit, und auch wenn es die Selbstbeschaulichkeit der Trauer ist. vorübergehen lassen. Man darf sich nicht damit trösten, daß einmal das rote Wien wieder auferstehen wird und daß aus dem Blut der Märtyrer die Saat der Freiheit aufgehen wird. Wer sein Herz nur an diese Gedanken hängt und in diesem schönen Glauben nichts tut, versäumt die Stunde der Ent- scheidung und vergißt, daß er zur Tat und nicht zum Philosophieren geboren ist. Die Sache der Arbeiterklasse war trotz dem Schweigen des Radios, trotz den Lügen einzelner bürgerlicher Zeitungen noch nie günstiger, als in diesen Tagen. Aber man muß den Augenblick erfassen und man muß ihn nützen. Wenn der einzelne das tut, jeder einzelne, dann werden die Hoffnungen zur Wirklichkeit werden, die er in seinem innersten Herzen hegt. Jeder muß ein anderer Mensch sein nach diesen Tagen, und dann wird die Welt anders. Er muß endlich brechen mit allem Schlendrian, mit aller Gleichgültigkeit, mit aller Ab- lenkung und er muß ohne Rüchsicht auf die andern seinen Weg der Verantwortung restlos gehen. Dos ist die Tat, die wir den Märtyrern, den Helden von Oesterreich , schuldig sind.. Ganz gleich, ob das Radio schweigt und die Henker ver- leumdeni wenn das arbeitende Volk handelt und wenn es die Wahrheit durchsetzt, dann werdendieOpfernichtumsonstsein!
Ein Sdiwarisender Etwas rätselhafte Geschichte Vor dem Strafrichter hatte sich der 32jährige Grafiker Klein aus Dortmund-Eving wegen Vergehens gegen das Runbfunkgesetz zu oerantworten. Das Schöffengericht 3 hatte ihn am 21. Dezember 1233 bereits zu 6 Wochen Gefängnis verurteilt, weil es der Ansicht war. daß ein Schwarz- sender eine bedeutende Gefahr für bie Re- gierung und die Volksgemeinschaft sei, denn auf diesem Wege sind schon allzuviel« Greuelmärchen ins Ausland gelangt. Klein hatte gegen dieses Urteil Berufung eingelegt mit der Maßgabe, daß die Strafe zu hoch sei, denn er habe mit der Erteilung der Genehmigung zum Bau eines Kurzwellensenders von feiten des Reichspo st- Ministeriums bestimmt rechnen können. Nur dieses Strafverfahren habe die Genehmigung abgestoppt. Klein ist von 1327 bis 1332 eingeschriebenes Mit- gl ed der SPD . gewesen und hat in Osnabrück einen Parteisender geleitet. Später war er technischer Leiter des Arbeiter-Radio-Clubs. Beruflich arbeitete er in Osnabrück in einem SPD. -Verlag. in Dort- mund im Berlage Geriich. der die Westfälische Allgemeine Bolkszeitung herausbrachte. Kriminalpolizei und Telegrafenamt der Reichspost hatten im einstigen SPD. -Hause Kielstraße bei einer Durchsuchung verschiedene Teile einer Großlautsprecheranlage beschlag- nahmt und man beschloh. auch bei verschiedenen führenden Mitgliedern des Arbeiter-Radio-Clubs nachzuforschen. Man traf den Klein zunächst nicht in Eving an. Bald darauf stellte man ihn und der ehemalige technische Leiter des Clubs ver- sicherte, kein« Teile einer Anlage zu besitzen. Die Nachsuch« ergab nichts. Anfang Oktober 1333 fingen die R u n d su n k-U eb e r-
wachungsstellen plötzlich eine Sendung auf, die unbe- dingt von einem Schwarzsender kommen mußte. Ein SA.- Sturmführer meldete außerdem, daß aus dem Dort- munder Norden Funkzeichen sTelegrafiel kamen. Er wollt« sogar seinen ganzen Sturm zur Nach- forschung ansetzen. Doch die Reichspost hielt zurück, um den Schwarzsender nicht vorzeitig zu warnen. Eine Nachricht aus Osnabrück wies dann auf Klein und dessen Osnabrücker Tätigkeit hin. Wieder war ein Funkspruch aufgefangen worden, der an eine bestimmte inländische Station gerichtet war. Man hörte den Empfänger antworten:„Sie dürfen nicht senden!" Der andere erwiderte:„Das weiß ich, ich stimme nur ab." Am 7. Oktober fand man bei Klein einen vollbetriebs- fertigen Kurzwellensender, mit dem am 11. Oktober eine ausgezeichnete Sendung erzielt wurde. Das war ein Zeichen dafür, daß der mit großem Geschick gebaut« Sender fertig auf eine bestimmte Welle abgestimmt war, daß mit ihm also bereits gefunkt worden war. Klein gab zu. die vorher er- wähnte radiotelegrafische Unterhaltung u Versuchszwecken geführt zu haben. Er fügte aber hinzu, daß er als lang- jähriges Mitglied des deutschen Amateursendedienstes fDATD.I Berlin, über den Sendcdienst beim Reichspost- Ministerium am ö. August die Sendegenehmigung beantragt habe. Gleichzeitig habe er mit dem Bau der Anlage begonnen, bie er am 3. Oktober fertigstellte. Er wollte also bei der ersten Durchsuchung seiner Wohnung di« Wahrheit gesagt haben. Es wurde ein Schreiben des DASD. verlesen, in dem es hieß, daß Kleinunweigerlichmitder Erteilung der Genehmigung habe rechnen können. Man stellte ihm sogar als tüchtigen Rabio-Amateur, wie auch als politisch einwandfreie Persönlichkeit das beste Zeugnis aus. In einem Satze hieß es sogar, daß die Sendegenehmigung bereits beim Postministerium gelegen habe. Dasselbe hatte der als Zeuge auftretende Elektromeister Hamer gehört, der
als einziger Amateur in Groß-Dortmund die Sende- genehmigung des Ministeriums besitzt. Das Gericht unterstellte schließlich als wahr, daß Klein damit habe rechnen können, daß er bie Sendegenehmigung erhielt. Das Bergehen aber blieb, obwohl es jetzt ein wesent- lich anderes Gesicht bekommen hatte. Die erstinstanzliche Freiheitsstrafe wurde ausgehoben und Klein zu einer Geld st rase von 133 Mark verurteilt. Alte Arbeiterfrau schreibt Der Brief einer 73jährigen sJnpreß.) Von einer 73jährigen Berliner Arbeiterfrau er- hielt die Internationale«Rote Hilfe" dielen erschüttern- den Brief:»Darf man etwas im faschistischen Deutschland sagen oder nicht? To muß man sich immer fragen. Welches Gespräch man auch immer führen mag, man läuft immer Gefahr, baß man von der faschistischen Regierung und ihren Knechten am Kragen gefaßt und eingesperrt wird. Das De- nunzieren ist jetzt in Deutschland Mode und auf der Tages- ordnung. To wurden mein Sohn und meine Tochter plötzlich aus unerklärliche Weise verhaftet. Meine Tochter hatte man. ich weiß nicht warum, auf drei Monate inS Frauengefängnis gesteckt— ohne einen vorhergegangenen Prozeß—, und mein Sohn mußte drei Monate im Polizeipräsidium sitzen, wo man ihn, einen gesunden Menschen, taub geschlagen hat— einen Mann von 13 Jahren. Nachdem man ihn einer bestialischen Tortur unterzog, hatte man noch das Herz, meinen Sohn in das Konzentrationslager nach Sonnenburg zu befördern, und wer weih, wie lange er dort noch wird sitzen müssen. Nicht allein, daß man mir, als Mutter, bie schon 73 Jahre alt ist. so viel Leid antut, mein Sohn besitzt auch eine 12jährigc Tochter, die mutterlos ist und von meinen Töchtern, die mit- tellos sind wie ich, ausgezogen wird..."