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Ein Mitkämpfer berichtet über Wien
Vorgeschichte und Verlauf des Bürgerkrieges- Persönliches Heldentum und sachliche Fehler- Ernste Lehren für alle!
Der nachfolgende sehr ausführliche, aber auch sehr inhaltsreiche Bericht über den österreichischen Bürgerkrieg stammt von einem Mitkämpfer, der nicht zu den ,, Bonzen" gehört. Er stand bis vor kurzem als Arbeiter im Betrieb und ist seit einiger Zeit erwerbslos. Seine Niederschrift ist unmittelbar nach den letzten Schüssen verfaßt. Es ist daher um so bewunderswerter, wie nüchtern und mit welcher Distanz der proletarische Verfasser über die Vorgänge urteilt. Darin unterscheidet er sich von vielen, die fern vom Schuß aufgeregte illusionäre Betrachtungen über die Kampftage und ihre Möglichkeiten anstellten.
Ob der Kamerad in allen Einzelheiten recht hat, bleibe dahingestellt. Jedenfalls zeigt er die sehr schwierigen Fragen militärtechnischer und psychologischer Art auf, die jeder zum Bürgerkrieg sich steigernde Aktion den Führern und den Massen stellt; Fragen, die lange vor dem Ausbruch des Kampfes geklärt sein müssen. Auch der Bürgerkrieg bedarf der gründlichsten Vorbereitung an Menschen und Material, und ist schon deshalb kein Gebiet für Dilettanten und gern in blutigen Worten schreibenden Literaten, weil es um Leben oder Tod, um Sieg oder Niederlage für das Arbeitsvolk geht. Bei so furchtbar schweren Ereignissen wie denen in Oesterreich und ihren Auswirkungen für die sozialistische Bewegung muß möglichste Klarheit auch über die Fehler der Offiziere und der Mannschaften gewonnen werden. Wenn über manches, schon aus Rücksicht auf die vielen Gefangenen, zur Zeit nur mit Zurückhaltung gesprochen werden kann und auch unser Kamerad diese Zurückhaltung übt, erfordert die stürmische Anteil. nahme der Antifaschisten überall an den Vorgängen in Oesterreich doch, daß jetzt schon gesagt wird, was möglich und notwendig ist.
Redaktion der ,, Deutschen Freiheit".
I. Die entscheidenden Tage
Heldenmütig geschlagen
Ueber die Ereignisse in Wien und Desterreich mit der gebotenen Objektivität und Leidenschaftslosigkeit zu berichten, ist, wo man noch unmittelbar unter dem Eirbe der erschütternden Ereignisse dieser Tage steht, fast unmöglich. Es soll aber dennoch geschehen, schon aus dem Grunde geschehen, damit unsere Freunde des Auslandes, welche von ihrer bürgerlichen Presse nur die stark und tendenziös gefärbten Berichte der österreichischen amtlichen Stellen oder gar die unverschämten Fälschungen durch das österreichische Radio erhalten haben, ein Bild der Ereignisse bekommen, wie sie sich tatsächlich abgespielt haben. Eines sei gleich vorweggenommen: die österreichische Arbeiterschaft hat sich heldenmütig geschlagen; fie hat die Fahne der Internationale, die sie 1926 verliehen erhielt, nicht feige verraten; die österreichische
Sozialdemokratie wurde geschlagen, aber nicht vernichtet.
Ehrenvoller Friede verhindert
Die politischen Verhältnisse dieses Landes ließen die Wahrscheinlichkeit einer friedlichen Lösung des seit dem März 1933 währenden Verfassungskonfliktes in den legten Wochen nicht als unwahrscheinlich erscheinen. Mußte doch Bundeskanzler Dollfuß erkennen, daß trotz des unge heuren Terrors, der auf die öffentlichen Angestellten aus. geübt wurde, die Sozialdemokratie weder inneren Kämpfen ausgesetzt wurde noch den fortgesetzten Provokationen der Regierungsstellen hereinfiel. Mit ge radezubewunderungsmerter Geduld hielt Parteimitgliedschaft Disziplin. Das im Früh sommer über die Nazis verhängte Parteinerbot bewies nur zu deutlich, daß diese nicht schwächer, sondern stärker wurden. Dasselbe Experiment mit uns zu versuchen, schien schon aus Gründen der einfachsten politischen Ver. nunft ausgeschlossen. Dollfuß wußte genau, daß er nur in der Sozialdemokratie auf Hilfe bei bewaffneten Auseinandersetzungen mit den Nazis rechnen konnte, ist doch selbst die nunmehr zu so trauriger Berühmtheit gelangte Staatsexekutive- Polizei, Gendarmerie, Militär- bis in die höchsten Beamtengrade nazidurchseucht. Alle sind mohl bei der„ Vaterländischen Front " eingeschrieben; das ist aber auch alles. Wie wertvoll solche erpreßte und erzwungene Bundesgenossen sind, ist von Haus aus aus zurechnen. Nur die engstirnige Verblendung der christlich fozialen Parteiführung, die sich immer mehr und mehr in die Abhängigkeit der unter aristokratischer Führung stehenden, faschistisch orientierten Heimwehr begab und wo es so weit kam, daß Dollfuß , vom Machtmahne berauscht, auch innerhalb der eigenen Partei eine schrankenlose Diktatur ausüben konnte, verhinderte einen ehren vollen Frieden mit der Sozialdemokratie, welche wahrlich genug Opfer an Ansehen gebracht hatte, um dem Lande den Frieden zu erhalten.
Noch war es Zeit zur Einkehr und Umkehr, als im Januar offenkundig wurde, daß große Teile der Heimwehr unter Führung des Grafen Alberti zu den Nazi hinüber gewechselt hatten. Zu dieser Zeit hielt Dollfuß seine Rede an die Arbeiterschaft, die allgemein als Weg zur Verständigung betrachtet wurde, die Arbeiterschaft selbst ant. wortete durch ihren Parteirat, dem nur Leute aus den Betrieben, also weder Parteibeamte noch öffentliche Mandatare, also keine ,, Volksverheger" oder„ Bonzen" ange hörten, in versöhnlicher Form. 3wei Tage später kam wieder eine Dollfuß- Rede, die von gänzlicher Bernichtung der Partei sprach. Ein Besuch des Heim mehrführers Starhemberg bei Dollfuß und der un glaubliche Einfluß des Heimwehrführers und Vizekanzlers
Fen, eines alten Berufsmilitärs, des eigentlichen Führers der Regierung, bewirkte diesen Umschwung. Die Heimwehr , zahlenmäßia schwach( bei den Wahlen des Jahres 1930 erhielt sie nicht einmal 10 Prozent der Stimmen und hatte im Nationalrat nur 6 Mandate von 165), jedoch dank italienischen Geldes gut ausgerüstet, ging zur Offensive über; in allen Bundesländern wurde die sofortige Auflösung der Landtage und die Einsetzung der Landeshauptleute als autoritäre Führer unter fast aus: schließlichem Einfluß eines beratenden Ausschusses von Faschisten gefordert. Tirol, das kulturell rückständigste und reaktionärste Bundesland, ging damit voran. Steier mark und das Burgenland folgten. In allen Ländern wurde auch die Forderung nach Auflösung der Sozial demokratie als erster und wichtigster Punkt gestellt. Doll fuß wollte die Behandlung dieser Forderungen hinaus. schieben und fuhr nach Budapest ; die Verhandlung über die Forderungen der Heimwehr sollte am 12. Februar beginnen.
" Morgen gehen wir an die Arbeit"
Am 11. Februar hielt der Vizekanzler Fen in einem unbedeutenden Provinzneste eine Rede, die in die Worte ausklang:„ Morgen gehen wir an die Arbeit!" Dieser Satz konnte nicht mehr mißverstanden werden. So kam es am Montagvormittag in der Hauptstadt des Bundes es am Montagvormittag in der Hauptstadt des Bundeslandes Oberösterreich zum Zusammenstoß, welcher die anderen Ereignisse auslösen wollte. Eine Abteilung Heimwehr , welche den Ausspruch ihres Führers nicht richtig verstanden hatte, ging zum Angriff auf das Parteihaus über; fie wurde aber mit Maschinengewehrfeuer empfangen und in die Flucht geschlagen. Die Nachricht von den Ereignissen verbreitet sich innerhalb einer halben Stunde in ganz Desterreich. In Wien traten die Arbeiter des Elektrizitätswerkes in Streik und legten vorerst den Straßenbahnverkehr still. Dies war das Zeichen für den Republikanischen Schutzbund zum Generalalarm. Jn allen bedeutenderen Orten Oesterreichs ent brannten gleich der Bundeshauptstadt sofort heftige Kämpfe zwischen der Staatsexekutive einerseits und dem Schutzbund andererseits.
tagelange Rämpfe; nur die Artillerie vermochte die Stellungen zu erschüttern.
Schwere Versager
Es darf nicht verhehlt werden, daß Wut und Erbitte rung die Kämpfer über das Versagender Führung befallen hat. Zahlreiche Wiener Bezirke wurden gar nicht in den Kampf eingesetzt, da sie keine Befehle erhielten. Erst Dienstagabends begann der Verbindungsdienst zu funktionieren und frohe Hoffnung erfüllte die Parteimitgliedschaft aufs neue, um am Mittwoch eine neue Enttäuschung zu erfahren. Die Unterführer waren viel zu wenig selbständig und verließen sich viel zu sehr auf die Befehle des Generalstabes, die aber nicht kommen wollten. But 10 000 Mann wurden auf diese Art in Wien nicht in den Kampf eingefeßt und wurden dadurch mutlos und verdros= se n. Waffen und Munition gab es aber vielfach murden die Lagerpläge, welche naturgemäß nur wenigen Leuten bekannt waren, gar nicht gefunden. Von den Provinzkräften, insbesondere des ausgezeichnet organi sierten Wiener Neustädter Gebietes, welches vor den Toren Wiens liegt, gar nicht zu reden. Dort kam es überhaupt zu keinen ernstlichen Kämpfen, aber leider auch nicht zum dringend notwendigen Entsaze Wiens. Noch Mittwoch früh wäre die Situation zu retten gewesen Allerdings hat die Regierung maßgebende Schutzbundführer einige Tage vorher verhaftet. Der Oberkommandant, Nationalrat Deutsch , und sein Sekretär Heinz haben getan, was sie konnten aber es war zu wenig, trotz aller Hingabe und persönlicher Aufopferung. Nicht vergessen darf aber bei einer objektiven Würdigung die vollkom mene Erschöpfung der Kämpfer werden, welche fast 72 Stunden bei gar keiner oder sehr mangelhafter Berpflegung in der grimmigen Kälte, ohne auch nur eine Viertelstunde schlafen zu können, ausgeharrt haben. Sie haben wirklich bis zum äußersten ihre Pflicht erfüllt. Die Lügenhetze
menn.
Verschiedene andere Umstände, welche schließlich zum Erlöschen des Kampfes geführt haben, seien noch erwähnt: das Radio brachte halbstündlich die entstellten Berichte; so daß die Führer geflohen wären und die Arbeiterschaft im Stiche ließen. In einem Atemzuge wurde aber auch verkündet, daß Bürgermeister Seitz und alle Abgeord zirksräte und was es sonst noch an öffentlichen Funktio nären gibt, soweit man sie erwischte, verhaftet wurden. Immerhin trugen diese Nachrichten bei, eine gewisse Mutlosigkeit zu erzeugen; durch das bereits geschilderte Versagen der obersten Führung erhielt diese Tatarennachricht einen Schein von Glaubwürdigkeit. Einen außerordentlich geschickten Schachzug machte Dollfuß mit dem bis Donnerstagmittag befristeten Generalpardon, die Führer ausgenommen. Donnerstagmittag waren denn auch die Kampfhandlungen( mit Ausnahme des Maryhofes) beendet.
In Wien tobten die Kämpfe am heftigen am Diens tag. Die großen Wohnhausbauten der Gemeinde Wien lagen stundenlang unter schwerstem Artilleriefeuer mit elenden Schießen der Artillerie ist es zu banken, daß die Gebäude nicht dem Erdboden gleichgemacht wurden. Die Bejagung mehrte sich wahrhaft heroisch, Besagung wehrte sich wahrhaft heroisch, mußten fie doch, daß ihnen der Galgen drohte, wenn sie gefangen werden denn mittlerweile wurde das Standrecht ver kündet. Als Brennpunkte des Kampfes seien angeführt: der riesige Gebäudekomplex Sanbleiten, eine kleine Stadt für sich; dort wurden auch in der vorgelagerten Barkanlage unserseits Schüßengräben ausgeworfen, desgleichen in der roten Hochburg Favoriten am Laaerberg; sehr schwere Kämpfe spielten sich in dem rein proletari- ,, Nein, auch die Massen!" schen Floridsdorf und in Simmering ab; ersteres konnte erst nach zweitägigem erbitterten Kampfe nach heftigster Artillerievorbereitung genommen werden. Das gleiche galt für den herrlichen Goethehof gegenüber der Reichs brücke. Die größte Heldentatwurde aber im Marghof vollbracht. Dieser Riesenbau, von fünf mächtigen, gut 50 Meter hohen Türmen gekrönt, ist mehr als ein Rilometer lang. Dort wurde noch am Donners: tagmittag gekämpft; Artillerie war auf der gegenüber. liegenden Anhöhe" Hohe Warte" aufgefahren und hielt den Bau ununterbrochen im schwersten Feuer. Außer dem waren gut 2000 Mann Ordnungstruppen aufgeboten; sie waren nicht in der Lage, die Kämpfer zum Schweigen zu bringen. Noch heute würde dort gekämpft werden, wenn man die Frauen und Kinder( gegen 2500 an der Zahl) hätte abziehen lassen; die Ordnungsbestie des Herrn Dollfuß hielt die Bedauernswerten inmitten des Artillerie feuers gefangen! Erst als ein Schrei der Empörung durch ganz Wien ging, als auch in bürgerlichen Kreisen dieses beispiellos barbarische Verhalten aufs schärfste verurteilt wurde, als die Auslandspresse diese unerhörte Lumperei anprangerte, konnten die Wohnungen und Keller geräumt werden. Zahllose Opfer sind dort unter den Nichtkämpfern zu beklagen. Wieviele Regimenter Schutzbund haben also diesen Bau gehalten und haben sich nicht ergeben und konnten ungehindert abziehen? At Mann mit drei Maschinengewehren waren die Besatzung auf dem auf dem berühmten Mittelturm! Noch Donnerstagmittag, als an den meisten Kampfpläßen Ruhe eintrat, wurde von dort aus geschossen, am Nachmit tag war die Besagung fpurlos verschwun.
Hut ab vor solchem Heldentum! Diese drei Maschinengewehre reichten aus, den Eisenbahnverkehr auf der Strecke nach der Tschechoslowakei vollkommen zu unterbinden. Der Bau hat sehr schwer unter dem Feuer gelitten, nur die solide Eisenbeton- Bauweise und die mise rable Artillerie haben ihn davor bewahrt, ein Trümmerhaufen zu werden. Das Floridsdorfer Arbeiterheim wurde in Brand geschossen, das Ottakringer Arbeiterheim nach 48stündigem schwersten Feuer im Sturm genommen, nachdem zwei Stunden vorher das Feuer unsererseits eingestellt wurde und den Stürmenden sich niemand entgegenstellte, da die Kämpfer durch die Kanäle da vongingen. So ließen sich in die Hunderte Epifrden erzählen und werden einst mit goldenen Lettern in die ruhmvolle Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie eingetragen werden. Auch die Provinz hielt sich überaus tapfer, voran die steirische Arbeiterschaft des Mürz- und Murtales. In Kapfenberg und Bruck an der Mur tobten
Hat nur die Führung versagt? Nein, auch die Massen der Nichtkämpfer! Das ist die sehr traurige Wahrheit, wenn man über die Durchführung des Generalstreikes reden will. Schon Dienstag funktionierte wieder die Stromversorgung, aber nicht durch technische Nothilfe: die 100prozentig organisierten Arbeiter der Elektrizitätswerke standen wieder auf ihren Pläzen; die Straßenbahn begann Donnerstag zu fahren, aber nicht aus dem Willen der Streikenden heraus, sondern weil es die Regierung aus strategischen Gründen nicht früher wollte. Die Großbetriebe begannen ebenfalls Donnerstag zu arbeiten. Der Generalstreik eigentlich richtiger Teilstreik, denn er erfaßte nur die Großbetriebe war zusammengebrochen und eine alte Lehre wurde aufs neue bestätigt, daß ein Generalstreik nur dann zum Ziele führt, wenn er innerhalb 24 Stunden durchgreift. Die staatlichen und städ tischen Aemter, Bost und Telefon, arbeiteten fast normal, desgleichen die Eisenbahnen, sofern nicht der Schutzbund die Bahnhöfe besetzt und unter Feuer hielt, was bei den meisten Bahnen der Fall war. Geft reikt hat die einst so berühmte Elitetruppe der Eisen bahner nicht sie allein hätte dem Kampfe ein anderes Geficht geben können. Warum hat also die sonst so geschlossene Arbeiterschaft der Streik parole nicht Folge geleistet?
3mei Gründe liegen vor: 1. Man wartete auf die Parole; 2. Furcht vor Verlust des Arbeits; plages. Bei 1. sieht man, mas allzugute Disziplin unter Umständen an schädlichen Wirkungen haben kann; 2. in einem Lande mit fast 600 000 Arbeitslosen, also zirka 30 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung, wo jeder Arbeitsplatz doppelt und dreifach besetzt werden kann, ift die Durchführung eines Streiks nicht mehr Sache der politischen Ueberzeugung, son. dern der kühl abwägenden Bernunft. Wenn Hunger Weib und Kind bedroht, wenn jahrelange Arbeitslosigkeit mit allen ihren Schrecken drohend aufsteigt, dann wird selbst der radikalste Versammlungsschreier, dem die Parteiführung nie radikal genug war, im Ernst falle besonnen wie ein gelernter Staatsmann. Das ist die bittere Erkenntnis, die viele nicht für wahr halten wollten: Streiks zu führen ist in Zeiten normaler Wirt. schaft leicht, jedoch doppelt zu überlegen bei den derzeitigen wirtschaftlichen Verhältnissen auf der ganzen Erde! Die Lehren, die Desterreich daraus gezogen hat, mögen unsere Freunde wohl beachten, denn sie wurden mit dem Blute Tausender bezahlt.