II. Die Schuldirage
Nach 1918
Der Desterreicher ist ein von Haus aus friedliebender und umgänglicher Mensch, der sich nicht gerne in das Getriebe der großen Politik mengt. Er ist zufrieden, wenn er fein materielles Auskommen findet und hält sich im übrigen an den alten Wiener Grundsas„ Leben und leben lassen" und „ Menschen san ma alle, Fehler hab'n ma jeder gnua( ge
nug)." Zum Unterschiede von seinen reichsdeutschen Stammesbrüdern ist er weicher, fast möchte man sagen, lyrischer gestimmt, vor allem der Wiener . Er ist kein Freund rascher Entscheidungen, neigt eher zu Kompromissen um des lieben Friedens willen. Der Anblick eines mißhandelten Tieres fann ihn zur Raserei bringen; und dennoch diese blutigen Tage? Ein innerer Widerspruch tut sich da auf, dem Ausländer, welcher Wien und die Wiener zu fennen glaubt, ganz unverständlich. Diese Tage waren auch gänzlich unösterreichisch und auch deren Grundursachen. Um alles zu verstehen, müßte man schon in die Lage des Novemberumsturzes 1918 zurückgreifen. Der Oesterreicher wird nie diese Zeit mit„ Revolution" bezeichnen und mit Recht; die alten Gewalten der faiserlichen Monarchie brachen nach dem vierjährigen Morden des Krieges wie ein ausgehöhlter Baum von selbst zusammen. Alle bürgerlichen Parteien hatten gründlich beim Volfe abgewirtschaftet, waren sie doch die Hauptschuldigen, vor allem die Christlichsoziale Partei . Die einzige wirklich vorhandene Macht war die Sozialdemokratie mit ihrer straffen Organisation; ihre entschiedene Kriegsgegnerschaft hatte ihr Sympathie in weitesten Kreisen eingebracht. Alle Macht im Staate fiel uns von selbst zu, die gesamte Erefutive gehorchte bedingungslos den neuen Führern. Die Kriegsschuldigen, die Generale, Politiker und Kriegsverdiener verkrochen sich vor dem Zorne des Volkes; die Christlichsoziale Partei , gestützt auf die mächtige katholische Kirche des katholischen Oesterreich, welche die rückständigen Maffen der Gebirgsbauern vollkommen beherrscht, erholte sich am raschesten. Schon die ersten Wahlen des Februar 1919 brachten uns nicht die erhoffte Mehrheit; es war uns eben nicht beschieden, die Riesennot der Kriegszeit mit einem Schlage zu beseitigen. Nach 1920
1920 brachte die notwendige Klärung, wir traten aus der Regierung aus und seither regieren im Bunde ausschließlich Bürgerliche! Der Austritt aus der Regierung war eine befreiende Tat und Rettung der Parteieinheit in letzter Minute; die damals hochgehenden kom munistischen Wogen hatten uns bereits hart bedroht. Jede Wahl brachte uns trotz des zu einer Einheitsliste zusammengeschlossenen Bürgertums neue Erfolge und brachte uns der Mehrheit ziemlich nache( zuletzt 42 Prozent aller abgegebenen Stimmen). Unsere Position wurde durch die Eroberung des Wiener Rathauses mit stets größer werdender Mehrheit ziemlich nahe( zuletzt 42 Prozent aller abgegegebessert; eine musterhafte Finanzverwaltung, die rigorose Erfassung des Besitzes und die Verwendung der Steuergelder zu wahrhaft volkstümlicher Aufbauarbeit, man dente nur an die 60 000 erbauten, prächtigen Volkswohnungen, wurde weltbekannt und war den Bürgerlichen ein Dorn im Auge.
Die Ausraubung Wiens
Seit Jahren bemühten sich die Zentralstellen, dem roten Wiener Rathause die Einnahmen zu beschneiden und damit die Aufbauarbeit unmöglich zu machen. Solange es noch ein Parlament gab, waren alle diese Bemühungen fast erfolglos; mit Riesenschritten ging es ab März 1933 abwärts Vor Ausbruch der proletarischen Erhebung hatte die Gemeinde Wien mehr als ein Drittel der Einnahmen an die Staatskassen zur Stopfung des riesigen Bundesdefizits begeben müssen; dies alles geschah nicht auf Grund eines Gesetzes sondern einer Verordnung aus der Kriegszeit zur Versorgung der Bevölkeung mit wichtigen Bedarfsartikeln". Richtiger gesagt: die Gemeinde wurde einfach ausgeraubt. Bundesfommissär nichts anfangen.
griffe auf das von den Arbeitern über alles geliebte rote Wien brachte die politischen Leidenschaften bedenklich zum Sieden und war eine der Ursachen des Aufstandes. Doch darüber ein andermal.
Der Ruf nach Gewalt
Als im März 1933 das Parlament durch einen Gewaltstreich der Regierung am Zusammentritt verhindert und so der Auftakt zu den Fieberereignissen des Jahres 1934 gegeben wurde, scholl immer stürmischer der Ruf aus der Arbeiterschaft, die Entscheidung durch die Gewalt der Waffen
zu suchen; heute wird behauptet, daß damals die Erhebung
siegreich gewesen wäre. Vieles spricht dafür, vieles dagegen.
Was da súr spricht, ist der Umstand, daß die Staatserefutive zu diesem Zeitpunkt bei weitem nicht die heutige Stärke erlangt hatte. Damals gab es nur Polizei, Gendarmerie und Militär als gefeßliche, jene der Heimwehr als ungefeßliche Formationen. Die Gesamtstärke in ganz Desterreich dürfte airfa 30-35 000 Mann betragen haben, denen allein in Wien 20 000 gut ausgebildete Mitglieder des Republikanischen Schutzbundes, davon die meisten gediente Soldaten des Krieges, gegenüberstanden. Die Gesamtstärke des Schutzbundes hat man begreiflicherweise nie erfahren; es dürften in gana Oesterreich 60 000 bis 70.000 Mann gewesen sein. Rein siffernmäßig betrachtet, waren wir also zweifellos unter der Vorauslegung überlegen, daß der Aufstand in ganz Desterreich zu gleicher Zeit losbricht. In der Bewaffnung war uns die Exekutive schon durch das Vorhandensein von Artillerie überlegen, die auch die wirkliche Entscheidung in diesen Kämpfen gebracht hatte. Es fehlte aber auch an der notwendigen Bewaffnung; Gewehre und Maschinengewehre waren nur unzulänglich vorhanden; auch an Munition fehlte es. Es war also zweifellos richtig, daß die militärischen Führer des Schutz bundes, durchweg ehemalige Offiziere, den Zeitpunkt als noch nicht gegeben erachteten und fieberhaft aufrüsteten; es war allen klar, daß nur ein Wunder oder die Rückkehr zu verfassungsmäßigen Zuständen die Austragung des Verfassungstonfliftes ohne Waffengewalt unnötig machen.
wirbe.
Aber auch schwere politische Bedenken Sprachen zu diesem Zeitpunkte gegen das Losschlagen. Die Nazis, durch die Machtergreifung Hitlers in Deutschland gewaltig in ihrem Selbstgefühl gesteigert, wuchsen täglich und hatten vor allem aus den Mittelschichten folossalen Zulauf. Hätten wir uns
in einen bewaffneten Konflikt eingelassen, dann hätten die Nazis jederzeit als die lachenden Dritten den Kampf für sich entscheiden fönnen. Wer immer gesiegt hätte, die Nazis hätten ihm um die Früchte des Sieges gebracht. Hätten wir gesiegt, dann hätte Hitler erst recht einen Vorwand zum Einmarsche gehabt; sein Freund Mussolini hätte nicht gezögert, sich diesem Beispiele anzuschließen; die Tschecho slowakei , Ungarn und Jugoslawien hätten versucht, sich ihren Beuteteil zu sichern. Unabsehbar wären die Folgen dieses Kampjes gewesen, ein neuer Weltbrand hätte daraus entstehen können. Unseren Lesern wird vielleicht damit klar, welche ungeheure Verantwortung die Parteiführer auf sich lasten hatten und welchem Drucke sie ausgesetzt waren. Auf der einen Seite das unzufriedene, hocherregte Proletariat, auf der anderen Seite die immer mehr ins faschistische Fahrwasser geratende Regierung und im Rücken die braune Gefahr! Die vielgeschmähten Boltsverheber haben damals dem Vaterlande wahrlich einen wertvolleren Dienst erwiesen als alle die großmänligen faschistischen Heimatschüßer. Der Kurs gegen Rot
Diese staatsmännische Klugheit wurde uns schlecht gelohnt. Der Kurs gegen Not wurde trotz der immer drohender werdenden brannen Gefahr immer schärfer; die Regierung, wohl wissend, daß wir uns niemals mit den Nazis gegen sie verbünden können, nüßte unsere Zurückhaltung in ihrem Kampfe gegen die Braunen in der unverschämtesten und undankbarsten Art aus. Ja, eine Zeitland hatte es den Anschein, als ob es zu einer Koalitionsregierung mit den Braunen kommen würde; nur die allzuhohen Ansprüche der Nazis machten das Geschäft unmöglich, Dollfuß und seine Kumpane hatten inzwischen den Wert gutgepolsterter Ministersessel schäzen gelernt. Als nun die Nazis zu offener Gewalt griffen, als es Sprengstoffattentate gab, wurde die Nazipartei verboten. Da sie aber zahlreiche Freunde in der hohen Bürokratie, in allen Aemtern und vor allem in der Exekutive hat, wurde jede ernstliche Maßnahme prompt verraten. Zu Weihnachten und am Beginn des neuen Jahres, als große Teile des Heimatschutes in das Lager der Nazis abgewandert waren, schien Dollfuß einen Moment zu Besinnung zu kommen, daß er ohne uns im Kampje gegen die Nazis verloren wäre; er hielt eine vernünftige Rede. Am nächsten Tage hatte er sich eines Bejseren besonnen und die Angriffe gegen uns wurden aufs neue verschärft. 48 Wettrüsten
Der Schutzbund war schon im Frühjahr aufgelöst worden; daß er damit nicht beseitigt wurde, wußte die Regierung sehr daß er damit nicht beseitigt wurde, wußte die Regierung sehr genau, ebenso war sie von den Rüstungen des Schußbundes unterrichtet; nur über das Ausmaß war sie sich im unflaren. Sie traf nun ihrerseits fieberhaft Gegenmaßnahmen. Die Heeresstärke wurde vermehrt, es wurde ein Assistenzkorps durch freiwillige Werbung aufgestellt, Arbeitslose wurden zum Eintritt in die Heimwehr mit ganzer Verpflegung und einem Tagesfolde aufgefordert und leisteten dem Rufe auch zahlreich Folge; viele gute Parteigenossen waren in dieser Formation, so daß wir über alle Vorgänge genau unter: richtet waren und anderseits der Kampfeswert dieser Truppe bedenklich herabgesetzt wurde. Herrn Mussolinis Geld war also schlecht angewendet. Die Turnvereine und die sonstigen reaktionären Formationen, wie Fronttämpfer, die christlichsozialen Sturmscharen, der Freiheitsbund und zum Schlusse auch die Krieger vereine wurden für das Freiwillige Schußkorps aufgeboten. Die Kosten zahlte freigebig die Regierung; große Teile der mühselig zusammengebrachten Trefferanleihe wurden so zum Fenster hinausgeworfen und damit die Möglichkeit wirklicher Arbeitsbeschaffung verschüttet. Mittler: weile stellte die Heimwehr in den ersten Februartagen in allen Bundesländern ultimative Forderungen rein faschistischer Art; Ausschaltung aller Landtage und Bestellung eines Landesführers, Auflösung aller Parteien, vor allem der sozialdemokratischen, Reinigung der Aemter von allen Staatsfeinden, also Freimachung der Futterkrippe. Auf Tod und Leben
Die Entscheidung darüber behielt sich Dollfuß für den 15. Februar vor. Wir wußten nunmehr: jetzt geht es auf Tod und Leben, die Spannung wuchs ins Unerträgliche! Am 11. Februar hielt der böse Geist der Regierung, Bizetanzler Fen, eine aufreizende Rede, die darin gipfelte:„ Morgen machen wir Ordnung!". Seine Mannen verstanden ihn sehr richtig, so ging eine Abteilung Heimwehr bewaffnet gegen das Linzer Parteihaus vor, wo sie mit schwerstem Feuer empfangen wurden. Das Unheil hatte damit begonnen, die weiteren Ereignisse sind befannt und müssen nicht mehr wiederholt werden.
Ursachen der Niederlage
Eine der Ursachen der Niederlage war der Umstand, daß die Bewegung nicht von Wien aus ihren Anfang genommen hatte; die Vorfälle in Linz famen überraschend und mußten nunmehr auch die Aktion in Wien auslösen. Zahlreiche Führer wurden schon in der Vorwoche verhaftet, bis auf General Körner, der als Bundesrat, und Nationalrat Deutsch , der als Abgeordneter immun war. Am Beginn des Abwehrkampfes wurde auch General Körner in einer Sigung des Parteivorstandes verhaftet! Dies ist bei einem so erfahrenen Militär wie Körner es ist( er war Generalstabschef der Isonzo - Armeen im Weltkriege), das Unfaßbarste! Im übrigen hatte man die politischen Führer nicht lange suchen müssen; die Prominentesten, mit Bürgermeister Seiz an der Spitze, wurden alle in dieser historischen Sizung auf einen Haufen verhaftet.
Die Kämpfe spielten sich an der Peripherie ab. Das war ein Fehler. Bei größeren Massen kann die Artillerie verheerend und demoralisierend wirken. Der Straßenfampf in Sunderten von Gruppen wäre vielleicht richtiger gewesen. Aber es fam überhaupt nicht zur Durchführung einer ein heitlichen Aktion. Erst am Dienstagabend funktionierte der Nachrichtendienst, als schon in allen Bezirken ungemein ver: luftreiche Einzelaktionen der entschloffenen Unterführer ein: gesetzt hatten. Zehn Bezirke mit etwa 10 000 Mann haben nicht einen Schuß abgegeben, man wartete auf Be feble! Diese Kräfte hätten die Entscheidung schon aus dem Grunde bringen können, weil dadurch die Regierungstruppen an vielen Stellen gebunden gewesen wären. So fonnte die Regierung ein Aufstandsgebiet nach dem anderen mit großer Kräftezahl niederfämpfen.
Die Provinz, vor allem Stetermark und Oberösterreich , allen voran Linz , die rote Stadt Steyr , Kapfenberg , Brud a. Mur und die Umgebung von Graz, fämpften wie d'
Löwen. Auf sich allein gestellt, mußten sie aus dem gleichen Grunde wie die Wiener Arbeiter besiegt werden. Das größte Bundesland, Niederösterreich , das rund 12 000 Schuts bündler stellen sollte, tam, von unbedeutenden Einzelaktionen abgesehen, überhaupt nicht ins Gefecht. Der Landesführer, Abgeordneter Püchler, wurde einige Tage vorher wegen einer kleinen Rauferei verhaftet. Wien wartete umsonst auf Entsatz.
Wir
Das Problem der Führung ist nicht bloß eines der Offiziere, sondern noch mehr der Unteroffiziere. Die Unterführer waren durchwegs kriegsgediente Leute; jedoch die wenigsten hatten wirkliche Führerqualitäten. Es fehlte an Selbständigkeit, Entschlußkraft und Initiative; man wartete immer auf die Befehle, die niemals kommen sollten. Dabei war fein Mangel an Waffen aller Art; Freund und Feind waren von der glänzenden Ausrüstung mit Maschinengewehren und Handfeuerwaffen sowie Handgranaten überrascht. waren da der Exekutive weit überlegen. Im rein Technischen hätte es geklappt und auch bei den taktischen Uebungen... Versagt hat auch der Verpflegungsdienst; die Kämpfer waren oft 72 Stunden ohne einen Bissen Eßwaren, ohne einen warmen Schlud. Dabei herrschte bittere Kälte, Ablösung der abgekämpften Truppen gab es nicht, weil feine Verbindung herzustellen war; daher gab es auch keine Minute Schlaf. Die Gefangenen fielen bei der Einlieferung auf der Stelle in tiefen Schlaf. So mußte aus vielen Unterlassungssünden, aus echt österreichischer Oberflächlichkeit, Schlamperei und Sorglosigkeit heraus eine so heroisch fämpfende Arbeiterarmee geschlagen werden. Der Abend des 15. Februar war der bitterste im Leben Zehntausender von Parteigenossen. A
Noch am Montagmittag, als der Generalstreif einseite, schien es, als ob das Aeußerste vermieden werden könnte. Bürgerliche Politiker erschienen beim Bundespräsidenten Miklas und beschworen ihn um seine Vermittlung; er lehnte rundweg ab! Herr Miklas, Ritter des Christusordens , frommer Katholik, der täglich in der Kirche Gott um Beistand anfleht: ein Wort hätte genügt, um die Waffen zu senfen, um Herrn Dollfuß zur Besinnung zu rufen. Dieses Wort wurde nicht gesprochen; Herr Miklas, Sie Hauptschuldiger an all den Wirren dieses Landes, Sie, der Sie unverschämt entgegen Ihrem Eide die Verfassung gebrochen haben, Hundertemale gebrochen haben, Sie, der indirekt das Leben Tausender Söhne dieses Landes auf dem Gewissen hat: um Ihre Sterbestunde beneide ich sie nicht! Auch Ihr Gott kann Ihnen dieses Verbrechen nicht verzeihen!
Die Rache der ,, Sieger"
Die Regierung, auf einen raschen Sieg hoffend und die um ihre Freiheit fämpfenden Arbeiter als„ Verbrecher" beschimpfend, die zu besiegen eine Mujiffapelle und ein naffer Fezen genüge, mußte es bald billiger geben. Am Mittwochabend erschienen die Gesandten der Großmächte bei Dollfuß und verlangten kategorisch, daß mit dem Morden und mit den Standgerichtsurteilen Schluß gemacht wird; Dollfuß versprach den Kämpfern nicht aber den Führern- Pardon; damit wurde weiteres und nunmehr nach der taktischen Lage auch unnüßes Blutvergießen vermieden. Aber die Ausbeute an gefangenen Kämpfern war sehr mager; die meisten verzichteten auf die„ Gnade" und nahmen die Waffen in die Verstecke wieder mit. Welche schlotternde Angst die Regierung v.r der Arbeiterschaft noch immer hat, beweisen die Waffenprämien: für ein Maschinengewehr werden S. 50,- für eine Handfeuerwaffe. 20,- bezahlt und Straflosigkeit zugesichert. Fieberhaft wird nach den versteckten Depots gesucht, Tag und Nacht werden Hausdurchsuchungen vorgenommen, der Erfolg ist sehr kläglich. Um der Welt ihre Stärke" zu beweisen, wurde alles, was irgendwie eine höhere Funktion in der Arbeiterbewegung oder in den Gewerkschaften bekleidet, verhaftet. So alle öffentliche Mandatare, die allermeisten Gewerkschaftsführer, Rechtsanwälte, Aerzte, ja jogar die Angestellten der Partei. Gegen 100 Arbeiterorganisationen, darunter sämtliche Gewerkschaften, alle Kulturvereine welcher Art immer, sogar der Arbeiter- Tierschutzverein, wurden aufgelöst. Das Vermögen soll eingezogen werden, bis auf ienes der Gewerkschaften. Diese sind meist auf versicherungstechnischer Grundlage aufgebaut; ein Raub dieser Gelder würde bie taum gebändigte Arbeiterschaft anfs nene aufbringen. Da wird von Staats wegen vorgesorgt, in welcher Art, ist noch nicht feststehend. Ebenso wurden die Kollektivverträge durch Notverordnungen verlängert. Die bedeutenden Vermögenswerte der Partei und Gewerkschaften sind aber schon vor Monaten in den Besitz ausländischer Arbeiterorganisatio= nen übergegangen; der beutehungrige Faschismus wird viele jette Brocken davonschwimmen sehen... Die berühmten Wiener Arbeiterbüchereien wurden sämtlich ausgeräumt und sichergestellt", wahrscheinlich will man sorgfältig ſichten, ehe man den Arbeiter wieder lesen läßt. Arbeiterblätter gibt es nicht mehr, die Zeitungen unter dem Regierungsdrucke brin gen nur die der Regierung genehme Nachrichten. Nach den Beschimpfungen des ersten Tages bekamen aber die bürgerlichen Blätter doch ein wenig Achtung vor den heldenhaften Gesinnungstreue der Wiener Arbeiterschaft und die Beschimpfungen beschränken sich je nach Konfession auf die„ Bon= zen" oder„ jüdischen Führer", welche die Masse im Stich ge= laffen hätten. Im gleichen Atem berichtet man, daß mehr als tausend Führer, darunter der gesamte Parteivorstand verhaftet ist. Auf den Kommandanten des Schutzbundes, Nat. Rat Deutsch, richtete sich die Wut und Verleumdung ganz besonders; er wäre feige ins Ausland geflohen und hätte die Truppe im Stich gelaffen. Bis offizielle tschechische Be hörden mitteilten, daß Deutsch schwer verwundet am Donnerstagabend also nach Schluß der Kämpfe in Preß burg angekommen sei. Die Volksstimmung
Die Bevölkerung stand in ihrer erdrückenden Mehrheit auf seiten der Arbeiterschaft; auch streng bürgerliche Menschen, welche ansonsten für uns nichts übrig haben, bewunderten die Gesinnungstreue und den Idealismus der Kämpfenden. Für die Heimwehr hat man sehr wenig übrig; es befinden sich sehr zweifelhafte Elemente krimineller Art in ihr. So wurde in den erstürmten Gemeindebanten ge= haust wie im Feindesland, Kleider und Wäsche zerschnitten, Geschirr zertrümmert, alles furz und klein geschlagen, wo man auch nur ein Seig- Bild vorfand, fa felbft Kinderspielzeng wurde finnlos vernichtet. Und dabei haben die Ordnungsstützen gestohlen wie die Raben. Ich habe Wohnungen
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