Straßburger Wochenbericht

urboS fra Bburg, den 23. Februar 1934. Man flüstert über den Rhein .

glorreichen Adolf erholt hatte, kehrte zurück. Aber, o Graus, als der Grenzkontrollbeamte. das Abteil betrat, fiel ihm ein, daß er ja einige französisch e Zeitungen gekauft und sie noch nicht beseitigt hatte. Schon sah er sich im Geist in einer der bekannten Erziehungsanstalten für unverbesserliche Staatsfeinde und unter lautem Herzklopfen überreichte er dem Beamten eine hier in Straßburg erscheinende Zeitung, von der unser Freund allerdings nicht wußte, daß sie ihr Gift gegen das ,, korrupte demokratische System in Frank­ reich " verspritzt, während sie mit beiden Augen zu dem wunderbaren Idealbild hitlerschen Staatsumbaus hinüber­schielt. Tausend Entschuldigungen wollte unser armer Sün­der vorbringen, als ihm der Grenzbeamte lächelnd bedeutete

An unsere 192/10

Kehi dem Beamten eine hier in Straßburg erscheinende Zeitung, Bezieher und Leser!

,, Frecher denn je erhebt der Bolschewismus sein Haupt". Dafür gibts ein treffliches Beispiel. Wie man uns aus Kehi berichtet, geriet dort vor einigen Tagen der gesamte Nazi­klüngel gehörig in Aufregung. Stundenlang durchforschten Nazikolonnen die Straßen und hielten nach Plakaten Ausschau, mit denen amtlicherseits für den Gedanken der Aufzucht einer gesunden Generation geworben wurde. Die fraglichen Plakate wurden entfernt und vernichtet. Was war geschehen? Die schönen Plakate, obwohl von der Nazileitung selbst ausgehängt, standen im Dienst des Bol­schewismus"! Wer hätte das gedacht! Konnte man doch bei oberflächlichen Hinschauen lediglich eine Gruppe spielender Kinder sehen, denen eine kraftstrotende, vollblütige Ger­manin( keine Schwester Göbbels ), einen Korb tragend, vor­auseilte. Doch, wer sich Zeit nahm, genauer zu beobachten, der machte die überraschende Feststellung, daß die Frauen figur am oberen Schürzenrand in weit auseinander gezogenen Buchstaben die Aufforderung propagierte: T o dder HJ.", d. h. Hitlerjugend. Der Korb aber, den die vom Bolschewis­mus verführte blonde Germanin trug, war, wenn man von unten nach oben sah, nichts anderes als ein gut gezeich. neter Hitler- Kopf, allerdings blutbesudelt und stark verbunden. Es dauerte lang bis die hellsichtige Nazileitung den Streich entdeckte, den ihr da ein verbissener Kulturbolschewist gespielt hat. Der Künstler, der sich seiner Verhaftung durch die Flucht ins Ausland entzog, bekam den Auftrag zur Fertigung des Plakates damals nur, weil er als ein absolut zuverlässiger SA.- Mann" galt. Nun stellt sich heraus, daß er vor seiner Nazizeit waschechter Moskowiter war und wie so viele zuverlässige" nationale Kämpfer mit dem 5. März zwar das Hemd, aber nicht die Gesinnung gewechselt hat. Was man ihm jetzt erst recht da drüben nicht verübeln darf, denn ein gutes deutsches Sprichwort heißt nämlich: Du sollst deine Gesinnung nicht wie dein Hemd wechseln!" Der Nazileitung ist zu empfehlen, einen neuen Kommissar mit der Aufgabe zu betrauen, die Nazipropa­ganda in Wort und Bild auf versteckte staatsfeindliche Ver­zierungen hin zu überwachen.

Kommt die Einheitsfront?

Die Wiener Ereignisse, da und dort zu beobachtende faschistische Regungen in Frankreich , der außerordentlich diszipliniert durchgeführte Generalstreik des französischen Proletariats liefern den Stoff für lebendige Einheits­frontdiskussionen in der Arbeiterschaft, die be­griffen hat, daß dem Proletariat nur ein Feind wirklich ge­fährlich werden kann: die Uneinigkeit in den eignen Reihen. Sowohl in den verschiedenen Zeitungen, wie auch in privaten Diskussionen spielt daher begreiflicherweise die Frage der Bildung einer Einheitsfront aller Schaffenden eine große Rolle. Durch die besondere lokale Artung der poli­tischen Gruppen kompliziert sich die Lösung dieser lebens­wichtigen Aufgabe in Straßburg außerordentlich. Der neu­trale Beobachter, dem es lediglich auf die Feststellung von Tatsachen, nich aber auf die anmaßende Erteilung guter Ratschläge ank mmen darf, sieht hier allerdings zwischen den einzelnen Richtungen Mauern aufragen, die einzureißen es 8 gigantischer Kräfte und des Willens bedarf, die in viele Gruppen gespaltene Arbeiterbewegung insgesamt erst wieder einmal ihrer eigentlichen sozialistischen Bestimmung entgegenzuführen. Wenn auch die Aus­sichten, daß dieses Ziel in absehbarer Zeit erreicht wird, leider nur gering sind, so bleibt doch erfreulich, daß auf allen Seiten schon ein paar mutige Worte gesprochen wur­den, die folgen ihnen auch Taten Bresche in die Boll­werke schlagen könnten, die zwischen den Parteien verschie­denster proletarischer Tendenz noch aufragen. Wie gesagt, könnten...!

Nicht alles verboten

An der Kehler Brücke ereignete sich vor einigen Tagen folgendes erheiterndes Vorkommnis: Ein Deutscher, der wie­der einmal einige Stunden den mannigfachen Freuden des dritten Reiches" entflohen war und sich in Straßburg von den Anstrengungen des deutschen Wiederaufbaus unter dem

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nachdem er einen kurzen Blick auf die fragliche Zeitung geworfen hatte, daß dieses Papier in Deutschland nicht verboten sei. An sich eine erfreuliche Feststellung: es gibt noch französische Zeitungen, die in Deutschland nicht verboten sind. Allerdings die République", die Freie Presse", die Neueste Nachrichten" usw. gehören nicht da­zu. Worüber man nicht klagen, sondern erfreut sein sollte!

Könige in Straßburg

Auf der Durchreise nach Belgien zu den Beisetzungsfeier­lichkeiten trafen am Sonntag der neue König der Belgier , Leopold III. , mit seiner Frau und am Donnerstag der bul­garische König Boris am Bahnhof ein. Beide wurden vom Präfekten Herrn Roland- Marcel begrüßt.

Eine Ohrfeige mit tragischen Folgen

In einem Großbetrieb der Elektrobranche ohrfeigte im Verlauf eines Streites ein Monteur einen Ingenieur. Der Monteur wurde entlassen. Da er unter diesem Schlag seelisch zusammenbrach, verübte er Selbstmord.

Ein kühner Springer

Kurz vor Mitternacht ereignete sich auf der Rabenbrücke ein ungewöhnliches Intermezzo. Ein junger Straßburger , der den Sommer zur Betätigung seiner Springer- und Schwimmer­leidenschaften nicht mehr abwarten konnte, stürzte sich von der Brücke in die wahrhaft kühlen Fluten der Ill. Er schwamm etwa hundert Meter stromabwärts, stieg ans Land und wiederholte sein Kunststück noch einmal. Das kalte Bad schien ihm trotz der ungewöhnlichen Stunde, zu der er es nahm, gut bekommen zu sein: Fröhlich begab er sich im Kreis seiner Freunde nach Hause. Hoffentlich holte sich der Mann keinen Schnupfen.

Schutzimpfung in der Scharlachgasse

Eltern, die ihre Kinder gegen Diphtherie impfen lassen wollen, können sich beim städtischen Gesundheitsamt in der Scharlachgasse in dort aufliegende Listen eintragen lassen. Ausgerechnet in der Scharlachgasse!

Entmenschte Eltern

In die Fadengasse eingeliefert wurden die in wilder Ehe lebenden Jules Loeb und Maria Reinhardt. Loeb soll ein Kind, das seine Geliebte zur Welt brachte, erwürgt und verscharrt haben. Vorerst leugnet das Paar hartnäckig. ,, Die Kirche und der Krieg"

Im Aubettesaal spricht am Dienstag im Auftrag der Frei­denker Herr Lorulot Paris über das Thema: L'Eglise et la guerre. Der Vortrag wird auch in die deutsche Sprache übersetzt.

Freigesprochen

A

Der der fahrlässigen Tötung eines tunesischen Soldaten angeklagte Jean Bertharion, dem man vorwarf in der Nacht zum 5. November durch mehrere Schüsse den hier in Garnison liegenden Abdel Salem getötet zu haben, wurde jetzt von der Strafkammer mangels hinreichender Beweise freigesprochen.

1000 Franken zu verdienen

In der Aubette wurde am Sonntag ein Astrachan - Pelz­mantel gestohlen. Wer den Täter feststellen kann, erhält eine Belohnung von 1000 Franken. Mitgliederstand der Krankenkasse

Bestand: 71 366 Mitglieder, ausgezahlt wurde Krankengeld an 2653 Mitglieder in Höhe von 272 916.70 Franken, insge­samt an Krankengeld und Unterstützungen anderer Art 302 849,80 Fr.

Kunstkalender.

Im überfüllten Sängerhaus- Saal erstritten sich die be­kannten Wiener Sängerknaben mit a- capella- Chören und dem Mozartschen Einakter ,, Bastien und Bastienne" einen großen Erfolg. Das Publikum war begeistert und überschüttete die jungen Künstler mit Beifallsstürmen, als sie noch populäre Wiener Lieder zum Abschluß sangen. Wiener Lieder in Wien donnerten die Kanonen!

Weniger Glück hatte Madame Jack Hylton , die im gleichen Saal, allerdings vor leeren Stühlen ein Jazz­Konzert gab, das keinen Vergleich aushielt mit den Lei­stungen der Kapelle ihres Mannes, der einige Wochen zuvor hier gastierte. Warum überhaupt Madame Jack Hylton "? Mit einem Klavierabend eroberte sich der junge Alexandre Brailowsky im überfüllten Sängerhaus die Herzen der kunstbegeisterten Straßburger . Im Stadttheater vermochte sich die deutsche Truppe mit dem allerdings auch inhaltlich mageren Kindermärchen ,, Das tapfere Schneiderlein" von Robert Bürckner nicht recht durchzusetzen. Vielleicht wäre es besser gewesen, das Stück in der Weihnachtszeit herauszu­bringen. E. D.

Deutsche Freiheits- Bibliothek" Eine Gründung in Paris

In Paris hat sich vor einiger Zeit unter der Führung von Homain Rolland, Professor Levy- Bruhl , H. G. Wells , Lion Feuchtwanger und anderen Wissenschaftlern, Schriftstellern, Künstlern und Intellektuellen ein Initiativ- Komitee zur Schaffung einer Deutschen Freiheits- Bibliothef" gebildet. Diese Bibliothek soll alle im dritten Reich" verbrannten, verbotenen, zenjurierten, totgeschwiegenen Werke enthalten, von G. E. Lessing bis Heinrich Mann , von Heine bis Wasser­mann, von Marr bis Stalin , von Voltaire bis Andre Gide . Neben diesem Stamm an wissenschaftlicher, politischer und Schöngeistiger Literatur wird die Deutsche Freiheits- Biblio­thek zahlreiche Bibliotheken deutscher Emigranten enthalten, die auf einen ersten Appell hin bis heute schon mehr als 20 000 Bände zur Verfügung gestellt haben. Endlich werden in dieser Bibliothef alle jene Werke zur allgemeinen Benuzung bereitgestellt sein, die zum Studium des internationalen Faschismus, insbesondere des Hitler- Faschismus unentbehr­fich find: von S. St. Chamberlain bis Roienbera, von Dühring bis Hitler . Ihre praktische Ergänzung nd die Bibliothek im Internationalen Antifaschistischen Archiv

Wir erhalten in letzter Zeit Beschwerden das rüber, daß die Deutsche Freiheit" entweder verspätet oder auch gar nicht ankommt. Wir bitten alle Beschwerdeführer, sich an ihrem Ort mit der Post oder der Bahn in Verbindung zu setzen, da von Saarbrücken aus die Zeitung nach wie vor pünktlich jeden Tag abgeht. An der Post oder Bahn des Aufs gabe Ortes liegt die Verzögerung nicht, davon konnten wir uns überzeugen.

Verlag der ,, Deutschen Freiheit"

finden, das bis heute schon mehr als 200 000 Zeitungsaus­schnitte in zirka 700 Abteilungen und Tausende von Flug­schriften, Broschüren, Pamphleten gesammelt hat, die ins­gefamt eine komplette und handliche Materialsammlung über alle Ereignisse des Jahres 1933 in Deutschland darstellen. Dem Initiativ Komitee haben sich außer den bereits ge­nannten Initiatoren: Romain Rolland , Professor Levy­ Bruhl , H. G. Wells , Lion Feuchtwanger zahlreiche euro­ päische Schriftsteller und Wissenschaftler angeschlossen, unter ihnen Professor Hadamard, Professor Wallon, Edmond Flez, Monsieur Gallimard, Frans Masereel , Maitre Campinchi, Bertrand Russell , Professor Haldane, Mr. Wickham Steed, Professor Lasky, Lady Orford, Heinrich Mann , Josef Roth , Ernst Toller , Professor Georg Bernhard , Theodor Plivier , Anna Seghers , Rudolf Olden usw. Das Initiativ- Komitee hat durch eine umfangreiche Werbekampagne bis zum 10. Mai die Mittel aufzubringen, die zur Errichtung und Aufrecht­erhaltung der Deutschen Freiheits- Bibliothek notwendig sind. Am Jahrestage des Autodafe in Deutschland , am 10. Mai, wird die Bibliothek eingeweiht werden. Es war ein symbo­lischer Akt der Barbarei, der zeigen sollte, daß unter dem Regime des Nationalsozialismus die Werfe der Aufklärung, der Soziologie, des menschlichen Fortschritte überhaupt feinen Raum mehr haben. Es ist ein symbolischer Aft, daß das Initiativ- Komitee gerade diefen Tag gewählt hat, um zu demonstrieren, daß alle diese Werke der Kultur nicht ver­loren sind, daß gerade ihre äußere Vernichtung und Unter­drückung sie zum innersten und unverlierbaren Besitz aller Kämpfer für Freiheit und Fortschritt und eine bessere Ord­nung gemacht hat.

Das Initiativ- Komitee bittet die Oeffentlichkeit um Mit­wirkung in jeder Weise. Alle Anfragen, Büchersendungen sind zu richten an die provisorische Adresse: Placard Nr. 18, 22 rue St. Augustin, Paris 2.

Kreuzer im Nebel

Hilflos vor Dover

London , 24. Februar. Der englische Kreuzer, Curacao ", mit dem der Admiral Sir Roger Reyes und Feldmarschall Lord Allenby nach ihrer Teilnahme an der Beisetzung König Alberts in Brüssel von Zeebrügge nach Dover zurückkehrten, geriet am Freitagabend in einen schweren Nebel und konnte den Hafeneingang von Dover nicht finden. Das Kriegsschiff sandte Signale aus und warf schließlich eineinhalb Meilen von Dover entfert Anter Der Admiral und der Feldmar­schall sowie die ebenfalls mit dem Kreuzer zurückkehrenden Marine und Fliegerabteilungen, die der Beisehungsfeier beigewohnt hatten, mußten auf Zubringerbooten an Land gebracht werden und trafen mit sechsstündiger Verspätung in London ein.

Ein Zusammenstoß zwischen zwei griechischen Schiffen ereig­nete sich in der Nacht zum Samtstag bei dichtem Nebel auf der Themse . Beide Schiffe wurden beschädigt und mußten ihre Fahrt unterbrechen.

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