Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschen Freiheit" Ereignisse und Geschichten

9

Mittwoch, den 28. Februar 1934

Erlebnis zwischen Bildern

Als die österreichische Tragödie ansetzte, hockte ich, durch Zufall verschlagen, in einer fremden Stadt. Der Freund, den ich hatte antreffen wollen, war durch widrige Umstände anderswo festgehalten worden; ich mußte warten, zwei Tage oder drei. Es ist niemals angenehm, sinnlos unter Fremden seine Zeit verstreichen zu lassen, aber diesmal wurde es zur Marter.

Ich habe einmal achtundvierzig Stunden hindurch am Sterbebette des mir liebsten Menschen gesessen. Ich sah ihn während einer unendlichen Zeitdauer unter Schmerzen dahin­schwinden. Nichts aber war für mich so qualvoll wie das Gefühl der völligen Ohnmacht, mit der ich dem Leiden dieses Menschen gegenüberstand, dem alle meine Liebe nicht eine Sekunde seines Todeskampfes ersparen konnte.

Das gleiche Gefühl überfiel mich jetzt, als ich die Depeschen aus Oesterreich   las. Dies entsetzliche Nichthelfenkönnen, wenn Freunde mit dem Tode ringen. Dieses marternde Sehen- Müssen und nichts, gar nichts Tun- Können! Dazu noch in der ganzen Stadt ein Mensch, dem ich mein Gefühl hätte offenbaren, in den ich mein bedrängtes Herz hätte aus­gießen können.

ich irrte lange Zeit durch die Straßen. Dann trieb mich ein Entschluß an eine Stätte, wie sie mir schon manchmal Sammlung und innere Ruhe verschafft hatte: In der Stadt befand sich eine sehr schöne Gallerie alter Meister.

Ueber die Frage, ob ein moderner Mensch die Werke der Quattrocentisten und Quinquecentisten mit wirklicher An­dacht genießen kann, habe ich in meiner Jugend oft und leidenschaftlich diskutiert. Ich erinnere mich, daß ich als Leiter eines Arbeiterkurses auf Widerstand bei meinen Hörern stieß, als ich einen gemeinschaftlichen Besuch der örtlichen, sehr bedeutenden Gemäldegalerie anregte: gerade die Aufgewecktesten unter den Kursusteilnehmern erklärten, daß ihnen die ewigen Heiligenbilder und biblischen Stoffe, die man allein in den alten Gallerien zu sehen bekäme, den Genuß verekelten.

Damals setzte ich in sehr durchdachten Ausführungen aus­einander, daß das Wesen der Malerei in der Darstel­lung, nicht im dargestellten Gegenstand beruhe. Ich wies überdies darauf hin, wie die Frömmigkeit der alten Meister oft nur eine Konvention, ein kaum verhüllter Vorwand ge­wesen sei: wenn ein Breughel z. B. die Schätzung zu Beth­ lehem   darstelle, so male er mit urwüchsigem Realismus das lustige Bild eines Jahrmarktes seiner Zeit, der reinstes Holland   von 1500 sei, auch wenn zehnmal ,, Bethlehem  " dar­unter stehe. Adam und Eva, der heilige Sebastian, und manch anderer männlicher und weiblicher Märtyrer seien nur um deswillen so häufig zum Gegenstand von Bildern gemacht worden, weil die kirchliche Prüderie hier dem Maler die Darstellung des nackten menschlichen Körpers zugestehen mußte. Im übrigen aber, so betonte ich immer wieder, sei der Art der Malerei das Entscheidende. Eine Grablegung Boti­cellis und eine Grablegung Rembrandts   seien zwei Vorgänge in zwei verschiedenen Welten, auch wenn sie sich zehnmal auf das gleiche Ereignis bezögen.

Julius Meier- Gräfe   hätte damals seine Freude an mir ge­habt, ob ich meine Schüler überzeugen konnte weiß ich nicht. Ich weiß nur eins: daß ich jetzt gegen alle meine Theorien fassungslos inmitten einer Gemäldegalerie stand, gepackt und aufgewühlt durch die Gegenstände, die ich dargestellt sah. Niemals, niemals in meinem Dasein waren die Bilder

-

der alten Meister mir so gegenwartsnah gewesen wie an jenem Tag der Trauer über die österreichischen Brüder. Alle diese Bilder behandelten nur ein Thema, alle er zählten sie vom gleichen Gegenstand: vom menschlichen Leiden um des Guten willen. Hier brach der Heiland unter dem Kreuz zusammen, dort schwebte er in Gewitterwolken, angenagelt an dem Balken, zwischen den Schächern. An jener Wand geißelte man ihn, an der andern würfelten Landsknechte um seine Kleider. Dort ein bethlehemitischer Kindermord: eine vertierte Horde entreißt den verzweifelten Müttern ihre Säuglinge, um sie abzuschlachten man hatte zu des Herodes Zeit noch keine Haubigen wie Herr Dollfuß, um die Mütter sammt den Kindern über den Haufen zu schießen. Im nächsten Saale: Marterung eines Heiligen: Henkersknechte entreißen mit glühenden Zangen dem nackten Körper Fleischfetzen und werfen sie den Hun­den vor. Es ist nicht Geschichte, es ist Gegenwart, man muß zu diesen wilden Gestalten nur eine braune Uni­form hinzudenken und alles paßt auf heute! Ein heiliger Sebastian wird mit Pfeilen gespickt, im Vordergrund spannt einer der Schergen kaltblütig seine Armbrust: so mögen sie auf Fechenbach, auf Eggerstaedt, auf Heilmann geschossen haben!

Erschrocken fast fahre ich zusammen vor der Kreuztragung eines frühen Meisters: da ist um den leidenden Heiland eine ganze Galerie konfiszierter Physiognomien versammelt! keinen hat er vergessen: Den Hetpfaffen, der fanatisch gegen das Opfer geifert, ebenso wenig wie den heuchlerisch die Augen verdrehenden Gelehrten, der auch aus dieser Kreuzigung nur folgert, wie human und wahrhaft ritterlich die Obrigkeit verfahre, daß sie solch argen Frevler milde kreuzige, statt ihn zu vierteilen. Neben ihm winkt der feiste bürgerliche Ratsherr gelassen ab: Der Mann hats ver­dient, er bevorzugte die Armen und hat die Wechsler aus dem Tempel getrieben." Aber an der Spitze des Zuges, da hat der Meister einen unauslöschlichen Klumpen von ver­tierten Fratzen geballt: da grinst die gemeine Schadenfreude der lieben Nachbarn, da weidet sich die verborgene Lust am Grausamen, da triumphiert die Bosheit, die nur froh ist, wenn ein anderer leidet. Und voran diesem Haufen mensch licher Dreckgesinnung marschiert ein martialischer Kriegs­hauptmann im Stahlhelm und mit gesträubtem Schnurr bart! O Meister Hironymus Bosch, du hast vor mehr als vierhundert Jahren prophetisch erschaut, wie ein Prangeraufzug in Nazi- Deutschland aussehen würde. Jedes deiner Gesichter ist reinste, unverfälschste Gegenwart!

-

Doch! Die Arbeiter sollten in die Museen gehen. Ihre eigenen Leiden würden ihnen von den Wänden entgegen­strahlen, verklärt durch die Martyrerkrone, die ihnen die Menschlichkeit großer, unvergänglicher Meister aufs Haupt setzt. Diese alten Bilder, sie sprechen einen großen Trost, denn ein jedes verklärt die wehrlosen Opfer und verdammt die viehischen Henker. Etwas von den Versen Lenans strahlt aus diesen Bildern:

Und müssen wir vor Tag zu Asche sinken mit heißen Wünschen, unvergoltenen Qualen, so wird doch in der Freiheit goldenen Strahlen Erinnerung an uns als Träne blinken.

Ich verließ das Museum nicht getröstet, nicht versöhnt, aber reicher um ein Erlebnis, um das unkünstlerischste und doch das Erschütterndste, das jemals die Werke alter Meister mir übermittelt haben. Alexander..

Jedem Arbeiter seinen Smoking

Ein echt sozialistischer Wunsch des ,, Führers"

Aber nein! Ihr tut ihm Unrecht, wenn ihr behauptet, er kaue stets nur öde Stammtischphrasen wieder, er schwatze vor der Volksversammlung und im Reichstag ungefähr das gleiche gedankenarme Zeug daher wie Herr Pachulke nach der fünf­ten Halben. Mag das im allgemeinen zutreffen, so kennen wir doch ein Wort von ihm, ein Wort- Feinschmecker muß man sein, um es ganz zu genießen. Der Arbeitsfront- Unter­offizier Ley hat es enthüllt und WTB. hat es verbreitet, das markige Wort Adolf Hitlers  : ,, Wenn ich könnte, ich würde jedem Arbeiter einen Smoking schenken."

Das Wort sie sollen lassen stahn! Was ist Heinrich IV.  , der jedem Bauern ein Huhn in den Topf wünschte, neben Adolf  , der jedem Arbeiter seinen Smoking wünscht! Auf den Smo­king kommt es an; der Smoking macht es. Da haben alle Professoren dicke Wälzer über die soziale Frage zusammen­geschmiert und von Kapitalprofit und Arbeitslohn orakelt, aber auf die geniale, die schöpferische Idee, daß die Lösung im Smoking stecke, ist keiner verfallen; in der gesamten nationalökonomischen Literatur findet sich das Wort Smo­king nicht. Wie hätte gar der Jude Mardochai alias Marx die Nuẞ knacken können! Er besaß, obwohl er bekanntlich von der Goldenen Internationale ausgehalten wurde, über. haupt keinen Smoking; er hatte oft nur einen einzigen trag. baren Rock, der überdies rechte Lumpenwirtschaft!- zuweilen noch auf dem Pfandhaus lag. Aber was schlimmer ist: er hatte nicht einmal Sehnsucht nach einem Smoking. Er begriff das Wesentliche nicht. Darum suchte er die Köpfe

-

senjünglinge im flotten Smoking gewahrt, schwillt sein Minder­wertigkeitsgefühl ins Gigantische, und mit blassen Lippen schwört er sich zu: ,, Auch ich muß eines Tags..." Als er denn an der Spitze der größten Spießerbewegung der Ge­schichte steht, lebt in seinem Unterbewußtsein immer noch die Sehnsucht nach dem Smoking. Zwar erfindet er eine an dere Tracht, aber er wirft gewissermaßen mit der Wurst des Braunhemdes nach dem Schinken des Smoking. Man könnte auch sagen: Per aspera ad astra! Durchs Braunhemd zum

Smoking! Und wes das Herz voll ist, des geht das Mund­

werk über; eines Tages sieht er seinem Ley ins tränende Alkoholikerauge und vertraut ihm an: Wenn ich könnte, ich würde jedem Arbeiter einen Smoking schenken. Denn wer einen Smoking hat, denkt nicht an die politische Macht, sondern an Tanzcafé, sitzt gehoben mit Expropriateurs, am gleichen Tisch, strebt nicht nach der sozialistischen, sondern nach der feinen Gesellschaft. acism

Heute aber, so er im stillen Kämmerlein über sich nach­denkt, staunt er nicht, daß er Reichskanzler ist und mit einem kaiserlichen Generalfeldmarschall fast zwanglos verkehrt; er staunt nur, daß er es endlich zu einem Smoking gebracht hat. Und tritt vor den Spiegel, um sich zu überzeugen. Stimmt! Heil Hitler! Die soziale Frage ist gelöst! Durch Adolf  ? Be­wahre! Für Adolf  - er hat einen Smoking!

der Arbeiter mit verlogenen und hegerischen Phrasen voll Furcht in Trier  

zupfropfen: Eroberungen der politischen Macht, Expropria­tion der Expropriateurs, Vergesellschaftung der Produktions­mittel, Uebergang in die sozialistische Gesellschaft. Alles Blech! Smoking allein schafft es.

Es mußte ein Oe- und Anstreicher kommen, dem eigentlich der Kittel näher sein sollte als der Smoking, um dem blinden Jahrhundert den Star zu stechen. Und wirklich, aus seinem Wort fällt es wie das Licht von tausend Scheinwerfern auf den ganzen Hakenkreuz- Trödelkram und seinen Firmen­inhaber. Wer sieht ihn nicht, den kleinen Spießer mit Minderwertigkeitskomplexen, wie er sich in seiner Wiener  Periode schäbig und abgerissen, manchmal doch in ein Tanz­kaffee stiehlt. Und wenn er die Kavaliere", die Portokas

Karl Max.

Göring  , der bereits auf dem Gymnasium in Nürnberg   als Käser", d. h. als anmaßender, überspannter Bursche bekannt war, leidet nicht nur an Morphiumsucht, sondern auch an krankhaftem Prot.

Nachdem er Trier   verlassen hatte, wo er die bekannte pompös- phrasenhafte Rede gehalten hatte, hieß es mit einem

Male:

Göring   darf nicht wieder nach Trier   herein gelassen

werden!"

,, Aber warum denn nicht?", fragte man zurück.

..Ja, die Leute haben Angst, er könnte den Heilige Rock  auch noch anziehen!"

Die Arbeiter von Wien  

Dieses Lied ist in den letzten Jahren immer mehr zum offiziellen Lied der österreichischen Sozia listen geworden. Mit seinen Klängen sind die Protestversammlungen gegen die Morde der Stand­gerichte in aller Welt eröffnet worden.

Wir sind das Bauvolk der kommenden Welt, Wir sind der Sämann, die Saat und das Feld, Wir sind die Schnitter der kommenden Mahd, Wir sind die Zukunft und wir sind die Tat. So flieg, du flammende, du rote Fahne, voraus den Wegen, die wir ziehn. Wir sind der Zukunft getreue Kämpfer. Wir sind die Arbeiter von Wien  .

Herrn der Fabriken, ihr Herren der Welt, endlich wird euere Herrschaft gefällt, Wir, die Armee, die die Zukunft erschafft, sprengen die Fesseln der engenden Haft.

So flieg, du flammende, du rote Fahne, voraus den Wegen, die wir ziehn. Wir sind der Zukunft getreue Kämpfer, Wir sind die Arbeiter von Wien  .

Wenn uns die Lüge auch schmähend umkreist. Alles besiegend erhebt sich der Geist, Kerker und Eisen verlieren die Macht, Wenn wir uns ordnen zur letzten Schlacht.

So flieg, du flammende, du rote Fahne, voraus den Wegen, die wir ziehn, Wir sind der Zukunft getreue Kämpfer, Wir sind die Arbeiter von Wien  ..

Zwei Tote

Ossip Schubin  

Frit Brügel.

-

Fast achtzig Jahre alt ist die Romanschriftstellerin O- s sip Schubin( Aloisia Kirchner) gestern in Prag   gestorben. Die Erzählungen dieser resolut damenhaften Schriftstellerin - ihr Lebenswerk war formal einwandfreie, weltanschaulich aufgemachte Unterhaltungsliteratur hatten einst in der bürgerlichen Lesewelt Ruf und Ruhm. Es gab eine Zeit, da man ihre Schriften als revolutionär empfand. Die Zeit ist vorbei. Ossip Schubin   hat sich in damenhafter Emanzipation und frauenhafter Anpassung schriftstellerische Mittelwege zu den verschiedenen Weltanschauungen gebahnt und ihre vielseitigen, nun fast vergessenen Erfolge schließlich mit Interesselosigkeit an ihren Schöpfungen bezahlen müssen. Die Schriftstellerin Ossip Schubin   hatte Format, Rang und Be­deutung für ihre Zeit.

Fedor von Zobeltit

In Berlin   ist am Samstag der Schriftsteller Fedor v. Zo­beltit im Alter von 75 Jahren an Herzschwäche gestorben. Fedor v. Zobeltits war im wilhelminischen Deutschland   ein vielgelesener Autor, er verstand es mit handwerklicher Ge­schicklichkeit, Romane aus der Welt der deutschen Offiziere und Junker anzufertigen. Mit der Zeit, in der er seine Er­folge errang und der er diente, ist er versunken; sein Publi­kum hat ihn bald vergessen und der übrigen Leserwelt hat er ja nie etwas zu sagen gehabt.

Persönlich war der alte Herr mit dem jovialen Gesicht in jeder Hinsicht honorig. Zuletzt gehörte seine ganze Liebe dem Sammeln kostbarer Bücher und literarischer Kuriose. Die allgemeine Gleichschaltung hat er nur äußerst wider­willig mitgemacht. Der alte Offizier hatte keine Liebe zur Subordination und zum Kommiß.

nur Soldaten dürfen studieren

Der Reichsführer der Deutschen Studentenschaft  , Dr. Stäbel, erklärte anläßlich eines Generalappells" der Studentenschaft der beiden hannoverschen Hochschulen, daß die Erziehung des jungen deutschen Studenten nur in der SA. und dem Arbeitsdienst erfolgen können. Man werde jeden, der sich dort nicht bewähre, vom Hochschulstudium ausschließen. Nur zwei Zeugnisse würden künftig Geltung haben: das gute Dienstzeugnis der SA. und das Zeugnis über das gut bestandene Examen.

Zeit- Notizen

Kluge Köpfe unerwünscht

Der Reichsstatthalter von Sachsen  , Fabrikant Mutschmann  , erklärte bei einem Appell der politischen Leiter und Amts­walter der NSDAP  . des Kreises Mittweida  , man müsse nicht nur allen Gerüchtemachern, und den ewig Unzufriedenen ent­gegentreten, sondern auch denen, die jetzt der Bewegung ihre ,, klugen Köpfe" zur Verfügung stellen wollten, müsse man zurufen: Hinten antreten."

Braun, nicht schwarz

In Berlin   gingen in diesen Tagen Gerüchte um, nach denen für die Hitlerjugend  ( 14 bis 18 Jahre) die schwarze Hose eingeführt werden soll. Die Gebietsführung Berlin   tritt nun­mehr in einer öffentlichen Verlautbarung diesem Gerücht energisch entgegen. Die vorschriftsmäßige Hose der Hitler­Iugend bleibt laut PPD. nach wie vor braun. Antreten zum Rassekursus!

Die Staatsmedizinische Akademie in Berlin- Charlottenburg  veranstaltete auf Veranlassung des preußischen Justizmini­sters vom 12. bis 14. Februar im Hörsaal des Harnack­Hauses in Berlin- Dahlem   einen Rassekurs, zu der 125 Richter und Strafanstaltsdirektorenamtlich befohlen wurden!

Gleichschaltung der Drehbücher

Eine soeben herausgekommene Verordnung bestimmt, daß das Reichspropagandaministerium das Recht besigt, nicht nur die Filme nach ihrem Erscheinen, sondern schon vor dem Beginn der Produktion die Drehbücher zu zensieren.