Straßburger   Wochenbericht Geht Herr Roland- Marcel   nach Paris  ?

Streitbare Gottesknechte

Straßburg  , 2. März 1934.

Die Freidenker wollten am Dienstagabend im Aubettesaal Herrn Lorulot aus Paris   über ,, Kirche und Krieg" spre­chen lassen. In großer Zahl erschienen die Interessenten, darunter viele Gegner aus katholischen Verbänden. Ihr agressives Verhalten schon vor der Versammlung ließ darauf schließen, daß die tapferen Gottesstreiter nicht mit den lautersten Absichten gekommen waren. Kaum hatte sich der Präsident erhoben, um den Redner vorzustellen, ging auch schon der Radau los. Die Gegner suchten durch Zwischen­rufe, Gebrüll und allen möglichen Lärm die Versammlung zu verhindern. Natürlich ließen sich das die weit in der Mehrzahl erschienenen Anhänger der Freidenkerbewegung nicht gefallen. Im Nu entwickelte sich eine gewaltige Schlä­gerei, in deren Verlauf mit Stuhlbeinen und anderen Schlag­instrumenten gearbeitet wurde. Es gab auf beiden Seiten zahlreiche Verletzte. Den Freidenkern gelang es, die Gegner aus dem Saale zu drängen, nachdem die allgemeine Schlä­gerei durch das kurzentschlossene Eingreifen eines Pompiers, der mit dem Feuerwehrschlauch eine kalte Dusche an die Kämpfenden verabfolgte, beendet worden war. Die Polizei löste die Versammlung auf und räumte den Saal. Hierauf bildeten sich auf dem Kleberplatz zwei größere Demonstra­tionen. Die katholische Jugend entrollte eine Kirchenfahne und sang ,, Großer Gott, wir loben Dich", während auf der anderen Seite die., Internationale" erklang. Dann zogen die Katholischen in ihr Verbandslokal, während die Anhänger der Freidenker in zwei großen Versammlungen in der ,, Glocke" ihre Kundgebung ohne weitere Störung fortsetzten. Man nahm zwei Entschließungen an, in denen so­wohl gegen die Versammlungssprengung durch die Katholi­ken wie auch gegen den katholischen Einfluß in der Schule im Elsaß   protestiert wurde.

Für 175 000 Franken unverkäufliche Pfänder

In der vergangenen Gemeinderatssigung, in der ohne De. batte alle Tagesordnungspunkte erledigt wurden, erfuhr man, daß zur Zeit im Pfandhaus für 175 000 Franken unver käufliche Pfänder aufbewahrt werden. Es handelt sich meistens um Brillante n. Der Gemeinderat setzte von neuem fest, daß auch in Zukunft bei der Auszahlung der Höchstsäge für die Arbeitslosen die übrigen Einkünfte nicht in Anrechnung gebracht werden.

Das Alte stürzt...

Am Schirmecker Tor ist man gegenwärtig damit beschäf­tigt, den alten noch stehenden Festungswall abzutragen. In einigen Monaten werden Kleingärten, die man anzulegen be­absichtigt, diesem Stadtviertel ein völlig verändertes Aus­sehen geben. Die Erdmassen, die jetzt abgetragen werden, finden beim Bau eines Eisenbahndammes am Rhein- Rhone­Kanal in der Nähe des Grünebergs Verwendung. Die ,, Traditionsuniversität"

Den Gerüchten, daß die Universität Frankfurt   in abseh­barer Zeit geschlossen werde, trat die preußische Regierung mit einer Erklärung entgegen, in der u. a. gesagt wird, daß für die Aufrechterhaltung des Hochschulbetriebs in Frank­ furt   auch maßgebend sei, daß die Frankfurter   Universität als Traditionshochschule der Straßburger   Universität zu gel­ten habe. Was man im Elsaß zu solchen rührenden Beweisen treudeutscher Anhänglichkeit meint, sagt die ,, Republique". Sie schreibt: Also ein bißchen mit Rücksicht auf uns, die verlorenen Brüder auf deutschem Boden!! Der Herr Adolf Hitler   meint es doch gut mit uns und wir sollten ent­schieden etwas mehr Dankbarkeit für ihn und für seine Sorge um uns aufbringen. Es ist halt doch schön von Adolfen, uns so konsequent die Blutsbrüderschaft zu halten und ganze Universitäten durchzufüttern, bloß damit wir unsere Traditionskompanie auf geistigem Gebiet behalten."

Auf freien Fuß gesetzt

Nach einer Untersuchung auf seinen Gesundheitszustand wurde der kürzlich wegen Abtreibung verhaftete praktische Arzt von hier vorläufig wieder auf freien Fuß gesetzt. 5 Minuten früher

Der Schnellzug Paris  - Straßburg  ( Nr. 35) fährt ab 1. März um 17.40 statt um 17.45 Uhr in Paris   ab. Dafür kommt der Straßburger   Schnellzug( Nr. 28) in Paris   nicht mehr um 12.40 Uhr sondern um 12.45 Uhr an.

Trauerfeier für den König der Belgier  

Im Münster   fand am Sonntagvormittag für den verstorbe­nen König der Belgier   eine ergreifende Trauerfeier statt, an der neben den Mitgliedern des belgischen Konsulats in Straß­ burg   der Präfekt des Bas- Rhin  , Herr Roland Marcel  , der Chef du cabinet Theo Freund sowie General Walch, sämtliche aktiven Generale, der Rektor der Universität und eine Reihe anderer Vertreter von Behörden teilnahmen. Der Bischof von Straßburg  , Mgr. Ruch würdigte die Verdienste des Königs. Eine große Menschenmenge wohnte der Zere­monie bei.

AGENCE LIBERTÉ

2, petite rue d'Austerlitz

STRASBOURG

Generalvertretung der

,, Deutsche Freiheit"

für Elsass Loth ingen

Annahme von Abonnements und Inseraten: LIBRAIRIE POPULAIRE, 2, rue Sédillot Strasbourg ( Hinter der Börse)

ABONNENTENWERBER in allen Orten des BAS. RHIN urd HAUT- RHIN sofort gesucht.

Vor einigen Tagen verbreitete eine Pariser Zeitung die Meldung, daß der Präfekt des Bas- Rhin  , Herr Roland Marcel  , als Nachfolger des Herrn Bonnefoy- Sibourg nach Paris  versetzt werde. Bis auf den heutigen Tag war noch keine Bestätigung dieser Nachricht zu erlangen.

Die Zuckerrübenpflanzer tagen

In der Generalversammlung der elsässischen Zuckerrüben­pflanzer wurde beschlossen. einen Antrag zu stellen, 80 Prozent des Zuckerrübenpreises statt bisher 70 Prozent aus­zuzahlen und der Zuckerwarenfabrik in Erstein   ent­sprechende Mitteilung zu machen. Weiter wurden die An­

baubedingungen für 1934 bekannt gegeben.

Der Zentralmarkt geht seiner Vollendung entgegen

Der neue Marktplay hinter der Markthalle am Alten Bahnhof ist nun soweit fertiggestellt, daß er demnächst seiner Bestimmung übergeben werden kann. Damit geht ein alter Wunsch der Marktinteressenten in Erfüllung. Mit der geplanten Vergrößerung der Markthalle, die kaum mehr alle ländlichen Verkäufer zu fassen in der Lage ist, wäre dann in Verbindung mit dem neuen Marktplatz ein Zustand geschaffen, der für längere Zeit den zu erwartenden An­sprüchen genügen würde.

Förderung des Fremdenverkehrs

Obwohl das Elsaß   mit seinen landschaftlichen Reizen und seinen historischen Sehenswürdigkeiten gewiß nicht hinter anderen Ländern zurückzustehen braucht, läßt der Fremden­verkehr noch sehr zu wünschen übrig. In den Kreisen der Hoteliers macht sich jetzt eine Bewegung bemerkbar, die eine zentrale Zusammenfassung aller Organisationen herbeiführen möchte, die der Förderung des Fremdenverkehrs dienen. Man verspricht sich von einem solchen Zusammenschluß und einer energischen Leitung einen großen Aufschwung des

Fremdenverkehrs.

Straßburger   Hafenbericht

Der Gesamtumschlag im Straßburger   Rheinhafen ging in­folge des geringen Wasserstandes und der teilweisen Verei­sung der Häfen im Januar auf 221 247 To. zurück gegenüber 259 305 To. im Dezember und 292 247 To. im Januar vorigen Jahres. Auf die Einfuhr entfielen 148 721 To., auf die Aus­fuhr 72 526 To. Der durchschnittliche Wasserstand an der

Schleuse war 1,98 m.( Höchststand am 20. Jan. 2,95 m und Mindeststand am 11. Jan. 1,60 m.) Die Einfuhr besorgten 281 Kähne, 13 Dampfer und 43. Motorschlepper; die Aus­fuhr 257 Kähne, 13 Dampfer und 38 Motorboote. Freidenkerkongreẞ in Gebweiler

Der zweite Freidenkerkongreß der elsässischen Födera­tion in Gebweiler   stand bei starkem Besuch im Zeichen des lebhaften Protestes gegen die christliche Dollfuß  - Regie­rung, die in Oesterreich   um ihre Freiheit kämpfende Arbei­ter und deren Familien niederkartätschen ließ. Gerade der Bürgermeister von Gebweiler, Fouilleron, hob in seiner Begrüßungsansprache darauf besonders ab. Das Referat hielt Galmard vom Comité National. U. a. wurde be­schlossen, die Regional organisation als gesetzliche Körper­schaft einzutragen, außerdem wurde der Gründung eines Freidenker- Alters- und Jugendheims zugestimmt. Die Forde­rung auf freie Lieferung der. Lehrbücher zum Moralunter­richt wurde einstimmig angenommen, ebenso die von der Straßburger   Organisation geäußerte Forderung, den freien Gerichtsschwur ,, je jure" ohne jeden weiteren Zusatz bei den lokalen Gerichtsbehörden zuzulassen. Schneesturm am Dienstag

Dienstag morgen brauste ein Scheesturm von solcher Ge­walt über die Stadt, daß er nicht nur im Nu die Stadt wieder

Oesterreichische Arbeitergelder

Ist ein großer Teil ins Ausland gerettet?

Wien  , 2. März. Nach der Aufdeckung der Zustände bei der Arbeiterbant, von deren Depots rund sechs Millionen Schilling in die Schweiz   und nach Frankreich   verschoben worden sind und von deren Forderungen, die für das Geschäfts= jahr 1932 rund 47 Millionen Schilling betragen, ein Großteil uneinbringlich ist, wird die Untersuchung gegen die in

Saft befindlichen sozialdemokratischen Parteiführer und

Mitglieder des Parteivorstandes nach zwei Richtungen ge­führt. Einerseits foll festgestellt werden, ob und wieweit sie an dem Aufruhr des Schußbundes beteiligt oder mitwissend waren; anderseits, ob sie von der Ver­bringung der Gewerfichaftsgelder der Arbeiterbank ins Ausland gewußt oder darauf Einfluß genommen haben. Das trifft vor allem auf den ehemaligen Bürgermeister von Wien  , Seitz, die ehemaligen Stadträte Breitner und Tanneberg und auf den früheren Präsidenten der Arbeiter­bant, Dr. Renner, zu. Ueber die drei leitenden Beamten der Arbeiterbanf und fünf Gewerkschaftsfunktionäre wurde bereits die gerichtliche Untersuchungshaft verhängt. Untersuchung gegen sie wird wegen des Verdachts des Hoch­verrats, Veruntreuung und Untreue geführt. Wie es heißt, werden alle verhafteten Mitglieder des früheren sozial demokratischen Parteivorstandes demnächst aus der Polizei­haft dem Landesgericht zugeführt werden. Was mit den anderen verhafteten Führern, die nicht dem Parteivorstand angehört haben, geschehen wird, steht noch nicht fest.

Unter den rund 80 aufgelösten fozialdemokra fischen Vereinen befindet sich auch der Touristenverein Die Naturfreunde, der in den österreichischen Bergen viele Schutzhütten errichtet hatte. In einer Eingabe an das Bundeskanzleramt hat sich nun der Deutsche   und Deiterreichische Alpenverein bereit erklärt, die Schußbäuser und deren Inhalt unentgeltlich in Beauf­sichtigung und Verwahrung zu übernehmen, also zu stehlen.

Faschistisches Parlamentsspiel

400 Kammeranwärter

Rom  , 2 März. In der Nacht zum Freitag trat der Große afchistische Rat zusammen, um aus den 1000 vorgeschlagenen Anwärtern für die neu zu wählende Abgeordnetenkammer Die 400 endgültigen Anwärter zu bestimmen. Von diesen 400 gehörten bereits 257 der letzten Rammer an; 143 find Neu­linge. Von den bekannten Persönlichkeiten ist keine ver­schwunden mit Ausnahme des abgesetzten Parteisekretärs

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in einen Wintermantel hüllte, sondern auch viele Störun­gen an Telefonleitungen verursachte. In Neudorf wur­den einige Telegrafenstangen umgeworfen.

Einführung der Sommerzeit

In der Nacht vom 7. auf 8. April wird in Frankreich   die Sommerzeit( MEZ.) wieder eingeführt.

Ausschluß aus der SFIO.

Aus der SFIO. wurden zwei Mitglieder ausgeschlossen, denen vorgeworfen wurde, für andere Parteien Propaganda getrieben zu haben. Die ,, Freie Presse" betont, daß es sich hier nicht um die Erledigung eines ,, Richtungsstreites", son­dern lediglich um die Ahndung schwerer Verstöße gegen die Parteidisziplin handelt.

Erster Straßburger   Kur- und Gesundheitsgarten

Die Liga ,, La famille" beabsichtigt mit Unterstützung der Stadtverwaltung, die ihr das Gelände zu überlassen gedenkt, am Langhaag beim Polygon einen Kur- und Gesundheits­garten anzulegen, wie er in vielen Städten der Schweiz   und auch des oberen Elsaß bereits vorhanden ist. Wenn die Verhandlungen bald zum Abschluß kommen, kann noch in diesem Sommer der Garten in Betrieb genommen werden. Kein Zoo im Schulmeistersgut

Wie sich in einer Besprechung der zuständigen Organi­sationen mit den Vertretern der Stadt ergab, eignet sich das Gelände im Schulmeistersgut nicht zur Anlegung eines Zoo­logischen Gartens

Kunstkalender

onzin

Einen großen Erfolg hatte Frau Titayna  , eine be­kannte Reiseschriftstellerin, mit ihrem sonntäglichen Vor­trag im Sängerhaus. Sie berichtete über ihre Reisen zu den Kannibalen und wußte die zahlreiche Zuhörerschaft von der ersten bis zur letzten Minute zu fesseln. Die Wiener Sängerknaben  , die bei ihrem erstmaligen Auftreten einen so großen Erfolg hatten, entschlossen sich, am vergan­genen Mittwoch ein zweites Konzert zu geben, in dem sie mit vollkommen neuem Programm aufwarteten. Sie führten Lorgings Oper: Die Opernprobe" auf und fanden wieder ein dankbares und begeistertes Publikum. Die Come dian Harmonists gastierten am Montagabend im Sängerhaussaal. Der Besuch ließ zu wünschen übrig. Sie sangen die alten Schlager, mit denen sie ihren Weltruhm schufen. Am 9. März spielt der weltberühmte Pianist Rubinstein im Sängerhaus. Am 4. März haben wir das Vergnügen, den großen Organisten Marcel Dupré  kennen zu lernen.

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Turati und des früheren Staatssekretärs im Innen­ministerium Arpinati.

Auf sehr lange Zeit dürften sich wohl die Abgeordneten, die im März zu wählen sind, ihrer Würde nicht erfreuen, da sich bekanntlich die Abgeordnetenkammer nach dem end= gültigen Aufbau der forporativen Ver­fassung selbst aufzulösen hat. Die neue Kammer wird also eine Lebensdauer von höchstens ein bis eineinhalb Jahren haben.

Labour zum Krieg

Eine Entschließung  

London, 2. März. Eine gemeinsame Tagung des General­rates der britischen Gewerkschaften, des nationalen Exekutiv­fomitees und der Führung der Labour- Fraktion im Unter­Hause beschäftigte sich vor einigen Tagen mit der Stellung der Partei zu Kriegsfragen. Die Labour- Party hatte im Oktober eine Resolution angenommen, die für den Kriegs­fall die Arbeiterschaft zum Widerstand mit allen Mitteln ein= schließlich des Generalstreits aufforbete. Dagegen lehnte der Kongreß der Gewerkschaften so weitgehende Forderungen wie Generalstreik oder den Boykott eines angreifenden Landes ab. Die iebige Tagung diente dem Zweck, die beiden Stand­punfte miteinander zu versöhnen. Es wurde beschlossen, daß Vertreter der drei teilnehmenden Organisationen eine Dent­schrift ausarbeiten sollten, die einem neuen Kongreß vor­gelegt werden sollten.  

Spanien  

Lerroux wieder beauftragt  

Madrid, 2. März. Der Präsident der Republik hat den Führer der Radikalen Partei, Lerroux, wieder mit der Kabinettsbildung beauftragt. Lerroux will versuchen, eine Regierung aus Mitgliedern der eigenen Partei, der kata­lanischen Liga und der Agrarier zu bilden.

Kriegsinister unter Anklage  

Reval, 2. März. Der Parlamentsausschuß, der sich mit den Durchstechereien beim Verkauf zweier Torpedofäger der est­ländischen Regierung an das Ausland befaßt, hat beschlossen, der Regierung vorzuschlagen, daß gegen den früheren Kriegs­minister Keren, der für den Verkauf verantwortlich ist, An­lage erhoben wird.