Sinzigs unabhängige Tageszeitung Deutschlands Nummer 54 2. Jahrgang I Saarbrücken, Dienstag, den 6. März 1934| Chefredakteur: M. Braun Aas dem Inhalt Peitscht PauWiabec aus! Seite 3 Vieetaqeioache in USA . Seite 4 Matdlaqet Papenburg Staoiskus Schatten Seite 5 Seite 7 S)er(Rcidislü&ner (fteieftssdkwindeiminister!Dr. Göbbets eröffnet die leipziger Jilesse In die Verteidigung gedrängt- Fantasien und(fatsadken D. T. Am Sonntag hat der Reichsminister für Propa­ganda, Dr. Wöbbels, mit emer großen Rede die Leip- ziger Frühjahrsmesse eröffnet. Zum ersten Male sah sich der um optimistische Worte nie verlegene Reklamechef des dritten Reiches" in die Verteidigung gedrängt. Der größte Teil seiner Rede galt der angeblich furchtbaren Erbschaft, die das neue System übernommen habe und Entschul- digungsgründen, weshalb bisher nichts grundsätzlich Neues geschaffen worden ist. Endlich mußte er vor dieser Bersamm- lung von wirtschaftlich denkenden Menschen zu einigen Zahlen kommen, um den kümmerlichen Versuch zu machen, eine Belebung der Wirtschaft vorzutäuschen. Er ging dabei über die einfältigsten Kunststückchen der gleichgeschalteten Presse nicht hinaus. Sehen wir uns seine Ziffern, die den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft" beweisen sollen, etwas an: Sinken der Erwerbslosenziffer von Januar 1983 mit(5,91 Millionen auf 8,77 Millionen bis Ende Januar 1934. Der Retchspropagandaminister hütete sich jedoch, b i e Zahl der geleisteten Arbeitsstunden und die Annahmen des Reiches aus Lohnsteuer in derselben Zeit anzugeben. Nicht nur große Werke wie Krupp und Siemens weisen zahlenmäßig nach, daß trotz Neueinstel- lungen die Lohnsumme gesunken ist.<Bei Siemens-Schuckert von 75,1 aus 64.8 Millionen Markt, sondern auch parteiomt- lich wird zugegeben, daß der Verdienst großer Arbeiter- schichten sich kaum über die Wohlsahrtsunterstützung erhebt. So zum Beispiel durch den Bezirksleiter Spangenberg und die nationalsozialistischen Stadträte von Hildes- heim. Der Reichspropagandaminister verschwieg, daß b e i gleichbleibenden Tariflöhnen selbst nach den amtlichen Statistiken der Lebenshaltungsindex unter dem neuen Regime von 117 im Januar 1933 auf 121 im Januar 1934 gestiegen ist. Am höchsten war die Preissteigerung bei den wichtigsten Lebensmitteln. So schnellten die Preise für Margarine und E r b s e n um 39 bis 49 Prozent hinauf. Butter kostete im Januar 1933 179, im Januar 1934 252 Mark. Dr. Göbbels fantasierte von einer Steigerung des Pro- duktionswertes der deutschen Industrie um 8 Milliarden, aber er sagte nichts davon, wer diesen angeblichen Produk- tionszuwachs gekauft und bezahlt hat. Er verschwieg, baß das nationalsozialistische System die deutsche Ausfuhr ruiniert hat. Genau: der deutsche A u ß e n h a n b e l hat im Jahre 1933 mit 9.1 Milliarden einen Tiefpunkt erreicht, der nur noch mit dem Jahre 1898 zu vergleichen ist. Gegenüber 1932 ist im Jahre 1933 die Ausfuhr noch um 868 Millionen Mark zurückgegangen. Die herrliche Wiederaufbaupropaganda des deutschen Reichspropaganbaministers wird zerschlagen durch den nüch- lern rechnenden Generaldirektor Dorpmüller von der Deutschen Reichsbahn . Sein Bericht über das Jähr 1933 weist nach, daß die Einnahmen für Personen- und Gepäck- verkehr im Jahre 1938 um 41 Prozent niedriger waren als 1929 und noch um 7 Prozent niedriger als 193 2. Ter Reichspropagandaminister greift als Beweis für die wachsende Wirtschaftsblttte die Steigerung der Textil- in dustrie und der Automobilinbustrie heraus. Jedermann weiß, daß die Textilindustrie eine Schein- konjunktur durch Uniformen und die Automobilindustrie durch Steuererlaß, also auf Reichskosten, erfahren hat. Die finkende allgemeine Kaufkraft wird durch die Verluste des Einzelhandelsumsatzes erwiesen, der nach dem Institut für Konjunkturforschung im Oktober 1933 um 4,9 Prozent, im November 1933 immer noch um 1,5 Prozent unter dem betreffenden Monat des Vorjahres lag und nach dem Zeugnis derFrankfurter Zeitung " im Januar 1934 einen weiteren Rückschlag erlitten hat. Der Reichspropagandaminister rühmt die große Wtnterhilfsbettelei mit 329 Millionen Mark Er- gebnts. Er verschweigt, daß 17 Millionen Deutsche unter- stützungsbedürstig sind, also jeder vierte deutsche R e i ch s a n g e h ö r i g e. Mithin in den fünf Winter- monaten auf jeden Notleidenden nicht einmal 4 Mark im Monat kommen. Das Reich bettelt, weil eS den Erwerbs- losen, den Sozialrentnern, den Kriegsopfern und allen sonstigen Bedürftigen die Zuweisungen aus öffentlichen Mitteln um Milliarden Mark gekürzt hat. Der Reichspropagandaminister redet und redet von Aus- schwung. aber er spricht nicht davon, baß das neue Regime die Gold- und Devisenbestände der Reichs- b a n k innerhalb eines Jahres von 896 Millionen auf 349 Millionen Mark verwirtschaftet, daß eS gleichzeitig die Schulben der deutschen Länder in einem Jahre von 3/149 Milliarden auf 3,843 Milliarden gesteigert hat. Der für seinen berufsmäßigen Schwindel hochbezahlte Propagandaminister lügt dennoch:Der größte Teil der deutschen Not liegt hinter uns. Den kleinern, der vor uns liegt, werden wir im gemeinsamen Kampfe bezwingen. Die Kausleute, die doch schließlich auch etwas vom Ge- schäft verstehen, werden sich ihr Teil gedacht haben. Sie ließen die Beredtsamkeit des Reichslügners über sich er- gehen, gingen in ihre Stände und warten auf die Käufer. Aufschwung" Leipzig , 5. März. Das österreichische Messehaus ist dies- mal geschlossen. Die Zahl der ausländischen Aussteller ist noch geringer als in der vorjährigen Frühjahrsmesse, die man damals für einen nicht zu unterbietenden Tiefstand hielt, und zwar ist die Zahl der Ausländer von 615 auf 547 abgeglitten. Die Zahl der ausländischen Besucher gibt das Messeamt mit ungefähr 15999 an, so daß höchstens die vorjährige ausländische Besucherzahl erreicht werben dürfte. va; rase«er Abrüstung Modi ein Italienischer Vermittlungsversuch? Die Wiederaufrüstung Deutschlands ist nicht die schlech- teste Lösung." Dieser Satz in einem Artikel von Pertinäx. dem diplomatischen Korrespondenten desEcho de Paris", ist vielleicht die beste Kennzeichnung der gegenwärtigen internationalen Lage. Pertinäx steht mit seiner Auffassung derjenigen des offiziellen Frankreich zumindest sehr nahe. Er sagt mit seinem Satz rund heraus, waS man in Frank- reich denkt: Es läßt sich weder länger verbergen noch ver- hindern, daß Deutschland aufrüstet,so unheilvoll es auch sein mag". Aber die nach Pertinäx weit schlechtere Lösung wäredie Wiederaufrüstung Deutschlands , verbunden mit der Abrüstung Frankreichs ." Es gibt einige Leute, die trotz dieser trüben Lage an ihrem Optimismus festhalten. So verkündet in England Lloyd George in Sunbay Despatch:Trotz des Scheiterns der Ab- rüstungskonferenz wird in Europa kein Krieg ausbrechen." Lloyd George beruft sich zur Begründung seiner hoffnungS - vollen Voraussage auf den deutsch -polnischen NichtangriffS- pakt, der die leibige Frage deS polnischen KorridorS auS der Welt geschafft habe. Außerdem meint er, daß die Anschluß- frage keine ernsten Schwierigkeiten mache, denn Hitler wisse, baß Mussolini den Anschluß nicht dulden werde: baß der An- schluß also ohne Kampf nicht durchgeführt werden könne und daß Hitler zum Kamps tatsächlich unfähig sei. Eine Gnadenfrist von ein bis zwei Tagen ist der Ab- rüstungsdiplomatie noch gewährt, da die von Frankreich ver- sprochene schriftliche Antwort auf die von Herrn Eden über- brachten Vorschläge Hitlers noch aussteht. Und in London hofft man. diese Antwort bis Mittwoch in Händen zu haben. Was aber tun, wenn die französische Regierung, woran nicht zu zweifeln ist, die Hitlerschen Borschläge endgültig ablehnt? Diese Vorschläge halten, wie derManchester Guardian" andeutet, die alten Forderungen aufrecht, mit dem leichten Zugeständnis, daß die künftige deutsche Armee nicht 399 999, Fortsetzung siehe S. Seite Frankreichs ablehnende Note? Ende der Woche London , 5. März. Die französische Antwortnote zur Ab» rüstungssrage dürste, wie der diplomatische Mitarbeiter des Daily Herald" lagt, Ende der Woche nach London gesandt werden. Es sei nicht länger daran zu zweifeln, daß sie, möge sie auch in der Form noch so höflich sein, tatsächlich die Vorschläge der britischen Denkschrift völlig ablehnen werde. Sie werde überdies weitere Berhand- lungen völlig aussichtslos machen. Es verlaute, daß Doumer- gue und seine Kollegen alle Forderungen stellen werden, die Hitlerdeutschland nicht anzunehmen gewillt sind, und die sich nicht wesentlich von dem Standpunkt vom Oktober v. I. cnt- seinen. Hitler » nackt Von Arthur Seehof Es ist geradezu erstaunlich, wie schön und gepflegt Herr Hitler jetzt manchmal zu reden weih. Aber noch erstaun- licher ist. dah sich sehr viele kaum noch des wirklichen Hitler, des größenwahnsinnigenTrommlers" und Ignoranten erinnern. Und doch regiert der, wenn auch unter großkapitalistischem Kommando, dasdritte Reich". Sein schönes und gepflegtes Reden ist lediglich Tünche. Angelerntes. Wirklich ist, was wir hier aufschreiben. Wir zitieren nicht nach dem BuchMein Kampf ". Das ist schon zu oft geschehen Und außerdem ist dieses Buch, das allerdings schon tu iastrophal genug ist. in Hinblick auf eine sehr große Leserschaft und zu Propagandazwecken geschrieben worden, intimste Ge- danken und Ziele zeichnet es also kaum auf. Aber gerade die wollen wir hier geben. Denn lediglich die enthüllen das wirkliche, im Laufe der Jahre immer mehr ver- schleierte Bild vom Nationalsozialismus und seinem unfehlbaren" Adolf Hitler . Unfehlbar jawohl.Auf dem Gebiet der Politik habe ich allerdings die Kühnheit" so schrieb Hitler einmal in einem Privatbrief an dieSünde wider das Blut"(Artur Dinier)für mich Unfehlbarkeit in An­spruch zu nehmen." Unfehlbar wurde dann ja auch Otto Straßer , der tat- sächlich so etwas wie Sozialismus wollte und in dem Führer" nicht ohne weiteres denGottgesandten" sah, mit seinem Anhang aus der NSDAP , hinausgeworfen. Diesem Hinauswurf(1930) gingen zwei sehr lange und erregte Unterredungen voraus. Die eine fand ohne Zeugen, lediglich zwischen Hitler und Straßer , statt, an der anderen nahmen außer diesen beiden Rudolf Heß »heute Stellvertreter desFührers"), Amann(Direktor desVölkischen Beobachters"), Gregor Straßer und Hans Hinkel teil. Und hier, in diesem engen Kreis, zeigte sich der heutige deutsche Kanzler und ehemalige Meldegänger als das. was er wirklich ist, als Ignorant. Freund der Schwerindustrie und Hochfinanz. Kriegshetzer und Bc- trüger eines ganzen Volkes. Wir wollen eine Auswahl der neuen Herrenschicht" so hieß es damals unter vier Augen.die nicht von irgendeiner Mitleidsmoral getrieben wird, sondern sich darüber klar ist, daß sie aus Grund ihrer besseren Rasse (Wenn das nur keinen Mischmasch mit den Mendelssohn, Warburg usw. gibt!!) das Recht hat, zu herrschen und die diese Herrschaft über die breite Masse rücksichtslos auf- recht erhält und sichert." Was ja heute mit allen Mitteln des Terrors klar und eindeutig gezeigt und bewiesen wird. Doch weiter.Sie haben sich z. B." so hauchte derUnfehlbare" den damals noch erstaunten Otto Straßer anoffen für die sogenannte indische Freiheits- bewegung ausgesprochen, obwohl gerade hier offensichtlich ist, daß es sich um eine Rebellion der niederen indischen Rasse gegen die hochwertige englisch -nordische Rasse handelt. Die nordische Rasse hat ein Recht darauf, die Welt zu beherrschen, und wir müssen dieses Recht der Raffe zum Leitstern unserer Außenpolitik machen. Des- halb kann für uns auch nie irgendein Zusammengehen mit Rußland m Frage kommen, wo auf einem slawisch- tatarischen Leib ein jüdischer Kopf sitzt." Ach nee... Doch hören wir auch dies. Obgleich nicht Politik, zeichnet es doch wichtige Linien in einem wahrhaften Bilde Hitlers . Ich sagte Ihnen schon(Otto Straßer ), daß es nur eine nordisch-griechische Kunst gibt, und Sie wissen doch wohl, daß es sich bei Chinesen. Aegyptern usw. gar nicht um einheitliche Völker handelt sondern, daß dort auf einem niederrassigen Volkskörper ein nordischer Kopf saß. der allein jene Meisterwerke schuf, die wir heute als chinesische oder ägyptische Kunst bewundern. Als dann diese dünne Oberschicht verschwand, z. B. die(wer jetzt noch nicht sehr fest sitzt, der setze sich bitte) Mandschus, war es mit der dortigen Kunst zu Ende." Seltsam, daß nur Döring in