Deutsche Stimmen• Deilage zur.Deutschen Freiheit"•£rei$n1sse und GeschichtenDienstag, den 6. Man 1934Baun geht's noch med sa gut...Szenerien aus einet deutschen Stadt, leaun angemaltDer„Neue Vorwärts" veröffentlicht Situationsberichte und Stimmungsbilder aus einer deutschen Großstadt.Diese wird, aus naheliegenden Ursachen, nicht, genannt. Aber was hier über Theater, Kino, Schule undanderes zu lesen ist, trifft recht auf alle deutschen Großstädte zu.TheaterDag Kulturleben liegt völlig danieder.Der zahlreiche Menschenkreis aus der organisierten Arbeiterschaftund aus gewissen linksbürgerlichen Sdiichten, der früherTbeater und Konzerte besuchte, Bücher kaufte, Zeitsdiriftenhielt, fällt heute ganz aus. Die Pj.(„Postenjäger") des neuenSystems sind am Kunst- und Geistesleben nicht interessiert.Sie schalten zwar alles gleich, weil sie darin geübt sind, versuchen sich auch darin in organisatorischen Experimenten,sind dem Kulturleben aber innerlich nicht verbunden. Mühselig schleppt- sich trotz der Zwangsabonnements der Beamten das Stadttheater dahin bei immer seichterwerdendem Spielplan; es arbeitet nach der Devise derGleichgeschalteten:„Gesinnung ersetzt Leistung!" Am schlechtesten werden die neuen, die nationalen Stücke besucht. Meistmüssen sie nach zwei oder drei Vorstellungen vom Spielplan abgesetzt werden.KinoDie Kinos sind auch schlechter als in früheren Jahrenbesucht. Die Bevölkerung bat es verärgert aufgenommen,daß das neue System die großen Lichtspielhäuser vor derlästigen Konkurrenz der kleinen Vorstadtkinos durch einevon der Filmkammer vorgeschriebene einheitliche Preistabelle schützte und den kleinen Kinos vorschrieb, ebensowie die großen Kinos nur einen Hauptfilm zu spielen. DieVersuche nationalsozialistisch gesinnter Kinobesitzer, denArbeitern der Vorstädte die neuen„nationalen Großfilme"oder die aus Italien importierten Faschistenfilme vorzusetzen,scheiterten schmählich. Oft waren in der ersten Vorstellungeines solchen Films keine zwei Dutzend Besucher erschienen.Wie oft mußten Kinobesitzer schon nach zwei Vorstellungenden nationalen Großfilm absetzen und zugkräftigere Filmeheran telegrafieren. In den Kinos wird die obligatorische„Wochenschau" vom Publikum mit Kühle aufgenommen. BeiBeden Hitlers und anderer brauner Bandenhäuptlinge rührtsich keine Hand zum Beifall. Das Publikum läßt den hysterischen Redeschwall gelassen über sich ergehen und amüsiertsich zu erheblichem Teile über die theatralischen Gesten desObergötzen. Es kam aber auch schon in einem Vorstadtkinovor, daß in eine endlose Hitlerrede der Ruf eines jungenArbeiters dazwischenfuhr:„Hört den» der Quatsch nichtbald auf?"BücherDas Buchgeschäft zu Weihnachten war miserabel. DieKäufer von Buchgeschenken gingen im Durchschnitt vom2,85-Mark-Band zum 1-Mark-Band herunter. Die Buchhändlerzehren von der Substanz und verkaufen, um Käufer in denLaden zu bekommen, nach und nach ihr Lager zu Antiquariatspreisen. Der Vertrieb klassischer Literatur sowohlals auch der neuen nationalen Konjunkturliteratur liegt imargen, denn der SA-Mann, der Amtswalter und der NSBO.-Bonze sind nicht auf Lesen eingestellt. Sie werden bestimmtnicht zu„Kulturfatzken" entarten.£edec- hintenMick auf eine JCeAeseiteWir bitten um Entschuldigung. Es handelt sich um eineSache, die die Barriere der Ästhetik, die wir selber aufunsern Blätter errichtet haben, zu sprengen geeignet ist.Immerhin: wir müssen davon reden. Denn niemand darfwagen, eine Angelegenheit, die die Zerebralhirne des„drittenReichs" tief erschüttert, zu verkleinern oder herabzusetzen.Man schafft in Preußen jetzt eine besondere Bergmannstracht. Diese gibt es zwar von altersher. Jeder, der das Industriegebiet kennt, erinnert sich an die— meist in Musikkapellen repräsentierenden— Knappen in den dunklenUniformen mit steilem und geraden Hut, den ein schwarzesFederbüschel überweht. Aber darum geht es hier nicht.Hier steht Leder zur Debatte— als Bestandteil einer neu zuschaffenden bergmännischen Uniform, worüber man im„Merkblatt für die bergmännische Uniform" wörtlich liest:„Denn wir tragen ja das Leder auf dem— Arm bei derNacht" heißt es im Bergmannslied, und so ordnet dasMerkblatt denn an:„B e r g 1 e d e r(das sogenannteArschleder) bei den unter 1, 2, 3 und 4 aufgeführten Beamten aus schwarzem, mattem Leder, mit matter, schwarzerSeide gefüttert; bei den unter 5, 6 und 7 aufgeführtenBeamten von schwarzem Saffianleder mit Merino gefüttert."Für die. Nichteingeweihten ist es etwas schwierig. Warumdie verschiedenen Nummern für die verschiedenen Lederkategorien? Zum Glück haben wir eine Informationsquelle:Die Essener„National-Zeitung", das Publikationsorgan desJugendIn der Schule wird grellgeschminkter Hornvieh-Nationalismus verzapft: Frankreich ist danach vernegert und nicht mehrzur weißen Rasse zu zählen... Deutschland dagegen ist dasfortgeschrittenste Land, um seine Einheit und seinen Führerwird es von der ganzen Welt beneidet... In den letztenWochen erhielten dreizehnjährige Schüler u. a. folgendeAufsatzthemen gestellt:„Die Bedeutung der Volksabstimmungvom 12. November" und„Unser Familienstammbaum". Inden Gesangstunden wurden den Kindern die übelstenKitschlieder der SA. beigebracht, so auch jenes berüchtigteantisemitische Hetzlied, dessen Refrain„Und wenn das Judenblut vom Messer spritzt,dann geht's noch mal so gut,"traurigen Ruhm genießt. Dieser gemütvolle Kernsatz istüberdies auf dem Dolch so manches zwölfjährigen Hitlerjungen eingraviert. Ohne Zweifel hat die Begeisterung derJungen für den Dienst in Jungvolk und Hitlerjugend, nuner zum von der Schule verlangten Zwang geworden ist,erheblich nachgelassen. In den Reihen der höheren Schülerfängt man an, sich über Hitlers Schmachttolle, GöriSgsUniformfimmel und Göbbels Ariertum lustig zu machen.Begeisterung— FehlanzeigeDer W! tz über das System spielt überhaupt eine unvorstellbare große Rolle, und alle Witze sind von treffsichererSchärfe. Sie wandern durch Arbeiterschaft, Bürgertum undsogar durch die SA., wo vor allem die Witze auf die dort besonders verhaßten Amtswalter in den gutgeschneidertenUniformen beliebt sind. Mit behaglichem, wissendemSchmunzeln erzählen sich Gremien von Spitzenfunktionärender NSDAP, sogar die Witze, in denen Göring als Brandstifter umgeht.In der SA. wird viel geschimpft und gemeckert, natürlichim Suff und zu zweien, dreien auf dem Heimweg vom Dienst.Die SA. unterscheidet längst zwischen„echten" Nazis und„Bonzen". Von sozialistischen Tendenzen ist aber nichts zubemerken Die Kommißluft läßt sie nicht aufkommen.Irgendwelche geistige Interessen sind nicht vorhanden. Voreiniger Zeit wurde der Schreiber zufällig Ohrenzeuge einesGespräches von SA.-Leuten der„Alten Garde", die ihre tiefeUnzufriedenheit mit der Parteientwicklung zum Ausdruckbrachten, über die gestiegene Anmaßung und Eitelkeit derFührer klagten und von sich selbst feststellten:„Man istdabei, tut seine Pflicht, aber die Begeisterung hat man nichtmehr." Auf einer großen Exerzierwiese werden SA. undHitlerjungen Abend für Abend geschliffen. Die Kasernenhof-spräche des kaiserlichen Deutschland war edel, gemessen andem Schnauz- und Pöbelton, der von den braunen Abrichterngepflegt wird. Den„Gepreßten", die ja zahlreicher sind alsdie„Freiwilligen", ist es wenig angenehm dabei zumute.Wer dem Spiel von weitem zusieht, freut sich, daß er nichtdabei ist.Herrn Göring, also im Uniformtragen besonders kompetent,schreibt wörtlich:„Wir sind keineswegs so töricht, leugnen zu wollen, daßes bei Uniformen Rangunterschiede geben muß; aber obes im Zeichen der Volksgemeinschaft angebracht ist, Obersteiger, Fahrsteiger und Steiger mit glänzenden Saffian-— Verzeihung— Arschleder zu bekleiden, das schlechtwegmit Merino gefüttert ist, während die oberen Beamten derDirektoren bis zu den Markscheidern und Dampfkesselrevisoren die hohe Ehre haben, ein mattes, mit schwarzerSeide gefüttertes Arschleder zu tragen, das möchten wirfüglich bezweifeln. Diese Unterscheidung widerspricht sowohl der ursprünglichen Zweckbestimmung dieses Leders,als auch der bei allen anderen Uniformen gebräuchlichenUebung, die Rangunterschiede der Uniformträger nichtaufderKehrseite, sonderna u fderVorder-seite der Medaille zum Ausdruck zu bringen."Es gibt eine reizende Kinderfrage:„Du, Mutti, wie kommtdas eigentlich, die Gesichter von den Menschen sind alleverschieden und die Popos sind alle gleich". Wir freuen uns,aus der Essener„National-Zeitung" zu ersehen, daß das sonstals Erbschaft der französischen Revolution so verpönteGleicfaheitsprinzig wenigstens in dieser lederbedecktenPerspektive der nationalen Revolution zum Durcfabruchkommt. Hier offenbart sich zugleich echtes proletarischesEmpfinden. Jene menschliche Position, die von Natur auskeine Unterdrückung kennt, lehnt sich auf gegen rückwärtsgerichteten Klassendünkel.T>as cKundesteclenT)a staunt manMan erzählt sich:Ein Hundezüchter unternahm eine Reise ins„dritte Reich",wobei er seine beiden kostbaren Hunde mit sich führte. Ineinem Gasthaus kehrte er ein und frühstückte. Die beidenHunde fanden unter der Bank in Zeitungspapier eingewickelte Wurstabfälle und verschlangen sie samt dem Papier,noch ehe ihr Herr ihnen dies entreißen konnte. Eine Stundespäter waren die Hunde tot. Der Besitzer holte den Tierarzt,um über die Todesursache Klarheit zu bekommen und erzählte dem Tierarzt, was die Hunde gefressen haben. Darauffragte der Tierdoktor:„Was war denn das für ein Papier?"Der Hundezüchter erwiderte:„Soviel ich sah, war es eineSchrift des Propagandaministers Göbbels."—„Aha,"—sagte der Tierarzt,—„dann ist mir die Todesursache erklärlich, denn solches Zeug kann kein Vi?h vertragen!"In einem Artikel der„Literarischen Welt"(9. Februar)tobt sich einer über„Die Enge nnd Weite des Heroischen"ans und kommt zu folgendem Schluß:„Die Dichtung hat heute einen viel ernsteren Sinn alsfrüher.. Die Dichtung hat eine größere Wirkungsweite,weil die Menschen aufgeschlossen sind, weilsiestaunen.Aus ihr ist der Sinn für das Maß der Enge undW e i t e zu gewinnen. Sie ist nicht weitläufig und engherzig,sondern voll und schwer. Sie bringt uns an Schicksale heran.Sie bejaht die Entscheidungen im Leben und ist daher berufen, den Sinn zu stärken, denn das Bekenntnis zumSchicksal, zu den Nöten und Pflichten, in der Demut und inden Leidenschaften, das ist eine Festigung desStaunens in dem Sinn des Heroische n."TJläczliedVerstumme, Mensch mit deiner Klage!Am Himmel blaut ein Freudenschein,Und in die Trübsal deiner TageFließt morgenhell der Frühling ein.Im Winde ist die Welt erstanden.Er küßt dich mitten ins Gesicht;Und über den erwachten LandenStrahlt sieghaft das erlöste Licht.Schon jauchzt ans hundert VogelchöwEin silberner Willkommensang,Das neue Leben zu beschwören.Kein noch so festlicher EmpfangKann so wie diese Zeit betören.Wie dieser Rausch von Licht und Klang.HoratioDet JUtcademacschDie„Magdeburger Presse" bringt in großer Aufmachungdie nachfolgende welterschütternde Nachricht:„Ehrung derMagdeburger SA. Der stelbständigen SA.-Standarte 26 wurdeals einziger Standarte in Deutschland der Bad e^n w e i 1 e rMarsch— der Lieblingsmarsch des Führers— als Parademarsch von der Obersten SA.-Führung verliehen! 1 Wenn dasnicht besser ist als Brot für hunderttausende Arbeitslose.««Ufas AntisemitismusDer Jude darf nicht genannt werdenIn den Berliner Ufa-Theatern läuft zur Zeit ein französischer Film„La Msternelle", der einen ungewöhnlichstarken Eindruck auf das Publikum macht. Täglich verlassen— wie wir der„Jüdischen Rundschau" entnehmen— hunderte Menschen das Kino, die noch lange auf der Straße aneinem von Tränen geröteten Ausdruck erkennen lassen, wassie erlebt haben. Die gesamte Presse, voran der„Angriff",ist voll des Lobes für diesen Film, dessen hohe Kunst allgemein anerkannt wird.Bemerkenswert ist nun, daß die gleichgeschaltete undnationalsozialistische Presse diesen Film lobt, obwohl er dasWerk eines Juden, des Regisseurs Benoit-Levy ist. Uroaber zu verhüten, daß das Publikum sich darüber Gedankenmacht, ist der Doppelname des Regisseurs um seinen Levy-Anteil gekürzt worden. Im Personenverzeichnis des Films,in den Anzeigen, in den Kritiken der Tagespresse heißt esstatt Benoit-Levy ganz schlicht:- Jean Benqit. Der Judeund sein Werk werden akzeptiert— schon von wegen derhohen Einnahmen— nur soll es eben nicht jeder wissen!9tans Alices ueclafit die UfaBerlin, Z März. Der berühmte, von der Ufa meistbeschäftigte Filmstar Hans Albers hat— wie es heißt: unterKonflikten— seine Bindungen zur Ufa gelöst. Es soll dabeieine Rolle gespielt haben, daß er mit der Jüdin Hansi Burg,Tochter des verstorbenen bekannten Schauspielers EugenBürg, verheiratet ist.\Zeit=7lotiiwHarun al RaschidDas„Hakenkreuzbanner" teilt mit:„Der badische Innenminister Pflaumer, der zur Zeit einen kurzen Urlaub imSchwarzwald verbringt, hat in den letzten Tagen unerkanntals einfacher Wandersmann einen großen Teil des Schwarzwaldes durchwandert." Es ist wie im Märchen:„An vielenBauernhöfen hat er angeklopft, ließ sich ein Glas Milchgeben und unterhielt sich mit Bauersleuten und Korbmachern... Und wirklich:„Er hörte und erfuhr somanches..."Kein Geschenk für Göring?„So haben glückliche Umstände ein Richtschwert mit beglaubigter Geschichte bis heute bewahrt... Der Rat hat essich damals ein gutes Stück Geld kosten lassen, um seinemRecht auf das Obergericht durch dieses Prunkstück einen eindrucksvollen. sinnfälligen Ausdruck zu geben. Leider ist dieseGroßzügigkeit nicht nachgeahmt worden... So prächtigeRichtschwerte, wie das Glogauer, werden wohl immer selteneErscheinungen bleiben, sowohl hinsichtlich ihres rein äußerlichen Schmucks, wie nach ihrem inneren Wert.Braunbuch— in Palästina verbotenWährend Hitlers„Mein Kampf" in den Buchhandlungenfrei vertrieben werden darf, haben die palästinensischenDistriks-Kommissare den Buchhändlern in ganz Palästina denVertrieb des Braunbuches über den Hitler-Terror verboten.Geoffrey MacLaren, Assistant Commissionar für Jerusalem,erklärte den Buchhändlern, ein Vertrieb des Braunbucheswürde einer Schmähung eines auswärtigen Herrschers gleichgeahndet werden.Planetarium wird abgerissenAuf Druck des Julius Streicher wird das Nürnberger Planetarium—„ein großer, in sachlichem Stil gehaltener Bau"—-abgerissen. Zu dem Plan, das Planetarium als'Stadtbibliothek umzubauen, erklärte Streicher, daß das Fortbestehendes Gebäudes aus Gründen der Denkmalspflege nicht zu verantworten sei.Die„Dachzeitschrift"Da unlängst verboten wurde, die Namen der Naziführereitel zum Zweck der Reklame in den Mund zu nehmen,annonciert der Verlag Kehlhammer über eine juristischeZeitschrift in Balkenlettern:„Es ist, wie Herr Reichsjustizkommissar geäußert hat, gewissermaßen die juristische Dach-zeitsdu ift,"