Mittwoch, den 7. März 1934
Ein Staatsfeind
All die wirren und wüsten Geschehnisse dieser Zeit haben dem Jupp Rademacher aus der Breiten Gasse so gut wie gar nichts anzuhaben vermocht. Krieg, Umsturz, Inflation und nationale Erhebung" hat er gleich sorglos und unbeteiligt an sich abgleiten lassen, als ob ihn das alles einfach nichts anginge. Ja, der Jupp, das ist eine Marke! Ein dick felliger Eigenbrötler und ein unverbesserlicher Egoist. Starknackig und untersetzt, mit breiten, schlagfesten Händen, der richtige Bulle und dabei sicher kein Dumm.opf. Im Grunde genommen unterscheidet sich der Kölner Fleischergeselle
betreffend einen Streit über mehrere hundert Mark. Kostenpflichtige Klageabweisung. Reizende Sache so was. Danach Krach mit der Zimmerwirtin. Im Geschäft Aerger und Anschnauzerei: Drohende Entlassung. Und nun, am Abend, statt süßer Liebesstunde, die reiz ade Feststellung, daß Elly, dieses Biest, tatsächlich ernst gemacht hat und ait diesem Jämmerling, diesem aufgedonnerten Laffen, diesem geJämmerling, diesem aufgedonnerten Laffen, diesem geschniegelten Bürofritzen von Lamberg& Co. durchgegangen ist! Himmelherrgott! Ist doch nicht zu glauben, sowas.
Jupp Rademacher latscht verdrossen über den Hohenzollern
stehers durch Nichtbeteiligung an der Volksabstimmung vom 12. November bewiesen, daß ihn die Ehre und Größe Deutsch lands nicht interessiert.
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Es ist ein Wunder, daß der wegen solcher Verbrechen drei Jahren Zuchthaus verurteilte Jupp Rademacher nicht ,, auf der Flucht erschossen" wurde. Tatsache ist nämlich, daß er wirklich einen Fluchtversuch unternahm, der ihm infolge seiner Bärenstärke und Schlauheit sowie der mangelnden Schießfertigkeit der ihn bewachenden SA. auch gelang. Tatsache aber ist vor allem, daß Jupp Rademacher, der unpolitische Jupp aus der Breiten Gasse, bald darauf in einem sächsischen Städtchen auftauchte und von dem Leiter einer illegalen antifaschistischen Kampfgruppe als„ ,, Staatsfeind"
eingesegnet wurde.
Rademacher nicht wesentlich von der unbeschwerteren Sorte ring. Hände in den Hosentaschen, Hut im Nacken, Pfeife Willy Rosens
seiner Zeit- und Volksgenossen. Er weiß, daß das Morgen nicht halb so sicher ist wie das Heute und daß das Gestern nicht mitzählt, weil es verflossen ist. Er hat einen ausgeprägten Sin... besser gesagt, einen wahren Heißhunger für die beiden geschätztesten Dinge in diesem Leben, Geld und Madchen , deren innige Verbundenheit ihm außerdem völlig klar ist und zu deren Aneignung er vor keinem Mittel zurückschreckt. Dabei ist es für diesen primitiv- vollendeten Lebenskünstler charakteristisch, daß er trotz aller Rücksichtslosigkeit seiner Kampfweise bisher nicht im mindesten die Bekanntschaft der Strafgerichte, ja kaum die der Polizeibehörden gemacht hat. Was nun an Rademacher wirklich auffallend und bemerkenswert ist, das ist die Tatsache, daß ihm die dritte und schlimmste Leidenschaft der Deutschen , der Hang zum Politisieren und die Freud am ,, Erledigen" der berühmten ,, Andersgesinnten" vollständig abgeht. Der starke Jupp aus der Breiten Gasse ist, in der Tat, bewußt und betont unpolitisch. Sooft auch in den verflossenen Jahren der Bürgerkriegelei die Abgesandten der Roten, Braunen oder Schwarzen zu ihm kamen, in der schönen, aber eitlen Hoff nung, den gefürchteten Burschen für ihre Schlägerkolonnen zu werben, es war stets der gleiche Mißerfolg. Mit Politik wa. bei dem Jupp nichts zu machen, da halfen weder Geld noch schöne Worte. Sonst war der Rademacher gern bereit, für ein paar Mark oder ein hübsches Lächeln wie ein Berserker drein zu hauen, aber nicht wegen eines Hitler, Thälmann , Braun oder Brüning. Nein, das kam wirklich nicht in Frage.
Kein Wunder also, daß der Ausbruch des dritten Reiches" den Jupp Rademacher vollkommen kalt ließ. Die in den Orkus Gestürzten taten ihm so wenig leid, wie er nicht im geringsten daran dachte, den neuen Größen Beifall zu klatschen. Und wieder verstand er es mit einer erstaunlichen Gewandtheit, sich durch die Fülle der nationalen Feste und Feiern unauffällig, uninteressiert und unbehelligt hindurchzuwinden. Zwar versagte er es sich keineswegs, auch hier die besten Gelegenheiten zum Genuß von Bier, Bockwürsten und national erregter Weiblichkeit wahrzunehmen, aber im übrigen war ihm das ganze Hekuba.
Gegen Ende November nun, in diesem ersten Jahre des Heils, ist ein Tag schwärzesten Unheils im Leben des Jupp Rademacher zu verzeichnen. Schon mit dem frühen Morgen fing es schlimm genug an: Eine Zustellung vom Amtsgericht
im Mundwinkel. Ein Gesicht wie eine Dogge. Er hatte eine Wut im Leibe, daß es ihn sprengen möchte. So ein Frauenzimmer! Alles hat er für sie getan, jeden Wunsch hat er ihr prompt erfüllt, und nun schämt sie sich nicht, mit so einem Fatzken, so einem Grünschnabel davonzulaufen! Zum Speien ist es.
Und da dem Jupp jetzt wirklich danach zumute ist, so holt er zu einem kräftigen Rülpsen aus und spuckt in hohem Bogen in die Gegend, wobei er diese mannhafte Geste noch durch ein paar saftige Flüche unterstreicht:.... Schweinebande.... Knochen kaputt schlagen....
Dieser doppelte Ausbruch nun wurde mißverstanden. Der wohlgeschleuderte, aber schlechtgezielte Batzen Speichel landete nämlich klatschend auf einem blitzblanken Stiefel, der in diesem Augenblick in Begleitung fünf weiterer Stiefel und der drei dazugehörenden braunen Uniformen des Weges kam. Das schlimmste aber an der Sache war, daß ausgerechnet zu dem so geschändeten Stiefel außer der Uniform noch eine Stange gehörte und daß an dieser ein Tuch mit eingesticktem Hakenkreuz befestigt war. Zur weiteren Verschärfung der Lage trug die Tatsache bei, daß die besagten drei Uniformen den Ausdruck ,, Schweinebande" mit unbedingter Selbstverständlichkeit auf sich bezogen und daß das ,, Knochen- Kaputtschlagen" für sie eine geläufige Sache war.
Erlebnisse
,, Raus mit dem Judenlümmel...!
Der Schlagerkomponist Willy Rosen war vor Beginn der braunen Gegenrevolution ein Mann, der linker Tendenzen und einer nichtarischen Großmutter dringend ver dächtig war. Ueberraschend schnell wußte er sich in den Märztagen gleichzuschalten und Anschluß an die erwachten Barbaren zu finden Eine zeitlang gestatteten die Hitlerianer dem Gesinnungsathleten, weiter zu spielen, vorgestern jedoch ist die Bombe geplatzt. Im ,, K a barett der Komiker". in Berlin , in dem Rosen zur Zeit ein Gastspiel absolviert, kam es während der Darbietungen zu einem Riesenskandal. Ein SA.- Trupp bildete Sprechchöre, beschimpfte Rosen aufs wildeste und brüllte immer: Raus mit dem Judenlümmel nach Palästina!" Des Publikums, das glaubte, die SA. würde zu Gewalttätigkeiten schreiten, bemächtigte sich eine Panik. Viele verließen fluchtartig das Theater. Die Darbietungen Rosens mußten abgebrochen werden. Davon abgesehen, daß der Gleichschalter Rosen den Terror- Fußtritt der SA.- Banditen nicht ganz unverdient er. hielt, ist der Vorfall, der in Berlin größtes Aufsehen erregte, bezeichnend dafür, daß die handgreifliche Judenhetze im braunen Barbarenland wieder aufzuleben beginnt.
Sagen wir kurz, daß Jupp keine Zeit zu Entschuldigungen Beaune Hand an der Krawatte
fand, daß nach rascher Fühlungnahme eine der braunen Uniformen in die Gosse flog und daß es nur der Tatkraft einer schnell herbeigeeilten Schupostreife gelang, die zwei anderen Uniformen vor gleichem Schicksal zu bewahren und den rasenden Jupp in sicheren Gewahrsam zu nehmen.
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Die Verhandlung vor dem Sondergericht wegen Beleidigung nationaler Symbole in Tateinheit mit Widerstand gegen die Staatsgewalt und Verletzung von SA.- Leuten rollte kurz, knapp und kernig ab. Es wurde festgestellt, daß der Angeklagte zwar noch nicht vorbestraft sei, daß aber zwei andere erschwerende Umstände die Gemeingefährlichkeit dieses Untermenschen zur Genüge kennzeichneten. Erstens wurde er einwandfrei überführt, in den Jahren 1926/27 mit einer Nichtarierin namens Sally Grünbaum Unzucht getrieben zu haben( was, Sie Saukerl, wissen noch nicht einmal was Rassenschande ist?) und zweitens hat der Angeklagte ausweislich einer Auskunft des zuständigen Wahlbezirkevor
Eintopfgericht und Eintopfdcama
Neben dem Schafott ist der Eintopf Deutschlands Symbol geworden. Das Schafott ist der politische, der Eintopf der kulturelle Ausdruck der Totalität, die gleichgeschaltete Presse, das gleichgeschaltete Theater, die gleichgeschaltete Literatur das alles ist Eintopf, sozusagen ins Geistige übersetzt. Dazu wurde aus Berlin folgendes gemeldet:
Wie die Blätter berichten, wurde der diesjährige Presseball, das bisher repräsentativste Fest der Berliner Saison, auf den Eintopfsonntag verlegt, um, wie es in der amtlichen Kundmachung heißt, die Volksgemeinschaft * durch Verabreichung des Eintopfgerichtes zu betonen. Dagegen hatten die Gastwirte in Leipzig das Ersuchen gestellt, den auf Sonntag, den 4. März entfallenden Eintopftag mit Rücksicht auf die Ausländer um eine Woche zu verschieben, da an diesem Tage die Leipziger Messe beginnt."
Die Verabreichung des amtlichen Eintopfgerichtes durch die gleichgeschaltete Eintopfpresse wird also zum Höhepunkt der Volksgemeinschaft; die Ausländer allerdings werden vorläufig noch nicht gezwungen, den Eintopf auszufressen. Im Interesse der Gastwirte hat man den deutschen Eintopfsonntag verschoben, bis die Leipziger wieder unter sich sind
„ Gardedorf"
Wissenschaft im ,, dritten Reich"
Sage noch jemand, daß die deutsche Wissenschaft seit Hitlers Machtergreifung dem Verfall entgegen geht! Im Gegenteil, es wird fabelhaftes geleistet. Denn wir lesen in der Rassenbeilage eines Naziorgans folgende frohe Kunde:
,, Eine wertvolle Arbeit hat die Familienforscherin A. von Livonius geliefert, indem sie die sippenkundlichen und besitzrechtlichen Verhältnisse des Dorfes Starkow im Kreise Stolp im Pommern mit unermüdlicher Gründlichkeit untersuchte und feststellte. In diesem Orte sind sämtliche 28 Bauern bzw. ihre Vorfahren mindestens 200 Jahre auf ihrem Besitztum, einige könen ihre Linie sogar bis vor den Dreißigjährigen Krieg verfolgen. Niemals in dem genannten Zeitraum ist auch nur ein einziger Hof durch Kauf in andere Hände übergegangen!"
Aber damit noch nicht genug! Wir erfahren auch noch etwas über die religiöse Entwicklung dieser ursprünglich aus Westfalen eingewanderten Bauerngeschlechter:
,, Der Reformation gegenüber verhielten sich diese Bauern zunächst gänzlich ablehnend, kein Zwang half. Schließlich aber kamen sie doch zur freiwilligen An
und kein schnöder Fremdling die Volksgemeinschaft gefährdet.
Gleichzeitig mit dieser Meldung kommt eine zweite Nachricht aus dem Reiche der Eintopfkultur:
Wie die Blätter berichten, hat der hessische Staatsminister Jung bei einer Ausstellungseröffnung mitgeteilt, daß von nun ab jeder Frau, die mehr als drei Kinder geboren hat, in jedem Monat einmal der kostenlose Besuch des Theaters ermöglicht werden soll.
Das Kinderkriegen wird also in unr ittelbare Beziehung zum Theaterleben gebracht. Offenbar soll der Platz im Theater die Mütter dafür entschädigen, daß für ihre Kinder kein Platz im Wirtschaftsleben, sondern höchstens ein Plätzchen im Massengrab reserviert wird. Ob die Frau eines deutschen Proletariers nach dem vierten Kind noch Zeit und Muße findet, ins Theater zu gehen, ist freilich die Frage. Wahrscheinlich wird sie gezwungen sein, sich mit einer Eintopfspeise für ihre vier Kinder zu begnügen und auf die monatliche Zubuße in der Form eines deutschen Eintopfdramas zu verzichten.
nahme durch die Ueberlegung, ein Pfarrer mit eigener Familie erschiene aus mancherlei Gründen erwünschter als ein eheloser."
Wenn das kein Beweis urdeutscher Frömmigkeit und Innerlichkeit ist, so wissen wir nicht, wie man sich religiöse Inbrunst eigentlich vorstellen soll. Aber nun das wichtigste. Für diejenigen, die noch immer nicht verstehen, worin Sinn und Zweck dieser Wissenschaft" liegt, wird folgendes festgestellt:
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Starkow war ein ,, Garded or f", das engste Verbindung hielt mit den ,, Alexandern", der Gardekavallerie und den Pasewalker Königin- Kürassieren. Heute stellen die 400 Einwohner 66 Mann SA. und SAR., natürlich vor. wiegend aus den Besigerfamilien.
Der Ruhm Starkows wird andre hinterpommersche und mecklenburgische Dörfer nicht schlafen lassen. Bald, dessen sind wir gewiß, wird man noch von weiteren prächtigen Menschengestüten in Ostelbien erfahren, wo aus den Besitzerfamilien( merkste was?) ehemals Gardeunteroffiziere gezüchtet wurden und jetzt breithäftigen Muttertieren stramme SA.- Burschen abgefohlt werden.
Der totale" Binder
Von der Reichszeugmeisterei der NSDAP . ist zum Festanzug der Deutschen Arbeitsfront neben der Festmütze auch die Festkrawatte festgelegt worden. Es soll ein einheitlicher Binder hergestellt werden, ein ,, Originalbinder", der eine besonders glatte Webart des Stoffes aufweist. Die Festkrawatte wird in fünf Ausführungen herausgegeben. Die für die Zulassung zum Vertrieb der Stoffe und Krawatten vorgesehenen Zulassungsverträge werden von der Reichszeugmeisterei fertiggestellt. Die Verträge enthalten alle Einzelheiten. Die Reichszeugmeisterei will den„ Originalbinder" mit einer Siegel marke zeichnen und die Krawatten durch die zugelassenen 10 000 Uniformverkaufsstellen vertreiben lassen. Die Binder dürfen nur mit den erwähnten Etiketten vertrieben werden.
Zugleich wird in unterrichteten Kreisen erklärt, daß das Gerücht jeder tatsächlichen Unterlage entbehre, das davon wissen wollte, es sei angeordnet, den Festanzug der Deutschen Arbeitsfront bis zum 1. Mai 1934 für jedes Mitglied zwangs mäßig einzuführen.
Der bekannte Schauspieler Wilhelm Diegelmann , ein früheres Mitglied des Deutschen Theaters, ist am Donnerstag im Alter von 72 Jahren in seiner Berliner Wohnung an einem Schlaganfall gestorben. Bis in die letzten Tage trat er im Deutschen Theater auf.
Ludwig Bergsträßer
Dem nichtbeamteten außerordentlichen Professor für innere Politik, Oberarchivrat Dr. phil . Ludwig Berg sträßer , ist auf Grund von§ 4 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums die Lehrbefugnis an der Universität Frankfurt entzogen worden.
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Ein Berliner Schupomann stand dieser Tage vor schwierigen Aufgabe, allein eine Ansammlung von Menschen, die keinen nationalsozialistischen Eindruck machten, zu zer streuen. Gummiknüppel, Pistole, überhaupt Waffengewalt anzuwenden, schien ihm nicht ratsam. Die Uebermacht hätte ihn überwältigt. Er dachte nach, und wie er so nachdachte, kam die Erleuchtung: Er trat auf die Leute zu, nahm den Tschako vom Kopf und sprach: ,, Bitte, eine Gabe für die Winterhilfe!" Im Nu war der Platz menschenleer.
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In einem Zirkus in Berlin sollten sich auf Geheiß des Dompteurs drei Elefanten niedersetzen. Die Dickhäuter machten sich aber nichts aus den Führerqualitäten ihres Herrn und blieben alle drei stehen. Da sprang ein Herr aus dem Publikum in die Manege, flüsterte den dreien was ins Ohr und alle dreie setzten sich nieder. Voll Bewunderung fragte der Dompteur den Unbekannten, wie er das angestellt habe. Aber ganz einfach," antwortete dieser. ,, Dem ersten Elefanten sagte ich, der Göbbels würde nie mehr eine Rede halten, dem zweiten, der Göring nie wieder eine neue Uniform sich anziehen, dem dritten, der Röhm stünde hinter ihm."
Zwei Juden schimpfen laut auf den Führer. Ein SA.- Mann hört es und will sie verhaften. Auf die übliche Ausrede, sie hätten ihren Führer Moses gemeint, der sie aus Aegypten , wo sie englische Untertanen wären, geführt hatte, läßt der SA.- Mann von ihnen ab, sagte aber:..Nächstens mekkert nicht so zweideutig Zeug herum. Es könnte schief ausgehen!" Darauf der eine Jude:„ Zweideutig? Sehr gut! Herr Oberstandartenführer, wenn die Frage erlaubt ist, an welchen Führer haben Sie eigentlich gedacht?"