Deutsche   Stimmen. Beilage zur Deutschen Freifieit"

Die bedrohte Pfacce

Von Bruno Brandy

Mein Freund ist Rechtsanwalt, Hunderte Leute aller Stände mit allen möglichen Schmerzen kommen zu ihm und so erfuhr ich die Geschichte jener sanften, gutbürger­lichen Schwiegermutter, in der ein schweres Verbrechen keimte. ,, Niemand ahnte, was in ihr vorging," erzählte der Rechtsanwalt ,,, denn sie war rund, behäbig und etwas spießig, niemand hätte ihr einen verbrecherischen Gedanken auch nur zugetraut, aber die Sache mit ihrem Schwiegersohn warf sie einfach aus dem Gleise.

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Dieser Schwiegersohn war ein höherer deutscher Justiz­beamter sagen wir Amtsrichter, und das machte die kleine Tragödie so brenzlig, denn als Mann der sogenannten Gerechtigkeit muß er auch über falsche Eide urteilen. Was besonders kritisch ist, wenn man selbst unter diesen Para­graf fallen könnte. Aber das ahnte dieser Richter nicht. Er hatte die eidesstattliche Versicherung, daß seine Ahnen­reihe und die seiner Frau arisch seien, in gutem Glauben abgegeben. Lediglich die Schwiegermutter, Frau... nun sagen wir Frau Renate, wußte Bescheid. Das bißchen ,, Rassenschande" lag weit zurück: die Großmutter der Frau Amtsrichter hatte eine jüdische Mutter. Wer wußte das? Nicht einmal die Frau Amtsrichter, mit deren blondem, blau­äugigem, urgermanischem Typus der Gatte in Kollegen­kreisen gern protte.

Frau Renate schwieg wie das Grab und bis dahin an ihr unbekannte Energiefalten gruben sich rechts und links der Mundwinkel ins Gesicht. Warum sollte sie den beiden eine momentan unangenehme, historische Wahrheit sagen? Schweigen ist Gold. Frau Renate schlief sogar nach Tisch ihre halbe Stunde so fest wie ehedem, als Deutschland   noch zu den zivilisierten Staaten gehörte.

Bis dann das eintrat, was uns bei Strindberg immer so gepackt hat weißt du, wenn plötzlich der Bösewicht seinen Schatten durchs Fenster warf. Es klopfte an Renates Tür und herein trat Eduard, ein brünetter, etwas wurmstichiger Cousin. Seit einem Jahrzehnt hatte man nichts mehr von ihm gehört. Nun saß er pomadig hinterm Kaffeetisch, sprach von den schlechten Zeiten und so nebenbei mit öliger Stimme auch vom Arierparagrafen und daß doch auch der Amts­richter habe unterschreiben müssen. Dabei sah er mit un­schuldigem Blick zu Renate herüber. Sie stand auf, ging zum Kanarienvogel, steckte ihm Biskuit zwischen die Stäbe und sammelte sich... Was wußte er nun eigentlich? Das Gespräch glitt weiter, und kurz vorm Abschied stellte sich heraus, daß Eduard etwas Bargeld brauchte. Nicht viel, aber immer­hin... Renate gab. Man wußte ja nicht, was der Mann wußte.

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Seit diesem Tage war es mit Renates Ruhe vorbei. Nach einigen Wochen fand sich der Cousin abermals ein und brauchte wieder Geld. Und so in immer kürzeren Zwischen­räumen. Renate gab zweimal, gab dreimal. Ihre Angst wuchs,

Hüben und drüben

Freitag, den 9. März 1934

ihr Geld nahm ab. In schlaflosen Nächten wälzte sie sich hin und her, sann und sann, wie sie ihre Kinder retten könnte. In Halbträumen erlebte sie Katastrophen: der Schwiegersohn wegen Betrugs vor Gericht, die Ehe geschie den, die Tochter weinend, flüchtend, tot.

Die runde Renate magerte ab, dachte an Selbstmord aber wem sollte das nützen? Der Erpresser würde sich an die Tochter heranpirschen. Nein, etwas anderes mußte ge­schehen! Das innere Fieber trieb sie in ihren Geburtsort. Dort umkreiste sie die Pfarre, denn hier lag das Buch, in dem alles schwarz auf weiß stand. Vielleicht existierte es gar nicht mehr... oder reichte nicht mehr so weit zurück? Eine Verzweifelte klammerte sich an einen Strohhalm. Sie ging hinauf, ließ sich das Buch zeigen, der Pfarrer war nett, höflich, diskret aber der verräterische Vermerk ver­

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schwamm im Buche vor ihren Blicken... Eine Woche blieb sie in ihrem Heimatort, der ihr immer feindlicher und un­heimlicher erschien. Hier lauerte die ewige Gefahr, hier mußte etwas geschehen das unselige Buch mußte weg.

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In diesen Tagen waren die Zeitungen voll vom Reichs­tagsbrandprozeß. Da wurde es Renate zur fixen Idee: die Pfarre mußte brennen. Eine dunkle Nacht abwarten Benzin an alle Ecken im Parterre lag der Amtsraum mit dem Kirchenbuch Benzin durchs Fenster gießen im Nu war alles weg...

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Aber vorher mußte sie noch einmal zurück in den Wohn­ort, das Geld ging ihr aus, und man hatte sie hier in der alten Heimat zu lange gesehen. Unbeachtet nachts eine Station vorher aussteigen... so mußte sie wieder hierher gelangen und ans Werk gehen...

Sie reiste zu ihrer Tochter und das war ihr Glück. Denn dort erfuhr sie, daß vor einigen Tagen ein Verwandter ge­storben sei: ihr Cousin. Grippe. Einer jener heftigen Fälle, die in drei Tagen mit dem Tode ausgehen. Die Tochter konnte das nervös- heitere Gesicht der Mutter nicht ver­stehen, und sie konnte es ihr nicht erklären. So witzig ist das Leben im dritten Reich", nicht wahr, mein Lieber?!

Und dann kam sie zu mir. Wir kannten uns von Kindheit her. Sie kam, weil sie mit der Sache nicht fertig wurde. Es bleibt eine meiner schwierigsten Beratungen, und eigentlich war der Arzt zuständig, denn manches klang schon wie Ver­folgungswahn. Eine längere Erholungsreise ins Ausland das war der vorläufige Schluß.

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Der Amtsrichter aber gehört zu den führenden Rasse­juristen seines Nestes. Käme ein Falscheid in Sachen Arier­paragraf vor seinen Tisch der Mann würde unnachsichtlich richten. Denn Ordnung im Stammbaum muß sein und Rasse

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Ereignisse und Geschichten

Aus dem neudeutschen Jerenhaus

O Vaterland, dein Heil- und Führerfimmel, Dein Brei von Dummheit, Rassenquatsch und Bluff, Gemischt mit echtem, altem Spießermuff, Kurzum, dein ,, drittes Reich", es stinkt zum Himmel.

Des Deutschen   Hirn ist hoffnungslos verkleistert; Er lebt und stirbt noch im Paradeschritt, Und jeder kleine Bürger grölt begeistert, Wenn ihm ein Nazi in den Hintern tritt. Die deutschen Frauen weinen Freudentränen Auf jede Lebensmittelteuerung Zwecks arisch- völkischer Erneuerung. Bei Brüning rasten sie noch wie Hyänen. Wer einst von Frieden nur zu lispeln wagte, Der wurde als Verräter fast gekillt, Indes der Jubel heut' zum Sturm anschwillt, Wenn Hitler   sagt, was Stresemann schon sagte.

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Die Jugend aber kann es kaum erwarten, Daß sie der Osaf auf die Schlachtbank führt, Derart ist sie vom Massengrab gerührt Und von den künft'gen Invalidenkarten. Man konstatiert mit Betroffenheit: Allgemeine Besoffenheit!

Sparsamer gratulieren

Horatio

Der Lebensabschnitt, der ,, sich darstellt" Der Stellvertreter des Führers übergibt den national­sozialistischen Gauleitungen folgende Erklärung: Im Hin­blick auf die große Zahl verdienter Nationalsozialisten, führender Männer des Staates und bedeutender Persönlich­keiten des öffentlichen Lebens, deren ich anläßlich von Ge­burtstagen entsprechend gedenken müßte, ist es mir nicht möglich, offiziell meine an sich selbstverständlichen Glückwünsche regelmäßig telegrafisch oder schriftlich zum Ausdruck zu bringen. Um daraus sich etwa ergebenden falschen Auffassungen vorzubeugen, gebe ich daher bekannt, daß ich Geburtstagswünsche grundsätzlich nur dann über­mittle, wenn in dem Geburtstag ein wesentlicher Lebensabschnitt sich darstellt. Ich bitte allerseits, mir gegenüber nach dem gleichen Grundsatz zu verfahren."

Also Rudolf Heß  . In jedem Betracht ein Stellvertreter. Sogar im Respekt vor der deutschen Sprache. Wer zu schreiben wagt: ,, Wenn in dem Geburtstag ein wesentlicher Lebensabschnitt sich darstellt"..., der muß Hitlers   ,, Mein Kampf  " mit besonders großem Erfolg gelesen haben.

bleibt Rasse. Urahn bleibt Urahn. Mit Juden will er nichts Frau Horschke

zu tun haben. Und da er zu den Dunklen gehört, ist er um so stolzer auf das blonde, unverkennbare Ariertum seiner Frau. Deshalb hat er sie ja geheiratet, nicht wahr?"

Die Magnolienstraße" von Louis Golding  (*

Englische   Provinzstadt nicht weit von London  : Das Schick­sal einer Straße vor dem Krieg, im Krieg und 1930. Aber was für eine Straße! Auf einer Seite wohnen im dichten Beieinander die Christen, auf der andern die Juden. Die christliche Straßenreihe hat ihren Mittelpunkt in der Wirt­schaft, die jüdische Seite" jedoch trifft sich im Spezerei­laden einer Krämerin, deren Vorfahren noch ,, weit hinter dem Dnjepr  " Urvätergebete lasen.

Leise spinnen sich die ersten Fäden. Mit einer Liebes­geschichte des Seefahrers und der schwarzäugigen Rose aus dem Bonbonlädchen fängt es an. Es geht ein Raunen und Flüstern hinüber und herüber, noch sitt die alte jüdische Mutter auf dem Trauerschemel, als ihr Sohn die dralle Frau von gegenüber heiratet.

Aber der Krieg ist die große Mühle, die die Straße durch das gemeinsame Schicksal ihrer Brüder und Söhne mahlt. 1930 wird zur Apotheose jahrzehntelangen Beieinanders: der Sohn eines Rabbi ist Weltmeister im Boxen geworden. Er gibt der Magnolienstraße ein Fest. Die beiden Straßen­seiten sind durcheinander geraten, viele sind gestorben, verdorben, gefallen, ausgewandert. Die, die noch da sind, die herbeieilen, ob sie inzwischen in Squares von Westend oder Herzogschlössern zu Hause sind, sie werden zu einer ein­zigen großen Familie.

Am nachdenklichsten haften unsere Gedanken bei dem *) Verlag Europäischer Merkur, Paris  .

Der große Gedanke

Das Armee museum

Das Hauptorgan der NSDAP  . Gau Baden  , Der Führer", schreibt in einem Artikel, der fast eine ganze Seite ein­nimmt: Der große Gedanke des Reichsstatthalters beginnt Wirklichkeit zu werden." Welcher Gedanke? Die Schaffung eines Armeemuseums Reichsstatthalter Robert Wagner  hat im Herbst vergangenen Jahres die Anregung gegeben zu diesem badischen Armeemuseum und hat in einem Aufruf die Bevölkerung aufgefordert, mit beizutragen, daß in diesem Museum eine lückenlose Darstellung all dessen möglich wird, was badisches Soldatentum im Laufe vieler Jahrhunderte auf allen Schlachtfeldern der Erde vollbracht hat." Die ,, feierliche Eröffnung" ist für den 13. Mai vorgesehen. ,, In der Haupthalle wird in der Mitte die Geschichte des groß­herzoglichen Hauses und der badischen Generalität ihre lebendige Darstellung erleben, auf der einen Seite wird

alten Emanuel, dem ewigen Idealisten. dem gläubigen Menschen, der ,, alle Rassen und Völker in der Morgen­dämmerung eines schöneren Tages auf dem Weg der all­umfassenden Nächstenliebe dahinschreiten sehen will".

Keine Angelegenheit ernster Literatur? Es ist mehr als das: ein Mensch erzählt Menschenschicksale an Menschen, die über dem geschriebenen Wort noch nicht Lachen und Weinen verlernt haben. Alle die Großen und Kleinen in Schwächen und Ueberlegenheiten wachsen in unser Erlebnis hinein, werden Menschen, die wir meinen seit Jahr und Tag, viel­leicht in einem anderen Leben vor hundert und mehr

Von einer Frauenversammlung in Zittau   berichtet die dortige ,, Morgenzeitung":" Dann nahm die Kreisrednerin Frau M. Horschke, Reichenau  , Stellung zu den wich­tigsten Fragen, die eine deutsche Mutter, eine deutsche Frau und ein deutsches Mädchen heute bewegen. Sie betonte dabei insbesondere, daß die Familie heute wieder die Keimzelle des deutschen Staates und Volkes geworden und wieder in ihre ältesten Rechte eingesetzt ist. Obwohl aber der National­ sozialismus   die deutsche Frau ganz der Familie wieder zu. rückgeben will, werde sie sich wenigstens für die nächste ziehen dürfen. Erst wenn der Kampf einmal bis zum end­Zeit noch nicht völlig aus dem öffentlichen Leben zurück­gültigen Sieg durchgerungen sein wird, dann werde sich die deutsche Frau wieder allein ihrer gottgewollten Bestimmung widmen dürfen."

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Die schändlichen Marxisten hatten dekretiert, daß die Frau ein dem Manne gleichberechtigtes Wesen sein solle, und hatten ihr auch das Wahlrecht gegeben. Von dem Wahlrecht wollten diese ,, deutschen" Frauen ferner nur noch Gebrauch machen, es wieder abzuschaffen, und zu ihrer gottgewollten Bestimmung" zurückzukehren: Gänse zu sein und zu bleiben.

Jahren gekannt zu haben. Trotzdem sind sie, englisch  ", den Berlin  !

Nöten des Kontinents entrückt und gegen ihren Willen mit ihnen beladen. Die Menschheits- Sehnsucht liegt über den Juden der Magnolienstraße. Denn dieses Buch, das mit behutsamer Hand und schlichtester Einfühlung an die Kulturschande unseres Jahrhunderts, an das Rassenproblem rührt, versucht die Lösung aus der Feder eines Juden im wahrhaft christlichen Sinn. Was ist das Christentum anders

als Menschlichkeit? Was ist das Ringen aller Religionen, deren Gläubige in Aufruhr geraten sind, anders als das ewige Gottsuchen, das die Evangelien des Jesus von Nazareth  mit den Worten der Propheten des alten Testaments über­

In einer Statistik über die Uraufführungen in den ersten vier Monaten dieser Spielzeit werden im deutschen   Sprach­gebiet 195 Werke gezählt; davon fallen auf Deutschland   168 Uraufführungen, von denen in Berlin   nur 13 herauskamen. Da von diesen 13 auch noch 8 Werke der Operette gehören, so kann man ermessen, wie bedeutungslos die Theaterstadt Berlin   für die dramaturgische Seite des deutschen   Bühnen­lebens nachgerade geworden ist.

,, Preußische Jahrbücher  ", Berlin  , Februar 1934.

nahmen: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst." Die Zeit- Notizen

..Magnolienstraße" ist am Ende der Wundertraum einer Dichtung.

e. w.

Badens Militärgeschichte von 1771-1849, auf der anderen Seite von 1849-1913 dargestellt.

,, Lebensgroße Puppen in den Uniformen der Leibgrena diere und der Leibdragoner zieren eine Ecke, Pauken der Grenadiere, die prachtvollen Kesselpauken der Leibdragoner, Uniformen alter badischer Garde du Corps. In einer großen Vitrine sehen wir die Sammlung der badischen Orden vom Zähringer Löwen und dem Orden der Treue bis zu den Tapferkeits- und Verdienstmedaillen der verschiedenen Kriege.... haben doch badische Truppen in allen Teilen des Kontinents gekämpft." Und zwar: unter den ver­schiedensten Fahnen". Nur ein Schatten liegt über dem großen Gedanken" des Reichsstatthalters: Zu dem Orden der Treue fehlt leider heute noch die Kette, die bisher noch nirgends zu finden war". Trotzdem ist hier mit einer riesigen Sammlung von Helmen, Säbeln, Degen, Lanzen bis zu den Seitengewehren des 70er- Krieges ,, in stiller uner­müdlicher Arbeit ein Museum im Werden, das in ganz Deutschland   einzigartig dasteht".

Jährlich nur 75 Medizinstudentinnen

Die Zahl der zum Medizinstudium zugelassenen Frauen ist auf jährlich 75 beschränkt worden. Die offizielle Aerzte­Zeitung schreibt dazu: Ein weiblicher Arzt ist ein doppel­geschlechtliches Wesen, das der natürliche und gesunde Volksinstinkt ablehnen muß."

Husserl  

Berufung: Der Philosoph Prof. E. Husserl   hat einen Ruf an die University of Southern California  , Los Angeles  , er. halten.

400 000 Druckschriften beschlagnahmt

Seit Inkrafttreten des, Gesetzes zum Schutze des Deutschen Volkes" sind in Leipzig   beschlagnahmt worden: rund 60 000 Bücher, 85 000 Zeitschriften, 250 000 Broschüren, 1600 Bil­der, 500 fotografische Platten und zwei Filme. In der ,, Deutschen Bücherei" ist ein besonderer Raum eingerichtet worden, in dem je ein Exemplar der beschlagnahmten Literaturerzeugnisse, auch der Geheimschriften, untergebracht wird. Dieser Raum steht unter Verschluß, ist für das Publikum nicht zugänglich und wird nur für sogenannte wissenschaftliche Arbeiten freigegeben. er

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