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Freiheit

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands  

Nummer 58-2. Jahrgang

Saarbrücken  , Samstag, den 10. März 1934

Chefredakteur: M. Braun

Aus dem Inhalt

Regierungskrise in Belgien  ?

Seite 2

Verhöhnung des Völkerbundes

Seite 3

an der Saar Wiener Arbeiter- Zeitung illegal

Seite 3

Oestereichische Tragödie underton demokratischer Sozialismus

Seite 5

Benesch droht Habsburg

Oesterreichische Monarchic wäre Kriegsfall Briefwechsel Hitler- Mussolini

Paris, 9. März

Der nach Prag   entfandte Sonderberichterstatter des Petit Barisien übermittelt seinem Blatt eine aussehenerregende Erklärung des tschechischen Außenministers Benesch über eine mögliche Wiedereinsetzung der Habsburger   in Wien  und Budapest  . Zunächst erklärte er, nach dem Bericht des Petit Parifien", er sei mit Dollfuß   und Fey der Ansicht, daß die Frage der Wiedereinführung der Monarchie in Wien   eine internationale Frage sei und daß sie im übrigen feinen aktuellen Charakter habe. Sie gehöre feineswegs zu feinen unmittelbaren oder fernen Sorgen. Aber gesetzt ein: mal den unmöglichen Fall, daß morgen durch einen monar­chistischen Putsch oder auf irgendwelche andere Weise die Habsburger   wiedereingesezt würden, würde der tschechische Gesandte in Wien   sofort nach Prag   zurückberufen werden. Er, Benesch, glaube sogar sagen zu können, daß das gleiche vom rumänischen und südslawischen Gesandten gelte. Die leine Entente wäre in der Tat entschlossen, sich mit allen Mitteln der Wiedereinsehung der Habsburger   zu widersetzen. Sie würde jede

Eventualität lieber annehmen als gerade diele. Der Stand:

punkt der Kleinen Entente   gehe nicht auf irgendwelche Ge fühle, sondern auf Tatsachen zurück. Die Habsburger   hätten, gleichviel ob sie das selbst wollen oder nicht, eine bestimmte Bedeutung. Reine noch fo feierliche Verpflichtung, fein Ver zicht, kein Eid könne ihnen ihre Daseinsberechtigung und ihre Bedeutung als Herrscher eines Kaiserreiches nehmen, denn auf alles das könnten die Habsburger   gar nicht ver: zichten. Wenn aber ein Habsburger in Wien   und Budapest  wieder auf den Thron steige, dann würden alle Irredentis men und alle Revisionsgelüfte wieder gewedt werden.

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Labour siegt

Bei den Londoner   Grafschaftswahlen

London  , 9. März. In den frühen Morgenstunden des Freitag waren 98 Ergebnisse der Londoner   Grafschaftsrats: wahlen bekannt. Danach waren gewählt 61 Arbeiterparteiler und 37 Konservative. Die übrigen 26 Wahlergebnisse sollen im Laufe des heutigen Vormittags bekanntgegeben werden. Die Arbeiterpartei hat bisher einen Gewinn von 22 Sigen zu verzeichnen, während die Konservativen 18 und die Libe= ralen vier Site verloren haben.

lim 199 Eintopf- Kanzler

nicht offiziell auf den Anschluß Oesterreichs   verzichten könne und daß die Regierung Hitler   in dieser Hinsicht gegenüber der deutschen öffentlichen Meinung vorbelastet sei. Er könne also auch keinen amtlichen Verzicht auf den Anschluß wün: schen. Dagegen könne er sich bemühen, es dahin zu bringen, daß Berlin   gegenüber gewissen Plänen der Mussolinischen Politit nachgebe. Im ganzen hält es der Temps" für wahrscheinlich, daß der deutsch  - italienische Gegensatz in der österreichischen Frage, der in den letzten Tagen so scharf hervortrat, einer gemäßigs ten Haltung weicht. Es werde ein Kompromiß ange: strebt, in dem Italien   vor allem einen diplomatischen Sieg davonzutragen wünsche, während es Deutschland   um einen Vorbehalt gehe, soweit die Frage des deutschen   Volkstums in Betracht komme. Im übrigen sei die Furcht vor Deutschland   in Italien   nicht geschwunden, besonders in den Kreisen der Wirtschaft und Finanz. Hier sei man nach wie vor für eine französisch- italienische Ver: ständigung.

Rückzug Hitlers

Rom, 9. März.

Seit einigen Tagen haben die scharfen Auseinandersetzun gen zwischen der deutschen und italienischen Presse einem

ruhigeren Tone Platz gemacht. Hier wird vor allem beachtet, daß die Haltung der deutschen   Presse in bezug auf die öster­reichische Frage gemäßigter geworden ist. In den diploma­tischen Kreisen der italienischen   Hauptstadt spricht man von einem Wechsel der deutschen   Taktik angesichts der entschiede nen Haltung Italiens  , Englands und Frankreichs  . Man stehe vor einem strategischen Rückzug Berlins  . Hitler   foll daran gelegen sein, mit Dollfuß   noch vor seiner Reise nach

Verständigung über Oesterreich? Rom   zu einer Verständigung zu kommen, damit der öfter­

Der römische Korrespondent des Temps" weiß zu melden, baß in der legten Zeit ein direkter Briefwechsel zwischen Hitler   und Mussolini   über die österreichische Frage stattgefun: ben hat. Es handle fich um eine Art freundschaftlichen Zweis tampfes". Mussolini   wisse sehr wohl, daß die deutsche Politik

reichische Kanzler nicht durch irgendwelche Abmachungen mit Mussolini Deutschland vor vollendete Tatsachen stelle. Zu die­sem Wechsel in der deutschen Haltung dürfte auch die Rüd­sicht auf die deutschen Nordseehäfen beigetragen haben, die unter einer völligen Hinwendung der österreichischen Aus­fuhr nach Triest   starf leiden würden.

SA. wird Militär

baens in

Uebungen am Maschinengewehr und Feldgeschütz  - Ein Tarnungs- Erlaß Röhms

London, 8. März.

Der Manchester Guardian" veröffentlicht den folgenden angewöhnlichen Bericht eines Spezialforrespondenten über die militärische Ausbildung der deutschen SA.:

Die Umwandlung der A.( Braunhemden) in reguläres Militär macht rasche Fortschritte. Die Stürme erhalten eine einheitliche Ausbildung wie die Reichswehr  , und zwar am Armeegewehr, Maschinengewehr, Feldgeschütz sowie im Luft­schuß. Die Instruktionskurse werden von der Reichswehr  überwacht. Die Hauptübungspläge für Berlin   find Döberiz, Eperenberg, Brandenburg   und Küstrin  . Jeden Sonntag fin­den Geländeübungen im weiten Rahmen statt. Besondere Prüfungen werden jeden Montag abgehalten, bei denen die zum Offizier Geeignetsten ausgesucht werden.

Die Disziplin ist straffer geworden. Großer Nachdruck wird auf das Grüßen und überhaupt auf gutes Benehmen gelegt. Die Uebungen sind sehr anstrengend, weshalb auch viel über fie geschimpft wird.

Die 8. SA.- Standarte, wird truppweise am Maschinen­gewehr ausgebildet. Sturm 18 hat jeden Samstag einen In­struktionsfurs unter polizeilicher Zeitung in der Polizei­unterkunft in der Immermannstraße in Berlin  .

Fünfwochen- Kurse

30 Beamte vom Postamt SO 36 in Berlin   sind nach Bran­ denburg   einberufen worden. Dort nahmen sie zusammen mit etwa 3000 SA.- Unterführern an einem militärischen

Ausbildungskurs teil. Der Kurs wird von einem Oberst­leutnant von der Reichswehr   geleitet und dauert vier Wochen. Während dieser Zeit erhalten die Beamten fein Gehalt; ihr Dienst auf dem Postamt wird von Stellvertretern versehen. Sie werden am Armeegewehr 98 ausgebildet, ferner am schweren Maschinengewehr, in Geländefenntnis, Signal geben und Feldtelefondienst. Eines Tages hielt der Oberst leutnant bei einer Parade eine Ansprache, die mit den Wor­ten schloß:

Die Uebung war notwendig, weil troß der Friedensliebe des Führers eines Tages etwas passieren könnte, und dann wäre es zu spät, um erst mit dem Ausbilden anzufangen. Wenn es Krieg gibt, werden alle jest Ausgebildeten Unter­

offiziere."

Gegenwärtig wird in Döberis ein Luftschußregiment auf­gestellt. Alle Mannschaften werden in der Bedienung des schweren Maschinengewehrs ausgebildet. Sie sind nach vier­zehntägiger Probezeit ausgewählt und zu absoluter Geheim­baltung verpflichtet worden. Zeitungsberichte verboten

In der deutschen Preffe fehlt nach wie vor jede Mitiet lung über Deutschlands   militärische Vorbereitungen. Die fleinen Provinzzeitungen haben aber nun einmal eine Schwäche für Berichte über örtliche Manöver. Da diese Be­richte bisweilen sogar von SA.- Leuten geliefert worden sind, Fortsetzung siehe 2. Seite

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Er redet Blech auf der Automobilausstellung D. F. Der deutsche   Reichskanzler ist Monomane. Sein und das ist Fimmel ist, für alles, was er nicht begreift sehr viel, den Marxismus verantwortlich zu machen, wenn sich nachher nicht noch die Juden als Schuldige ein­schieben lassen.

Daß Jfrael an der ungenügenden Entwicklung der deutschen Automobil- Industrie schuld sei, kann auch Hitler  nicht gut behaupten. Dafür war und ist das Automobil auch bei der semitischen Rasse zu beliebt. Mithin muß der Margismus verhindert haben, daß Deutchland nur 500 000 Wagen hat, während es, mit Nordamerika   verglichen, 12 Millionen Autos laufen haben müßte. Um diese 11% Mil­lionen Automobile hat der Marxismus   den deutschen Volkswohlstand betrogen. Warum?

Der deutsche   Reichskanzler weiß es. Die margistische Jdeenwelt hat einen leider mehr als erfolgreichen Kampf für ein möglichst primitives Ausmaß der Bedürfnisse ge­führt." Bei seinen, wie man weiß, tiefgründigen Marg­studien ist der Reichskanzler immer wieder auf den Ge­dankengang gestoßen, daß der margistische Sozialismus die kapitalistische Produktion zurückschrauben und das Volk zu klösterlicher Bedürfnislosigkeit erziehen will. Die Marxisten lesen zwar ohne Ausnahme das genaue Gegenteil aus den verwerflichen Schriften ihres Weisters und seiner Jünger heraus. Das liegt aber wahrscheinlich nur daran, daß sie den Marxismus nicht begreifen, wäh­rend der Glanz Hitlerschen Denkens in die Tiefen der margistischen Jdeen eindringt. Dank seiner Vorstudien durch die Weisen von Zion.

Auch das kapitalistische Unternehmertum hat vor Hitler den Margismus nicht recht verstanden. Da redete man immer von der himmelhohen Begehrlichkeit der Massen, die durch Sozialdemokratie und Gewerkschaften geweckt wurde, und nun erfährt man durch den deutschen   Reichs­kanzler, daß im Gegenteil der Margismus die Massen zur primitivsten Bedürfnislosigkeit erziehen wollte. 11% Mil lionen Bauern, Arbeiter und Mittelständler sauften in eigenen Autos durch die deutschen   Gaue, wenn Karl Marg nicht gelebt hätte. Nur weil auch die deutschen Automobil­Industriellen durch diesen Bußprediger eingeschüchtert waren, haben sie bis in die letzten Jahre gezögert, sich auf das kleine Volksauto umzustellen. Und nun werden bald die Millionen Deutschen   mit den Amerikanern um die Wette fahren. Nur die 17 Millionen, die noch immer auf die Winterhilfe angewiesen sind, müssen noch eine Zeitlang warten. Für sie sorgt einstweilen ,, Kraft durch Freude  ".

Erinnern wir uns recht, so waren es gerade die Nazi­agitatoren, die jedem margistischen Minister oder Ober­bürgermeister in neidgeschwollenen Reden sein Dienst­auto vorhielten. Täuschen wir uns nicht, so waren es die Nazis, die primitive Spießer mit der Vorstellung auf­regten, marxistische Bonzen und hochbezahlte Beamte, von den Kapitalisten ganz zu schweigen, vergeudeten die Bolksgroschen in Del und Benzin. Hat davon der Reichs kanzler nichts gehört? O ja, er hat solche albernen Hetz. reden selber zu hunderten gehalten. So monoman ist er nun wieder nicht, um nicht zu wissen, daß er ein schäbiger Lügner war und ist.

Der Margismus hat nie daran gedacht, die technische Entwicklung hemmen zu wollen. Allerdings hat er auch nie befürwortet, daß diejenigen, die in der heutigen Ge­sellschaftsordnung die höchsten Genüsse sich leisten können, dies auf Kosten der Entbehrenden tun sollen.

Der Marxismus hat nie den Lebensstandard aller ein­heitlich nach der Tiefe gedrückt". Er hat im Gegenteil das Lebensniveau zu heben getrachtet und hat es tatsäch lich gehoben. Das dritte Reich" aber drückt das deutsche  Bolk mit dem Jdeal einer Eintopfkultur, an der sich frei lich die Kapitalisten und die Nazibonzen nicht beteiligen, immer tiefer ins Elend. Trotz aller Autoreden des Reichs­kanzlers werden in einer so schrumpfenden Wirtschaft die Bedürfnisse der Massen immer primitiver werden.

Der Marrismus ist die Entwicklung und planvolle Or ganisation aller Produktivkräfte. Der Hitlerismus ist der Wirtschaft und durch Bettelei für die Krisenopfer den bornierte Versuch, durch rednerische Beschwörung an die kranken Kapitalismus kurieren zu wollen.