Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschen Freifieit". Freiheit" Ereignisse und Geschichten

Sonntag- Montag, den 11. und 12. März 1934

Drei Gedichte Eine Auslese aus vielen

Brief eines deutschen   Studiencats

Mein Freund, die Zeit ist fast schon wieder gro wie Anno vierzehn, da wir Knaben waren und bartlos jung noch, Kinder, unerfahren und doch schon reif für hartes Manneslos.

Wir kamen heim und hatten viel gesiegt und brachten doch nur leere, müde Hände; nun war der schöne Wunschtraum jäh zu Ende, in dem wir uns vier Jahre lang gewiegt.

Und jetzt, mein Freund, wie herrlich ist's zu se

daß wieder eine Jugend sich bereitet,

von unsrem hehren Ideal geleitet,

in ihren edlen Knabentod zu gehn!

O wüßtest du, wie mir das Herze lacht, wenn ich die Jungen seh in ihren Bänken, wie sie die Knabenseelen freudig schenken dem Ideal von Deutschlands   Sieg und Macht.

O könntest du das große Auferstehn,

des deutschen   Herzens Aufstieg doch erleben; du fühltest es mit heiligem Erbeben:

soll Deutschland   groß sein, muß es sterben gehn!

Soviel in meiner Kraft liegt, will ich tun,

dem Nachgeschlecht den kühnen Mut zu spenden: sein Blut an große Taten zu verschwenden und heldenhaft im Massengrab zu ruhn.

Ich bin mir meiner Pflicht vollauf bewußt,

ein deutscher   Lehrer weiß, was er sich schuldet: kein feiges Zaudern sei hinfort geduldet; der Kriegsruf ist des deutschen   Mannes Lust.

Wir hier, mein Freund, wir stehen an der Front, wir sind mobil, wir sind das Volk in Waffen, und unsre Schüler werden, glaub mir's, schaffen, was damals wir gewollt und nicht gekonnt.

Doch Schluß jett, Freund, und echten deutschen Gruß! Ich muß in meine Klasse, und am Leben

des alten Frits den Geist der Jugend heben ( beziehungsweise des Arminius  ).

Max Barth.

Manchmal müssen wir denken

Manchmal am Abend müssen wir denken

obwohl man es eigentlich verbot

nach tagelangem Fahnenschwenken

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und bei dem dürftigen trockenen Brot:

Wie das so wäre,

wenn alles gerecht, und das Wort kein Betrug,

wenn die Brüder noch lebten, die man erschlug, wenn Göring   kein Mörder und Morphinist wäre und Hitler   ein Sozialist

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wenn der Marschtritt, der schwere,

der Arbeiterheere

unsere Forderung vorwärts trug

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Dann träten wir hin vor die Herren im Sessel: ,, Sieh da! Stehn Sie mal auf! Lassen Sie uns mal ran! Uns die Maschinen! Unser die Kessel! Heute fängt etwas Neues an!"

Aber die lachen. Paffen den Rauch der Zigarren uns ins Gesicht

Und rühren sich nicht.

,, Wenn wir euch nicht entlassen, ihr Lumpen, seid froh- Abtreten! Marsch! Zur NSBO...!"

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Manchmal des Nachts, da müssen wir denken

weil wir vor Hunger immer erwachen

wie das sein wird... wir werden nichts schenken Wir werden ihnen die Rechnung machen. In der Hand die Gewehre

quittieren wir den großen Massenbetrug. quittieren wir die Brüder, die man erschlug.. Wir werden nicht flaggen und werden nicht feiern, wir werden keine Reden leiern wenn der Marschtritt, der schwere, der Arbeiterheere,

an die Türen der Villen schlug

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Dann treten wir hin vor die Herren im Sessel: ,, Sieh da! Stehn Sie mal auf! Lassen Sie uns mal ran! Uns die Maschinen! Unser die Kessel!

Heute fängt etwas Neues an!"

Die werden nicht lachen. Die werden in den Knien beben Und sich erheben.

Wir werden Gefängnisgitter zerhauen. Und an die Maschinen gehn, unser Reich, unser großes, freies, gerechtes Arbeiterreich aufzubauen!

Gesinnung

Was rot ist, ist nicht blau,

Was gestern war, braucht morgen nicht zu sein, Doch, alle Deutschen   sind in grau, Der Führer sagt, das muß so sein.

Die Welt ist dazu da, um ihr Gesicht zu ändern Die Politik streicht dieses dann in ihren Farben an, Das nennt man dann seine Gesinnung ändern, Und jeder tuts, so gut er kann.

Versteht Ihr also dann, wieso es kam.

Daß heute dort so viele sind.

Wo gestern niemand war?

So lang wir leben, ist des einzeln höchstes Sehnen, Dort zu sein, wo die meisten stehen.

Man sagt den Tieren nach,

Es könnte nur in Rudel tränken,

Die Menschen aber kann man zu ihrer größten Schande sich nur in Herden denken.

Deshalb, lieber Leser: Hinein in den Menschenherdengesinnungsverein.

Die Union   der braunen Hand

Schweizer   Meinung

Wir veröffentlichten kürzlich die Gründung der ,, Union nationaler Schriftsteller" unter Führung von H. Johst  . Mit ihr scheidet das gleichgeschaltete deutsche   Schrifttum aus dem internationalen Pen- Klub aus. Wie man im deutsch­sprachigen neutralen Ausland die Neugründung und ihr

Programm beurteilt, dafür gibt die Neue Zürcher Zeitung  "

ein anschauliches Beispiel:

,, Die internationalen Instrumente sind verstimmt. Deutsch­ land   hat den Pen- Klub, die größte Schriftstellerorganisation, verlassen. Nach einem offiziellen deutschen   Schreiben hat die Exekutive in London   Deutschland   zugemutet, kommunistische Autoren in den Reihen des deutschen   Pen- Klubs anzuerken­nen. Im Grunde geht der Streit um die Emigranten und die Nicht- Deutschstämmigen. Das Ausscheiden Deutschlands  

Marius.

Die Schwierigkeiten einer ,, Union Nationaler Schriftsteller" nach deutscher   Konzeption dürften große Schwierigkeiten begegnen. Das Deutschland   wohlgewogene Italien   würde nicht zugeben, daß ein italienischer Autor jüdischer Herkunft kein nationaler Schriftsteller sein könne. Es sei auch nicht

verschwiegen, daß der hohe Begriff des Vaterlandes" nicht

das ausschließliche Sinnen und Trachten eines jeden Dichters sein muß. Wenn Schriftsteller den Staat vergotten, so engt sich ihre Problemwelt auf ihr Zuhause", auf ihr Land ein. Sie interessieren sich erfahrungsgemäß wenig mehr für Ge­meinschaftsprobleme, sie schließen sich ab und es ist fast ein Widerspruch, international wirken zu wollen."

aus dem internationalen Bunde müssen wir ebenso bedauern Die deutsche   Pen- Gruppe

wie begreifen. Bedauern, weil das Fehlen Deutschlands   dem internationalen Pen- Klub eine problematische Struktur gibt. Noch problematischer allerdings dünkt uns das Vorhaben des ausgeschiedenen deutschen   Pen- Klubs, nun seinerseits zu einer Weltorganisation, einer Union Nationaler Schrift­steller" aufzurufen.

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das ist

Der Wunsch, doch wieder ein internationales Instrument zu formen, zeigt deutlich, daß Deutschland   seine Isolation erkennt und aus ihr einen Ausweg erstrebt. In dem deut­ schen  , von Hanns Johst   gezeichneten Aufruf lesen wir: ..Die kulturelle Persönlichkeit des Vaterlandes unser Programm. Nicht die Auflösung des Begriffes, sondern seine Sicherung, die Sicherung aller der großen und kleinen Vaterländer nebeneinander, ihr Ausströmen in die Kunst, das ist in die Sittlichkeit notwendig erwachender Formen die Richtung unserer Gesinnung, die auf nichts weiter zielt, als auf die vertiefte Ehre der Völker und die Sammlung zu einer neuen menschlichen Gemeinschaft."

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Wir kennen nicht einen schweizerischen Schriftsteller von

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Nachdem das Exekutiv- Komitee des Internationalen PEN. Clubs festgestellt hat, daß die deutsche   PEN-Gruppe die Grundsätze des PEN- Clubs verletzt hat, haben einige zur Zeit außerhalb Deutschlands   lebende deutsche   Schriftsteller im Einverständnis mit dem Exekutiv- Komitee den Plan ge­faßt, eine neue autonome PEN-Gruppe im Geiste des Inter­nationalen PEN-Clubs zu gründen. Diesem Plan haben sich bisher angeschlossen:

Heinrich Mann  , Georg Bernhard  , Bernhard von Brentano, Fritz Landshoff  , Lion Feuchtwanger  , Bruno Frank  , Oskar Maria Graf  , Max Hermann Neiße  , Emil Ludwig  , Klaus Mann  , Peter Mendelsohn, Balder Olden  , Rudolf Olden  , Paul Rou­biczek, Ernst Toller  , Arnold Zweig  .

Der Mediziner in der Weltesche Er sucht hier Nornen und Walküren

Alle deutschen   Aerzte, die ihren Beruf nicht nur als Geld­quelle betrachten, sondern ihn sozial und wissenschaftlich ernstnehmen, sind über die zynische Verwegenheit, mit der die Naziführer in die Medizin eingreifen, tief bestürzt. Das Bekenntnis zur Naturheilkunde", die Förderung des Kur pfuschertums, das Gesetz über die Sterilisation finden bei den Aerzten wachsenden Widerspruch; aber drohend wendet sich der Reichsärzteführer" Dr. Wagner gegen die Unzu­friedenen und mahnend redet ihnen das ,, Aerzteblatt für Sachsen" ins Gewissen. In diesem famosen Aerzteblatt heißt es:

,, Die Einsteinsche Relativitätstheorie und die Freudsche Psychoanalyse sowie ihre Verkünder waren Kräfte jener Art, die an den Grundlagen unserer arisch- germanischen Kultur nagten wie der giftige geringelte Nidhögger an den Wurzeln der Weltesche Ygdrasil   in unserer tiefsinnigen Edda."

Und der Schriftleiter der Sächsischen Aerztezeitung", Dr. Seeliger, ruft seinen Kollegen zu:

,, Kehrt heim zu den Vätern, zu den Quellen, zu Mi­mirs Brunnen, zu den raunenden Runen und Weistümern der Nornen und Walküren; werdet deutsch an an Leib und Seele, an Geist und Gemüt! Auch als Aerzte!" Vergeblich werden strebsame Aerzte in ihren medi zinischen Handbüchern die Worte Nidhögger, Ygdrasil  , Mimir, Norne" gesucht haben; aber diese medizinischen Handbücher sind eben ,, liberalistische  " Altertümer, die ge­samte moderne Medizin ist eine ,, marxistisch- materialistische" Erfindung. Junge Aerzte, die in Deutschland   hochkommen wollen, mögen aber die wissenschaftliche Medizin, diesen giftig geringelten Nidhögger", aufgeben, sich unter dem Stammbaum Ygdrasil   ansiedeln, die Kranken zu Mimirs Brunnen schicken und sich bei den Nornen und Walküren   in­formieren, wie man Krebs, Tuberkulose, Angina pectoris behandelt. Rezepte aber werden künftig lauten: ,, Man schütte drei Stabreime in reines Mimirwasser, tauche etwas Ygdrasil­wurzel( nicht angenagt!) in die Lösung murmle dreimal ,, Edda   hilf!" und schmiere den Kranken mit der Wurzel an. Heil Hitler!"

Kitsch zieht Kitsch an

Jede Laientruppe soll überwacht werden...

Der Leiter der Ministerialabteilung für das hessische Bildungswesen, Kultus, Kunst und Volkstum, Ministerialrat Ringshausen, weist in einer Bekanntmachung darauf hin, daß sich in der letzten Zeit die Fälle mehren, besonders auf dem flachen Land, in denen von unberufener Seite Theater­aufführungen veranstaltet werden, die dem hohen Ziel der deutschen   Bühnenkunst, am kulturellen Wiederaufbau des deutschen   Volkes mitzuarbeiten, in keiner Weise gerecht werden.

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um

heißt es in dem Aufruf ,, Es handelt sich oft künstlerisch ganz minderwertige Machwerke; mitunter wird sogar versucht, aus dem tiefen Erleben der nationalen Er­hebung und ihrer Helden oder aus der nationalen Begeiste­

rung

unserer Volksgenossen Geschäfte zu machen. Die Wiedergabe liegt meist in der Hand ganz unzulänglicher Truppen. Es kann nicht geduldet werden, daß die großen kulturellen Aufgaben des neuen Staates durch solche Machen­schaften sabotiert werden. Gerade für den noch unverbilde­ten und darum aufnahmefähigen Sinn der Bevölkerung der kleineren Orte ist nur das Beste eben gut genug.

Die Ministerialabteilung beauftragte daher im Einver­ständnis mit der Reichstheaterkammer bis zu einer vom Reich zu erwartenden Neureglung die Intendanten des Landes­theaters in Darmstadt  , des Stadttheaters in Gießen   und des Stadttheaters in Mainz   für das Gebiet der drei Provinzen des Landes mit der Ueberwachung aller Theateraufführungen und der gutachtlichen Entscheidung über den künstlerischen Wert der Theatergruppe und ihrer Darbietungen."

Warum Rücksicht?

Sie sollen froh sein, daß sie noch da sind

Dem ,, Berliner Tageblatt" wird aus Leipzig   gemeldet: In der Sitzung des Hauptausschusses der Leipziger   Stadtver­ordneten wurde ein Antrag angenommen, der die vorläufige Suspendierung vom Amte mit dem Ziele der Dienstentlas­sung für Oberstudiendirektor Dr. Behrends und für die Lehrerin Vorwerk von der Goethe- Schule zum Gegenstand hatte. Dem Antrag lag folgender Tatbestand zugrunde: Fräulein Vorwerk hatte im Unterricht einer Schülerin die Deklamation eines antisemitischen Gedichtes von Dietrich Eckart   untersagt, weil sie fürchtete, daß dadurch zwei jüdische Schülerinnen der Klasse in ihren Gefühlen verletzt werden könnten. Auf eine Beschwerde des Vaters der be­treffenden Schülerin hatte Oberstudiendirektor Dr. Behrends versucht, das Verhalten der Lehrerin zu rechtfertigen und sich gleichsam mit ihr solidarisch erklärt. Eine derartige Handlungsweise von Lehrern und Lehrerinnen könne, so wurde ausgeführt, im nationalsozialistischen Staate unter gar keinen Umständen geduldet werden, und der Haupt­ausschuß beschloß deshalb in dem obenerwähnten Sinne.

Mitglieder des früheren deutschen   PEN.- Clubs, die sich Braunäugige Komplexe

der neuen Gruppe anschließen wollen, werden gebeten, an den englischen PEN Club, 101a, Wigmore Street, London  W 1, zu schreiben.

einiger Geltung, der an der Auflösung des Begriffes ,, Vater- Oskar Kaufmann baut das Habimah- Theater

land" teilhaben wollte. Wir wissen, daß auch andere im internationalen Pen- Klub vertretene Länder ihr nationales Kulturbewußtsein zur Geltung bringen und der Auffassung sind, daß jedes Land seinen Pen- Klub nach eigenen Gesetzen formen muß. Und eben, weil die deutsche   Schweiz   deutsche  Denkwelt tiefer zu verstehen glaubt als Länder, die mit Deutschland   nicht durch Sprache und Kultur schicksalhaft verbunden sind wie die Schweiz   glauben wir Schweizer  

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nach dem Ausscheiden Deutschlands   erst recht eine ver­pflichtende Sendung im Rahmen der internationalen Schrift­stellergemeinschaft auf uns nehmen zu müssen.

Der berühmte Berliner   Theater- Architekt Oskar Kauf­ mann  , der Deutschland   verlassen mußte, baut jetzt das neue Theaterhaus für Habimah   in Tel Aviv  , das über modernste und technisch vollkommenste Bühneneinrichtung verfügen und 1000 Sitzplätze enthalten wird. Durch eine neuartige Ventilationsanlage wird der Besuch des Hauses auch in der heißen Jahreszeit ermöglicht sein. Auch ist das Dach abheb­bar, so daß man im Sommer unter freiem Himmel spielen kann. Das Habimah- Haus wird auf einem Hügel an der Roth­schild- und Achad- Haam- Straße, im neuen Zentrum von Tel Aviv  , erichtet.

Der Angriff berichtet, ein Hitlerjunge sei kürzlich schuldbewußt bei einem Arzt erschienen, um ihn unter Hin­weis auf seine braunen Augen und sein rabenschwarzes Haar nach seiner Rassezugehörigkeit zu befragen. Dem Hitler­jungen sei das Minderwertigkeitsgefühl förmlich auf der Stirn geschrieben gewesen. Angriff" hat daraufhin den Führer des Berliner   nationalsozialistischen Aerztebundes, Staatsrat Conti, interviewt, der allgemein von der Rasse als einer erweiterten Familienverwandtschaft sprach und sagte, alle Menschen deutschen   Stammes lassen sich, wenn man nur um Jahrhunderte zurückgreift, auf eine ganz beschränkte Zahl gemeinsamer Ahnen zurückführen. Darauf sei die Lehre von der Gemeinsamkeit des Blutes und des Instinkts. zu gründen. Eine Lösung für die Seelennöte des braunäugigen und schwarzhaarigen Hitlerjungen hat also auch Dr. Conti  nicht finden können