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Panipale

மேலு

Frethell

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Nummer 65-2. Jahrgang Saarbrücken , Sonntag/ Montag, 18./19. März 1934 Chefredakteur: M. Braun

Aus dem Inhalt

Nekrologe? Nein: Reveille

Seite 3

Harte Charakterproben

Seite 3

Täglich besser und besser

Seite 5

Kardinal Schultes Kampf

Seite 7 "

Provokateure an der Saar

Seite 8

Hitlers Verzweiflungsrufe Gestern und freute

Die deutsche Wirtschaft in Erstickungsnot

Seit 24 Stunden ist die deutsche Presse, die bisher Tag für Tag erlogene Siegesmeldungen aus der deutschen Wirt schaft verbreitete, in tiefer Niedergeschlagenheit. Die An­kündigung schärfster Drosselung der Einfuhr und neuer noch strengerer Devisenbestimmungen zeigt die Schwere der Ent­scheidungen an.

Was geschieht, möge man aus einem sehr verständlichen Beispiel ersehen: Im Rahmen der Arbeitsbeschaffung sind Millionen Fejtanzüge für die Mitglieder der Arbeitsfront in Auftrag gegeben worden. Aufatmen in der Textil­industrie, in der Konfektion und im Schneiderhandwerk: Eine monatelange Konjunktur zu lohnenden Preisen und bei sicherer Bezahlung schien bevorzustehen. Die Arbeiter murden zur Bestellung der Festanzüge gezwungen und die öffentlichen und privaten Unternehmer wurden zu Vor­schüssen an ihre Arbeiter, Angestellten und Beamten für die Festanzüge veranlaßt. Aber leider kann die Textilindustrie nicht arbeiten ohne Einfuhr aus dem Auslande. So ging denn mit Rücksicht auf die Notwendigkeit vermehrter Tuch­produktion die Einfuhr von Wolle sprunghaft in die Höhe. Die ausländischen Lieferanten aber fann man nicht, wie das inländische Arbeitsbeschaffungsprogramm mit faulen Wechseln der öffentlichen Hand, die in Jahr und Tag einmal eingelöst werden sollen, zufriedenstellen. Für die Einfuhr braucht man Devisen. Die aber sind unter Schachts und Hitlers Autarfiewahn dahingeschwunden bis auf einen schäbigen Rest. Also wurde schleunigst Order ge= geben, die Einfuhr von Wolle zu drosseln. Lange Gesichter bei Textilindustriellen, Konfektionären und Schneidern: Die erhoffte Ronjunktur schrumpfte zusammen. Die Zahl der Festanzüge muß viel geringer gehalten werden, und die Einfuhrdrosselung bedeutet Geschäftsstille für viele Unternehmer und weitere Erwerbslosigkeit für noch mehr Arbeiter. Es fehlen also die Devisen für die allernot­mendigste Einfuhr. Das Arbeitsbeschaffungsprogramm der Reichsregierung, soweit es sich nicht mit inländischen Roh­stoffen behelfen kann, scheitert also durch den Devisenmangel für ausländische Rohstoffe.

Am 7. März hat die Reichsbank noch einen Bestand von 319 Millionen Mark für Gold und Devisen angezeigt. Die Bedeutung dieser Ziffer wird erst flar, wenn man sich er: inuert, daß der frei verfügbare Goldbestand der Reichsbank Ende 1928 auf dem Höhepunkt der Inflation eher über als unter diefer Summe gelegen hat.

Was tut der Reichsbanfpräsident in dieser verzweifelten Situation? Er hat auf dem Jahresbankett der amerikani­ schen Handelskammer in Deutschland am Freitagabend im Hotel Adlon zu Berlin eine seiner berüchtigten aynischen Reden gehalten und zweierlei angekündigt:

1. ein deutsches Lohndumping zur teilweisen Rüderobes rung des Weltmarktes und zur Beschaffung von Devisen, 2. die totale Zahlungseinstellung Deutschlands gegenüber seinen privaten Auslandsgläubigern.

Zur Begründung dieser Bankrottmethode hat sich Dr. Schacht einen Dreh ausgedacht, der seiner würdig ist, aber nicht zum ersten Male vorgetragen wird. Er behauptet unter Bezugnahme auf den Layton- Bericht von 1981, daß 10,3 Milliarden Reichsmark aus den kommerziellen Aus­landsanleihen niemals in die deutsche Volkswirtschaft hineingelangt, sondern direkt zu Reparations zahlungen verwendet worden seien. Wenn

Bei den Nationalsozialisten werden seltsame Dinge ge­flüstert. Man sagt, der kürzlich geschworene Eid der Amts­von seinen walter entbinde den Schwörenden sogar religiösen Verpflichtungen, wenn der Führer es verlange. Dem Kardinal- Erzbischof von Köln ist das Geflüster zu

SOS.- Rufe wie 1918 Ohren gekommen. Er antwortete mit einem Hirtenbrief, der

man zu ihnen noch die Zinsen zuzahlt, und wenn man weiter beachtet, daß unsere Auslandsschuld heute nach den unge heuren Rückzahlungen, die wir geleistet haben, nur noch 15 Milliarden Reichsmart beträgt, so sieht man, daß der gesamte heute noch bestehende deutsche Auslandsschulden­betrag genau seinem politischen Ursprung entspricht."

Der Reichsbankpräsident verwandelte also die privaten Auslandsschulden Deutschlands auf dem einfachsten Wege in politische Schulden, deren Verzinsung und Tilgung rein politisch zu betrachten ist. Da das Ausland nach der Mei­nung Schachts und Hitlers eine miserabel schlechte Politik gegen Deutschland macht, und die edlen Menschenfreunde und sparsamen Hausväter an der Spiße des deutschen Reiches verkennt, sind die fremden Völker und ihre Regierungen schuld, wenn die 15 Milliarden Reichsmark Auslandsanleihen von Deutschland weder ver­zinst noch getilgt werden können.

Mögen die privaten Auslandgläubiger, die vertrauensvoll glaubten, private Ansprüche an deutsche Schuldner au haben, sich mit ihren Regierungen auseinandersehen. Die allein tragen Schuld, wenn Deutschland . nach einjähriger ruhmvoller Sitlerherrschaft nicht in Gold und Devisen schwimmt und Hitler seine feierlichen Eide auch auf finanziellem Gebiet brechen muß.

Schacht jedenfalls fündigt unzweideutig an, daß Deutsch land bis auf weiteres die ausländischen Schuldner nicht befriedigen kann. Die Schulden der Vergangenheit laffen fich aber nicht aus dem gegenwärtigen Beharrungszustand, sondern aus der fünftigen Geschäftsbelebung abzahlen."

Künftige Geschäftsbelebung!" Damit sollen sich die Aus­landsgläubiger auf Jahr und Jahr trösten. Nicht eine Spur der Belebung des deutschen Auslandsgeschäftes und damit verbesserte Devisenbilanz ist zu entdecken.

Die Schwierigkeit ist um so größer, da die Preise für Rohs stoffe eine steigende Tendenz zeigen, die der Fertigwaren noch nicht. Deutschland muß also für die gleiche Menge an einges führten Rohstoffen mehr bezahlen, während sein Erlös für Fertigwaren, die es hauptsächlich ausführt, noch immer fällt. Und während die Einfuhren bar bezahlt werden müssen, muß im Export lange kreditiert werden,

Das sind Schachts Sorgen, und sie sind um so größer, als seine Vorgesezten, die Hitler und Ley und Heß und Kon­sorten davon nichts verstehen. Zu den zahllosen Schand­taten gegen die deutsche Kultur kommt der Ruin des deut­schen Wirtschaftslebens durch eine verbrecherische Regierungs­politik, für die auch Schacht die volle Verantwortung zu tragen hat.

harischer

Betrügerischer Bankrott nicht nur gegenüber dem Aus­land, sondern auch gegenüber dem eigenen Volksgenossen: Das ist das Ergebnis eines Jahres Hitlerunheils über Deutschland .

Im Herbst 1918 richtete das militärisch und wirtschaftlich bankrotte Kaiserreich seinen Hilferuf an den amerikanischen Präsidenten Wilson.

Jetzt ergeht Schachts Hilferuf im Namen des banfrotten Hitlerreichs wieder an einen amerikanischen Präsidenten, an Roosevelt . Er soll retten und drohend werden die internatio­nalen Folgen eines deutschen Wirtschaftszusammenbruchs ausgemalt. So endet Hitlers Traum von Deutschlands Selbstbefreiung, aber die Kosten des Wahns zahlt leider die deutsche Nation.

In höchster Not!

Rückkehr zur Kriegszwangswirtschaft- Dle Mark am Ende Ohne Gold und Devisen

Nach wahnsinnigen Substanzverlusten ist die deutsche Wirt­schaft jetzt an einem entscheidenden Wendepunkt angekommen. Die Reichsbant bereitet Maßnahmen vor, durch die die bis­herige Reichsmarkwährung praktisch zu existieren aufhören wird. Die Gefährdung der Mark ist so groß, daß nur die völ­lige freiwillige Absperrung Deutschlands vom Weltmarkt die Währung dem äußeren Schein nach noch eine Weile aufrecht­erhalten kann.

Nach Meldungen der großen deutschen Handelspresse, die fich dort nur an ganz verstedter Stelle finden( zum Beispiel " Frankfurter Zeitung ", Nr. 136), ist folgendes beabsichtigt: Die deutsche Einfuhr, die bereits vor einem Monat gewalt­

Mindestmaß herabgedrückt werden. Es soll an Stelle der bis­herigen allgemeinen Kontingentzuteilung in jedem einzelnen Fall geprüft werden, ob die Einfuhr irgendeines Gutes wirt. lich ganz unentbehrlich ist; andernfalls wird die Genehmi­gung rücksichtslos versagt werden, das heißt der Importeur wird von der Reichsbank keine Devisen zur Bezahlung er­halten, Nachdem die deutsche Wirtschaft sich bereits seit vielen Monaten namentlich mit solchen Rohstoffen eingedeckt hat, die im Kriegsfalle gebraucht werden, glaubt man heute auf gewisse Rohstoffe für einige Zeit verzichten zu können. Diese Einschränkung und Kontrolle der Einfuhr mutet be­

a. Schärfe alles bisherige übertrifft; spricht von Verführung Heidentum und zum Abfall von Christus und

Zune

Christentum.

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Es ist ein ernstes Thema. Manche Leute sehen an ihm freilich zunächst nur das Politische. Der Nationalsozialismus ist eine Macht, deren Grenzen vorläufig noch schwer erkenn bar sind; die Kirche ist ebenfalls eine Macht, und wie weit sie reicht, hat sie in 2000 Jahren genug bewiesen. Geistige Mait gegen geistige Macht und das Ergebnis ein heran­ziehendes politisches Gewitter mit tödlichen Blitzen im Schoß. Von der katholischen Kirche ist hier die Rede. Die prote­stantische ist mit den bekannten Methoden des, dritten Reiches" geknebelt. Trotzdem bleibt auch sie bei den drohen­den Kampf zwischen Religion und Machtpolitik beteiligt. Die Pfarrer können von den Kanzeln heruntergeholt werden. aber in den Gemütern tobt die Schlacht dennoch, auch bei den Protestanten. Denn hier steht nicht Mensch gegen Mensch, sondern der einzelne selbst ist das Schlachtfeld, und in ihm streiten die Engel mit den Dämonen. In der Tat sieht es nach Zusammenstoß aus. Einflußreiche nationalsozialistische Führer kündigen ihn fast frohlockend Man braucht nur die Reden des Reichs­mit jedem Tage an. jugendführers Baldur von Schirach zu lesen. Der junge Mann, der noch vor anderthalb Jahren an dem Portal der Münchener Universität Flugblätter verteilte und sich vor dem Pedell versteckte, macht sich heute anheischig, das Rad der Welt­geschichte in eine neue Richtung zu lenken. Baldur von Schirach ist ein persönlicher Freund Hitlers , Vielleicht gehört er trotzdem nicht zum Geheimtrust des Nationalsozialismus. Aber innerhalb der Reichsleitung ist er Repräsentant des wertvollsten Rohstoffs, den die Partei besigst, nämlich der Jugend. Was er spricht, drückt auf irgend eine Weise das Gefühl dieser Generation aus, die morgen das Denken des ganzen Volkes formen soll.

Es kommen schwere Zeiten für Hitler, denkt mancher. Aber vielleicht kommen schwerere Zeiten für die Kirche.

Zu Beginn des Anno santo 1933 wurde auf dem Peters­Play in Rom vom Papste eine große Messe zelebreirt.

Katholische Blätter verkündeten mit Stolz, daß 30 000 Wenn Menschen daran teilgenommen hätten. 30 000... Hitler , Mussolini , Stalin sprechen, fängt es bei 100 000 an. In Deutschland ist man bei den ganz großen Gelegenheiten schon über die Million hinausgegangen. Die alte Geistes­macht und die neuen Geistsmächte nehmen sich wenigstens in den äußeren Größenverhältnissen wie zierliche gotische Dome neben Wolkenkragern aus.

In den letzten Jahren blühte in Deutschland das Sekten­wesen. Eine unzufriedene, vom Kirchlichen nicht gesättigte Religiosität, die wahrscheinlich nach Millionen zählte, suchte und fand neue Gehäuse. Wer achtet schon auf solche Kultur­dokumente wie farbige Ansichtskarten? Aber sie waren weit­verbreitet, jene Postkartenbilder, auf denen eine mehr oder minder nackte Gemeinde in verzücktem Schauer die auf..

gehende Sonne anbetete. Das war nicht Kulturbolschewis­mus"; es kam von der völkischen Seite. Wahrscheinlich strömt das alles heute der neuen Religiosität des Nationalsozialismus zu. Rudolf Steiner , der Antroposoph, erscheint mit seinem magischen Einfluß auf die Gemüter als Vorläufer Hitlers . Ganz sicher ist das Band, das die katholische Kirche mit ihren Gläubigern verbindet, viel fester als die hier langsam entstehenden neuen Bindungen. Ihre gütige Disziplin ist ernster, ihre Lehre tiefer. Und das Band mag auf die Länge das dauerhaftere sein. Aber man soll sich doch ja nicht ein­bilden, daß der Papst nur den Finger zu heben brauche, um den Gegenpapst Hitler zu kindlichem Gehorsam auf die Knie zu zwingen. Argus.

Handelsmonopol an und ist der Methode nach der Beginn einer Art Kriegswirtschaft.

Weiter soll die bisherige Möglichkeit, bei Auslandsreisen pro Reisepaß 200 Mart mitzuführen, beseitigt werden. Fer ner wird es Auswanderern in Zukunft unmöglich sein, wie bisher Vermögen bis zur Höhe von 10 000 Mark mitzu­nehmen.

Man spricht auch davon, ausländische Wertpapiere in deutschem Besit ihren Eigentümern gegen Entschädigung in deutschem Gelde wegzunehmen. Der Gesamtwert dieses in Deutschland vorhandenen Auslandswerte wird auf 1,5 Milliarden Reichsmart geschätzt.

Die Folge der geplanten Einfuhrdrosselung wird natürlich sein, daß das Ausland seinerseits noch weniger als bisher von Deutschland kauft, daß die deutsche Ausfuhr noch stärker zurückgeht, die Reichsbank noch weniger Devisen bzw. Gold erhält und die deutsche Reich 3 mart jedenfalls als Wäh­

jam um 10 Prozent perringert wurde, soll nunmehr auf ein reits wie ein starker Schritt zu dem bolichemistischen Außen- rung vom Weltmarkt verschwindet. Sie wird zu einem reinen