ollshill simt
ke
Freiheil
Nummer 70-2. Jahrgang
Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Saarbrücken, Samstag, 24. März 1934
Chefredakteur: M. Braun
Aus dem Inhalt
Gift für 18 000 Mann
Seite 2
Spaniens Kirche segnet sich
Sozialdemokraten 1934
Seite 2
Seite 3
Seite 7
Von jenseits des Ozeans
Seite 7
Frau und Kind als Geisel
Die Gattin und das 19 Monate alte Töchterchen Gerhart Segers ins Konzentrationslager verschleppt
Sopade meldet:
Am 19. Februar 1984 wurde in Dessau die 30 Jahre alte Frau Elisabeth des Sekretärs der Deutschen Friedensgefell: schaft und früheren sozialdemokratischen Reichstagsabgeord: neten Gerhart Seger und sein 19 Monate altes Töchterchen Renate verhaftet und in das Konzentrationslager Roßlan bei Dessau gebracht.
Gerhart Seger ist der Verfasser der bei der Verlagsanstalt Graphia erschienenen Schrift„ Oranienburg "( erster authen: tischer Bericht eines aus dem Konzentrationslager Geflüch: teten). Es war ihm nach neun Monaten Gefangenschaft ges lungen, aus dem Konzentrationslager Oranienburg zu ents fliehen. Seine Schrift war die erste umfassende Darstellung der Verhältnisse in einem deutschen Konzentrationslager. Sie ist in viele Sprachen übersetzt worden und hat in der ganzen Welt gewaltiges Aufsehen erregt. Die deutsche Regierung
gelungenen Flucht aus dem Konzentrationslager Oraniens burg in ihrer Wohnung in Dessau von zwei Polizeibeamten überwacht und von ihnen auch bei ihren Spaziergängen und Einkäufen auf Schritt und Tritt begleitet wurde. Die Familie der Ehefrau Seger hat sich in einem Brief an den Reichsstatthalter für Anhalt und Braunschweig , Loeper, ges wendet und um die Entlassung von Frau und Kind gebeten, die ja doch wirklich völlig unschuldig seien. Die Antwort des Reichsstatthalters lautet:
Frau und Kind von Seger fönnten nicht eher entlassen werden, als bis der„ Landes: und Volksverräter" Seger fich den deutschen Behörden wieder stelle." Damit ist das flare Eingeständnis gegeben, daß es sich um einen unglaublichen Fall von Geiselverhaftung handelt
hat gegen dieſe authentischen Enthüllungen ihren ganzen Pestchristen"
Propagandaapparat aufgeboten. Sie hat ein ganzes Buch dagegen verfassen lassen, das jedoch diese Enthüllungen nicht entfräften fonnte. Gerhart Seger befindet sich zur Zeit in England. Die Verhaftung der Frau und seines noch nicht zwei Jahre alten Rindes ist ein Racheaft gegen Unschuldige. In einem Reuter- Telegramm, daß am Montag bei der englischen Preise eintraf, wurde die Tatsache dieser Ber: haftung von Frau und Kind und ihre Unterbringung in einem Konzentrationslager von den deutschen Be hörden zugegeben. Es wurde aber behauptet, daß Frau Seger sich mit dem Kind freiwillig in das Konzentra tionslager begeben habe, um gegen die Gefahr von Kindes: raub geschützt zu sein. Diese unsinnige Ausrede spottet schon deshalb jeder Beschreibung, weil die Frau Segers seit seiner
Das frühere Zentrumsblatt„ Gezmania", das mit Papens Geld täglich den Katholizismus kompromittiert, meldet:
Die Frau des ehemaligen Reichstagsabgeordneten und Volksblattredakteurs Seger, bekannt unter dem Namen Pestseeger", der aus dem Konzentrationslager nach Prag floh und jetzt von dort aus gegen Deutschland heßt, hat beim Landgericht in Dessau die Klage auf Scheidung gegen ihren Mann angestrengt."
Wir machen das Christentum nicht für diese verkommene Journalistik verantwortlich. Aber warum schweigen die Kirchen zu der Staatsbarbarei und ihren verlumpten journalistischen Knechten?
Minister Göring verbietet Leutnant Göring
Ein Schulbeispiel deutscher Regierungskorruption
DNB. Berlin , 22. März. Der Reichsminister für Luftfahrt Hermann Göring hat die weitere Veröffentlichung der Artifelserie Die Kriegserlebnisse des Flieger Ieutnants Hermann Göring " in der„ Berliner Illustrirten Zeitung" untersagt, weil einmal die Ueberschrift irreführend ist, weil zum anderen der Bericht in seinen wesentlichen Punkten auf freier Erfindung beruht, weil er ferner in der reportagenhaften Darstellung dem schweren Ernst des Krieges nicht gerecht wird und weil schließlich der Reichsminister für Luftfahrt eine Veröffentlichung seiner eigenen Kriegserlebnisse in einem Blatt des Verlages Ullstein, der bis zur Machtübernahme durch den Nationalfozialismus diesen aufs schmählichste bekämpft hat, grundsäß
lich nicht wünscht.
Man sieht aus dieser Meldung, wie einfach sich ein Minister, der über die Zensur verfügt, die Geschichtsschreibung vorstellt: wie es gewesen ist, bestimme JCH allein. Die andern haben in Lob und Tadel zu schweigen.
99
Außerdem hat der Herr Minister, der eben erst ein Buch über seine amtliche Tätigkeit auf den Markt gebracht hat, wohl die Absicht, auch seine Kriegstaten zu gelegener Zeit für seine Kaffe auszumünzen. Er verbietet mithin seine Konkurrenz. Nebenher bestraft er einen Verlag, dessen Konkurrenz. Nebenher bestraft er einen Verlag, deffen illustrierte Zeitung noch immer die größte Konkurrenz illustrierte Zeitung noch immer die größte Konkurrenz der nationalsozialistischen Partei- Jllustrierten ist und dient so mit staatlichen Machtmitteln der Parteikasse.
Schließlich hat sich der Ministerpräsident und Lamettengeneral eben erst der Welt und insbesondere seinen früheren Erbfeinden, den Franzosen , als jungbekehrter Pazifiſt und deutsch - französischer Verständigungsfreund, als friedlicher Europäer vorgestellt. Es paßt nicht recht in dieses zarte Friedensbild, wenn nun die von ihm abgeknallten französischen Flieger so aufgezählt werden, wie man einem Indianerhäuptling die Zahl der Skalpe seiner geschlage nen Gegner nachrühmt.
Für die tiefe Unmoral der faschistischen Regierungsweise hat Göring jedenfalls einen neuen Beweis erbracht. weise hat Göring jedenfalls einen neuen Beweis erbracht.
Unser Führer" wird geschoben
Die Ausgaben wachsen
Das Reichskabinett hat am Donnerstag ein finanzpolitisches Geses verabschiedet, das den erhöhten Anforderungen an die Finanzkraft des Reiches besser gerecht werden soll. Was dahinter steckt, wird man erst beurteilen können, wenn dies Gesetz im Wortlaut vorliegt. Wichtig ist auch ein Geseb über den Verkehr mit industriellen Rohstoffen und Halbfabrikaten. Das Reichskabinett ringt mit seinem Mangel an Devisen und der verheerenden Verengung der Rohstoffbasis.
Das vom Reichsfinanzminister vorgelegte und eingehend
begründete Reichshaushaltsgesetz für das Rechnungsjahr 1984 wurde verabschiedet. Der Reichshaushalts. plan ist ausgeglichen und schließt in Gin nahmen und Ausgaben mit rund 6,4 MilItarden Reichsmarta b. Die beiden Seiten des Haushalts weisen mithin gegenüber dem Haushaltsplan für das
Rechnungsjahr 1933 eine Steigerung um rund 500 Millionen Reichsmart auf, die auf der Ausgabeseite insbesondere durch Ausgaben zur Abdeckung der Vorbelastung für die verschiedenen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bedingt ist.
Mit der versprochenen Einschränkung der Reichsausgaben ist es also nichts: sie steigen und steigen. Wie der Reichshaushaltplan ausgeglichen wird, erfährt man nicht. Eine parlamentarische Kontrolle fehlt. Das deutsche Volk wird mit verbundenen Augen seinem Verbänanis entgegen geführt.
Appell der Reichsstatthalter Streng kapitalistische Wirtschafts- und Finanzpolitik
Gestern und heute
Die Stimmung in Deutschland scheint neuerdings etwas sonderbar zu sein. Man merkt es an großen und kleinen Zeichen.
-
In den legten Monaten wurde sie uns von Anhängern des Regimes als, geradezu überschwenglich geschildert. Es erinnerte an gewisse amerikanische Verhältnisse vor hundert Jahren, die Heine in seiner Harzreise erwähnt. Er sagt da: wenn man in den Bergwerksschacht von Clausthal recht tief hinabsteige, komme man soweit, daß man die Leute in Amerika ,, Hurra Lafayette!" schreien höre woraus ein Leser unserer Zeit den Schluß ziehen muß, daß die Amerikaner in freien Stunden eigentümliche Zerstreuungen liebten. So konnte in unseren Tagen ein im Auslande Lebender, wenn er in den unergründlichen Schacht des Lautsprechers auf Welle Königswusterhausen hineinlauschte, das deutsche Volk sozusagen ständig ,, Heil Hitler !" brüllen hören. Und viele glaubten es allmählich.
Es ist aber anscheinend nicht alles Gold, was glänzt, und nicht alles Heil Hitler, was geschrien wird.
Der vielberufene Mann hat am Eröffnungstag seiner großen Arbeitsschlacht eine merkwürdig bängliche Rede gehalten. So sehr er zwischendrin immer wieder zuversichtliche Töne aufsetzte, es war doch nicht zu überhören, wenn er die ,, ewigen Pessimisten und grundsätzlichen Nörgler" anschrie, von den Unternehmern die ,, Hintansetzung ihrer egoistischen Eigensucht" verlangte, den Arbeitern niedrigere Löhne ankündigte und dem ganzen Volk die Sorge vor einer Inflation nach Art der Novemberregierung" auszureden suchte. Was macht Herrn Hitler so nervös?
Bei der gleichen Gelegenheit sagte Dr. Göbbels , man müsse jetzt mit der ewigen Romantik Schluß machen, der Alltag beginne wieder. Wir feiern ihn absichtlich nicht mit Aufmärschen und Fackelzügen, meinte er, weil das Volk davon genug hat. Verzeihung, das letzte sagte er nicht selbst, das haben sich bloß alle gedacht. Man muß die Hellhörigkeit der nationalsozialistischen Propaganda für Volksstimmungen kennen, um die Tiefe dieses Verzichts zu ermessen. Das Volk beginnt einzusehen, daß Siegesfeiern noch keine Siege sind; abgesehen davon, daß die Erinnerung an vier Jahre von Sieg zu Sieg mit einem einzigen großen Zusammenbruch am Schluß langsam wieder lebendig wird. Und daß die deutsche Wirtschaft unter nationalsozialistischer Führung soeben in ihre erste Marneschlacht hineingeht, merkt auch der Mann auf der Straße.
Ich werde mich natürlich hüten, Greuelmärchen über die Unzufriedenheit des deutschen Volks mit seinen derzeitigen Führern zu verbreiten. Wenn aber der Herr Preußische Justizminister selbst der Kage die Schelle anhängt, so mag das Glöcklein läuten. Und was sagt er, der Herr Minister? In einem Erlaß vom 22: März, verbreitet durch das amtliche deutsche Nachrichtenbüro, klagt er:
..Neuerdings mehren sich wieder die Fälle, in denen namentlich gegen Persönlichkeiten, die im öffentlichen Leben stehen, und die leitenden Beamten von Behörden und Verbänden erfundene und leichtfertig nacherzählte Verdächtigungen erhoben werden." Sagt der Minister.
Als er noch nicht Minister. sondern bloß Agitator in Han nover war, hätte er das ungefähr so ausgedrückt:
,, Immer lauter und drohender erhebt sich die Stimme des Volkes und verlangt gebieterisch: Schluß mit dieser Regierung! Fort mit diesen Männern von zweideutigem Ruf, gebt uns endlich eine Regierung, die vom Vertrauen des ganzen Volkes getragen ist, weil sie uns die Wahrheit sagt!" Argus.
der Reichsstatthalter statt. Reichskanzler Hitler sprach über die staatspolitischen Aufgaben der Reichsstatthalter.
Nach den Ausführungen Hitlers sind die Reichsstatthalter, die der Dienstaufsicht des Reichsinnenministers unterstellt worden sind, die Träger des Willens der Obersten Führung des Reiches, nicht aber die Sachwalter der einzelnen Länder. Ihre Aufgabe kommt nicht von den Ländern, sondern vom Reiche. Sie vertreten nicht die Länder gegenüber dem Reiche, sondern das Reich gegenüber den Ländern.
Die Reichsstatthalter seien in erster Linie Hoheitströger der nationalsozialistischen Idee und Sachwalter des Nationalsozialismus, nicht aber Verwaltungsträger eines bestimmten Staates.
Der Reichskanzler trug den Reichsstatthaltern auf, dafür au sorgen, daß
ein selbständiges Vorgehen einzelner Parteis und Dienst: stellen in wirtschafts- und finanzpolitischen Dingen übers all unterbunden wird,
ba für die Wirtschafts- und Finanzpolitif einzig und allein der Reichswirtschaftsminister und der Reichsfinanzminister und für die Geld- und Bankpolitik nur der Reichsbanfpräsident zuständig seien. Ehe Lokal- und Landesstellen oder Dienststellen in der Partei und Parteiorganisationen wirtAm Donnerstag fand in der Reichskanzlei eine Sigung schaftliche oder finanzielle Anordnungen treffen, müsse in