Freiheil

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Nummer 71 2. Jahrgang Saarbrücken , Sonntag Montag, 25. 26. März 1934 Chefredakteur: M. Braun

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Reichswehr beunruhigt

Einfuhrdrosselung gefährdet die Aufrüstung

Berlin , 28. März.

In diplomatischen Kreisen Berlins ist man darüber anter: richtet, daß die neue Drosselung der deutschen Einfuhr durch die Reichsbank bei den für die deutsche Landesverteidigung verantwortlichen Stellen starke Beunruhigung hervorgerufen habe. Es wird geltend gemacht, daß eine Einschränkung der Einfuhr von Rohstoffen und gewissen Lebensmitteln die Wehrkraft des Reiches schwächen müffe.

Aus diesen Gründen, so wird behauptet, würde Deutsch­ land den Abschluß einer Rüstungskonvention, die der Aufe rüstung aller Staaten eine bestimmte Grenze fett, auf jeden Fall einem allgemeinen Wettrüsten vorziehen. Trotz der intensiven Borbereitungen, die Deutschland in den letzten Monaten auf dem Gebiet der Rüftungen getroffen habe, würde der Zustand seiner Finanzen eine Fortsetzung dieses Tempos auf lange Dauer nicht gestatten.

Zu denen, die gegen die Drosselung der Rohstoffeinfuhr protestiert haben, foll übrigens auch General Göring gehören.

Zu dieser Mitteilung eines Berliner Gewährßmannes( die sich in ähnlicher Form übrigens auch in französischen Blättern findet) ist zu sagen, daß die Drosselung der deutschen Einfuhr in der Tat auf längere Sicht auch auf die deutsche Rüstungss industrie zurückwirken muß. Ganz allgemein gesprochen, ift natürlich das potentiel de guerre" eines Landes mit mangels hafter Rohstoffversorgung gemindert und dadurch auch seine Position in den internationalen Verhandlungen geschwächt. Schon aus diesem Grunde kann man die vielfach verbreitete Auffassung bezweifeln, die deutsche Einfuhrdroffelung sei nur ein Manöver, um auf die Gläubiger einen Druck auszuüben; ein Manöver, um auf die Gläubiger einen Drud auszuüben; obwohl das Reich vielleicht in diesem Sinne aus seiner ents seglichen Not eine mäßige Tugend zu machen sucht. Es ist möglich, daß Dr. Schacht, dessen Eigenwilligkeit bekannt ist, und der selbst vor den Spigen des dritten Reiches" feinen übertriebenen Respekt hegt, seine Politik der Einfuhr­drosselung begonnen hat, ohne auf die militärischen Wünsche gewiffer Stellen Rüdficht zu nehmen.

Zusammenbruch der Spendenwirtschaft

Das Drosselungsgesetz zur Erhaltung der Kaufkraft

Berlin , 28. März.

Die Reichsregierung hat ein Gesez zur Erhaltung der Rauftraft" beschlossen, das dem Unfug der ewigen Spenden­sammlungen ein Ende machen soll.

Die schwere Belastung der Löhne und Gehälter durch Spendenabzüge hat seit langem Proteste der Arbeitnehmer­schaft hervorgerufen; ebenso wurde aber auch in gewerblichen Kreisen, namentlich des Mittelstandes, über die ungezählten Spenden geklagt, die geradezu falfulationsgefährdend waren und offenfundig auf die Preise zurüdwirften. Diese Miß­wirtschaft soll das neue Gesetz beseitigen.

Es sieht in seinem ersten Teil eine Kontrolle der Finanzgebarung der juristischen Versonen des öffentlichen Rechts und ähnlicher Verbände und Organisationen vor. Die Vorschriften dieses Gesezes gelten nicht für die Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände, für die Träger der Sozialversicherung, für die Deutsche Reichsbank und Reichsbahn , für die Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts und für die NSDAP . Sie finden dagegen An­wendung auf Verbände und Organisationen, die sich in der einen oder anderen Weise an die NSDAP . anlehnen und auf besondere Anordnung der Reichsregierung auch auf Verbände und Organisationen, die zwar nicht juristische Personen des öffentlichen Rechts sind, wenn an ihrer

Finanzgebarung und an der Erhebung von Umlagen und Beiträgen durch sie ein öffentliches Intereffe besteht.

Das Gesez sieht eine weitgehende Finanzkontrolle der Einnahmen und Ausgaben der genannten Verbände und Organisationen vor, ebenso eine Kontrolle der Um­lagen und Beiträge, die von diesen Verbänden und Orga­nisationen erhoben werden.

Der zweite Teil des Gesetzes befaßt sich mit der Er= hebung von Spenden, die in Zukunft der Geneh­migung des Stellvertreters des Führers der NSDAP . im Einvernehmen mit dem Reichsfinanzminister bedarf. Der dritte Teil enthält Bestimmungen über die Abgabe zur Arbeitslosenhilfe, wonach eine wesentliche Beschränkung in der Abgabepflicht bzw. eine vollständige Befreiung von der Abgabe eintritt.

Der von manchen Hoffnungsvollen begrüßte angebliche " Sozialismus der nationalsozialistischen Spendenwirtschaft ist jetzt an der harten Wirklichkeit zusammengebrochen. Allein die von Gibbels gestartete Winterhilfe hat mehr als 300 Millionen aufgebracht; rechnet man alle die vielen Spendensammlungen zusammen, so dürfte der Betrag eine halbe Milliarde weit übersteigen. Dies bedeutete auf die Dauer eine tliche Gefährdung der innerdeutschen Kauf­traft, zumal da in dem ganzen Spendenwesen die korrup= tion üppig blühte.

Eine 500 Millionen- Anleihe

Schacht reist nach Amerika ?

Berlin , 28. März.

In Berliner Bankfreifen wird behauptet, daß Reichsbanks präsident Dr. Schacht sich nach der neuen Gläubigerfonferenz, die zu Beginn des nächsten Monats in Berlin stattfindet, nach den Vereinigten Staaten begeben wird. Dr. Schacht soll die Absicht haben, mit den amerikanischen Banken über die Gewährung eines Kredits von 500 Millionen Mart zu ver handeln, die dazu dienen sollen, den Ankauf der für die deutsche Industrie notwendigen Rohstoffe au finanzieren.

Zu dieser Meldung ist zu sagen, daß sie vielleicht den Tat­sachen noch etwas vorauseilt, daß fie aber zum mindesten auf Pläne, die in der Reichsbank seit einiger Zeit erwogen werden, zurückgeht.

Daß Dr. Schacht den einzigen Ausweg aus der Katastrophe des deutschen Außenhandels und der drohenden Gefahren für die deutsche Währung in einer Auslandsanleihe sieht, ist seit langem bekannt. Indessen hat er schon einmal vergeblich eine solche Anleihe zu erlangen gesucht, nämlich während der gescheiterten Londoner Weltwirtschaftskonferenz im Juli vorigen Jahres. Inzwischen ist die Lage Deutschlands frei= lich viel bedrohlicher geworden. Das auffallende Lob, das Schacht fürzlich in öffentlicher Rede dem Präsidenten Roofe­belt gespendet hat, ist vielfach als Vorbereitung eines birekten deutschen Hilferufs an Amerita aufgefaßt worden.

übrigens die Verschlimmerung der deutschen Wirtschaftslage, in gewissem Sinne aber als Erleichterung, denn als Gr schwerung betrachtet. Man hofft, daß die Auslandsgläubiger Deutschland nicht fallen lassen würden, da der Ausfall der Konsumfraft von 66 Millionen Menschen aus dem Weltmarkt die beginnende Wirtschaftsbelebung im Ausland wieder zer­stören würde. Ein psychologischer Vorstoß in dieser Richtung war bereits die Ankündigung, der deutschen Importdrosse­lung, zu der man sich freilich ohne höchste Not nicht ent­schloffen hätte.

Rücktrittsdrohung Schachts? Wegen der Mark- Abwertungspläne

Paris , 23. März. Obgleich das Auswärtige Amt Gerüchte von Rücktritts­absichten des Reichsbankpräsidenten Dr. Schacht dementiert hat, will der Korrespondent des Journal" wissen, daß Dr. Schacht am vergangenen Freitag mit seiner Demission gedroht habe. Er habe sich bei Hitler persönlich über den Druck beschwert, den die Sachverständigen der Nazipartei auf ihn ausüben, um ihn zu einer Abwertung der Mart zu veranlassen. Er habe dem Führer erklärt, er wüde sich zur Demission gezwungen sehen, wenn dieser Druck nicht aufhöre. Diesem entschlossenen Auftreten Schachts sei es zuzu­

Für die Projekte einer deutschen Auslandsanleihe wird schreiben, daß Hitler in seiner großen Rede in Unterhaching

Aus dem Inhalt

Wahlen in Italien

Seite 3

Der Kampf um die Saar spitzt sich zu

Die Affäre

wird immer größer

Seite 7

Seite

Gestern und heute

In keinem anderen Lande der Welt wäre dies möglich. Es ist schlimmer als in Chikago in seinen schlimmsten Zeiten. Erinnert der Leser sich noch an den Namen des Landes­bischofs Beye von Braunschweig? Vor kurzem las man in deutschen Zeitungen von einem sonderbaren Strafprozeß gegen diesen Beye . Er war angeklagt, einen Klempnermeister dazu verleitet zu haben, private Reparaturrechnungen zu fälschen und sie vom Kirchenvorstand bezahlen zu lassen. Auch Armengelder, die in der Kirche gesammelt worden waren, hat Herr Beye nicht abgeliefert. Feine Sache für einen Bischof. Er wurde aber freigesprochen.

In keinem anderen Lande der Welt wäre es möglich ge­wesen. Was, daß ein Bischof ungerecht angeklagt wird? Nein, daß er ungerecht freigesprochen wird. Ein obsolut zuver­lässiger Gewährsmann hat uns die Einzelheiten des Falles berichtet, die die deutsche Presse verschweigen mußte.

Der Landesbischof Beye war noch vor kurzem Pastor und Führer der Deutschen Christen in dem Dorfe Wenzen. Dort. hatte er auf der Kanzel auch unter anderem gesagt: ,, Wer sich nicht zu unseren christlichen und deutschen Idealen bekehren will, den werden die Fäuste der SA. bekehren." Mit gerade dreißig Jahren wurde dieser Evangelist des Faustrechts vor kurzem Landesbischof. Inzwischen sickerten die Gerüchte von seinen einstigen Betrügereien durch. Dem Oberstaatsanwalt schien etwas an der Sache zu sein, und er vernahm einer der Beschuldiger. Da erinnerte sich der Bischof daran, daß man widerspenstige Gegner durch die Fäuste der SA. bekehrt. Er hatte zu diesem Zweck seiner Landeskirche eine Einrichtung geschenkt, die es wohl nur in dem der­zeitigen deutschen Protestantismus gibt: eine ,, Kirchenkampf­staffel". Dieser Haufe gottesfürchtiger junger Schlagetots begab sich in die Wohnung des erwähnten Zeugen, als er gerade vernommen wurde, überfiel den Oberstaatsanwalt und stieß ihn beiseite mit den Worten: Hier bestimmen wir, Ob Du da vernimmst, ist uns ganz egal."

Folgendes wurde vor Gericht bewiesen: der Bischof hatte.. als er noch Pfarrer war, ewig auf Pump gelebt, war stets in Gehaltsvorschuß gewesen und bezahlte grundsäglich keine Rechnungen. Als ein Klempnermeister ihm eine solche über 83 Mark für eine Arbeit an seines höchst privaten Daches Zinnen überbrachte, da blinzelte der Pfarrer und sagte: Na, Sie sind doch nicht von ehegestern." Nein, der Klempner war viel eher von übermorgen, nämlich aus dem dritten Reich", das damals noch gar nicht ausgebrochen war. Kurz und gut, wie sein Pfarrer es verlangte, fälschte er die Rech­nung, als ob es sich um eine Arbeit für die Kirche handle, und reichte sie der Kirche ein. Der Kirchenvorstand bezahlte sie. Der Kirchenvorstand war der Pfarrer Beye selbst. Das Gerichtsurteil stellte weiter fest: daß Beye die Armengelder trots mehrfacher Mahnung bis jetzt nicht abge­führt hat. Es läßt sich nicht verhehlen, daß hinsichtlich dieser Gelder ein gewisser Verdacht besteht, daß Beye diese für sich verbraucht hat. Zu seinen Gunsten muß seine Behaup­tung, daß die Gelder noch vorhanden seien, berücksichtigt werden, so daß er auf Grund dieser Behauptung wegen Mangels an Beweisen freizusprechen ist."

Man muß das genau lesen. Der Pfarrer hat das Geld aus dem Klingelbeutel privat verjubelt. Aber vielleicht hat eine Tante von ihm noch irgendwie ein Sparkassenbuch. Darum kann er behaupten, das Geld sei noch da. Die Armen von Wenzen warten gern solange. Was die Rechnung für das nichtreparierte Kirchendach betrifft, so hat auch da das Gericht eine erhebliche Anzahl von Verdachtsmomenten". Aber was ein Bischof mit einer Kirchenkampfstaffel im Hintergrund ist, das verurteilt man nicht. Verurteilt wurde nur der Klempnermeister wegen Beihilfe". Und zwar Bei­hilfe zu einer Tat, deretwegen dieselben Richter den Herrn Bischof freigesprochen hatten, die also eigentlich garnicht be­gangen worden war. Und als die Richter diesen gerechten Spruch gefällt hatten, da erhob sich der Vorsitzende und be­dauerte, daß die Verhandlung überhaupt stattgefunden habe,

In Deutschland grinst man heute schadenfroh über den Fall Stavisky. Ueber diesen Fall bringen die französischen Zeitungen täglich Berichte von vielen Seiten. Ueber den Fall Beye berichtete die deutsche Presse in dreißig nichts­sagenden Zeilen. Und wieviele Fälle mag es geben, von denen überhaupt nur leise unter Eingeweihten geflüstert wird? Das ist der Unterschied. In einem Lande mit freier Meinungsäußerung gibt es Korruption. Unter der Diktatur gibt es nur ,, Denunziation". Argus.

verkündete, das Naziregime werde auf keinen Fall versuchen, die Ausgaben des Arbeitsprogramms mit der Notenpresse, d. H. mit Hilfe einer Inflation, zu decken. Doch hat Hitler, was viel bemerkt worden ist, nur von einer Inflation nach Art der Novemberregierung" gesprochen.

Diese Aeußerung wird allgemein so gedeutet, daß die Pläne zu einer begrenzten Abwertung der Marf nach amerikanischem Beispiel noch nicht aufgegeben worden sind. Ob freilich die ausgeblutete deutsche Wirtschaft in der Lage ist, der Abwärtsbewegung der Mart, wenn sie einmal be­

gonnen hat, eine Grenze au feßen, wird bezweifelt.