Deutsche   Stimmen Beilage sur Deutscfien Freifieit" Ereignisse und Geschichten

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Deutschland- Caliban

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Walther Rodes Streitschrift

$ 15x

Eigentlich ist man in unseren Tagen ein wenig davon ab­gekommen, mit Thesen oder Manifesten wirken zo wollen. Es sei denn, man wolle die nicht gerade sehr geistvollen Wahl­anschläge aller Parteien an den Litfaßsäulen als Nachfahren jener scharf geschliffenen Waffen ansehen, die man einst­mals, als es sogar in Deutschland   noch geistigen Kampf gab, dazu gebrauchte, den Gegner nach allen Regeln der Kunst ad absurdum zu führen.

Die Streitschriften unserer Zeit triefen von Wissenschaft­lichkeit, die Schmähschriften strotzen von Unrat. Beides läßt sie wirkungslos verpuffen. Zwar knallen hier Meinungen und Ansichten mit Böllerschüssen aufeinander, aber es fehlt - das Feuerwerk dabei, es fehlt das Leuchtende, Lustige, es fehlt das Pulver das uns aufpulvert, es fehlt das, was dem Leser in der Erinnerung bleibt.

Einem österreichischen Anwalt, dem Verteidiger in Wien  Walther Rode   ist es vorbehalten geblieben, die Streitschrift und das Pamphlet wieder aufleben zu lassen. Der mit Eifer stets nach Neuerungen und Erneuerungen strebende Verlag Europa- Verlag, Zürich  ", sorgt für Herausgabe und Ver­breitung. Deutschland   ist Caliban" heißt die kleine Bro­schüre. Worauf die meisten Menschen in tiefes, aber hoff­nungsloses Nachdenken versinken dürften. Selbst der Besitz des kleinen Knaurs würde hier nicht viel helfen. Caliban   ist eine Figur aus Shakespeares ,, Der Sturm", ist wie Walther Rode   sicherheitshalber( wenn auch erst auf Seite 151 des Büchleins) vermerkt das bodenständige, zufällig Men­schenantlitz tragende Geschöpf der isolierten Erde; ist Wild­heit, Treulosigkeit und Roheit in einer Person". Wie gesagt: Deutschland   das ist Caliban.

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Mit einem Elan legt der Anwalt gegen diesen Caliban los, daß einem das Herz höher schlägt. Hier sprühen Geist, Gift und Galle   und, was das Wichtigste ist. Funken. Hier flammt ein Feuerwerk auf, durchglüht von Schmerz, Satire, Ironie

Sonntag- Montag, den 25. und 26. März 1934 ontag, den 25.

und tiefster Bedeutung. Einen Fehler hat das Ganze: Es ist zu sehr auf die Intellektuellen zugeschnitten, und auch der Intellektuellste dürfte noch ein kleines Lexikon für Fremd­wörter benötigen. Aber es lohnt sich, dieses kleine Buch Seite für Seite durchzulesen. Denn hier spricht ein Mann, der mit allem, aber auch mit allem aufräumt, was sich um den Nationalsozialismus als ,, Mythos" gruppiert hat, der es aus rottet mit dem Feuer und dem Schwert der großen Lächer­lichkeit. Wunderbar sind seine überraschenden Definitionen: ,, Die Führer werden von einem Täuschungstrieb be­herrscht, der geradezu an- Aufrichtigkeit grenzt... ,, vor Hitler   war der deutsche   Proletarier und Klein­bürger ein Niemand, heute ist er ein nationaler Mann, ein stolze Besitzer einer Vorhaut. Wer bewußter Arier, der kann da noch sagen, daß Hitler dem deutschen   Volke nichts gegeben habe?!..."

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,, Allerdings, man wollte die Welt nicht verbessern, man unverbesserlichen Welt wollte sich in den Besitz der setzen..."

Nur Menschen wurden getötet oder in den Selbstmord getrieben, mit Sachwerten ist man höchst schonungsvoll umgegangen..."

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Jude sein, heißt: keinen durch erfolgreiche Gewalt be­gründeten Anspruch, sondern nur die Duldung zur Rechts­grundlage seines Aufenthaltes auf dieser Erde haben... Judentum ist der Zustand des Menschen vor und nach dem ihm bestimmten Pogrom." Auf jeder Seite immer wieder neue Ueberraschungen. Lest dieses kleine Buch, das die ganze Weisheit Hitlers   und seiner Genossen in einem einzigen, großen, wissenden Lachen auf­löst! Wir Emigranten aber sollten uns die Worte Rodes mit großen Buchstaben aufmalen auf eine mächtige Tafel, die wir in jedem Augenblick vor uns sehen:., Warten, aber nicht hoffen" Und kämpfen, daß sich das Warten lohnt!

Hast du Bekannte gesehen?"

Star- Autogramme und Luxus- Kucocte

In der Eleganten Welt", dem mondänen Organ der oberen braunen Zehntausend, lebt der Nationalsozialismus der großkapitalistischen Wirklichkeit, nicht jener National­sozialismus, von der der Rattenfänger Göbbels   den roman­tischen Kleinbürgern und den irregeleiteten Proletariern zu erzählen weiß.

Wie die ,, spartanische Einfachheit" der braunen Legenden­bildung in Wirklichkeit aussieht, darüber berichtet nun in schöner Offenheit die Rubrik ,, Sprechen Sie noch?" Wollen Sie wissen, wo und wie sich die braunen Herrscher von den Sorgen ihres diätenreichen Lebens erholen? Im Luxuskurort Garmisch  ! Also lassen wir die braune ,, Elegante" sprechen: ,, Du bist über vierzehn Tage in Garmisch   gewesen." Genau drei Wochen. Wundervoller Sport, die Schnee verhältnisse waren ideal!"

,, Hast Du Bekannte gesehen?"

,, Exzellenz Solf war da, Prinz und Prinzessin Hein. rich Reuß, Konsul Fritsch( bekannter Nazi), Dr. Hjalmar Schacht   mit seiner Familie, Frau Staatsrat Ernst( Frau des SA.  - Oberführers von Berlin- Brandenburg), Kommerzienrat Neuerburg( brauner SA.  - Finanzier und

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Märzensturm

Es braust der Sturm um mein Gemach, Peitscht die schlummernde Seele wach, Treibt in taumelnden Wirbeln den Staub, Wirft zur Höhe das dürre Laub, Schleudert vom Felsen die Steine hernieder, Schwingt gewaltig sein dunkles Gefieder Brause, Sturmwind, brause Nächtig um meine Klause!

Brause Sturm, du erfreust mein Herz, Reißest die Seele himmelwärts,

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Jagst   die Wolken in fliegendem Drang, Spielst mit den Tannen am Waldeshang, Reißest vom Aste den dorrenden Spahn, Brichst dem Frühling die breite Bahn! Brause, Sturm, durch die Lüfte, Dring in modernde Grüfte!

So braust empor des Volkes Macht, Daß manch ächzender Bau erkracht Tief in morschen Gebälkes Grund. Keiner Glocke metallner Mund Kann dies Aechzen übertönen, Da in der Arbeit starken Söhnen Tief der nagende Gram sich wob, Mächtig zum Sturm die Stimme erhob. Brause, Sturm, durch die Lande, diag Sprenge knechtende Bande!

Brause, Sturm, ob du Tod auch bringst, Ueber die Welt das Schwert hinschwingst: Alles, was morsch und faul sich ballt, Reißest du nieder mit Allgewalt, Bläsest gewaltig dein Wolkenhorn, Füllest es laut mit der Menschheit Zorn, Führst die neue Welt empor,

Oeffnest, des neuen Friedens Tor- Brause, Sturm, durch die Welt einher

Ueber die Lande, über das Meer!

Brause, Sturmwind, brause

Nächtig um meine Klause'

Die Nummer

Eckart.

Das Geschäft ging miserabel. Und der Löwenbändiger cool wollte außerdem unbedingt bis Montag sein Gehalt nach­gezahlt haben, weil er sonst.. Ach, er war gefährlicher als seine Bestien und brauchte das Geld zum Ankauf einer' neuen SA.  - Uniform. Dem Direktor standen die Haare zu Berge: die täglichen Einnahmen reichten kaum zur Deckung der Fütterungsspesen. Und die Löwen waren die Haupt­

Zigarettenmillionär), Paul Oskar Höcker  , Karl Henkel, Direktor Karstadt  , Freiherr von Hugen und noch Direktor Karstadt  , Freiherr von Hugen und noch viele andere. Rudolf He B( Stellvertreter Hitlers   in der Führung der NSDAP  .) war im Schneefermerhaus an der Zugspitze  ."

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B

Was aber tun die Nazibonzen, wenn sie sich in Garmisch  amüsieren? Sie geben amüsieren? Sie geben in Schmutzkonkurrenz mit Willy Fritsch   und Liane Haid Fritsch   und Liane Haid   Autogramme! In der Tellfilm­Premiere, so teilt die Elegante Welt" mit, waren sämtliche Naziprominenten, von Hitler   und Göring   bis Prinz August Wilhelm  . Also schmockt es im Hitlerblatt:

,, Es war ein ganz großer Abend!" ,, Das läßt sich denken. Meinem Jungen darf ich davon gar nichts erzählen, sonst jammert er!" in de

, Weshalb denn?"

,, Er denkt an die Autogramme, die ihm dabei entgangen sein könnten!" T hi

Vom Garmischer   Luxushotel zum Autogrammgeben und wieder zurück: sie opfern sich wirklich auf im Dienste der deutschen   Wiedergeburt. Es el yol bin Piere.

bereits um die Jahrhundertwende ein so großer, bedeuten­Hugo von Hofmannsthal   der Gelehrter und Erzieher wie Henry Lichtenberger, der Ein Vortrag von Professor Alewyna Am Samstag, dem 17. März 1934, sprach Professor Dr. Alewyn über Hugo von Hofmannsthal   im großen Hörsaal des Germanistischen Instituts Paris  . Alewyn, der in jungen Jahren nach dem Tode des unersetzlichen, unvergeßlichen Friedrich Gundolf  ( 1931) dessen Lehrstuhl der neuen Literaturgeschichte in Heidelberg   erhalten hatte, mußte sein Lehramt verlassen, weil eine seiner Großmütter Halbjüdin war. Er ist z. Z. Gastprofessor an der Pariser   Sorbonne. Die ästhetisch und kulturkritisch fein differenzierten Ausführun­gen gaben kein eigentliches Bild des Dichters, wozu tiefere

Analysen und viel mehr Zeit nötig sei, sondern lieferten nur Vorstudien zur Behandlung des Themas. Hugo von Hof­ mannsthal   sei bereits in seinen Frühwerken in Versen von unsagbarem Wohlklang und unendlicher Süßigkeit von einer so todesnahen Vollkommenheit und Vollendung gewesen, daß das tiefeingewurzelte Mißtrauen des deutschen   Menschen gegen alles Vollkommene an sich ohne den langen, mühe­vollen Werdegang, auch den Dichter umgeben habe, Hof mannsthal sei immer auf der Flucht gewesen vor seinem eigenen Mythos, bestrebt, das Unvollkommene, Gebrochene darzustellen wie umgekehrt Stefan George   am Werke war, seinen eigenen Mythos zu gestalten. Das erstere sei schwerer gewesen als dies lettere.

Dann entwickelte Alewyn   die geistige Welt des Barock und der österreichischen Landschaft, die dem Norden gleicher Sprache so fremd und unverstanden geblieben sei, und die österreichische Kultur der letzten Jahrhunderte, die in Plastik, Malerei, Architektur, Schauspiel und Regie von solchem Reichtum und so rauschhafter Fülle sich entfaltet habe, daß daneben das Lebenswerk Richard Wagners   als

den Vortrag Alewyns mit Begrüßungsworten einleitete, ein Friedrich- Nietzsche- Buch, so zeigt fich heute mehr und mehr, wie die ungeheuerliche Zeitproblematik auch nicht zuletzt den fachwissenschaftlichen Rahmen sprengt in den Geistes­wissenschaften und zu kulturphilosophischer, psychologischer und soziologischer Betrachtungsweise drängt. Eine solche Aufgabe konnte auch Alewyn   noch nicht lösen. Ihre Lösung hat eine universalistische Bildung und einzigartig schöpferische Persönlichkeiten zur notwendigen Voraus setzung.

Dr. Heinrich Gart. Hi Jalsa

Göbbels unter englischen Studenten Werbung für nationalsozialistische Kulturd Die englischen Universitäten sind neuerdings mit Nazi­Werbeschriften überschwemmt, in denen die englischen Stu­denten eingeladen werden, Deutschland   im kommenden Som­mer zu besuchen, um die nationalsozialistische Kultur" zu

nummer. Da

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am Sonnabend hatte er plötzlich einen Einfall. Und Sonntag früh las man überall im Städtchen, daß der Zirkus abends eine Galavorstellung gebe, deren fünfte Nummer so ausgezeichnet sein würde, daß ein jeder, dem sie nicht gefallen sollte, das Doppelte des von ihm gezahlten Eintrittsgeldes an der Kasse zurückerhalten werde. An diesem Sonntag sprach man im Städtchen nur noch von dieser Vorstellung, und jederman beschloß im Stillen, durch die einfache Erklärung, die Nummer hätte ihm nicht gefallen, etwas zu verdienen. Deshalb wurden die teuersten Plätze trots der Erhöhung der Eintrittspreise zu allererst ausverkauft. Gegen Mittag war überhaupt kein Platz mehr zu haben, und um zwei erschien ein Anschlag, demzufolge die Vorstellung angesichts des großen Erfolges, wiederholt werden sollte. Auch zu dieser Vorstellung waren die Karten bald im Ver. kauf vergriffen. Der Direktor rieb sich die Hände. Der Löwenbändiger bekam sein Gehalt. Andere Artisten durften sich gleichfalls endlich einmal sattessen. Und überdies blieb noch soviel übrig, daß man sogar an eine Weiterreise denken konnte.

Dann begann die Vorstellung. Die ersten vier Nummern beachtete kein Mensch. Nach der vierten aber erscholl ein

Tusch. in der Manege erschien, im Frack, ordenbehängt und Zylinder in der Hand, der Herr Direktor persönlich und sagte:

,, Deutsche   Männer und Frauen! Hochverehrtes Publikum! Es kommt jetzt die große Haupt- und Festnummer des Gala­programms. Wem diese Nummer nicht gefällt, der darf sich das Doppelte des gezahlten Eintrittspreises an der Kasse abholen. Ich aber habe die Ehre, Ihnen diese unüberbiet­bare Nummer jetzt anzuzeigen. Achtung! Die SA.- Kapelle spielt Ihnen nun als fünfte Nummer des Programms vater­ländische Lieder. Heil!" H. B. im ,, Simplicus",

Zeit- Notizen

Hubermann in Wien  

Die österreichische Regierung hat den Violin virtuosen Bronislaw Huberman   als Leiter einer Meisterschule für Violine an der Winer Akademie für Musik und darstellende

bereits im Laufe dieses Monats an.

Schließung der Berliner   Stadtoper?

studieren. Es wird darauf aufmerksam gemacht, daß die Kunst engagiert. Bronislaw Hubermann tritt seine Stelle Hochschule für Politik im August 1934 eine Reihe von Vorträgen in englischer Sprache veranstaltet. Als Themen werden genannt: ,, Deutschland  , wie man es im Auslande sieht"," Der Wendepunkt der nationalsozialistischen Revo­lution" mit einer Diskussion über die Juden, den Marxismus und die Revolution. Die Konzeption des nationalsozia­stischen Staates", Deutschlands   Kampf um einen Volks­staat", Die soziale Ehrenrettung Deutschlands  ", Geschichte der deutschen Diplomatie", Hitlers Außenpolitik"," Das deutsche   Heer und seine Geschichte", Die SA. der NSDAP  .. An der Marburger   Universität sollen Naziführer vor Be­neuen Deutschland" sprechen. Den Hörern werden Reise­erleichterungen versprochen...

Allem Anschein nach ist die Schließung der Städtischen Oper in Berlin   akut geworden. Das gesamte Personal wurde für den Schluß dieser Spielzeit gekündigt. Der Intendanten­posten wurde nach dem Tod Max von Schillings   nicht mehr besetzt. Berlin   wird wahrscheinlich in Zukunft nur noch ein Opernhaus besitzen, nämlich die Staatsoper Unter den

Linden. sie

der schattenhafte Abglanz eines entwurzelten Literaten" suchern aus England über Wiederherstellung der Ehre des Deutsche Literatur   im Ausland

verblasse. Ebenso sei Max Reinhardt  , dem Hofmannsthal  als dienender, anonymer Textdichter der Richard- Strauß­Opern( nach Auffassung des George- Kreides eine Ent­weihung des aristokratischen Dichtertums) wesentlich zu seinen Erfolgen verholfen habe, nur der letzte Sprosse einer mächtigen Dynastie von großen Regisseuren und Theater­männern

Alewyns geistiges Ringen offenbart zugleich die Tragik der geistigen Gegenwartssituation. Hatte bereits Hermann Grimm  , nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts als Kunst- und Literaturhistoriker das Sehnsuchtsbild einer

Geschichte der menschlichen Fantasie in der Seele, schrieb

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Ilja Ehrenburg   über Oesterreich

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Ilja Ehrenburg   veröffentlicht eine historisch kritische Dar stellung der jüngsten Ereignisse in Oesterreich   unter dem Titel ,, Der Bürgerkrieg in Oesterreich  ". Er untersucht Ur sachen, Ablauf und die voraussichtlichen Folgen der blutigen Ereignisse. Die Arbeit erscheint soeben deutsch als Sonder­nummer der, Neuen Deutschen   Blätter", Prag. ban

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Daß das Ausland sich von der vom Propagandaministerium empfohlenen offiziösen ,, neudeutschen Dichtung" achtungsvoll abwendet und nach wie vor wahrhaft deutsche  Dichtung zur Hand nimmt, beweist eine von dem dänischen

Verlag Gyldendal an zehn Buchhandlungen des Landes

gerichtete Umfrage nach den meistverkauften Neuerscheinun­gen unter seinen Veröffentlichungen. Das Resultat: Vier von diesen zehn großen Buchhandlungen Dänemarks   nannten das Werk des Juden und Kulturbolschewisten", des gegenwärtig im Ausland lebenden Dichters Joseph Roth  : Radegky

Marsch" bu anda len

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