Samstag, den 31. März 1934
Hereinspaziert! Hereinspaziert!
Auf zwei Erwachsene kommt umsonst ein Kind! Umsonst ist da nichts zu machen. Vier Franken muß man schon blechen, wenn man ins Panoptikum hinein will( Soldaten und Unteroffiziere zahlen wochentags die Hälfte). Und wer gar ins fantastische Kabinett oder in den Tempel des Brahma eintreten will, so kostet das noch einmal je ein Frank fuffzig.
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Da ist man also drin, und alles kommt einem unheimlich vor. Das Licht ist gedämpft. Ein Spiegel neben dem anderen. Plötzlich meint man mit jemanden zusammenzustoßen, doch es ist nur eine Wachsfigur. Entsetzlich! Auf einem Sofa sitzt ein junges Mädchen, schön angemalt und gut angezogen. Man hat das Verlangen, sie anzusprechen, aber es ist nur eine Puppe. Auf einem anderen Sofa wieder ist ein Mann über seiner Zeitung eingeschlafen. Man wundert sich, daß niemand ihn in seinem Schlaf stört. Erst bei näherer Betrachtung entdeckt man, daß auch dieser Mann nur eine Wachsfigur ist. So wird für die Belustigung des Publikums gesorgt, was auch ausdrücklich im Katalog vermerkt wird. Man muß es schon dem Muséen Grévin bescheinigen ist aktuell. Gleich vornean ist schon der neue französische Ministerpräsident Chautemps ausgestellt. Neben ihm PaulBoncour und Daladier. Marlene Dietrich und Greta Garbo drehen gerade eine Filmszene; ihr Partner ist Charles Boyer . Es beehren sich dann vorzustellen Mister and Missis Mollison. Von oben bis unten in Lederbekleidung versteht sich. Und mittendrin ein Ausschnitt aus dem chinesisch- japanischen Krieg: Kampf an der großen Chinesischen Mauer. In einer Ecke steht Maurice Chevalier und lächelt Charlie Chaplin zu. Es folgen Grock und die Fratellinis. Und auf einmal steht man vor Mussolini , der, ordenumhangen, die rechte Hand zum römischen Gruß erhebt. Scheißlich schick, sagt dazu der Wiener .
Gleich nebenan steht der Herr von Hindenburg . Die wuchtige Wachsfigur ist mit einem Gehrock und Plastron gekleidet. Tja, man hats weit gebracht! Erst kaiserlicher Feldmarschall, dann Präsident der Deutschen Republik und nun Reichspräsident von Neudeck. Was Verfassungseide einem alles einbringen können!
Ihm gegenüber, in soldatischer Haltung, steht Hitler . Braune Uniform, schwarzer Schlips, Hakenkreuzarmbinde. Dazu das bekannte Bürstenschnurrbärtchen. Die Backen sind, wie bei einer Kokotte, reichlich mit Rouge bepinselt. Viele Liebe scheint auf diese Figur nicht verwandt worden zu sein. Man sieht das auch an dem Hakenkreuz. Es ist einfach in die Binde hineingemalt worden, ohne sich viel um Symmetrie zu kümmern.
Mit dieser Hitlerfigur scheint schon vieles angestellt worden zu sein, wahrscheinlich der Aehnlichkeit wegen. Auf
der Abbildung im Katalog hat der Führer" lange Socken mit Stiefeln an. Jetzt hat man ihm hohe, braune Schnürstiefel angezogen. Hitler wechselt täglich seine Phrasen, im Panoptikum wechselt man ihm die Schuhe.
Man zerbricht sich den Kopf, was sich wohl der Mann dabei gedacht haben muß, als er die Gruppierung der beiden ,, Heroen" vorgenommen hat. Da steht nun der Maréchal und guckt fast in den Himmel( ob er um gutes Wetter bitten will, der gottesfürchtige Herr?), während Hitler zu ihm aufsieht wie zu einem Gott. Wahrlich zwei Panoptikumfiguren par excellence! Was sich die Pawlowa dabei denken muß, diesem großen Mann" immer den.... Rücken zukehren zu müssen. Nicht auszudenken!
Schluß mit Hitler! Ich gehe jett ins Revolutionsmuseum. Da ist es interessanter. Man sieht da wenigstens Männer, die etwas von Revolution verstanden. Männer, die Fortschritt und nicht Rückschritt der Menschheit gebracht haben. Mirabeau , Danton , Robespierre , das waren doch ganz andere Männer! Warum hat man sie nur in den Keller transportiert?! Solche Männer im Keller aufzustellen, ist ungerecht. Man transportiere lieber den Hitler in den Keller, da gehört er hin. Es gibt da einen Platz für ihn. Im Zirkus, neben Nero.
Am Ausgang spielt sich eine sehr lustige Szene ab. Vor dem Kasten, wo sich Dollfuß und Herriot die Hände schütteln( kürzlich noch stand an dieser Stelle der Sieger der Tour de France , Georges Speicher, sic transit.... übrigens verschwinden die Staatsmänner genau so schnell, sobald sie vom Schauplatz der Politik abgetreten sind), am Ausgang also unterhalten sich zwei Männer sehr eifrig. Der eine ist der Direktor des Museums, der andere ein Ausländer. Man erkennt das an seinem schlechten Französisch. Der Ausländer schlägt dem Direktor folgendes vor: Da es so viele Leute in Paris gäbe, die eine Wut auf Hitler hätten, möge er freundschaftlicherweise gestatten, daß man in die Hitlerfigur einen Nagel schlagen könne. Diese Einrichtung würde nicht nur eine größere Anziehungskraft auf das Publikum ausüben, sondern auch noch einträglich sein. Für solch einen Nagel könne man einen bis zwei Franken nehmen. Die Besucher würden sie mit Kußhand zahlen. Der Gedanke ist Sache zu überlegen.
Ob man gerade auf diese Weise seine Wut gegen Hitler auslassen soll, scheint ein zu billiges Vergnügen zu sein. Und ob der Direktor damit ein Geschäft machen wird, ist auch noch fraglich. Bei der Wut würde die Hitlerfigur nicht lange standhalten. Hoffen wir lieber, daß die Figur bald an ein Provinzmuseum verkauft wird, wie es mit den anderen Figuren geschieht, die politisch ihre Rolle ausgespielt haben. M. Brustow.
Eine Laus und eine Seele
Flüchtlingslieder von einst/ Von Bruno Brandy
Das Schicksal des heimatlosen Freiheitskämpfers, der Volk und Vaterland verließ, um Freiheit und Gesinnung zu retten, hat das Gemüt der Menschen oft bewegt. In der Zeit des Deutschen Absolutismus hüllte sich die Lyrik der Romantiker gern in dies Gewand, wenn sie eine Feder für die Freiheit einlegen wollten. Sofern der Dichter nicht mit der Zensur karambolieren wollte, mußte er seinen Stoff von fremden Schauplägen beziehen. Der Widerhall, den die Freiheitskämpfe anderer Völker im Herzen der vormärzlichen Romantiker finden, drückt sich in Flüchtlingsdichtungen aus, deren Empfindsamkeit Pathos und Rhythmus uns Kindern eines sachlicheren Zeitalters weniger romantisch als naiv, sentimental oder gar leis ko misch anmutet so wandeln sich Maß und Versgefühl der Zeiten.
Das hat sich Uhland wohl kaum träumen lassen, als er seine Ballade von der ,, Biddasso abrücke" dichtete: Spanische Rebellen flüchten über den Grenzfluß in fränkschen Gau", rollen die Fahne zusammen, suchen eine Freistatt in der Fern"; alle bluten, nur der Führer Mins, benarbter als alle anderen, ist diesmal unverwundet. Als ein alter Kriegsmann dies preist, da rafft sich der müde Mins vom Steine empor: Blickt noch einmal nach den Bergen,
Wo die Sonne sinken will: Seine Hand, zur Brust gehalten, Hemmt nicht mehr des Blutes Lauf , Auf der Biddassoabrücke Brachen alle Wunden auf.
Mächtige romantische Wallungen hinterließen vor allem die polnische Unabhängigkeitskämpfe; sie spiegelten sich in Lenaus Polenliedern. Als 1794 der letzte Aufstand( vor der dritten Teilung Polens ) zusammenbrach, gingen viele der Anhänger Kosziuskos in Exil. In Lenaus Lied vom Polenflüchtling irrt der Held ,, im quellenarmen Wüstensand arabischer Nomaden":
Ein Polenheld und grollet still, Daß noch sein Herz nicht brechen will.
An einer Oase schläft er schließlich ein. Eine Beduinenschar findet ihn:
Sie sehen der Narben Heiligtum
Auf blasser Stirn und Wange;
Dem Wüstensohn zu Herzen geht Des Unglücks stille Majestät.
Als er aufweckt, grüßen sie ihn mit Liebe und einem Geseng, der von Blutrache, nach der Väter Brauch", nur so döhnt. Anfangs lauscht der Flüchtling entzückt, dann packt iha entsegliches Heimweh:
Doch nun der Pole schärfer lauscht, Sinds fremde. fremde Töne; 190 Was ihn im Waffenglanz umrauscht, Arabiens freie Söhne,
Auf die der Mond der Wüste scheint:
Da wirft er sich zur Erd und weint. Aber der allgemeine Schwarm für die unglücklichen polnischen Freiheitshelden konnte leider nichts daran ändern, daß diese Konjunktur jahrzehntelang von Glücksrittern, Hochstaplern und Schwindlern arg ausgebeutet wurde. In don Schänken und Salons der westlichen Länder saßen pom
pös benamsete Nepper und Nassauer, die von ihren Heldentaten bei Ostrolenka branzten, ohne je einen Schuß Pulver gerochen zu haben. Diesen Rittern brannte Heinrich Heine sein Gedicht von Krapulinski und Wschlappski aufs Fell:
Wohnten in derselben Stube, Schliefen in demselben Bette! Eine Laus und eine Seele, Kratten sie sich um die Wette. Speisten in derselben Kneipe, Und da keiner wollte leiden, Daß der andre für ihn zahle, Zahlte keiner von den Beiden.
Das war wohl das satirischste aller Flüchtlingsgedichte der damaligen Zeit, das teutonischste jedoch lieferte Franz Dingelstedt , einst seiner oppositionellen Gesinnung wegen in Ungnade gefallen und 1843 vom württem bergischen König wieder in Amt und Würden aufgenommen. Auch dieses betitelt sich„ Die Flüchtlinge" und beginnt: ,, Es sind der Männer fünf bis sechs um einen Tisch Und alle gesessen. der Spanier, der Russe, der Grieche, der Lombarde, der Schweizer fluchen den Tyrannen ihrer Heimat:
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So wirbelte durch das Gemach Auf blauer Tabakswolke
Das Bild von mancher großen Schmach, Von manchem großen Volke.
Nur einer ist still geblieben: ,, Ein blasser Junge, mit blondem deutschem Lockenhaar, mit blöder deutscher Zunge..." Und als ihn die andern fragen, warum er so früh in Acht und Bann wandern mußte und warum er dem„ ,, Land, das ihn verraten", nicht Zeter rufe, da steht der blonde Jüng. ling auf, und wirft ein Glas herrisch an die Wand ,,, im Ause blaue Blige":
Das wolle Gott im Himmel nicht, Das solches je geschehe!
Nein! Wer mit deutscher Zunge spricht, Ruft Deutschland niemals Wehe!
Er riefs. Und Herz und Stimme brach In lang verhalt'nem Weinen.
Solches gefiel den deutschen Despoten, so brauchten sie ihre Untertanen! Mcchten sie auswandern, flüchten, ins Exil gehen, aber Unterdrücker und Vaterland sollten ihnen immer untrennbar sein! Die Vorteile dieser Begriffsver manschung hat auch Hitler erfaßt; auch er läßt seine Barden in die Saiten stürmen und läßt sie als vaterlandslos und Landesverräter beschimpfen, die einen Unterschied zwischen Deutschland und dem braunen Despotismus machen.
Das Verebben der Romantik segte auch die Flüchtlingslieder in der deutschen Lyrik außer Kurs. Das Volk trat auf die politische Bühne, Herweghs und Freiligraths revolutionäre Lyrik fegte über den Plan und kündete die 48er Sturmjahre an; sie wurden die Väter einer neuen sozialen Dichtung, die für individuelle Leiden und Schick sale einzelner wenig Raum läßt.
Der Zeitdichter spricht
( vor seiner Schreibmaschine)
Tip- tip- tip und Tap- tap- tap.
Nein, der Stoff wird mir nicht knapp, Lauter Sensationen:
Prince und Fey,
Friedensschmus und Kriegsgeschrei. Hungernde Millionen.
Jeder Tag ein blutger Wit: Konferenzen und Miliz, Maskenball und- Leichen. Dollarkurs Sanierungs- Traum... Kleiner Abstand- Zwischenraum. Deutlich unterstreichen.
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Tap- tap- tap und Tip- tip- tip: Reisescheck, Transfer und Scrip. Handelsziffern schrumpfen. Hoch die Nahrungs- Autarkie! Helft der Waffenindustrie! Hegen, Uebertrumpfen:
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Selbstlob, Wahn und RassenhaßVisumzwang und Nansenpaß, Gruß und Hoheitszeichen. Stempelgeld und
Reisescheck.
,, Ich bin groß und du bist Dreck!" Deutlich unterstreichen.
Tip- tip- tip und Tap- tap- tap. Geld ist rar und Geld ist knapp. Giftgas- Philosophen.
Börsensturz und Sturz beim Sport Bürgerkrieg und Massenmord
Ringsum Katastrophen.
Punkt!! Wenn ihr so weiter rast,
Werden bald, zerfett, vergast
Unsre Knochen bleichen.
Keiner ist des andern Knecht.
Menschenrecht bleibt Menschenrecht! Deutlich unterstreichen!!
Charlie Kaschno.
Scheiftleiter sind Staatsorgane"
Der Hauptmann führt...
Der Reichsverband der deutschen Presse trat im Haus der Presse zu Berlin zu seiner ersten Arbeitstagung nach der Bestätigung seiner neuen Satzungen zusammen. Der Verband ist heute nach ganz neuen Gesichtspunkten aufgebaut und hat zahlreiche neue Aufgaben erhalten. Die Arbeitstagung wurde vom Führer des Reichsverbandes, Chefredakteur Hauptmann a. D. Weiß vom ,, Völkischen Beobachter", eröffnet, der in längeren Darlegungen das Schriftleitergeset und seine Auswirkungen erörterte und die Neuorganisation des Reichsverbandes behandelte. Er wies besonders darauf hin, daß die deutschen Schriftleiter nunmehr Organe des Staates seien und daß der Reichsverband für eine straffe autoritäre Zusammenfassung aller deutschen Schriftleiter sorgen werde. Er sei nunmehr zu einem Institut des deutschen Kulturlebens geworden. Er wies noch darauf hin, daß im Gesets und in den Durchführungsbestimmungen der Organisationszwang für Schriftleiter im Reichsverband der deutschen Presse ausdrücklich festgelegt sei und jeder anderen Organisation vorgehe.
Chefredakteur Weiß teilte dann mit, daß er in den kleinen Führerrat des Reichsverbandes, der künftig an die Stelle des engeren Vorstandes tritt, folgende Herren berufen habe: Hauptschriftleiter Alfred Ingemar Berndt ( Deutsches Karl Nachrichten- Büro), Hauptschriftleiter Busch( Der Deutsche"), Schriftleiter Günter d'Alquea ( ,, Völk. Beobachter"), Hauptschriftleiter Caroly Kamp mann( ,, Der Angriff"), Hauptschriftleiter Fritz Lucke (..Berliner Nachtausgabe"), Hauptschriftleiter Werner Pfeiffer( Vertreter auswärtiger Blätter), Hauptschrift. leiter Karl Silax( ,, DAZ.").
Ferner sind ernannt worden zu Vorsigenden von Fachausschüssen: Hauptschriftleiter Dr. Hans Bollmann( DNB.) zum Vorsigenden des Fachausschusses der Sportredakteure, E. M. Köhn( Ufa) zum Leiter des Fachausschusses der Kritiker, Frau Richard zur Leiterin des Fachausschusses der Schriftleiterinnen, Hauptschriftleiter Schulz zum Leiter des Fachausschusses der Zeitschriftenredakteure, Dr. Kroll( Köln . Ztg.") zum Leiter des Fachausschusses der Handelsredakteure und Dr. Hermann( Atlantik ) zum Leiter des Fachausschusses der Bildberichterstatter,
Beschlagnahmt!
Für das Land Thüringen ist die im..Nationalen Verlag" in Berlin- Wilmersdorf erschienene Broschüre., Gerechtigkeit! Zur Lösung der Judenfrage!" von Dr. v. Oppeln- Bronikowski, ferner das im Verlag von Jakob Keyner in Leipzig erschienene Buch„ Entlarvte Geschichte" von Werner Hegemann polizeilich beschlagnahmt und eingezogen worden.
Auch in Oesterreich
Judenfilme unter deutschem Druck
Verhandlungen, die in letzter Zeit zwischen den deutschen und den österreichischen Filmherstellern geführt worden sind, haben su dem Ergebnis geführt, daß diese sich bereit erklärten, jüdische Filmschauspieler künftighin nicht mehr in den von ihnen hergestellten deutsch - sprachigen Filmen auf. treten zu lassen. Da der größte Teil der österreichischen Filmerzeugung deutschsprachig ist, so bedeutet diese Abmachung, daß die jüdischen Schauspieler praktisch völlig aus dem österreichischen Film verschwinden. Nur in den ganz wenigen österreichischen Filmen, die in englischer oder französischer Fassung herausgebracht werden, können sie noch Verwendung finden.
Also eine Wiener Notiz. Es ist den deutschen Herstellern, die unter dem Druck der Reichsfilmkasse standen, gelungen, den österreichischen Film zum Ausschluß aller Juden zu zwingen. Ein erfolgreicher Gleichschaltungsversuch im Reiche der Politik, Vorläufer für kommende Dinge.