Rund um die Straßenschlacht

Chiappe bekennt sich zu seinen Freunden

Paris  , 29. März. Die Arbeit der beiden parlamentarischen Zur Staatsreform

Untersuchungsausschüsse in Sachen Stavisky und zur Klärung der Pariser Straßenunruhen vom 6. Februar bringt eine Fülle von Einzelheiten, ohne daß diese sich zu einem deut­lichen Gesamtbild verdichten.

Im Stavisfy- Ausschuß wurde der frühere Polizeipräsident Chiappe aufs neue vernommen. Von seinen Aussagen ist nachzutragen, daß Chiappe mehrfach seine persönlichen Freunde vor den Ausschußmitgliedern anerkannte. So ver­leugnete er weder seine Freundschaft zu einem Vorsitzenden eines Spielflubs, noch zu dem naturalisierten Franzosen und Buchmacher Zograpbos und bemerkte auf aggreffive Fragen nur, es stehe ihm doch frei, sich seinen privaten Verkehr aus­zusuchen. wie er wolle. Im übrigen deckte Chiappe seine frit­heren Untergebenen und stellte der Polizei das Zeugnis aus, daß sie in der Behandlung des Falles Stavisky getan habe, was möglich gewesen sei. Chiappe schloß seine Aussagen mit der sinnigen Bemerkung, es sei geradezu ein Glück, daß Stavisty nicht auch noch einen Presseausweis der Polizei­präfeftur beseffen habe, den er als Hintermann der Zeitung ,, Volonte  " sicher hätte erlangen können.

Vor dem Ausschuß, der die Vorfälle am 6. Februar unter­sucht, wurde die mongelnde Umsicht und mangelnde Einheit­lichkeit bei der Leitung des Ordnungsdienstes kritisch be­leuchtet. Ohne weitere Folge blieb eine Bemerkung über den Reichstagsbrand, die folgendermaßen entstand: Ein Ausschußmitglied brachte sein Erstaunen darüber zum Aus druck, daß der polizeiliche Ordnungsdienst das Kammer­gebäude auch noch vor Kundgebern verteidigte, als die Stammerfizung längst gefchloffen und die Abgeordneten nach Hause gegangen waren. Darauf fiel die Bemerkung, die Ver­teidigung des Kammergebäudes sei doch wohl nötig gewesen, denn hätte nicht das Beispiel des Reichstagsbrandes an­steckend wir können? Einer der Polizeifommissare, der am 6. Februar an der Madelaine- Kirche Dienst batte, erklärte übrigens, daß er, mit der Schärpe angetan, durch Trompeten fianale die vorschriftsmäßige Warnung erteilt hätte, ehe er seine Beamten gegen die Menge habe einschreiten lassen.

Paris  , 29. März. Der Unterausschuß des gefeßgebenden Ausschusses, der sich mit der Staatsreform beschäftigt, hat beschlossen, eine Abänderung des Artikels 5 der Verfassung vorzuschlagen, die die Auflösung der Kammer durch den Präsidenten der Republik auf An­trag des Ministerpräsidenten und ohne vor­herige Zustimmung des Senats erlauben würde.

Verschärftes Waffenverbot

Paris  , 29. März. Wie der Matin" berichtet, hat der Staatsrat den Entwurf einer Verordnung gebilligt, die das aus dem Jahre 1924 stammende Gesetz über den Besitz und das Tragen von Waffen ergänzt. In die Lifte der verbo tenen Waffen werden außer Revolvern und Pistolen aller Art noch aufgenommen Dolche, Dolchmesser, Gummiknüppel, Totschläger, Stockdegen usw. sowie alle Gegenstände, die eine für die öffentliche Sicherheit   gefährdende Waffe bilden fönnten. Von den Waffenhändlern wird verlangt, daß sie Register führen, in die sie jeden Waffenverkauf und den Namen des Käufers sowie den mit Lichtbild versehenen Aus­weis, den der Käufer vorzeigen muß, eintragen.

Die Radikalsozialisten schließen aus

Paris  , 29. März. Der Vorstand des Vollzugsausschusses der Radikalsozialistischen Partei und der Disziplinarrat haben nach Anhörung der Beteiligten die Abgeordneten Hulin und Proust  , deren Namen im Zusammenhang mit den Stavisty- Affären genannt worden waren, aus der Partei ausgeschlossen. Aus der Untersuchung der Partei er­gebe sich, daß die beiden Abgeordneten Handlungen begangen bätten, die, wenn sie auch nicht gerichtlich strafbar jeten, doch mit der Würde des ihnen anvertrauten Mandats unverein­bar feten. Dadurch hätten sie gegen ihre Pflicht gegenüber ihrer Partei verstoßen, und deshalb erfolge ihr Ausschluß.

Großcs Sparprogramm Frankreichs  

Zunächst Kürzungen von 2585 Millionen Franken

Paris  , 29. März. Der Matin" berichtet über den Verlauf und das Ergebnis des gestrigen Kabinettsrates, man habe einen Plan zur Förderung der wirtschaftlichen Ausrüstung des Landes ins Auge gefaßt, wie ihn Arbeitsminister Mars quet ausgearbeitet babe, der die Unterstützung des Minister­präsidenten Doumergue   erhalten habe, während der Finanz minister Germain Martin   und der Minister für öffentliche Arbeiten Flandin Einwendungen erhoben hätten. Bei Durch führung des Planes sollen die Mittel der Sozialversicherungs­tasse herangezogen werden. Ueber die Beteiligung der ebe­maligen Frontkämpfer an den zu bringenden Opfern zum Swede des Haushaltausgleiches sei eine lebhafte Ausein anderlegung entstanden. Marineminister Rietri fei für eine fofortige Reglung der Frage eingetreten, aber Minister­präfident Doumerque habe die Prüfung der die ehemaligen Frontkämpfer betreffenden Maßnahmen für den zweiten Teil der Haushaltausgleichbestimmungen zurückstellen laffen, da er einer Abordnung der Frontkämpfer versprochen hatte, die

Frontkämpfer würden die lebten sein, von denen man Opfer fordere.

Der Kabinettsrat habe sich dann auf einen ersten Teil von Haushaltausgleichsmaßnahmen in Höhe von 2585 Millionen ( abzudecken sind insgesamt vier Milliarden) geeinigt, die sich wie folgt zusammenfeßen:

300 millionen sollen durch Kürzung von Zivilpenkonen eingespart werden( die Höchstpensionen sollen von 45 000 auf 35 000 Fr. berabgesetzt werden.

700 Millionen sollen durch 10prozentige Herabsehung der Babl der Beamten eingespart werden.

520 Millionen durch eine Gehaltskürzung aller Beamien ohne Ausnahme um 5 bis 10 Prozent,

300 Millionen durch Einsparungen bei den die Landes­verteidigung betreffenden Ministerten, alfo Kriegs-, Marine­und Luftfahrtministerium.

365 Millionen durch Einsparungen und Zusammenlegungen gewisser Aemter, Behörden und Stellen.

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Ueberall wachsende Bildungsschichten

Ein Quell der politischen Unruhe

Seit dem Kriege hat in fast allen Ländern die Zahl der Studierenden zugenommen; teilweise doppelt und dreifach. Die Zunahme beträgt, wie wir einer fürzlich veröffentlichten Statistik entnehmen, von 1913 bis 1932 in

Oesterreich

Schweiz

Deutschland

Italien

Schweden

Dänemark

Franfretch

Spanien  

81,2 Prozent

43,9

68,0

70,0

72,6

78,8

78,7

81,2

Dann folgen Norwegen  , Niederlande   und Griechenland   mit mehr als 100 Prozent, Polen   mit 231, Lettland   mit 811 und Bulgarien   gar mit 877 Prozent Zunahme.

Noch viel größer ist die Zunahme des Frauenstudiums. Sie erreicht in

Schweiz  Niederlande  

146 Prozent 245

Schweben Italien

Frankreich

Ungarn

Deutschland Spanien

268 Prozent 310

311

421

476 497

"

Und nun die Gegenfette: um wieviel ist die Zahl der Hoch schullehrer gewachsen? Darüber liegt uns keine Statistik vor, aber wir wissen, daß bier die Zunahme mit der der Studenten nicht entfernt Schritt hält. Das ist aber lediglich eins von vielen Symptomen, die in allen Ländern zeigen, daß eine aiffernmäßig starf anwachsende akademische Jugend im ge sellschaftlichen System fein Unterfommen findet, Junge Län der, die erst heute in die Kultursphäre vorrücken, haben zwar wohl einen starken Bedarf. Im ganzen aber gilt: in Europa  wächst die akademisch gebildete Schicht, aber nicht im gleichen wächst die akademisch gebildete Schicht, aber nicht im gleichen Maße der Bedarf nach ihr. Und auch etwas anderes wächst leider nicht: die Gesamtsumme an wirklicher Bildung in den Völkern. Viele studieren, aber sie studieren auf irgendein

Der Mordfall Prince

Neue Fährten

Paris, 29. März. Erst in der Nacht zum Donnerstag wurde bekannt, daß die Pariser   Polizei mit großer Energie neue Fährten zur Klärung des Mordfalles Prince verfolgt und daß drei Personen in Paris   und eine in Marseille   feit Mittwoch früh 7 Uhr einem Kreuzverbör unterworfen wer­den, das bis in die vierte Stunde der Nacht zum Donnerstag in Paris   noch andauert. Gleichzeitig werden gewisse Aus­sagen der Zeugen an Ort und Stelle nachgeprüft.

Die Fährten dürften gewichtigen Gharafter haben. Denn außer dem ungewöhnlich starken Aufgebot an Polizei­fommissaren, die sich bei den Verhören ablösen, sind die bei­den Staatsanwälte in Dijon   fernmündlich nach Paris   be= rufen worden und haben am Mittwochabend die Reise nach Paris   angetreten.

Das langwierige Verhör in Paris   betraf folgende Ber sonen: einen 40 Jahre alten Staatsangehörtgen Monacos namens Gaetan d'Herbon de Luisab, genannt der Baron, von Beruf Buchmacher, der in einem großen Hotel in den Champs Elysees   in Zimmer bewohnt, das je Tag 60 Fr. foftet, ferner zwei andere Buchmacher namens Paul Vendure und Gaeton Muller, die beide Wahlagenten von Marseille   und forsische Abgeordnete waren. In Marseille   wurde Francois Spirido verhört.

Die vier Hengen find aufgefordert worden, vor allem über thre Tageseinteilung am 20. Februar, dem Tage der Gr­mordung Princes, Auskunft zu geben. de Lussah soll nach dem Journal" ausgesagt haben, daß er vom 18. bis 23. sich in Monte Carlo   aufgehalten habe. Das Journal" will über die Gewohnheiten de Luisat Ausfunft geben fönnen und be­richtet, de Lusias habe in seinem Hotel nie jemanden empfangen und jei jedem ausgewichen. Er pflegte gegen 5 Uhr früh nach Hause zu kommen und ging nie vor Mittag weg. Häufig unternahm er Reifen, und zwar, wie er sagte. nach der Riviera. Er dürfte über reichliche Mittel verfügt baben, da er regelmäßig teure Tanz- und Nachtlokale aus­suchte.

Vergebliche Verhöre?

Paris  , 29. Mära. In den frühen Morgenstunden des Donnerstag scheint es, als ob die Fährten, die die Polizei in der Mördsache Prince seit Mittwoch früh mit großer Energie verfolgt, doch nicht die Aufklärung bringen, obwohl sie aur Aufdeckung lichtscheuer Elemente geführt hat. Die eine der verhörten Personen, Gaeton Muller, der in Paris  eine Garage befißt, ist Donnerstag früh wieder aus dem Polizeipräsidium entlassen worden. Muller hat am Tage der Ermordung Princes an de Lufsatz ein Auto verkauft. Gegen= wärtig werden noch die Alibiangaben der anderen von der Polizei verhörten Personen nachgeprüft, doch scheint man polizeilicherseits die Soffnung aufgegeben zu haben, die Mör­der Princes selbst in der Hand zu haben.

Nach einigen Morgenblättern soll de Luffay übrigens eine schwer belastete Bergangenheit haben. Er foll mehrere Morde auf dem Gewiffen und in England zehn Jahre Zwangsarbeit verbüßt haben.

Skandal

In der römischen Oper

Trotz Mussolinis Anwesenheit

Nom, 36. März. In der föniglichen Oper in Nom fam es an einem großen Standal bei der Uraufführung einer Over von Malipiero  , zu dem Pirandello den Text geschrieben hatte. Das Stüd hieß Die Geschichte vom untergeschobenen Sohn". Es war eine unzusammenhängende Geschichte in wenig verständlicher Sprache, zu der der Komponist eine ziemlich mißtönende Musik hinzugefügt hatte. Vom ersten Aft ab begleitete das Publikum die Vorstellung mit Pfeifen und spöttischen Zurufen. Troß der Anwesenheit Mussolinis wuchs der Lärm von Aft zu Art. Das Bublifum stimmte Waffenhauer an und übertönte die Stimmen der Sänger. Pirandello, der den Standal von einer Loge aus mit au­gehört hatte, verließ das Theater, ohne ein Wort zu sagen. Der Komponist blieb unsichtbar. Das Stück wurde sofort abgefeßt.

Brotfach los. Die durchschnittliche Bildung des einzelnen sinft. Das Jdeal des Akademifers wird in wachsendem Maße die Versorgung; gerade dies Ideal aber findet mit allge­meiner Zunahme des Massenstudiums immer weniger seine Erfüllung.

Mehr Studium, weniger Bildung, mangelhafte Versorgung was tut diese Jugend notwendigerweise? Sie beschäftigt sich mit Politik- wie sie's versteht. Man lese die Reden und noch besser die Gedichte des Reichsjugendführers Baldur von Schirach   und man bat den Typ vor sich: ausgerüstet mit der ganzen Halbbildung seiner Zeit. Wir fürchten, daß das, ein wenig besser oder ein wenig schlimmer, überall so sein wird. Das Problem der Bildung oder richtiger, das Problem der Halbbildung muß gelöst werden. Sonst wird diese Jugend überall faschistisch.

Frauenbriefe aus dem dritten Reich"

SA. ,, untersucht" Mädchen!

Aus Schlesien   wird uns geschrieben:

In verschiedenen Gegenden unseres Landes macht sich jetzt ein toller Uning breit. Angeblich um der Verbreitung ver­botener Schriften zu begegnen, sind besondere Abteilungen der SA. gebildet worden, denen der Kampf gegen den Schriftenschmuggel obliegt. Diese Abteilungen aur beson­deren Verwendung" haben das Recht, auch Körperdurch­fuchungen vorzunehmen und machen von ihm reichlich Gebrauch. Dabet fällt allgemein auf, daß iunge Frauen und Mädchen mit besonderer Borliebe aum Gegenstand solcher Amtshandlungen gemacht werden. Sie werden auf gefordert, in einen Hausslur mitzukommen, und dort wird dann untersucht". Die auf diese Weise schamlos Belästigten müssen dann noch froh sein, wenn ihnen weiter nichts passiert, Sie müssen sich häten, über das Vorgefallene zu sprechen, weil sie sonst riskieren, wegen Verbreitung von Greuelnach­richten ins Konzentrationslager zu kommen. Würde aber der Gatte, der Vater, der Freund einer so belästigten Frau einen. der schamlofen Burschen niederschlagen, so hätte der Henker ein Opfer mehr!

Die braune Befagung an der Ober und der Neiße   ist viel schlimmer als es die schwarze am Rhein   war: gegen sie gibt es überhaupt feinen Schuß. Jm forrupten Swischenreich"

durften auch Diebinnen und Prostituierte nur von weiblichen Vertrauenspersonen untersucht werden; in dem glorreichen ,, dritten Reich" aber, in dem bekanntlich die Ebre der Frau" besonders geschützt ist, müssen sich ehrbare deutsche Frauen von schmußigen Lümmels alles gefallen lassen.

Die anständige Bevölkerung Schlesiens würde es heute mit Freuden begrüßen, wenn ausländische Korrespondenten dem Amtsbereich der Brückner und Heines ihr Augenmerk zuwenden wollten. Lärm in der ausländischen Preffe ist das einaige, vor dem das Gefindel noch Angst hat.

Der Dank

Aus dem Brief einer Volks bibliotbefarin an die Deutsche Rämpferin", eine nationalsozialistische Frauenzeitschrift( Märzheft 1934):

Biele Jahre stand ich im Beruf, vor und während meiner Ehe, immer mit der gleichen Liebe zu meiner Arbeit, der Arbeit am Menschen, und beseelt von der großen fulturellen Aufgabe, die wir zu erfüllen baben. Ich habe stets danach gestrebt, mein Amt für Volt und Vaterland nach bestem Gewiffen zu verwalten. Betonen möchte ich noch, daß ich bereits von 1981( meiner Amtsübernahme) an alles daran gefeßt habe, um ungeeignete Bücher( Asphaltliteratur und

volksverseuchendes Schrifttum) meiner nach echter und auf­rechter Literatur verlangenden bäuerlichen Leserschaft fernsu halten. Wir haben auch kein einziges Werk ablehnender Life­ratur angeschafft!

Dafür wurde ich am 1. April 1988 fünf Monate lang zwangsbeurlaubt. Dann erhielt ich die Kündigung ohne An­gabe des Grundes. Auf mein febr gutes Zeugnis jepte man die Bemerkung, daß man mich auf Grund der Bestimmungen über das Doppelverdienerium( ich erhielt eine Ent schädigung von 28. monatlich!) babe entlassen müssen, und zwar geschab das in dem Augenblid, als man auch meinen Mann aus Sparmaßnahmen" seines Amtes als Stadtbibliothekar enthoben batte.

Sie wollen nicht aufs Land!

... 300 arbeitslose Mädchen sollten von Hamburg   nach dem Often zur Landhilfe deportiert werden, um die Statistif zu verschönern und die Staatsfasse au erleichtern. Laut, Sam. burger Frembenblatt" melbete fich feine einzige dazu fret­willig, aber über 150 meldeten fich frant. 30 schieben aus der Unterstützung aus und verzichteten auf jeden Groschen, um daheim bleiben zu dürfen. Schließlich brachte man 200 so weit, das sie sich aur Annahme der Arbeit bereit erklärten, nachdem daß ihnen ihre Pflichten und die Folgen einer Weigerung les gemacht worden waren.

Es ist der reine Stlavenhandel!...