GOT

Freiheit

Nummer 78-2. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Donnerstag, den 5. April 1934 Chefredakteur: M. Braun

Aus dem Inhalt

Koloman Wallischs

Seite 3

letzter Kampf

von Julius Deutsch .

Severing dementiert! Gestern und fieute

..Tief verzweifelt über die Gerüchte, die in Umlauf gesetzt worden sind" Aus Kopenhagen wird der Deutschen Freiheit" geschrieben:

" Ekstrabladet" in Kopenhagen , Ausgabe vom 2. April, Jeröffentlicht den Inhalt eines Telefongespräches, das es

am Sonntag, dem 1. April, mit der Wohnung Severings

in Bielefeld geführt hat. Der Vertreter des Blattes er­reichte bei seinem Anruf nur den Sohn Severings, Ludwig. Der Sohn erklärte, daß sein Vater krank zu Bett liege, da er infolge der lügenhaften Mitteilungen in der Presse einen schweren Nervenzusammenbruch erlitten habe.

Ludwig Severing erklärte auf die Frage des Vertreters des Kopenhagener Blattes: Es ist nicht wahr, daß mein Vater ein Buch oder eine Broschüre Mein Weg zu Hitler " geschrieben hat."

Karl Severing hat einem deutschen Journalisten eine Erklärung übergeben, in der es heißt:

" Im letzten Sommer habe ich begonnen, meinen Lebens­lauf darzustellen, der mich von der Volksschule und von der Werkstatt in die Staatsleitung geführt hat. Es sollte eine Art Autobiographie sein und ein Versuch, den Lebenslauf der Männer zu zeichnen, die Deutschlands politische Ents wicklung in den letzten zwanzig Jahren in der Leitung und Verwaltung des Staates mitbestimmt haben. Diese Arbeit, die in keiner Weise beansprucht, ein politisches Memoirenwerk zu sein, ist noch lange nicht abgeschlossen, und was in den legten Wochen über seinen Inhalt mitgeteilt wurde, findet keine Stütze in den fertiggestellten Abschnitten. Besonders enthalten sie nicht einen einzigen Sag von dem, was in der R. W. 3." zitiert worden ist. Ich wäre der Presse sehr dankbar, wenn fie feine weiteren Kommentare veröffentlichen wollte, bevor meine Arbeit abgeschlossen und herausgegeben worden ist."

Der Vertreter des Blattes fragte weiter: Ist es auch unwahr, daß Ihr Vater dem Buch den Titel Mein Weg zu Hitel" gegeben hat?" Aber natürlich. Alles, was barüber erzählt und geschrieben worden ist, ist unwahr­heit und reine Erfindung. Mein Vater ist tief verzweifelt über die Gerüchte, die in diesen Wochen in Um­lauf gefeßt worden sind. Ich bitte Sie daher, sie so kräftig wie möglich zu dementieren."

Die Pariser Korrespondenz Jnpreß", die wir gestern öffentlich um Auskunft ersucht haben, teilt uns mit, daß sie die Behauptungen über Severing den Dernieres Nouvelles" entnommen hat Dieses Blatt ist uns unbekannt. Es soll eine russische Emigrantenzeitung sein. Ob weißgardistisch oder von einer anderen Tendenz, wissen wir nicht. Wir können der " Inpreß" den Vorwurf nicht ersparen, daß sie auf sehr un­fichere Grundlagen hin eine Sensation in die Welt gesetzt hat, die ein großes Geschenk an den deutschen Faschismus war und von allen gleichgeschalteten Zeitungen frohlockend über­nommen worden ist. Beschämend ist, daß auch antifaschistische Zeitungen, vor allem natürlich kommunistische, die Ver­leumdungen gegen Severing sich zu eigen machten, ehe der geringste Beweis für seinen Verrat vorlag. Etwas mehr Haltung wäre wirklich zu wünschen.

Wir benutzen diesen Fall", um noch einmal vor dem fritiflosen Glauben an Befehrungen von Antifaschisten zu warnen, die in Deutschland leben und gegen die Verbreitung

solcher Nachrichten wehrlos find. Welche Folgen das tapfere Einstehen für seinen Vater dem Sohne Severings eintragen wird, steht dahin.

Der

Bekehrte"

Was sie mi dem früheren schlesischen Ober­präsidenten Lüdemann trieben...

Jn Breslau war vorige Woche das Gerücht verbreitet, Dr. Lüdemann, der frühere Oberpräsident von Schlesien , sei aus dem Konzentrationslager, in dem er seit nahezu einem Jahr gefoltert wird, in Freiheit gesetzt worden. Wie besonders gut unterrichtete Leute wissen wollen, hatte sich Genosse Lüdemann die Freiheit mit einem vollständigen Ge­finnungswechsel erfauft. Er sei nicht nur zu den Nazis übergegangen, sondern er dokumentiere seine Fahnenflucht aus dem marristischen Lager auch dadurch, daß er sich nicht scheue, in Sq.- Uniform Breslauer Lokale abzuklappern, um mit der Blechbüchse für seine braunen Parteigenossen zu sammeln.

Diese Gerüchte erscheinen deshalb völlig unglaubhaft, weil der frühere schlesische Oberpräsident bei den Nazis ganz be= senders verhaßt ist. Wie noch erinnerlich sein dürfte, war Genosse Lüdemann im Sommer vorigen Jahres unter be­sonders erschwerenden Umständen verhaftet worden. Man hatte den bejahrten Mann zu Fuß durch die Hauptstraßen Breslaus zu dem weit vor der Stadt liegenden( inzwischen aufgelösten) Lager Durrgop geschleift, während der Feme­mörder Polizeipräsident Heines im schnittigen Dienstwagen nebenher fuhr. Eine johlende Menge begleitete damals die­sen barbarischen Triumphzug. Im Lager selbst war Lüde­mann aufs demütigendste und perfideste mißhandelt worden. So hatte man ihm u. a. drei Pfeile in den Hosenboden genäht, und wenn der Gefangene bei den schweren Erd­arbeiten, die er verrichten mußte, sich bückte, brachen die be­wachenden Sadisten über diesen gelungenen Wit in wiehern­des Gelächter aus. Und dieser Mann, der so Grausames erdulden mußte, sollte plötzlich seine Liebe zu den Henkers­fnechten entdeckt haben...??!

Und doch entbehrt das Gerücht nicht jeder Grundlage. Was war Wahres daran? In verschiedenen Breslauer Cafe­häusern und Restaurants erregte es vorige Woche begreif liches Aufsehen, als unter den zahllosen Sammlern, die die Gäste auf mehr oder minder erpresserische Weise brandschatz­ten, ein SA.- Mann auftauchte, der tatsächlich der frühere Oberpräsident zu sein schien. Aber dieser Täuschungsversuch war nur ein ebenso niedriger wie verzweifelter Reflame­trick der Nazis. Man hatte einen braunen Hitlerjüngling, der in der Gestalt dem gefangenen Lüdemann entsprach, einen grauen Vollbart in die Schinderphysiognomie geflebt, um mit Hilfe dieses Bluffs der ausgepowerten und gebe­müden Bevölkerung noch ein paar Mark aus den Taschen zu locken. Zum Ueberfluß trug der falsche Lüdemann ein Plakat um den Hals mit der Inschrift:

Spendet für die SA.,

damit solche Kreaturen nicht wiederkommen. Große Wirkung hatte diese teuflisch- originelle Idee nich. Denn diese neueste Gemeinheit der Nazis sprach sich rasch herum.

Deutsche Rüstungsausgaben verdoppelt

Die Herausforderung Europas

Die halbamtlichen deutschen Preffeauszüge über den Reichs­Haushalt für 1934 gingen mit verdächtigem Schweigen über die Ausgaben des Reichswehrministeriums und des Reichs­verkehrsministeriums hinweg. Auf dem Umwege über Eng­land und Frankreich erfährt man nun, in welch ungeheuer­lichem friedensgefährlichem Ausmaße die deutsche Aufrüstung in den Zahlen des Reichshaushalts sich offenbart. Sie ist so gewaltig, daß ein Verstecken der Riesensummen, wie es bei fleineren Geheimrüstungen in früheren Jahren geschah, nicht mehr möglich ist.

insbesondere des Verbots der Militärflugzeuge zu ver verhindern, welche Maßnahmen die britische Regierung er­greifen wolle, um angesichts der Erhöhungen im deutschen Heereshaushalt den Zusammenbruch der Abrüstungskonfe­renz zu verhindern.

Nach den Veröffentlichungen des Berliner Sonderforre­spondenten des Journal des Debats ", dessen An­gaben bei ihrer Genauigkeit zweifellos dem Haushaltplan entnommen sind, werden gefordert für das Landheer 654 643 550 Reichsmart, für die Reichsmarine insgesamt Im britischen Unterhause hat General Spears den 236 243 200 Reichsmart, für die Luftstreitkräfte Staatssefretär des Aeußern gefragt, ob er Informationen 210 186 750 Reichsmart. Allein der Luftschus erfordert und welche über das Anschwellen der deutschen Wehrvoran­über 50 Millionen Reichsmart. An Subventionen schläge befize. Ferner, ob die britische Regierung Schritte er für die SA. und für die Abteilung des freiwilligen wogen habe, um die Verlegung des Versailler Vertrages, Arbeitsdienstes werden 250 Millionen Reichsmark

Dem Herrn Reichskanzler Hitler ist in Volksversamm­lungen am wohlsten. Hier kann ihn keiner fragen und keiner einen Widerspruch wagen. Es ist bekannt, daß er die größte Angst vor fremden Journalisten hat. Um seine Beklemmungen zu sänftigen, werden solche undefinierbaren Frager, die sich nicht vermeiden lassen, vorher genau präpa­riert. Auf bestimmte Fragen werden dem Führer" be. stimmte Antworten vorgelegt.

So geschah es bei der Unterredung, die der Reichskanzler in diesen Tagen mit dem Berliner Korrespondenten des amerikanischen Nachrichtenbüros ,, Associated Preẞ", Louis P. Lochner , hatte. Nach dem amtlichen deutschen Nach­richtenbüro hat Hitler hier Gedankengänge ,, entwickelt", die der Auslandspressechef der NSDAP. , Dr. Hanfstaengel, genau überwachte.

Das erste Gesprächsobjekt war die Wehrmacht. Wenn er, Hitler, sage, daß wir eine Wehrmacht von 300 000 Mann benötigten, so lasse er sich nicht dazu herbei, nachher auf 250 000 Mann herunterzugehen. Er sei nämlich ehrlich. Er denke nicht an geheime Aufrüstungen. Er wolle nichts als produktive Arbeit: Straßen bauen, Kanäle graben, Dämme errichten, Schleusen anlegen. Verteidigung, nichts als Ver­teidigung! Der Korrespondent der Associated Preß fragte, wenn man dem amtlichen Bericht glauben darf, nichts weiter darüber.

Dann äußerte sich Hitler über das Problem seiner Mit­arbeiter. Rings um sich habe er einen ganzen Stab von Sachkennern des wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lebens. Die hätten die Aufgabe, Kritik zu üben. Auch die Presse! Es langweile ihn, 15 Zeitungen zu lesen, die fast den­selben Wortlaut hätten.

Wir jauchzten einen Augenblick auf. Sollte sich der Herr Reichskanzler nach der Verbreitung der ,, Deutschen Freiheit" in Deutschland sehnen? Unsere Hoffnungen wurden schnell herabgemindert. Er erklärte nachher, daß er selbstverständ­lich keine Presse dulde, die seine Aufbauarbeit zu zerstören gedenke. Da schon unser Bekenntnis zur Freiheit, zur Wie­derherstellung der Volksrechte und der einfachen Humanität im ,, dritten Reich" Zerstörungsarbeit ist, die unseren Schrift­leitern langjährige Zuchthausstrafen eintragen würde, so stehen wir der heimlichen Liebe des Reichskanzlers zum Ge­sinnungsreichtum der Presse mit Skepsis gegenüber.

Dann sagte Hitler : ,, Ich versicherte den Herren, die mit mir die Regierung übernahmen, selbst denjenigen, die nicht meiner Partei angehörten, daß sie der Stabilität ihrer Aemter gewiß sein könnten." Wenn wir uns recht erinnern, hat dies Hitler nicht nur diesen Herren versichert. Er hat es dem Reichspräsidenten sogar bei seiner Berufung fest in die Hand versprochen. Fünf Monate später flog der Herr Reichs­wirtschaftsminister Alfred Hugenberg aus dem Amte. Das hat der Herr Reichskanzler gewiß nur vergessen. Wo ist Hugen­ berg heute? Wir hören, daß er irgendwo auf einem seiner Landgüter knurrend über deutsche Treue philosophiert.

Versteht sich, daß Hitler , wie er Herrn Lochner beteuerte, heute rings um sich nur prachtvolle, kantige, aufrichtige Männer sieht. Wirklich kantig? Hitler attestiert ihnen, daß sie sich in bewunderswürdiger Weise meinen Wünschen unterordnen". Er begrüßt ihren Ehrgeiz, aber bitte, nichts gegen meine Heiligkeit und meine Einzigkeit! Wahrhaftig, es ist glaubhaft, wenn der Reichskanzler versichert, daß keiner von diesen Männern den Wunsch hätte, ihn heraus­zudrängen. Denn seine Gefolgsmänner ständen hinter ihm in ,, blinder Einfühlung".

Am Ende des Gesprächs hat Hitler , wenn wir dem amt­lichen Bericht glauben dürfen, ,, jungenhaft gelacht". Der Korrespondent fragte ihn nämlich, wie er es fertigbekomme, trotz seiner ungeheuren Reisetätigkeit seine Hand am Puls der Nation zu behalten. Antwort: ,, Mein Haus ist stets offen für meine Mitkämpfer, einerlei, wie schlicht und einfach ihre Verhältnisse sind... Im Verlauf der Tischrunde erzählen sie mir dann ihre Sorgen und Nöte."

Was ist Wahrheit? Hitler tafelt mit seinen Vertrauten, vor allem mit seiner byzantischen Leibwache, die er bezahlt. Das ist seine Informationsquelle. Das ist für ihn das deutsche Volk. Herr Lochner ging befriedigt in seine Wohnung zurück. Argus.

angefordert. Für die Kriegsinvaliden und die Soldaten der braunen Revolution ist ein Kredit von 1095 270 000 Reichs­mark angefordert.

Das Journal des Debats " errechnet für das Reichsheer, die Kriegsmarine und die Militärluftfahrt einen Gesamt­betrag vo: 1644 510 000 Reichsmark.

Wir lassen dahingestellt, ob diese Gesamtsumme richtig ist. Vielleicht hat der französische Korrespondent eine Reihe von Millionen einbezogen, die höchstens indirekt als Rüstungs­ausgaben zu bewerten sind. Demgegenüber aber darf auch nicht vergessen werden, daß Rüstungsausgaben wie in jedem anderen Lande auch nicht nur in den Heereshaushalten zu