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Fretheil

Nummer 80-2. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Samstag, den 7. April 1934 Chefredakteur: M. Braun

Aus dem Inhalt

Koloman Wallisch  

unter dem Galgen!

Bericht eines Augenzeugen

Seite 3

Rüstungs- Kampf!

Frankreich   verlangt entweder Sicfierfeitsgarantien oder freie Hand

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Paris  , 6. April. Die franzöfifchen Minifter hatten heute Falls Konferenz scheitert...

wieder Ministerrat, in dem neben dem zweiten Abschnitt der Sparmaßnahmen auch die Antwort der frans zösischen Regierung auf die legten englischen Fragen in der Abrüstungsangelegenheit fe ft

gestellt wurde.

Diese Antwort, so schreibt der Matin", sei vom Außen­minister bereits aufgestellt und bedürfe nur noch der Zus  ftimmung des Ministerrates. Sie sei sehr kurz und enthalte die Mindestgarantieforderungen vor dem Abschluß eines Ab­rüftungsabkommens. Sie sei außerdem sehr klar gehalten und schließe zweideutige Auslegungen der französischen  Sicherheitsforderungen aus. Die Note werde voraussichtlich fofort an den französischen   Botschafter in London   gekabelt, das mit er fie sogleich dem Foreign Office übergeben könne. Die radikalsozialistsche Ere Nouvelle" schreibt in diesem Zusam menhang, man werde sich von Tag zu Tag flarer darüber, daß der Locarnovertrag unvollständig sei und erst an dem Tage wirklich wirksam werde, an dem die moralischen Garan tien, die er enthalte, sich nicht nur auf die Rheingrenze be: schränken, sondern auch auf die Kleine Entente   ausgedehnt würden. Es sei zu hoffen, daß England diesen französischen  Standpunkt verstehe und den Bemühungen zur Organisie rung einer internationalen Sicherheit beipflichten werde.

Das Deuvre" weist darauf hin, daß man englischerseits einen großen Unterschied zwischen den Durchführungsgaran­tien des Abrüstungsabkommens und der Erhöhung der all gemeinen Sicherheit mache. Man sei in England wohl bereit, fich an den Durchführungsgarantien zu beteiligen, werde aber feinen Schritt tun, um die Sicherheit der Grenzen auch auf die Ostgrenzen auszudehnen, die heute nur durch den Kellogg  Patt geschützt feien. Macdonald und Sir John Simon seien fich darüber einig, in der Frage der Durchführungsgarantien die Vorschläge Paul Boncours und Hendersons vom Dezem ber vorigen Jahres anzunehmen, d. h. eine Reihe von auf: einanderfolgenden Sanktionen zu treffen, falls das Ab­rüftungsabkommen verletzt werden sollte. Diese Sanktions­maßnahmen würden aber erst in allerlegter Linie in milis tärischen Sanktionen bestehen, die erst dann einsehen sollten, wenn alle anderen Druckmittel erfolglos geblieben seien. England werde jede französische   Forderung zurückweisen, die auf eine genauere Auslegung des Artikels 16 hinausgehe und eine Erhöhung der augenblicklichen Sicherheit anstrebe. Der Außenpolitiker des Echo de Paris" Pertinax stellt ebenfalls feft, daß man englischerseits einen Unterschied zwis schen den Durchführungsgarantien und der allgemeinen Sicherheitsgarantie mache. Gerade deshalb scheine es, als ob der französische   Außenminister in der Frage der Durch führungsgarantien eines Abrüstungsabkommens fich im Augenblick noch nicht festlegen dürfe. Wenn England außer: dem die Frage vorlege, ob Frankreich   gewillt sei, ein Ab­rüstungsabkommen zu unterzeichnen, dessen Durchführungs­garantien England übernehmen würde, so könne man darauf nicht antworten, bevor man nicht wisse, wie dieses Abkommen überhaupt aussehen werde.

Um die Garantie

London  , 6. April. Britische Regierungsmänner versuchen den Präsidenten der Abrüstungsfommission Henderson, der auch mit dem amerikanischen   Delegierten Norman Davis Besprechungen hatte, für die sofortige Vertagung der auf den 10. April anberaumten Sigung des Abrüstungsbüros zu ge= winnen. Die französische   Note, so wird angeführt, treffe zu spät ein, um für die Sigung vom 10. April noch nußbringend verwandt werden zu können. Da Nordamerika   sich zu weigern scheint, an einer Kollektivgarantie für eine allgemeine Ab­rüstungskonvention teilzunehmen, erwägt jetzt die britische Regierung, falls eine Kollektivgarantie nicht unmittelbar Herstellbar sein sollte, ob die Mächte von Locarno   sich vielleicht unter sich zusammenschließen könnten, um ihrerseits die Einhaltung der Abrüstungsfonvention durch sich selber zu garantieren.

Am Grabe noch...

DNB. London  , 6. April. Der diplomatische Korrespondent des Daily Telegraph  " schreibt, er sei von maßgeben­der Seite zu der Erklärung ermächtigt worden, daß die in Paris   veröffentlichte Behauptung, wonach die britische Regie­rung aufgehört habe, auf wirkliche Abrüstungsmaßnahmen hinzuarbeiten, völlig unbegründet sei. Die britische Regie­rung schiebe ihre Forderung nach Rüstungsverminderung nicht bloß Begrenzung auf den jeßigen Stand nach wie vor in den Bordergrund. Dies gelte ebenso sehr für die Luft­

wie für die and rüstungen.

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A. Sch. Paris  , 6. April. Vertragsbrüche des Hitler- Deutschland aus, der illegalen Frankreich   geht von der Voraussetzung der dauernden Aufrüstung en gros. Frankreich   verlangt, daß zunächst das wirkliche Ausmaß dieser Aufrüstung geprüft wird und lehnt es ab, dieser Rüstung die rechtliche Legitima tion zu geben. Frankreich   lehnt auch den Hitlerschen Plan der 300 000- Mann- Reichswehr kategorisch ab. Wenn es zum Abschluß einer Abrüstungsfonvention fommen soll, dann verlangt Frankreich   vor allem die Klärung zweier Fragen: der Formen einer wirksamen Kontrolle und der materiellen Mittel der Sanktionen, d. h. der internatio= nalen Straf und Unterdrückungsmaß nahmen gegen jede Verlegung der neuen in der Ab­rüstungskonvention enthaltenen Rüstungsbestimmungen und beschränkungen. Die Kontrolle ist nach französischer Auf­fassung nur ein Instrument der Kontrolle und Prüfung, an fich bietet sie feine Gewähr, daß die Aufrüstung Deutschlands  nicht fortgesetzt wird. Seitdem die Antworten Barthous an England die Frage nach den Zwangs- und Gewaltmaß nahmen gegen die widerrechtliche Aufrüstung gestellt hat, steht diese Frage im Vordergrund der Auseinandersetzung. Nach der franzöfifchen Auffaffung können gegen den Verleger der Nicht aufrüstungsbestimmungen sämtliche Druckmittel angewendet werden: von der Warnung über die Finanz- und Wirtschaftsblockade bis zum Krieg. Die ungesetzliche Auf­rüstung, sei es durch die Herstellung der Munition, sei es durch den Ausbau der Kriegsorganisation, soll nötigenfalls mit der Waffe des Krieges verhindert werden.

Die letzte Sicherheit des Friedens gegen den Staat, der den Krieg vorbereitet, soll die solidarische Kriegsbereitschaft der anderen sein. Ohne eine solche Sicherung bei der Ber: wirklichung der Rüstungsbeschränkung ist für Frankreich  und seine Verbündeten kein Abschluß einer Abrüstungs: tonvention möglich.

Es geschieht zum ersten Male bei diesen Abrüstungsver­handlungen, daß die Gewalt als die höchste Beschüzerin des Friedens angerufen, und ihre internationale Organisie rung als die entscheidende Sicherung der Nichtaufrüstung an­gesehen wird. Soweit hat die deutsche Aufrüstung den Kampf um die Abrüstung gebracht. Was geschieht aber, wenn es zu keiner internationalen Verständigung in dieser Frage kommt? Der deutsche   und der französische   Standpunkt über den mög­lichen Inhalt der Abrüstungfonvention sind direkt ent­gegengesezt. Wie der Berliner   Korrespondent des " Matin" die Stimmung in den nationalsozialistischen Regie­rungskreisen wiedergibt, will Berlin   so oder so eine Ent­scheidung herbeiführen: entweder den Abschluß einer Ab­rüstungskonvention aber nur mit Erlaubnis und Zu­lassung der deutschen   Aufrüstung; oder feine dann die Be­wegungsfreiheit für die Aufrüstung. Dieser These steht die französische entgegen: wenn eine Abrüstungsfonvention, dann ohne Aufrüstung; und damit feine Aufrüstung vorkommt, der Ausbau eines mächtigen Kontroll- und Sanktions­apparates, der über sämtliche Zwangs- und Geldmittel ver­fügen soll.

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Für den Fall, daß es zu feiner Abrüstungskonvention tommt, will Frankreich   auch für sich die Bewegungsfreiheit erhalten. Die Note Barthous spricht für diesen Fall von der Bestimmung der Politik des Landes nur noch durch feine direkten Interessen.

Für Frankreich   kann diese Bewegungsfreiheit entweder den Appell an die Sanktionen des Versailler Vertrages oder die aftive Teilnahme an dem Wettrüsten bedeuten. Es gibt auch andere Möglichkeiten. So spricht ein führendes Blatt der französischen   Linfen   und zwar keinesfalls ablehnend von der Möglichkeit, daß Frankreich   das Saargebiet als sein Pfand betrachtet und auch fich durch die Bestimmungen des Versailler Vertrages nicht mehr gebunden hält, wenn

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Deutschland fich der Abrüftungsbestimmungen des Bertrages

entledigt. Wenn die Hemmungen für das Wettrüsten bei­

ſeite geschoben werden, dann werden die Generalſtäbe das letzte Wort zu sagen haben und dieses wird nicht Frieden

lauten.

Die unversöhnliche Rampfhaltung in der Rüstungsfrage macht den deutsch  - französischen Gegenfaz wiederum zum zen tralen und gefährlichsten Gegensatz in Europa  . Damit ver­schwindet die Hoffnung des deutschen   Faschismus, durch einen Ausgleich mit Frankreich   seine außenpolitische Stabilisierung

Gestern und freute

D. F. Klären wir nun den ,, Fall Severing" vollkommen auf. Man wird gleich sehen: es ist ein journalistischer Fall. Ein sehr tiefer Fall. Ja, eigentlich schon ein abgrundtiefer Sturz emigrierter Journalisten. Auf jeden Fall aber ein sehr lehr­

reicher Fall.

In Saarbrücken   erscheint seit einigen Wochen eine kommunistelnde Volks­Wochenschrift Deutsche zeitung". Ausgerechnet sie war in der Lage als einzige Zeitung der Welt, das Vorwort Severings zu seinem viel berufenen Buche zu veröffentlichen. Es war aber nur ein vorzeitiger Aprilscherz, des geistigen und moralischen Niveaus eines solchen Blattes würdig. Im Briefkasten machten die Herren Redaktionsbübchen: Aetsch! Sie grinsten über einen Hauptspaß, denn sie hatten das Vorwort Severings" unter Benutzung entsprechend herausgerissener und retu­schierter Stellen aus alten Reden Severings und aus seinem vor einem Jahrzehnt erschienenen Buche ,, Aus dem Wetter­und Watterwinkel" selbst fabriziert.

Das Vorwort" wurde einer russischen Emigrantenzeitung Neueste Nachrichten" zugespielt. Nehmen wir wohlwollend an, dieses Blatt habe die Aufklärung der Lausbüberei im Briefkasten der Deutschen Volkszeitung" nicht gelesen. Es nahm jedenfalls das Vorwort ganz und gar ernst. Nun stürzte sich ahnungslos die Pariser Zeitungskorrespondenz ,, Inpreẞ" auf die Sensation und stellte sie wer weiß wieviel Redak­tionen zu. Auch uns. Wir versenkten die Bombe in den Papierkorb. Zwar wußten wir den Ursprung der Mache noch nicht, aber wir ahnten eine Felonie. Wir wollten Beweise sehen.

Andre Zeitungen der deutschen   Emigration übten diese Skepsis nicht. Sie schlugen Severing an den Schandpfahl des Verrats für Hitler, noch ehe eine Zeile des Severingschen Buches vorlag. Nun wurden gerissene Propagandisten in Deutschland   hellhörig. ,, Severings Weg zu Hitler  " mußte wie eine moralische Erschütterung der verhaẞten Marxisten in Deutschland  , mußte als eine moralische Erobe­rung des deutschen   Faschismus im Auslande wirken.

das

Freilich, Inpreẞ" oder eine Zeitung emigrierter Jour­nalisten durfte nicht als Quelle genannt werden. Also wurde die hochkapitalistische Reinisch- Westfälische Zeitung" zur Aufnahme der Notiz kommandiert, und nun ging die Meldung durch Rundfunk und Telefon über die ganze Erde. Tausende und tausende Zeitungen, zehntausend vielleicht, meldeten, schrieben, leitartikelten, daß der berühmteste und ehedem hitlerfeindlichste deutsche Sozialdemokrat seines Herzens Zuge folgend zum Nationalsozialismus übergegangen sei.

Als es soweit war, als die Diffamierung Severings für Mil­lionen Menschen feststand, als die deutschen   Nationalsozia­listen ihren Propagandaerfolg, frei und freudig geliefert von deutschen   Antifaschisten, voll erzielt hatten, taten sie das Ihrige: das Blatt des Reichspropagandaministers erklärte mit hohem Stolz, Severing müsse vor den Türen des National­sozialismus stehen bleiben ,,, denn es liegen zwischen uns und Severing alle Toten unserer Bewegung". Bitter genug, daß daran deutsche Antifaschisten erst durch Herrn Dr. Göbbels  erinnert werden mußten.

Es scheint uns, daß auch in diesem Falle, und leider nicht zum ersten Male, die politische Rechte besser wußte als die Linke, was diese tat.

Das ist die journalistische Belichtung des ,, Falles Severing". Uebrig bleibt: Der frühere sozialdemokratische Minister schreibt in Deutschland   ein Buch, aus dem bisher niemand auch nur einen Sat kennt. Man beurteile Severing so ab­lehnend wie nur möglich: beim besten oder beim bösesten Willen wird man zu diesem Werk erst Stellung nehmen können, wenn irgend etwas daraus authentisch vorliegen wird. Versprechen wir, das Buch sehr gründlich und sehr kritisch vorzunehmen, immer vorausgesetzt, daß ein deutscher   Verlag es unter dem jetzigen Regime überhaupt herausbringen sollte.

auf lange Sicht zu erreichen. Die direkte Aussprache, die deutsch  - französische kapitalistische Verständigung sind noch im November der Haupttrumpf und die entscheidende Hoffnung des deutschen   Faschismus gewesen. An der Tatsache der deutschen   Aufrüstung zerbricht diese Hoffnung, und ohne Ver­ständigung mit Frankreich   kann es keine außenpolitische Stabilisierung des deutschen   Faschismus geben.

Streiks in Nordamerika  

Die Arbeitsstreitigkeiten in Nordamerika  

gewinnen an Ausdehnung in verschiedenen Landesteilen. In den Autowerken Milwaukees   und in anderen Städten Wis­ consins   gelang zwar die Beilegung, dagegen wird in Detroit  eine Ausdehnung des Streiks befürchtet, der in einem Werfe mit 1500 Arbeitern begann. In Alabama   stellten sämtliche Rohlengruben den Betrieb ein, da die vom Bundesamt für Behebung der Wirtschaftskrise festgesezten Löhne als zu hoch angesehen werden.