Freiheit

Nummer 812. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Sonntag Montag, 8./9. April 1934 Chefredakteur: M. Braun

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Aus dem Inhalt

Japanische Fliegerbomben

Seite 2

Eclebnisse in Dachau

Seite 3

Beginn der Inflationsschlacht

Seite 4

Wo steht

Deutschlands Aufrüstung?

Seite 7

Mein Weg zu Hitler

Seite 8

Göring greift ein"! Gestern und fieute

..Unter Ausschluß der Oeffentlichkeit" Nazi- Schinder

Es wird aus Berlin folgender für das Ausland be­stimmter Bericht verbreitet:

In der Strafsache gegen Dr. Hoffmann und Genossen verkündet die Große Straffammer des Landgerichts in Stettin am Freitag nach mehrtägiger Verhandlung folgen­

des Urteil:

Es werden verurteilt:

1. Der Kriminalangestellte Dr. Joachim Hoffmann wegen gefährlicher Körperverlegung und Amtsverbrechen und Vergehens zu 13 Jahren Zuchthaus ,

2. der Kriminalangestellte arl Salis wegen gefähr­licher Körperverlegung und wegen Amtsvergehen zu 5 Jahren Gefängnis,

3. der Kriminalangestellte Fri Pleines wegen ge­fährlicher Körperverlegung und Amtsverbrechen und Ver­gehens zu 5 Jahren Zuchthaus,

4. der Kraftfahrer Gustav ink wegen gefährlicher Rörperverlegung zu 10 Jahren Gefängnis,

5. der Fleischer Willi Herrmann wegen gefährlicher Rörperverlegung zu 6 Jahren Gefängnis,

6. der Musiker Heinrich Richter wegen gefährlicher

Körperverlegung zu 2 Jahren Gefängnis,

7. der Kellner Walter Treptow wegen gefährlicher Rörperverlegung zu 9 Monaten Gefängnis,

8. der Kriminalassistent Pa u I Grafunder wegen Be­günstigung zu 300 Mark Geldstrafe. Die Geldstrafe wird durch die erlittene Untersuchungshaft für verbüßt erklärt. Die bürgerlichen Ehrenrechte werden dem verurteilten Hoffmann auf die Dauer von 5 Jahren, dem ver­urteilten Pleines auf die Dauer von 3 Jahren ab­erfannt.

Die Verhandlung fand unter Ausschluß der Oeffentlich­feit statt. Die Anklage wurde von der Zentralstaatsanwalt schaft in Berlin vertreten.

Der Amtliche Preußische Pressedienst teilt mit: Das

haft, ob die Verurteilten wirklich einen wesentlichen Teil ihrer Strafe abzubüßen haben.

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Es bleibt bestehen: Der Ministerpräsident hat zu Be­ginn seiner Amtstätigkeit wiederholt durch gewalt= tätige Reden gegen die marxistischen Verbrecher" und durch Lahmlegen der politischen Ege kutive gegen die SA. und SS.-Banden kutive gegen die SA. und SS. Banden massenhaft Ausschreitungen provoziert und begünstigt. Wahr bleibt, daß in zahllosen eid­lich zu beweisenden Fällen die SA. und SS. ihre ver­hafteten" und blutig geschlagenen politischen Gegner bei hafteten" und blutig geschlagenen politischen Gegner bei den Polizeibehörden abgeliefert hat, ohne daß diese gegen die Schuldigen einzuschreiten wagten, weil sie nicht gegen die Intentionen des Ministerpräsidenten handeln wollten. Die Verantwortung für die maßlosen Ausschreitungen trägt aber der preußische Ministerpräsident und Polizei­minister.

Ministerpräsident Göring will seinen Ruf im Auslande verbessern. Daher dieses Schauurteil. In den Gefäng nissen der Gestapo und in den Konzentrationslagern wird weiter geprügelt wie bisher.

Heilmanns Schicksal

Weiß davon Göring nichts?

Ernst Heilmann , der Vorsitzende der früheren sozialdemp­fratischen Landtagsfraktion in Preußen, der im Herbst vorigen Jahres vom Konzentrationslager Oranienburg nach dem Lager Börgermoor gebracht und eines Tages mit ernstlichen Schußwunden in das katholische Kranken­haus Papenburg aufgenommen wurde, ist, wie wir ver­nehmen, aus diesem Krankenhause entlassen worden. Heil­mann ist nicht nach Börgermoor zurückgebracht, aber auch nicht in Freiheit gesetzt worden. Er befindet sich als Ge­fangener der Gestapo in einem Gefängnis bei Berlin . Sein förperlicher und geistiger Zustand ist infolge der furchtbaren

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Die Eisenbahnfahrt von Berlin nach Frankfurt am Main dauert etwa neun Stunden, das ist heute noch ebenso wie unter dem System oder dem Kaiserreich. Wessen Zeit dafür zu kostbar ist was man sich bei einem Pressechef des deutschen Groß- und Ueberseehandels oder einem Reichs. bischof allenfalls vorstellen könnte der hat wohl auch so gute Verbindungen, daß er einen Freiflug bekommt. Falls die Sache nicht auf Spesen verbucht wird.

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Im übrigen hockt man eben zu sechs oder acht beisammen wie einst. Und erzählt sich was. Was Sie da eben sehen, ist das Leuna - Werk kolossales Ding; stellen übrigens dauernd Leute ein. Denn es läst sich nicht leugnen, es ist ein Aufschwung da, aber im Leuna - Werk da machen sie ja noch etwas Besonderes, man soll eigentlich nicht davon sprechen.... Ein Bruder meines Mannes ist in Hamburg bei einer Tiefbau- Firma; der kommt nun wirklich mit den Leuten zusammen und sagt, so etwas von einer rührenden Zuversicht hast Du noch nicht erlebt....

So, denkt man, sprechen die Leute in den deutschen Eisen­bahnen. So muß man denken, wenn man die deutschen Zei­tungen liest.

Aber es scheint anders zu sein. Immer wieder hören wir es von Leuten, die gerade durch Deutschland gereist sind. Auf der neunstündigen Fahrt von Berlin nach Frankfurt sieht die Unterhaltung so aus: 0, erlauben Sie mal bitte! Darf ich das Fenster aufmachen? War das Bebra ? Gestatten Sie.... Ent­schuldigen Sie bitte vielmals! Alles sehr behutsam, ver­bindlich, verschlossen und von einem stummen Flehen be­gleitet: Fang bitte, um Gottes willen, kein Gespräch an.

Das deutsche Volk, vereint in seinen Eisenbahn- Coupés, ist heute von einer geradezu ängstlichen, fast lautlosen Höflich­keit. Im übrigen schweigt es. Denn niemand weiß, wer jemand ist.

Man soll daraus keine voreiligen Schlüsse ziehen. Es ist nicht anzunehmen, daß die Reisenden, wenn sie sich sorglos ein fröhliches Auftuen des Mundes gestatten dürften, unisone auf die Regierung schimpfen würden. Ja, man kann getrost behaupten, daß das bestimmt nicht geschehen würde. Aber sie würden eben reden, wie der Untertan das seit etwa drei Menschenalter gewohnt ist. Sie würden feststellen, daß den jungen Leuten endlich wieder einmal Disziplin bei­

Urteil der Großen Straffamemr des Landgerichts Stettin Behandlung im Konzentrationslager der eines gebrochenen gebracht wird und daß das sehr gut sei. Sie würden Ansichten

vom 6. d. M. in der Strafsache gegen Dr. Hoffmann und Genossen ist ergangen gegen Kriminalangestellte und Be­amte der Polizeiverwaltung Stettin wegen Mißhandlung ihnen anvertrauter Häftlinge.

Auf persönliche Weisung des Ministerpräsidenten Göring , der den nachgeordneten Behörden die korrekte Behandlung aller Häftlinge zur unbedingten Pflicht gemacht und strengste Ahndung etwaiger Uebergriffe und Mißhand­lungen an Gefangenen angeordnet hat, ist das Verfahren anhängig gemacht und von der Zentralstaatsanwaltschaft

mit besonderer Beschleunigung durchgeführt worden. Das

Urteil, in dem auf hohe Zuchthaus - und Gefängnisstrafen erfannt worden ist, zeigt zur Genüge, daß Uebergriffe im nationalsozialistischen Staat nicht geduldet und mit rück­fichtsloser Schärfe verfolgt werden. Die Tatsache der Durchführung des Verfahrens, die Höhe der aus gesprochenen Strafen widerlegen am eindeutigsten die in ausländischen Setschriften verbreiteten Nachrichten über angeblich mit Duldung der Behörden verübte Greueltaten in Gefängnissen und Konzentrationslagern. Dazu fragen wir:

1. Wie können Kraftfahrer, Fleischer, Musiker und Kellner Gelegenheit haben, Gefangene zu mißhandeln?

2. Warum verschweigt man, daß es offensichtlich Ange­hörige der von Hitler und Göring so hoch gelobten SA .. oder SS. - Banden waren?

3. Warum ist die Verhandlung unter Ausschluß der Deffentlichkeit, wenn man wirklich die Absicht hat, auf die vielen Tausenden SA.- und SS. - Leute abschreckend zu wirken, die ungezählte politische Gefangene tot und siech geprügelt haben?

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4. Warum hat die Zentralstaatsanwaltschaft in Berlin die Anklage erhoben, wenn die Verbrechen in Pommern geschehen sind? Hatte in Pommern kein Staatsanwalt den Mut dazu?

4. Warum wurde die Klage erst auf persönliche Veran. lassung des Herrn Ministerpräsidenten erhoben?

6. Was geschieht in den vielen tausend Fällen, die dem Ministerpräsidenten nicht zu Ohren kommen?

7. Warum hat der Ministerpräsident in den sehr vielen brutalen Fällen von Ausschreitungen der SA. und SS. , die ihm bisher amtlich zur Kenntnis gebracht worden sind wir stellen das unter Beweis, nichts unternommen?

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Der Schlußsatz des Berichtes des Amtlichen Preußischen Pressedienstes zeigt, daß es sich um ein reines Propa gandaurteilhandelt. Es ist uns deshalb sehr zweifel­

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Mannes. Der früher so hochbegabte Mann, einer der besten Redner im Parlament, macht einen abge stumpften und geistesabwesenden Eindruck. Dies ist auch der Grund, geistesabwesenden Eindruck. Dies ist auch der Grund, Reich" kaum mehr gefährlich sein kann, auf freien Fuß zu warum man es nicht wagt, diesen Mann, der für das dritte setzen. Man fürchtet, daß allein der Anblick seines Zustandes gegen das Regime zeugen würde.

Deutsche Richter

Nur ein Zentrumsmann

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also vogelfrei!

In Düsseldorf find drei Kommunisten hin­einer Schießerei beteiligt waren, bei der ein gerichtet worden, weil sie am 20. Juni 1932 angeblich an SA.- Mann erschossen wurde. Sieben weitere Kommunisten wurden zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt".

Am Tage der Hinrichtung verhandelte das Schwurgericht in Münster gegen den Schlosser Alois Leding. Er hat in der Nacht zum 9. November 1933 in einer Wirtschaft aus politischen Gründen zwei Schüsse aus nächster Nähe auf den Steuerinspektor Asemann in Borken ab­gegeben und ihn schwer verleßt. Der Angeklagte verteidigte sich: Asemann sei von außen ein Zentrumsmann und von innen ein Kommunist gewesen!

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Der Angeklagte erhielt ein Jahr vier Monate Gefäng nis unter voller Anrechnung der Untersuchungshaft! Wäre der Täter ein Zentrumsmann und der Verletzte Nationalsozialist gewesen, so wäre der Täter zum Tode verurteilt und hingerichtet worden! Wir fragen uns: was wird dem schwerverletzten Asemann noch geschehen?

Die deutschen Richter sind die SA.- Männer der Justiz. Ihr oberster Grundsatz lautet: Mensch ist nicht gleich Mensch.

Wer ist Fritz Bremer Ein ,, Staatsfeind" in Chikago

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Berlin , 7. April. In der Liste der Personen, denen kürzlich die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt wurde, befand sich,

darüber austauschen, daß in der Tat jeŋt kolossal gebaut wird, aber das Geschäft in Maschinen doch sehr schlecht ist; Unkosten. Sie würden sich die neuesten Wige erzählen; die Preise, die unsere Firma erzielt, decken nicht einmal die einigermaßen wohlwollende über Hitler , vernichtende über Göring und Goebbels . Junge Menschen würden behaupten, daß man zum Sozialismus käme, und ältere würden erwidern, Hitler sei viel zu besonnen für Experimente. Hoffentlich gibt es keinen Krieg, denn das wäre das Fürchterlichste. Ach wo, es gibt bestimmt keinen, die andern haben ja viel zu viel Angst vor uns.

Nichts davon heute. Man sagt: Entschuldigen Sie, und meint: denke um Gottes willen nichts Böses von mir; ich bin ganz harmlos.

Dies Schweigen der Menschen untereinander ist noch viel schlimmer als das Schweigen der Presse, das den Macht­habern allmählich unheimlich wird. Die Stille brütet Ge­danken aus, und wenn das Schweigen so tief wird, daß es auffällt, ist es schrecklich. Die Schweigsamkeit des deutschen Volkes wird langsam unheimlich wie die Mitternacht. Es mag sein, daß gar nichts gefährliches drin ist, noch nicht. Aber wer weiß es?

Die deutschen Machthaber haben ein Jahr lang soviel geredet, daß sie erst jetzt darauf aufmerksam werden, daß niemand ihnen zu antworten wagt. Plötzlich fürchten sie sich vor dem Alleinsein in der politischen Macht wie ein Mensch, der nachts in einen großen Palast eingeschlossen ist. Darum sagt Hitler , daß ihn fünfzehn Zeitungen langweilen, weil in jeder dasselbe steht. Er weiß genau, daß er ganz allein da ist und niemand ihm was tun wird; aber er hätte lieber, daß viele da wären, von denen jeder den Mund auf­täte und sagte: ich tu dir nichts, mein Führer; ich bin bei dir und folge dir.

Aber alles kann man nicht haben. Ein Diktator, der das Schweigen seiner Untertanen nicht verträgt, sollte lieber in Pension gehen, sich ein kleines Häuschen kaufen und abends beim Kegeln sich den neuesten Wit über die Regierung erzählen lassen.

wie berichtet, auch Friz Brehmer( Bremer ). Um andere Ber - 40 Personen ertrunken

sonen gleichen Namens vor Verwechslungen mit dem aus der Volksgemeinschaft ausgestoßenen zu schüßen, wird vom Reichsministerium des Innern darauf aufmerksam gemacht, daß es sich um den 28jährigen Friz Brehmer( Bremer ) in Chikago ( USA .) handle, der als Leiter der dortigen Orts­gruppe des Reichsbanners" in öffentlichen Vorträgen die bentsche Regierung beschimpfe und durch Grenelpropaganda Stimmung gegen das neue Deutschland zu machen versuche.

DNB. Oslo, 7. April. Am Ta- Fiord in der Nähe von Aale­ sund ist eine steile Felswand am Meer unter dem Ansturm einer Springflut plößlich zusammengebrochen und in die See gestürzt. Dabei sind etwa 40 Personen mit in die Tiefe ge­riffen worden und ums Leben gekommen. Nähere Mittei­lungen liegen noch nicht vor.