Sonntag- Montag, den 8. und 9. April 1934
Selbstmord verboten von Franz Lindenberg
In der Zelle herrschte Stille unheimlich lautlose Stille. Ein kleiner schmutziger Tisch, eine Bank, an der Wand die hochgeschnallte Pritsche, in der Ecke der stinkende Kübel und schräg oben ein Schachbrett mit hellen azurblauen Feldern: Die Sonne lachte ironisch grinsend durch das Gitter in den so trüben Käfig.
Zusammengekrümmt auf der Bank saß ein Mann, den Kopf schmerzgequält in die mageren Hände gepreßt. Einige Male schon hob er den Kopf und schaute in die azurblauen Felder, um gleich darauf wieder in die alte Stellung zurückzuzucken, wie von einem elektrischen Schlag getroffen. Wie das schmerzt aber er mußte es immer wieder tun, ganz lautlos. Nur das schwere Klopfen seines Herzens, das unter dem angstvoll dumpfen Druck zu bersten drohte und das Blut bleischwer gegen die Schläfen hämmern ließ, konnte er hören.
-
Ob er noch denken konnte? Vor einigen Tagen, vielleicht sind es auch Monate, war das Urteil. Die Verhandlung war kurz, kalt. In dem Gerichtssaal saßen hinter der Zeugenbarriere zwei Pressevertreter, die Besucherbänke waren von braunen Uniformen besetzt. Auf der Anklagebank saẞen aufrecht drei junge Männer den Richtern mit ihren starren gefühllosen Gesichtern gegenüber. Die Nerven gespannt, die Augen scharf auf die Richter geheftet, saßen drei junge Kämpfer. Mit ihren letzten nach langer Untersuchungshaft noch gebliebenen Kräften, bereit die Entscheidung über Leben und Tod entgegenzunehmen. Wäre ein Mensch im Saale gewesen, er hätte ihnen ansehen müssen, wie sie verzweifelt ihre letzten Kräfte zusammenrafften, um ja nicht schwach zu erscheinen vor dem verhaßten Feind. Er hätte spüren müssen, wie sie diese Kräfte aus einem Glauben schöpften, aus einem Glauben an ihre Sache und aus einem Haẞ, einem kämpferischen Haß gegen die Todfeinde dieser Sache. Ja, es war der Glaube an eine große Sache, der sie auf die Fragen des Vorsitzenden mutig erklären ließ: Wir sind unschuldig an dem, was Sie uns unterschieben und daß wir Revolutionäre sind, brauchen wir nicht zu bereuen. Wir kämpften für die Freiheit und werden auch für sie zu sterben wissen.
Groß und mutig war dieses Wort. Aber es wurde von den Richtern nicht beachtet. Zehn, vielleicht auch zwanzig Zeugen beschwörten die Schuld der Angeklagten, die in gemeinsamer Tat den SA.- Mann Schulze ermordet haben sollen.
Haben sie das getan? Was fragen wir! Ueberall in dem Millionenreich wüten die braunen Banden. Tausende sind ihnen zum Opfer gefallen, tausende werden gefangen gehalten und geprügelt wie Hunde. In Millionen sauberen Arbeiterherzen lebt der Schrecken blutschnäuziger Hunderudel. Und wenn nun ein solcher Hund daneben gebissen hat und selbst fiel, wer hat da die Schuld? Fahrt zur Hölle! Ihr blutrünstigen Räuber, ihr Totengräber heiliger Menschenrechte!
Aber diese Räuber haben Macht, große Macht, sie entscheiden über Tod und Leben von Millionen. Warum sollen sie nicht auch über Tod und Leben der drei auf der Anklagebank entscheiden können? Sie haben die Macht und können sie mit brutaler Gewalt ausnützen und sie haben sie ausgenützt... Zwei bekamen einen lebendigen Tod im Zuchthaus befohlen, der dritte aber sollte nächste Woche hin
gerichtet werden.
-
O, wie kalt, wie grausam kalt klingt diese Sprache. Zuchthaus! Tod!
Der dritte saß in seiner trüben, unheimlich stillen Zelle. Kein Laut, kein Gedanke quälte ihn mehr. Ihn quälte nur ein Schmerz: wielange noch lebendig tot sein?- Draußen schien die Sonne, in die Zelle warf sie die Schatten der dicken Gitterstäbe.
-
Zwischen eisigem Schatten und lachenden Sonnenstrahlen sollte er sich auf den Tod vorbereiten. Er hatte es schon getan, hatte Abschied genommen vom Leben, vom Kampf, von der Liebe. Da plötzlich erschien ihm doch das Gespenst,
-
das Beil in des Henkers Hand. Ein furchtbarer Schreck lähmte mit einem Schlag seinen ganzen Körper. Das Herz setzte aus, das Blut kreiste nicht mehr, schlug nicht mehr wie Hämmer an die Schläfen, kalter Schweiß trat auf die Stirn. Die ganzen Tage und Nächte daher hatte er sich vorbereitet auf diesen Augenblick, wo er dem Tod Aug um Aug gegenüberstehen würde und jetzt hat es ihn erschlagen, eine Vision der grauenhaften Wirklichkeit.
-
-
Ein Schrei, ein Schrei, der die unheimliche Stille zerriẞ und selbst die gefühllosen Wächter erzittern machte, löste sich von der schreckenstarren Brust eines Mannes, der ein Leben für das Leben kämpfte und, nun zu Tode gequält. Dann wußte er nichts mehr
-
Draußen aber wurde es lebendig. Wärter rannten hin und her, Telefone rasselten, Sanitäter trugen einen blutüberströmten Körper fort. Das Gefängnis dröhnte von den Schreien, dem Gestampfe und Klopfen der andern Freiheitlosen. Dann wurde es wieder still, still wie immer.
-
Im Justizkrankenhaus lag kraft- und blutlos ein Sterbender. Vier weiße Kutten sprangen um das Bett herum, bemüht, dem farblosen Körper wieder Leben zu geben. Sie kommandierten einen Kameraden von ihm herbei, der mit seinem Blute helfen mußte. Die aufgebissene Pulsader war bald wieder zugenäht. Man hatte einem Menschen das Leben ,, gerettet".
Warum?
„ Am 4. März 1934 wurde der im Prozeß gegen die Mörder des SA.- Mannes Schulze zum Tode verurteilte Kommunist X durch Handbeil hingerichtet."
Die gesamte Kulturwelt stellt diese Frage
Der schweizer Publizist J. B. Rus ch, dessen Meinung in seinem Lande nicht wenig gilt, nimmt in der Basler ,, NationalZeitung" zu dem Presseerlaß des Bundesrates Stellung. Wir entnehmen seinem Aufsatz die folgenden Stellen:
Der Bundesratsbeschluß kann in seiner praktischen Ausführung zu einer einseitigen Inschutznahme der nationalsozialistischen Regierung und des Nationalsozialismus und Faschismus durch Bundesrat und Bundesanwaltschaft gegenüber der ganzen Schweizerpresse führen. Die allfällig zur Maßregelung gelangende Presse ist dieser Maßregelung gegenüber wehrlos. Es gibt wider die Vorkehren des Bundesrates, auch wenn sie durch längere Einstellung der Erscheinung eines Blattes das betreffende Presseunternehmen ruinieren, keine staatsrechtliche Berufung ans Bundesgericht. Es ist ganz der Wahl und dem Ermessen des Bundesrates und der Bundesanwaltschaft überlassen, antinationalsozialistischen und antifaschistischen Schweizerzeitungen das Lebenslicht auszublasen. Wohl ist Voraussetzung des Vorgehens die ,, besondere Schwere der Ausschreitungen". Aber die Waage dieses Schwergewichtes ist in Bern . Die nationalsozialistischen Behörden haben schon eine Reihe von Zeitungen im Reichsgebiet verboten unter Beanstandung irgend eines ihnen nicht behagenden Artikels. Sollte diese Maßregel von außen her dem Bundesrat in seiner offensichtlichen Angst vor allem
99
ist von einer tiefen Leidenschaft durchglüht. Allen diesen Zeitungen soll der Eintritt in die Schweiz inskünftig versperrt werden, während der Völkische Beobachter", die ganze nationalsozialistische Agentenpresse weiterhin unser eigenes Volk mit dem braunen Bazillus verseuchen darf? In dieser Maßnahme käme eine Einseitigkeit der Haltung unserer Bundesbehörden in den großen geisterscheidenden Kämpfen un derung der nationalsozialistischen Eingarnung der Schweiz serer Tage zur Geltung, die geradezu einer offiziellen Förgleichkäme.
Die gesamte Kulturwelt, die lebhaften Anteil an der Rechts- und Freiheitsverteidigung der deutschen Emigranten nimmt, müßte eine solche Haltung der schweizerischen Eidgenossenschaft als Preisgabe gerade seiner Ueberlieferungen ansehen, welche bisher die Achtung der Schweiz in der Welt begründeten. Wir würden in den Augen der einer Diktatur noch nicht verfallenen Menschheit zu einer Provinz des nationalsozialistischen Deutschland herabsinken und nichts so, wie diese zuvorkommende Verfolgung aller Gegner Hit lers durch den Bundesrat selber mußte in Berlin als Ein
ladung wirken, sich möglichst bald und intensiv der„ be
Zeitungen zu verwarnen?
Alle Blätter, welche den Nationalsozialismus und Faschismus bekämpfen, sind auch im eigenen Lande gegen jede reaktionäre Strömung eingestellt, sie gehören dem dieser Strömung bisher sehr zugetanen Bundesrate gegenüber zur Opposition. Der Bundesratsbeschluß gibt dem Bundesrat eine Handhabe, über den Weg der Beanstandung außenpolitischer Kritik am Nationalsozialismus und Faschismus namentlich wegen ihrer Innenpolitik ihm unangenehm gewordene Blätter zu unterdrücken. Es ist anzunehmen, daß er vorerst nicht so weit gehe. Wenn er aber so weit gehen wollte, würde es ihm sein eigener Pressebeschluß gestatten. Irgend ein von Respekt nicht gerade überfließender Artikel wider Hitler oder Mussolini könnte als Eingriffsbeweggrund genügen.
In Paris , Saarbrücken , Brüssel und Prag erscheinen von den aus Deutschland geflüchteten Demokraten und Republikanern Zeitungen der Verbannten". Es sei erinnert an die ,, Pariser Zeitung von Georg Bernhard ( gemeint ist das Pariser Tageblatt ", Red. d. D. F."), an die„ Deutsche Freiheit, das Westland", die nach Prag geflüchtete ..Weltbühne" und andere. Desgleichen gehen von Paris und London aus italienische antifaschistische Zeitungen in die Welt. In diesen Blättern spricht zum Teil die Vertreter schaft eines hoch achtbaren, erfreulich freien und vornehmen Geistes. Aber sie kämpfen alle gegen Faschismus und Nationalsozialismus und dieser ihr Kampf
Das neueste Werk Travens, das jetzt bei der Büchergilde Gutenberg Zürich , Morgartenstraße 13, erschienen ist, führt den Titel: ,, Der Marsch ins Reich der Caoba".( Ein Kriegsmarsch). Das Buch ist kein Roman, sondern, wie im Untertitel gesagt, ein Kriegsmarsch. Es ist der Krieg um die Caoba. Ein Kriegsmarsch ohne Glockenspiele, Oboes, Klarinetten. Aber ein Kriegsmarsch mit schmetternden Hörnern, schweren Pauken, Trommeln in Mengen, gellendes Schreien, schrilles Pfeifen, Klatschen von Peitschen, wildes Fluchen, Tumult von Packtieren, die in Sümpfen versinken oder von schmalen Felspfaden abbrechen und in Abgründe stürzen, Todesächzen von Menschenquälern und Menschenfressern, die von Indianern gerichtet werden. Bauen und Zusammenbrechen von Brücken, Knistern nächtlicher Lagerfeuer, Fauchen hungriger Tiger, dumpfes Schreien großer Brüllaffen, Aufbäumen meuternder Indianer, rauschende Wasser reißender Urwaldströme, Plätschern geschwätiger Bäche im Dschungel. Das ist die Instrumentierung zu diesem Kriegsmarsch, der, wie
ein jeder Kriegsmarsch, endet mit der Ankunft auf dem Kriegsschauplats. Es soll sich unter diesem„ Kriegsmarsch" nur keiner etwas vorstellen, was er sonst mit diesem Begriff empfindet. Etwas ganz anderes bietet der Autor in seiner fesselnden und farbigen Darstellung, die uns in Dschungel und Urwälder Mexikos führt, und uns die Gedanken und Empfindungen indianischer Proletarier offenbart. Wer dieses Buch gelesen hat, wird seinen Gesichtskreis wesentlich erweitert haben.
Die Nachfolger auf den Lehrstühlen.
Professor Kretschmer, der Marburger Psychologe, hat in seinem im Jahre 1929 erschienenen Buche ,, Geniale Menschen" ein herrliches Wort über die Rolle der Psychopathen in der Politik geschrieben. Es lautet:
Die Psychopathen sind immer da. Aber in den kühlen Zeiten begutachten wir sie, in den heißen beher.
schen sie uns.
Das Wort hat sich alsbald an seinem Urheber bewahrheitet. Als Adolf Hitler zur Macht kam, mußte Kretschmer den Vor. sits der Allgemeinen ärztlichen Gemeinschaft für Psychotherapie" niederlegen. Diese von Sigmund Freud , dem Begründer der Psychoanalyse gegründete Vereinigung wurde zunächst aufgelöst, dann gleichgeschaltet. Den Mitgliedern dieser ehemals ernsthaften Forschvereinigung wurde auferlegt, daß sie Adolf Hitlers Buch„ Mein Kampf " ,, mit allem wissenschaftlichem Ernst" durcharbeiten und als Grundlage ihrer Forschung anerkennen" sollten! Man staunt: allenfalls hätte man sich denken können, daß Hitlers Schmarren als Fundgrube für die psychopathischen Komplexe seines Verfassers wissenschaftlich hätte ausgebeutet werden können!
-
An die Stelle Kretschmers aber ist der Schweizer Dr. C. G. Jung getreten, der die Parole ausgibt ,,, den Unterschied zwischen germanischer und jüdischer Psychologie. nicht länger zu verdunkeln". Warum auch? Verdunkelt werden nur Ruhm und Ansehen der einst in der ganzen Welt gepriesenen deutschen Wissenschaft
Auf den Heidelberger Lehrstuhl für Philosophie, den einst Männer wie Kuno Fischer und Wilhelm Windelband innehatten, wurde als Nachfolger des überaltérten Heinrich Rickert Professor Krink berufen.
Krink hat, wie sog die deutsche Presse zugibt, niemals studiert. Er war bis 1924 Volksschullehrer in Baden, und lehrte bis 1928 an der pädagogischen Akademie Frankfurt . Damals versuchte er, sich an der Frankfurter Universität zu habilitieren, diese lehnte jedoch seine Habilitation wegen wissenschaftlicher Unzulänglichkeit ab. Wutentbrannt begab Krink sich ins Lager der nationalsozialistischen Opposition und hetzte gegen das ,, System", das an seiner wissenschaftlichen Unzulänglichkeit Anstoß zu nehmen wagte. Zum Dank machte Hitler ihn nach der Machtergreifung zum Rektor der Universität Frankfurt , und jetzt erhält er einen Dauersity auf einem der geachtetsten Lehrstühle der deutschen Philosophie: Für die Philosophie, die die SA. braucht, genügt es ja am Ende...
Im ,, Mitteilungsblatt des Amtes für Volkswohlfahrt im Gau Düsseldorf " schreibt Herr Dr. Robert Friedrich unter der schwungvollen Ueberschrift: ,, Der Herrgott will es" über die Sterilisation:
,, Manche Pfarrer erklären, der Herrgott wolle nicht, daß wir die Minderwertigen und Erbkranken unfruchtbar machen... Darauf gibt es nur eine Antwort. Die Geschichte der letzten vierzehn Jahre hat bewiesen, daß nicht alle Priester den Willen des Herrn richtig verstanden haben... Und darum, meine lieben Mitarbeiter, gehen Sie frisch ans Werk... setzen Sie für dieses hohe Ziel alle Ihre Kräfte und Ihren ganzen Idealismus ein, und gehen Sie mit der unerschütterlichen Ueberzeugung ans Werk.„ Der Herr gott will es!"
Societas Adolphi...
,, Tollatur signum ordines cogantur, SA. incedit gradu constanti. Vos pui certamine factionum delebantur nobiscum manes progredimini..." Wissen Sie, was dies ist? Das Horst- Wessel- Lied in lateinischer Uebersetzung! Ein braver deutscher Studienrat hat sich der hehren Aufgabe unterzogen, das Wessel - Lied ins Lateinische zu übertragen und in der ..Braunen Post" schreibt er: Sowohl die Schüler unseres Realgymnasiums haben es mit Begeisterung gesungen, als auch zwei Fachkollegen äußerten sich anerkennend darüber." Bisher war Latein eine tote Sprache, Nun endlich beginnt sie ihren wahren, ihren letzten Zweck zu erfüllen. Horst Wessel statt Horaz ! Recht so! Der gute Magister hat sogar herausgefunden, wie„ SA ." zu übersetzen sei:„ Societas Adolphi". Lächerlichkeit tötet? In Deutschland nicht! Gäbe es sonst ein ,, drittes Reich"...?
Was man sich zuflüstect Gebessert
Aus dem Konzentrationslager zu X sollen fünfzig Mann zur Entlassung kommen. Der Befehl lautet dahin, daß solche Schutzhäftlinge auszusuchen seien, von denen anzunehmen sei, daß sie sich gebessert hätten. Der Kommandant läßt sich darauf die Liste vorlegen und bespricht die einzelnen Fälle mit seinem Adjutant.
, Wie steht es mit dem M?"
,, Seit vier Wochen im Lazarett".
99
,, Ursache?"
99
99
Verletzungen an Kopf, Nierengegend, Gesäß". Befinden?"
95
Von Woche zu Woche verschlechtert"
,, So, den können wir dann wohl als gebessert ansehen...."
Mucki.