W
ทอง
Freiheil
Nummer 82-2. Jahrgang
Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Saarbrücken, Dienstag, den 10. April 1934 Chefredakteur: M. Braun
Aus dem Inhalt
Der Kulturkampf
Verwickeltes Spiel
Seite 2
Seite 2
Aufruf der Internationale
Seite 3
Aufmarsch zur Inflationsschlacht
Seite 4
Italienische Politik
Seite 7
310
Demonstration an Gräbern
Märtyrergeist lebt
Treue für die Blutzeugen
Karlsruhe, 8. April. Der Freitod des früheren sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Dr. Marum im Konzentrationslager Rislau hat in ganz Baden große Erregung hervorgerufen. Die Bevölkerung erblickt in diesem Todesfall eine Bestätigung der Gerüchte, die über die Zustände im Lager Kislau verbreitet sind. Dr. Marum gehörte mit dem früheren Staatspräsidenten Dr. Remmele zu den sozialdemokratischen Führern, die vor einem Jahre als Gefangene dem nationalsozialistischen Pöbel auf offenem Plaze zur Schau gestellt und unter Musikbegleitung-„ Das Wandern ist des Müllers Lust!" aus der Stadt hinaus in das Lager von Kislau überführt wurden. Dort ist der 52jährige feingeistige Dr. Marum nun seit über einem Jahre von jungen SA.Leuten„ erzogen" worden. Da er körperlich und geistig viel meniger robust ist als sein Unglücksgefährte Dr. Remmele hat er unter der übermäßigen körperlichen Arbeit und unter den moralischen Demütigungen durch minderwertige braune Wachmannschaften unendlich schwer gelitten. Den Rest gab es ihm, als furz vor Ostern ein Teil seiner alten Freunde entlassen wurden, er aber für unabsehbare Zeit weiter in Haft bleiben sollte.
Freilich hätte er auch die Freiheit" haben fönnen. Er sollte aber feierlich und schriftlich erklären, daß er bereue und sollte sich außerdem verpflichten, Deutschland zu verlaffen. Dr. Marum lehnte sowohl eine Loyalitätserklärung wie die Zumutung, sein Vaterland zu verlassen ab. Dieser Jude, der an deutscher Kultur mehr in sich trug als tausende Hitler und Görings je zusammen erwerben fönnen, weigerte sich kategorisch, sich von Bandenführern die Verpflichtung zum Verlassen des Landes abnehmen zu lassen, in dem er so hervorragend gewirkt hat.
Marums Tod ist eine furchtbare Anklage gegen das barbarische System, denn gegen diesen sozialdemokratischen Führer fann von feinem seiner Gegner etwas anderes eingewendet werden, als daß er bis zur Todesstunde seinen Idealen treu geblieben ist. Niemals ist auch nur von ferne der Vorwurf der Korruption gegen ihn erhoben worden. Als politischer Rämpfer war er von großer Festigkeit und lauterem Idealismus.
Die badische Regierung, die an seinem Tode schuldig ist, weil sie dem schwer leidenden Manne die Entlassung verweigerte, wollte den Leichnam des Märtyrers am Osterjamstag in aller Stille beigesetzt wissen. Die tapfere Frau Marums verweigerte aber, ihren Mann wie einen Ehrlosen verscharren zu lassen und bestand, unterstützt von ihren Angehörigen, auf einer regelrechten Bestattung. In den Blät tern erschien eine Todesanzeige der Frau Marum, die feinerlei nähere Angaben enthielt, auch nichts über die Stunde der Einäscherung, da dies die Behörde ausdrücklich verboten hatte. Es durfte nur angegeben werden, daß die Einäscherung am Dienstag nach Ostern stattfinden werde. Tausende, die nicht genau die Stunde der Feier ermitteln fonnten, hielten stundenlang auf dem Friedhof oder in der Nähe aus, um ihre Treue zu dem Toten und der von ihm vertretenen Sache des Sozialismus zu befunden. Unter den Trauergästen waren besonders viele Frauen, die Blumen in das Grab warfen. Die Tausende verharrten in feierlichem Schweigen. Zahlreiche Kriminalbeamte hatten sich unter die Trauergemeinde gemischt. Es wurden von Beauftragten der Polizei mehrere fotografische Aufnahmen ge macht, die der Geheimen Staatspolizei Kenntnis geben sollen, wer sich so offen zur Sozialdemokratie bekannte.
Noch ein Mord
Köln , den 7. April. Man schreibt uns: Erst jetzt ist uns die Nummer der Deutschen Freiheit" zu Geficht gekommen, die eine kurze Notiz über den Tod des sozialdemokratischen Bezirksparteisekretärs Willi Siete in Köln enthält. Ueber die Todesursache scheinen Sie nicht unterrichtet zu sein. Siete ist an den Folgen von Mißhandlungen gestorben, die er entweder bei seiner seinerzeitigen Festnahme oder im Konzentrationslager erlitten hat. Ein Schlag auf den Kopf hatte Folgen, die seinen Zustand un
Ein Auferstandener Die rote Fahne über Wallischs Grab
Der Geist der Arbeiter von Leoben und Bruck , den Zentren der Kämpfe in Obersteiermark , ist nicht gebrochen. Ein Augenzeuge, der die beiden Orte am Ostersamstag besuchte, berichtet darüber dem OND.:
In den Morgenstunden versuchten die Arbeiter einen Zug zum Grabe Wallischs zu organisieren, doch die Gendarmerie schritt dagegen ein. Wie gewöhnlich brachten die Arbeiter und die Bauern fleine Blumensträuße und bedeckten das Grab damit; am Nachmittag jedoch nahmen die Gendarmen alle Blumen meg. Sie trampelten mit den Füßen auf dem Grab herum, bis es ganz flach und ohne jedes Kennzeichen war, denn obwohl alle Gräber im Friedhof von Leoben ein Kreuz oder einen Grabstein tragen für Koloman Wallisch
gibt es fein Kreuz.
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All dies erzählte man mir auf meinem Wege zum Friedhof. Ich trug einen großen Kranz, um ihn auf das Grab niederzulegen. Männer und Frauen hielten mich an und rieten mir, ihn nicht hinzutragen, weil der Friedhof von Gendarmerie und Militär besetzt sei. Ich ging trotzdem weiter und als ich in die Nähe kam, wurde ich Zeuge eines denkwürdigen Ereignisses. Als die Uhr 3 schlug, ging eine rote Fahne am Rande eines Fichtenwaldes in die Höhe, der den Friedhof beherrscht. Die Hunderte Männer und Frauen in den Straßen zeigten stolz auf die Fahne und sahen sie freudig vom Wind bewegt, der von den schneebedeckten Bergen fam. Ich betrat den Friedhof und sah, daß die vor mir GekomSchwester und ein englischer Sozialist von der Gendarmerie menen ein jugoslawischer Sozialist und Frau Wallischs angehalten worden waren und in barschem Ton gefragt wurden, wer sie seien und was sie wollten. Die Schwester Frau Wallischs bat weinend den Gendarmerieoffizier um die Erlaubnis, ein paar Blumen auf das Grab legen zu dürfen. Er antwortete, er müsse telefonisch die Erlaubnis einholen. Diese Erlaubnis wurde schließlich erteilt, und so durfte ein einziger Kranz auf Wallischs Grab gelegt werden. Auch früher schon waren immer wieder alle Blumen von der Gendarmerie und der Heimwehr entfernt worden, aber nur, um durch neue ersetzt zu werden. Der Geist in Leoben ist gut. In der vergangenen Woche haben die Arbeiter und die Arbeitslosen trotz ihrer Not 180 Schilling gesammelt, um Essen für die 300 gefangenen Sozialdemokraten zu kaufen.
Leuthners Selbstmordversuch Mit Brillengläsern
Wien , 8. April. Wegen des Selbstmordversuchs des fozialdemokratischen Nationalrats Karl Leuthner , der sich bekanntlich die Pulsadern mit seinen Augengläsern aufzu= schneiden suchte, hat die Gefängnisverwaltung verfügt, daß allen politischen Häftlingen die Augengläser abzunehmen sind. Eine Anzahl Häftlinge hat diese das Lesen und Schreiben behindernde Maßnahme mit Hungerstreik beantwortet. Leuthner war einer der ältesten und angesehensten sozialdemokratischen Parlamentarier. Er gehörte zur Rechten der Partei.
Der ehemalige Redakteur der Wiener Arbeiterzeitung Hans Bujet, der nach dem Verbot der SPOe. in die Redaktion des von der Heimwehr wieder ins eben gerufenen ehemals fozialdemokra= tischen Organs, leines Blatt" eintrat, wurde vor seiner Wohnung von unbekannten Tätern schwer mißhandelt. Die Polizei hat die Untersuchung des Falles eingeleitet.
Erneut verwarnt
Die Bonner ,, Deutsche Reichszeitung"
Der Verlag der Deutschen Reichszeitung" ist vom Oberpräsidenten der Rheinprovinz am 21. März 1924 verwarnt worden, weil er in einem Artikel„ Rasse und Reli gion", wenngleich in ihm im wesentlichen Dinge mit mehr gion", wenngleich in ihm im wesentlichen Dinge mit mehr oder weniger kirchlich- religiösen Angelegenheiten behandelt Brundage unter diefer Earnung in vorsichtiger Form Grundsätze der nationalsozialistischen Weltanschauung einer untragbaren Kritik unterzogen hat". Weiter heißt es in der Verwarnung:„ Der Verfasser des Artikels segt sich in Widerspruch zu den öffentlichen Verlautbarungen des Reichsfanzlers wie auch des Reichsschulungsleiters Rosenberg in seiner fürzlich gehaltenen Rede. Diese Artikel sind ge= eignet, das Ansehen der nationalsozialistischen Bewegung und des Staates zu schädigen und Beunruhigung in die Be
Gestern und freute
Eine Gewissensfrage an den Leser: Wer liest eigentlich noch die Nachrichten über die Abrüstungsfrage?
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Oh bitte, antwortet einer, die Aufnahme der französischen Note in England er meint ein paar Zeitungsartikel- ist doch sehr wichtig. Und weil sie wichtig ist, darum ist sie auch interessant. Jawohl, fallen andere Stimmen ein, und die Reise Hendersons nach Genf ... und die geplante Reise Barthous nach Warschau .... und die Reise Papens nach Rom .... und die Reise von Norman Davis nach London .... Ja, man hat schon den Eindruck, als ob die Weltpolitik wichtig sei, vor allem für die Schlafwagengesellschaften.
Aber die Mehrzahl der Leser, das wissen wir nur zu gut, findet sich durch den Wirrwarr von Noten, Reisen, Unterhaltungen und Rückfragen nicht mehr durch. Und doch muß die arme Zeitung von ihnen Kenntnis geben und nehmen, obwohl sie, weiß Gott , lieber eine einzige Meldung von drei Zeilen brächte: Alle Staaten der Erde haben soeben beschlossen, ihre sämtlichen Kanonen, Kriegsschiffe, Bombenflugzeuge und Giftgas- Fabriken zu zerstören. Das Recht zum Führen von Waffen haben künftig nur noch die Beamten der Wach- und Schließgesellschaft.
Aber da diese. Meldung dem gegenwärtigen Stand der Dinge nicht voll entspräche, muß der Redakteur sie sich leider verkneifen.
Der Leser will von seiner Zeitung vor allem eins: die Wahrheit. Wenigstens wäre er sehr entrüstet, wenn er sie bei etwas anderem ertappen würde. Die Wahrheit ist aber, daß die Sache mit der Aufrüstung, ein vollkommenes Tohuwabohu ist. Und wenn eine Sache ein Tohuwabohu ist, kann man nicht in fünf Zeilen darüber berichten und sagen: die Sache ist ganz einfach, die....
Der Leser hat nun neben seinem Wahrheitsdurst auch noch andere Wünsche. Zum Beispiel will er sich nicht gerne anstrengen, wenn er die Zeitung liest. Das fügt sich aber nun einmal nicht immer zusammen. Wahrheit ist gut, und Unterhaltung ist hübsch. Aber beides miteinander gemengt ist manchmal eben so klar wie der Nationalsozialismus. Zur Wahrheit gehört nicht nur eine gewissenhafte Zeitung, sondern auch ein gewissenhafter Leser. Die Lüge hat es leicht, zu glänzen, aber die Wahrheit will erarbeitet sein.
Und so kommt es, daß der gleiche Leser, der sich über eine Unwahrheit entrüstet, die er bemerkt, sich bei einer Wahrheit langweilt, bevor er sie überhaupt liest.
Vielleicht wendet aber der Leser ein: es ist ja richtig, daß Noten geschickt, Rückfragen gestellt, Versuchsballons losgelassen und von den Sekretären der Staatsmänner Schlafwagenbillets gekauft werden. Aber all dies lächerliche Hin und Her sind doch nichts als Schwimmbewegungen auf trocke nem Land. Dahinter steckt nur das eine, daß Deutschland unaufhaltsam aufrüstet, und alles andere ist Schwindel.
Da hat der Leser freilich auch nicht Unrecht. Tausend Tatsachen können richtig sein und zusammen doch nur eine große Lüge bilden. Zur Zeit besteht die große Lüge der Saison darin, das manche Leute in der Welt so tun, als ob sie an Hitlers friedliche Absichten glaubten. Dabei glaubt kein Mensch daran.
Aber der Leser wird uns bestätigen, daß wir an dieser Lüge nicht mitschuldig sind. Doch wir können es ihm auch nicht ersparen, sich darüber klar zu werden, daß diese Lüge heute die Politik regiert.
Und wer es erleben will, wie die Lüge trots allem langsam schäbig wird, der wird sich eben doch dazu entschließen müssen, die Depeschen auch weiterhin aufmerksam zu lesen. Argus.
Berlin , 8. April. Der Polizeipräsident der westfälischen Stadt Hagen , der neulich seine Mannschaft ausschickte, um eine Versammlung der firchenoppositionellen Vereinigung Evangelium und Kirche" gegen Tätlichkeiten der„ Deutschen Christen " zu schüßen, ist abgesetzt worden.
Ministerialdirektor Diehls, der Leiter der Geheimen
heilbar machten. Als gebrochener Mann wurde er aus völkerung hineinzutragen. Bei nochmaliger Entgleisung hat preußischen Staatspolizei, befindet sich schon seit einiger Zeit
dem Lager entlassen und bald darauf ist er gestorben. An jeinem Grabe demonstrierten Hunderte Sozialdemokraten.
der Verlag feine Rücksicht mehr zu erwarten, da die Zeitung bereits im letzten Jahre wegen ihrer Schreibweise verboten und verwarnt werden mußte."
in Urlaub. Er soll nicht auf seinen Posten zurückkehren, sondern Regierungspräsident oder Oberpräsident werden.