Deutsche Freiheit", Nummer 87

Das bunte Blatt

Sonntag/ Montag, 15./16. April 1984

Kinder Gottes

Von Adolf Abter( Paris )

In der rue de Chabrol in Paris liegt das Hotel Popu­laire, Bolkshotel. Herberge des Proletariats. Die Be­sizerin ist die Heilsarmee. Alle Kinder Gottes sind in ihren Räumen willkommen.

Ein dunkler, langer, schmaler Torweg, an dessen Ende eine trübe Gaslaterne sparsames Licht spendet, führt zum Eingang der Herberge. Da tritt man an einen Verschlag mit einem Schiebefenster und nennt seinen Namen. Jrgendeinen Namen. Der wird in das Gästebuch einge fragen, man zahlt einen Frank fünfzig und erhält eine Nummer zugerufen. Das ist die Nummer der Lagerstätte, auf der man dann in der Nacht seinen müden Körper aus­strecken kann. Bevor man hinaufgeht, bekommt man zwei wollene Decken ausgehändigt.

Neben dem Verschlag ist ein großer quadratischer Raum mit langen Tischen und Holzbänken. Der Speisesaal. Hier hocken die Männer und löffeln ihre Gemüsesuppe mit Fleisch. Schlürfen Kaffee oder Schokolade mit Brot. Für sechzig Centimes die Portion Die Wände sind grau und kahl, niedrig die Decke, von der eine Gasfunzel mattes Hell verbreitet. Es stinkt nach Schweiß und verfaultem Laub. Seit langer Zeit ungewaschene und ungekämmte Menschen dünsten sich aus. Beißender Tabakgeruch schwält sich dazwischen. Und dampfende Suppen und Kaffee.

Hier finden sich die Menschen zusammen, die tagsüber betteln und Zigarettenstummel in den Straßen auflesen. Die zerlumpt auf den Bänken der Boulevards müde, dumpf, teilnahmslos für alles, ihre ausgemergelten Ge­stalten von der Sonne bescheinen und erwärmen lassen. Das große Leben brandet an ihnen vorüber. Es rauscht und singt und tänzelt. Es rattert in Luxusautomobilen. Lächelt durch Seide und Pelzwerke schöner Frauen. Strömt durch seltsame, sinnerregende Parfüms. Das Leben, das große Leben.

Aber sie sehen es nicht und hören es nicht. Sind so müde, stumpf, dumpf. Der Hunger tut nicht mal mehr weh, ist zur Gewohnheit geworden. Nur die Sonne scheint auch für sie, die kann ihnen niemand streitig machen. Selbst nicht die in den Luxusautos. Ja, die Sonne! Wie sie den Nacken wärmt und den Rücken. Den Kopf ganz tief hängen lassen, damit die Strahlen von oben hineinkriechen können. Ist doch ein guter Vater, der liebe Gott, der alle seine Kinder erwärmt, durch den Himmelsofen. Reiche und arme. Alle Menschen sind doch Kinder Gottes. Auch die, die auf der Straßenbank sitzen, müde, dumpf und stumpf...

3weihundert Männer kommen Abend für Abend in die Herberge der Heilsarmee . Jede Lagerstätte findet einen Körper. Aber nur, wenn die Nächte kalt sind und regne­risch. In der warmen Jahreszeit sparen die Leute das Geld und schlafen in den öffentlichen Parks, auf den Kirchentreppen, unter den Brücken. Oder in Rarussell­schaukeln auf den vielen Rummelplätzen von Paris . Jeder hat da seinen Platz. 3mei bei zwei in jeder Schaukel. Jmmer die gleichen Paare in der gleichen Schaukel. Hat ein anderer es sich bereits bequem gemacht in dem Abteil, sagt man:

,, Das ist mein Plat."

Und ohne Widerspruch torkelt der Eindringling von dannen. Ungeschriebene Gesetze der Ausgestoßenen, die von der ganzen Gemeinschaft respektiert werden. Die Karussellbesitzer haben ein gutes Herz, denn sie tun so, als ob sie nicht sähen, was nachts sich in ihren Schaukeln ereignet.

Der Trieb der hungrigen Obdachlosen in warmen

Heimat für Heimatlose

In den grauen Dünen von Westerland liegt ein kleiner Friedhof, die legte Ruhestätte der Heimatlosen, der namen­losen Ertrunkenen, die das Meer herausgab, der Schiff­brüchigen, die das Fieber an fremder Küste verzehrte, der verlorenen Söhne und Töchter, die nicht mehr nach Hause fanden. Den Sommer über wird die Stätte viel besucht von neugierigen Kurgästen. Sie alle lesen dann den Vers, der eines Unbekannten Grabkreuz hervorhebt aus den Reihen der übrigen, der so denkwürdig endet:

... es ist das Kreuz auf Golgatha, Heimat für Heimatlose."

Dieser Vers geht einem nach. Der Seewind scheint plötz lich herber, die Wolfen jagen eiliger, aus der dunklen Mono­tonie der Brandung flingen Rätsel und Fragen.

Vor einigen Tagen ging ich über den großen Sammelfried. hof, ein paar Kilometer nordöstlich von Arras gelegen. Darauf soll auch, so überhaupt irgendein Greifbares von ihm gefunden ist, der vermiste Landsturmmann R. begraben sein, mein Vater. Bei Havrincourt, noch erhebt sich voll Hohn

Nächten führt sie ins Freie. Sie verwünschen den Winter, der sie zur Zuflucht zwingt bei der Heilsarmee in stickige, stinkende Räume. Aber die Männer der Heilsarmee sind gut und milde. Fragen nicht nach Namen und nicht nach Papieren. Sie wissen, wer ihre Gäste sind: Menschen, Kinder Gottes.

Haben einen kleinen Betraum eingerichtet, in dem sie Andacht üben mit den Zerlumpten, vom Schicksal Ver­stoßenen. Freiwilliger Gottesdienst, niemand ist ge­zwungen, daran teilzunehmen. Blasse Soldatinnen singen fromme Lieder. Eine Ziehharmonika und Lauten be­gleiten. Unter den großen Hüten scheinen die Gesichter der Halleluja- Mädchen wehmütig. Ihr Gesang ist Glaube, Sehnsucht, Inbrunst. Und die bärtigen Männer, dreckig das Gesicht, die Hände; verschmutzt, zerrissen, muffend die Kleidung; verlauft, stumpf, verschüchtert- sie hocken da und lauschen. Halten in den Händen die schäbigen Mützen oder uralte Hüte, aus denen das Futter heraushängt. Krazen sich scheu- verstohlen den Kopf, den Rücken aus Scheu vor den singenden Frauen da vorn. Und hören Choralgefang. Und Mundharmonika und Lautenklang. Und Worte von himmlischer Liebe und Gerechtigkeit. Dumpf, brütend siten sie da wie bärenhafte Urwaldbe­wohner. Sagt man das ihnen? Liebe... Gerechtig keit Gilt das ihnen? Schreit nicht jemand auf? Reckt nicht so ein Bärenmensch die Glieder? Reißt er nicht die Fäuste empor, daß erschlaffte Muskeln sich hörbar straffen? Nein, nein, nein. Jahr um Jahr, Tag um Tag im Elend und Hunger, das zermürbt Körper und Geist. Macht unfähig auch nur zu einem einzigen Schrei der Empörung. Müde, müde, dumpf. Js mir alles ganz egal. Ganz egal...

Der Herbergsvater, Offizier der Heilsarmee , hält die Predigt. Spricht zur Vagabundengemeinde leise, ein­dringlich, gleichsam zu jedem einzelnen besonders. Nennt sie seine lieben Freunde und Brüder in Christo. Er­zählt: Der letzte auf Erde wird der erste im Himmel sein. ( Na, wenn schon, is mir alles ganz egal.) und predigt vom Dunst der Seele und vom erquickenden Labetrunk des

Glaubens.

, Wer von Euch, liebe Freunde und Brüder in Christo, hat Durst? Wer von Euch will erquickt werden? Der trete

vor und bekenne!"

Reiner regt sich. Alle stieren vor sich hin. Nur einer murmelt durch die Zähne: Ich habe Durst nach einem Schnaps"

Wenn die Andacht beendet ist, geht alles in die Schlaf­säle. Jeder sucht seine Nummer auf. In den langen, halbdunklen Räumen herrscht eine Luft zum Ersticken. Da liegen die Menschen eng nebeneinander, und die Neu­ankommenden stolpern über sie hinweg. Da wird ge= flucht. Da hustet einer zum Erbarmen. Nebenan schnarcht einer wie ein grunzendes Ungeheuer.

Schweinerei, verflucht!"

Riviera Sic

Abend an der Riviera

Bon Georg Wilman

Wohlan, die Luft geht frisch und rein und linde! So laßt uns denn zum Meeresufer gehn. Ein ältrer Palmbusch schaukelt sanft im Winde ( Das hohe Alter sieht man an der Rinde) Und dieser Abend ist besonders schön...!

Hörst in der Ferne du den Donner grollen? Er grollt beharrlich, da das sein Metier. Siehst du die Brandung an die Mauer rollen? Die Wellen brechen sich, ganz wie sie sollen; Das tun sie ja auch schon seit eh und je.

Die Jazzband spielt auf der Hotelterrasse; Statt schön zu spielen, spielt sie nur sehr laut. Ein Ober überprüft die magre Kaffe.. Und am Klavier der Neger, prima Rasse, Bei jedem zweiten Ton danebenhaut.

Am Eingang lints fist eine alte Dame, Doch Dame ist etwas zuviel gesagt. Der Gigolo( gewiß ein großer Name) Rollt mit den Augen eifrig zur Reflame, Was zweifellos der Dame sehr behagt.

Jetzt fordert er sie auf zum Tanz. Und drückt ste ( Dafür wird er bezahlt!) an seine Brust.

Sie schließt die Augen. Und ganz weltendrückt sie Schwebt nur dahin. Ein Perlenkollier schmückt sie ( Natürlich unecht), und sie bebt vor Lust.

Im ganzen zählt man noch drei andre Gäste: Ein alter Herr, Rosette am Revers, Ein Jüngling mit modern farierter Weste, Ein

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na, ein Mädchen. Nichts für uns! Das Beste, Wir wenden uns zurück zu unserm Meer.

Das alte Meer trägt heute Dauerwellen, Das ist modern und sieht sehr vornehm aus. Der Hund des Sprichworts tut den Mond anbellen. Ein Mann steht da und träumt von seinen Fellen, Die weggeschwommen sind. Es ist ein Graus!

Wenn ich das seh, dann werd ich melancholisch. Ich mache Auge, Mund und Ohren zu, Jezt zucken auch noch Blize diabolisch.

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Das Unterpalmenwandeln war symbolisch, Leffing hat recht! Und ich will meine Ruh!

Ruhe für wenige Augenblicke. Dann geht es in irgend Ein Gangster wird bewacht

einer Ecke wieder los. Fast alle liegen angekleidet in ihre Decken eingehüllt. Nur die Stiefel werden ausge­zogen. Aber auch die behält mancher an den Füßen, weil sie unentwirrbar durch Bindfaden zusammengehalten werden. Würden die Bänder gelöst, zerfielen die Schuhe in sich selbst.

Um 11 Uhr abends werden die Gaslaternen in den Schlafsälen noch niedriger geschraubt. Nun herrscht fast vollständige Dunkelheit. Die Luft wird immer unerträg licher. Schaurig tönt vom Nebenraum bellender Husten herüber. Jrgendwo redet einer im Schlaf. Es klingt wie: Js mir alles ganz egal

Um 12 Uhr schlürft der Aufseher auf Filzsohlen durch den Saal und dreht die Laternen ganz aus. Sorgt der liebe Gott für seiner Kinder und läßt den Mond feist und fahl durchs Fenster lächeln...

Menschensohn am Kreuz des Hochverräters, bespien und ver­achtet, sein göttliches Leben verblutete.

Seither hat die Erde viele Kreuze getragen. Das Kreuz wurde das Los, das Zeichen derer, die ihre Heimat nicht

Im Gefängnis zu Lima im Staate Ohio fizzt zur Zeit einer der gefürchtetsten Gangster von Amerika hinter Schloß­und Riegel. Aber Schloß und Riegel genügen nicht, um diesen Herrn Dillinger in sicherem Gewahrsam zu halten, denn noch laufen Mitglieder seiner Bande frei herum, und diese ruhen und rasten nicht, um den Führer zu befreien. Darum gleicht das Gefängnis von Lima einer belagerten Festung; der Flügel, in dem der berüchtigte Gefangene untergebracht ist, ist mit einem Wall von Sandsäcken um­geben, hinter dem schußbereite Beamte fizzen. Zwei Beamte haben, immer hinter Sandsäcken verborgen, ständig den Ge­fangenen im Auge. Sie sind mit Maschinengewehren, Hand­granaten und Gasapparaten ausgerüstet und haben den Auf­trag, den Gangster beim ersten Versuch eines Ausbruchs zu erschießen.

Portier vom ozeanografischen Institut teilt mit, daß in London bereits eine Gesellschaft zum Schuße der Meeres­fische gegründet worden ist. Diese Gesellschaft strebt ein Ge­sezz an, wonach in Schiffen mit Delfeuerung Filtern und Separatoren eingebaut werden sollen, um den Abfluß von Del möglichst auszuschalten.

mehr fanden. Unzählige haben ihr Kreuz getragen wie jener Und die Liebe höret nimmer auf

friedfertige Nazarener, weil sie nicht eingehen wollten den Frieden mit der Sagung, die Meinung und Empfindung regelt". Das Los aller Heilande bisher war das Kreuz, Zeichen ewiger Empörung, Mal des sehnsüchtigen Lebens.

Die Legende beschließt die Geschichte der Kreuzigung mit dem Schrei des Sieges. Das ist derselbe Schrei, den die Sage Galilei in den Mund legt: Und sie bewegt sich doch!" Es ist derselbe Schrei unausrottbaren Lebens, den in den letzten Monaten viele unserer Kameraden ausstießen unter dem Galgen des frommen Herrn Dollfuß , vor dem Henker­beil des irren Göring, unter den Stahlruten brauner Mörder: Es lebe die Revolution! Es lebe die Freiheit!"

und Trauer ein geschlossenes edles Portal in der Gegend Massensterben unter den fischen

der einstigen Siegfriedstellung, war es gewesen, ein nebel­voller Novembertag 1917. Die Engländer brachen ein in die Front mit Tanks, ihre Kavallerie fam bis nach Cambrai . Danach tobte wochenlang die Schlacht, Angriff, Gegenangriff, bis die gegenseitige Erschöpfung den Abbruch der Kämpfe er­zwang. Vom damaligen Schlachtfeld ist nicht viel mehr zu erfennen. Nur noch die Wälder tragen die unruhige Silhouette des Krieges, nur hie und da ein vom Grün um­sponnener Trümmerhaufen. Der Boden wurde gereinigt von Knochen und Eisen. Die Toten liegen nun alle vereint, von Kreuzen überragt weit von den Sterbefeldern entfernt. Un­schuldvolle Schneeglöckchen blühen. Kränze blassen zu Füßen der Kreuze Die riesigen Gräber der Namenlosen heißen hier Kameradengräber. Weiße Kreuze, dunkle Kreuze, ein hohes Granitfreuz für alle.

Das Kreuz ist das Zeichen dieses Tages, von dem die Legende erzählt, daß die Sonne ihren Schein verlor, da der

Das ozeangeografische Institut hat festgestellt, daß unter

auf...

Vor dem Standesbeamten von Johannisburg in Süd­ afrika erschien das älteste Brautpaar der Welt, um sich die Hand zum ewigen Bund zu reichen. Mr. Haarmse, neunzig Jahre alt, vermählte sich mit seiner ersten Liebe, die er vor fünfundsiebzig Jahren kennen gelernt hatte. Damals hatte er den Kontakt mit dem jungen Mädchen verloren, aber nicht aufgehört sie zu lieben, obwohl er sich zweimal in der Zwischenzeit verheiratete und heute mehrere erwachsene Kinder hat. Er ist sogar schon Urgroßvater geworden. Auch Sophia Herbst, seine Braut, war schon zweimal verheiratet und ist jetzt zur Liebe ihrer Jugend zurückgekehrt. Bei der Trauung trug das seltsame Brautpaar die Kleidung nach der Mode ihrer Jugend. Ganz Johannisburg wünschte dem ältesten jungen Paar der Welt Glück.

den Fischen des Meeres ein Maffensterben ausgebrochen ist, Indische Fürsten geben Gold ab

und die geheimnisvolle Krankheit, an der ganze Fisch­schwärme eingehen: heißt Schweröl! Die Tiere werden Opfer der Technif, seitdem die modernen Riesendampfer mit Schweröl betrieben werden, ist das Wasser des Meeres ver­pestet. Seit 15 Jahren, seitdem der erste Dampfer mit Del­feuerung den Ozean durchkreuzte, breitet sich die Fischkrank­heit immer mehr und mehr aus. Besonders auf den viel be­fahrenen Meeresstraßen gibt es fast keine Fische mehr, zu Tausenden werden die Tiere an die Ufer Englands, Belgiens , Frankreichs und Amerikas gespült. Unter nor­malen Verhältnissen tann ein Fisch sehr große Kälte ver­tragen sowie aber nur ein winziger Tropfen Del in seine Riemen fommt, verliert er an Temperatur und stirbt an Kälteerscheinungen. Was dagegen zu tun ist? Professor

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Auch an den sagenhaften Schäßen der Maharadschas von Indien nagt die Weltkrise. Wenn vom Goldvorrat der Welt gesprochen wird, schätzt man diese Goldvorräte immer als die große Unbekannte X, denn die indischen Fürsten haben es nicht nötig, Bankausweise zu geben, ihr Gold liegt nicht in Barren in Tresoren, sondern ist meist von großen Künstlern zu monumentalen Kunstwerken geformt. Jetzt müssen die Maharadschaß auch an ihre Schatzkammern gehen, auch sie geben Gold in Barren ab, Kunstwerke minderen Wertes wurden eingeschmolzen und gestern trafen im Hafen von Plymouth Dampfer der Indienlinie ein- 644 000 Pfund Sterling in Gold wurden gelöscht und traten den Weg in die Tresore der Bank von England an.