Donjaže

Nummer 88-2. Jahrgang

Fretheil

Aus dem Inhalt

Stachemberg Vizekanzler?

Seite 2

Probleme dec Emigration

Seite 3

Verschobene Arbeitsschlacht

Seite 4

Ende des Konkordats?

Seite 7

Chefredakteur: M. Braun

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Dienstag, 17. April 1934

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Geheimnis" um Trotzki

Gekünstelte Aufregung in der Presse

Paris  , 16. April.

Am Rande des großen Waldes von Fontainebleau wohnte ein Mann in einer Villa, um die es nicht geheuer war. Das Landhaus steht in dem schönen Orte Barbizon  , bekannt durch seine schillernden Frühlingsfarben, die schon den großen Maler Millet   gereizt haben. Der Mann hieß Troßfi. Die guten Leute raunten furchtbare Dinge. Die Post wurde nicht durch einen gewöhnlichen Briefträger bestellt, sondern durch einen Motorfahrer. Es tamen und gingen geheimnisvolle Boten. Die Wäscherin gar, so wird geraunt, durfte das Dornröschenschloß nicht betreten, sondern warf die Wäsche über die Mauer.

Also furz und gut, die Polizei umstellte das Haus, und als sie es umstellt hatten, fanden sie Troßfi. Troßfi, der Ver­schollene, der vor Jahresfrist von der Insel bei Konstan­ tinopel   fam und erst wohl nicht weiter als bis Korsika gehen durfte, und nun saß er hier am Walde von Fontainebleau  . Die Brigade von Ponthierry   hat ihn erspäht. Doch heißt es nach späterer Meldung, daß er ordnungsgemäß zum Wohnen in Seine- et- Marne   ermächtigt set.

Der geheimnisvolle Motorradfahrer wurde ebenfalls ge­fangen. Doch dann wurde, wie die Zeitungen sich ausdrücken, der Angriff auf den ehemaligen Volfsfommissar und seine Frau nebst den drei bei ihm wohnenden Schülern ab­geschlagen. Der Gründer der vierten Internationale war wieder frei.

Anscheinend hat die Aktion aus dem tiefen Walde den 3weck gehabt, dem großen Feinde Stalins das Beschäftigen mit der vierten Internationale etwas zu erschweren. Der " Intransigeant" zum mindesten schreibt: Wenn der frühere Volkskommissar, wie verlautet, seinen Wunsch der Grün­dung einer vierten Internationle nicht fortsetzt, wird man es dabei belassen, seine demnächstige Rückkehr nach Korsika zu überwachen. So stehts. Womit aber nicht gegen die tat­sächliche geistige Bedeutung des vielvertriebenen Troßki ge­sagt sein soll.

Der gefährlichste Emigrant

Die Entdeckung, daß Leo Troßzki seit September 1933 un­gestört eine von seinen Leuten scharf bewachte Villa in Bar­ bizon   im Walde von Fontainebleau  , also 60 Kilometer süd­lich von Paris  , bewohnte, hat in der französischen   Deffent­lichkeit großes Erstaunen hervorgerufen. Die Umstände, die zur Entdeckung der Anwesenheit dieses Sowjetpropaganda­mannes bei Paris   führten, machen auch auf die breite Masse großen Eindruck.

Der Motorradfahrer und Postkurier Tropfis soll nach dem Matin" ein deutscher   Student namens Klement sein.

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Er hatte das Pech, vorgestern bei einer seiner Kurierfahrten nach Barbizon   ohne Licht zu fahren, weshalb er von Gen­darmen angehalten wurde. Er weigerte sich, seine Papiere vorzuzeigen oder sich als Besizer der Maschine auszuweisen. Das rief den Verdacht der Gendarmen hervor, die ihn mit auf die Wache nahmen. Dieser Vorfall setzte den Polizei­apparat in Gang und führte zu der Entdeckung Trozzfis, der in Barbizon   unter dem Namen Soldom lebte.

Nach der Presse besaß Troßki seit Dezember 1933 eine Aufenthaltserlaubnis des französischen   Innenministeriums für das Departement Seine- et- Marne  , war also berechtigt, in dem in diesem Departement liegenden Barbizon   Woh­nung zu nehmen. Natürlich wird in der Presse die Frage laut, unter der Herrschaft welches Innenministers Troßfi diese Aufenthaltserlaubnis bewilligt wurde. Im Dezember 1983 war Chautemps Innenminister. Chautemps erklärt im Matin" zu dieser Verwaltungsmaßnahme, Troßfi habe aus Gesundheitsrücksichten um eine Aufenthaltsgenehmigung in Innerfrankreich nachgesucht, da ihm das Klima auf Korsika nicht zusagte. Diese Genehmigung sei ihm auf sein eigenes Risiko hin erteilt worden, was feineswegs außergewöhnlich sei. Das Verhalten Troßfis habe bisher wohl zu feinen Beanstandungen Anlaß gegeben. Auch sei vermutlich nicht zu befürchten, daß Tropki nach seinen Schwierigfeiten mit Rußland   etwa die Ordnung in Frankreich   zu stören plane. 3wei große französische Blätter, der Matin" und das Echo de Paris", verlangen unverblümt, daß die französischen  Behörden Troßfi ausweisen mögen.

Der Matin" weist darauf hin, daß sogar Franzosen  , die irgend etwas begangen haben, der Aufenthalt in den Paris  benachbarten Departements untersagt zu werden pflegt. Dagegen genieße der landfremde Troßki das skandalöse Vorrecht, im Departement Seine- et- Marne   leben zu dürfen.

Das Echo de Paris" hebt gegen die Emigranten genug und befürchtet, daß der bolichemistische Agitator Trozzki, der eine vierte Internationale vorbreite, eines Tages bei einer Maifundgebung an der Spizze der Kommunisten auf die Straße gehen könnte. Das Blatt schließt auch eine Aus­weisung Tropfis nach Korsika aus, denn es schreibt, man würde die Korsen beleidigen, wenn man sie zwingen würde, Troßfi bei sich aufzunehmen.

Paris  , 16. April. Der Figaro" wirft die Frage auf, was Troßfi in seiner Villa in Barbizon   eigentlich getan oder vorbereitet haben mag. Die Villa scheine ihre Geheimnisse zu haben, denn es seien bei Vornahme einiger Reparatur­arbeiten am Hause die Arbeiter während der Dauer ihrer Tätigkeit eingeschlossen worden. Außerdem sei der Ver­brauch an elektrischem Strom verdächtig groß. Da man in der Villa nach 10 Uhr abends gewöhnlich nur eine elektrische Lampe habe brennen sehen, fönne der Stromverbrauch eigentlich nur die Schlußfolgerung zulassen, daß in der Trozfischen Villa ein elektrischer Motor laufe, der möglicher­weise eine geheime Druckmaschine für die Herstelluna von Flugblättern treibe.

Wird Starhemberg   Vizekanzler?

Die österreichische Wehriront

Wien  , 16. April. Wie amtlich mitgeteilt wird, ist es dem Bundeskanzler Dr. Dollfuß gelungen, mit dem Heim­mehrführer Fürsten Starhemberg zu einer Einigung zu fommen und die Grundlage für eine Vereinigung und Ver­schmelzung aller vaterländischen Gruppen im Rahmen der Baterländischen Front" zu finden. Es werden in den nächsten Tagen die entsprechenden Organisationsmaßnahmen er­folgen, die schon im einzelnen festgelegt sind. Damit sind langwierige Auseinandersetzungen zum Abschluß gekommen, deren eigentliches Problem in der Rivalität zwischen Star­ hemberg   und Dollfuß   bzw. zwischen der faschistischen Heim­wehr und der christlich- autoritären" Regierung lagen. Der Bundeskanzler fonnte entsprechend dem von ihm verkündeten autoritären Kurs auf die Dauer feine zweite Machtgruppe neben sich bestehen lassen, die noch dazu immer wieder in aller Deffentlichkeit mit Ansprüchen auftrat, die den Eindruck er­mecken mußten, daß diese Heimwehrgarde noch andere, außer­halb des Regierungsfurses liegende Ziele verfolge und ihre eigenen Wege zu gehen gewillt sei. Durch die Einordnung der Heimwehr   in die Vaterländische Front   hofft der Bundes­fanzler offenbar, diesen Zustand zu bessern und sich vor Seitensprüngen der Heimwehr zu sichern. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Heimwehr ja offenbar trotzdem weiterbestehen bleiben wird. Sie wird vielleicht so gar noch eine erhöhte Machtstellung im Staate bekommen, wenn der angekündigte Ausbau der Wehrfront" in der Vaterländischen Front bedeuten sollte, daß sämtliche be­stehenden Wehrverbände unter der Oberleitung Starhem­bergs zusammengefaßt werden. Nach einer Erklärung des Bundesleiters der Vaterländischen Front, Generaldirektors Dr. Stepan, soll die Vaterländische Front   die Ver­

einigung aller Staatsangehörigen darstellen, die auf dem Boden eines selbständigen, christlichen, deutschen, berufsstän disch gegliederten Desterreich" stehen; die Wehrfront wird eine der drei Gruppen sein, in die sich die Vaterländische Front   nunmehr gliedern wird: neben ihr wird es noch die berufsständischen Organisationen und die Gebietsorganisa­tionen geben. Fürst Star hemberg, der jetzt bereits der Stellvertreter des Bundeskanzlers Dr. Dollfuß in der ober­sten Führung der Vaterländischen Front ist, dürfte trotz aller Dementis auch sehr bald in die Regierung eintreten, wie vor einiger Zeit angekündigt wurde. Wahrscheinlich wird er zum Vizefanzler ernannt werden. Damit wäre der Kurs der Regierung allerdings völlig eindeutig klargestellt. Die Macht­stellung der austro- faschistischen Heimwehr wäre in ausschlag­gebender Weise in der Regierung veranfert. Die Konse= quenzen könnten nicht mehr fraglich sein.

Frankreich   und Polen  

Vor Barthous Reise

Paris  , 16. April. Außenminister Barthou   wird in Warschau  zahlreiche politische, militärische und handelspolitische Pro­bleme zu behandeln haben, die gegenwärtig auf der Passiv seite des französisch  - polnischen Bündnisses stehen, so urteilt der Außenpolitiker des Echo de Paris". Was die militä= rischen Fragen betreffe, so spricht das Blatt von einer An­passung des Militärvertrages von 1921 an die heutigen Um stände. Eine gleiche Anpassungsarbeit soll hinsichtlich der politischen Verträge von 1921 und 1925 vorgenommen und

Gestern und heute

Das Wort Protestant kommt von protestieren. Es betrifft Menschen, die eine eigene Meinung haben. Denn nur der Ueberzeugte protestiert. Der Unsichere duckt sich und schweigt.

Die deutschen   Protestanten hätten heute Gelegenheit, sich ihren alten Namen wieder zu verdienen. Ein großer und täglich größer werdender Kreis von ihnen protestiert heute mit einer Ueberzeugtheit, die aus dem Krampf und Schaum der Gleichgeschalteten mit einer bedeutenden Kraft aufsteigt. Ein Schritt, wie ihn jetzt der langjährige Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages, Dr. Wilhelm Freiherr von Pechmann  , getan hat, enthält mehr innere Ueber­zeugungskraft als der Schwur von anderthalb Millionen Amtswaltern auf die tönende Wochenschau. Freiherr von Pechmann, ein Führer des deutschen Protestantismus, ist aus der protestantischen Kirche ausgetreten. Das ist eine Tat aber ist es schon die Tat, die vom deutschen   Pro­testantismus erwartet werden muß?

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Der Freiherr erinnerte sich wohl des Lutherwortes, daß man ,, in Gewissenssachen nicht zwingen oder dringen soll". Eine Forderung, die der Nationalsoziasmus einfach als Her­ausforderung empfinden muß. Denn was heißt denn ,, Gleich. schaltung" anders als Beugung von Gewissen und Ueber­zeugung unter fremden Willen? Ob man diesen Willen nun als gemeinsam" oder übergeordnet" bezeichnet, tut dabei wenig zur Sache.

Der Nationalsozialismus hat bald nach seiner Macht­ergreifung in der Kirche einen Grundsats durchzuführen ver­sucht, der in der deutschen   Geschichte einen verhängnisvollen und verhaßten Namen hat. Indem er zunächst die protestan­tische Kirche gleichschaltete und nationalsozialistisch machen wollte, handelte er nach dem abscheulichen Prinzip: cuius regio, eius religio zu deutsch   etwa: wer die Macht besitzt, dessen Religion herrscht. Denn das wird ja mit jedem Tage deutlicher, daß die Deutschen Christen  " in der Kirche nicht nur die Posten besetzen, sondern eine neue Religions­auffassung einführen wollen. Es paßt in die Landschaft, daß des Hitlers   wilde Haufen dabei die Grundsätze des Dreißig. jährigen Krieges anwenden.

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Und dagegen wehren sich die Gewissen. Das ist gut aber es ist zu wenig.

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Die den Namen Protestanten zuerst trugen, waren deutsche Fürsten und zum Teil rechte Blutsauger und Leuteschinder. Was heute im Namen und Rahmen der evangelischen Ge­wissensfreiheit in Deutschland   protestiert, ist eine bürger­liche Schicht, die in vielem sicherlich von gestern ist. Das hindert nicht, daß ihre Ideale zum Teil wieder zu denen von übermorgen gehören werden.

Diese Schicht hat nicht gegen die Konzentrationslager pro­testiert, sie hat den Mord schweigend hingenommen und sich in die Vergewaltigung der politischen Ueberzeugung gefügt. Erst als der Staat in die Sphäre eingriff, die jenseits des Irdischen persönlichste Sache jedes einzelnen ist, begann der Widerstand. Freiherr von Pechmann beruft sich in seinem offenen Brief an den Reichsbischof Müller auf die drei Stellen in den Evangelien, die alle den Spruch variieren: gebt dem Cäsar, was des Cäsars ist, und Gott, was Gottes ist. Er hätte beinahe ebensogut sagen können: Religion ist Privat­sache und geht den Staat nichts an.

Wenn diese Schicht die Gewissensfreiheit verteidigt, so ver­teidigt sie ein hohes Gut. Aber es gibt keine Freiheit ohne Verpflichtung, und ein Gewissen, das zu den Greueln dieser Zeit schweigt, ist doch eine fragwürdige Sache. Wir wollen annehmen, daß es zum guten Teil menschliche Schwachheit und Furcht vor dem Stachel des Todes war, die die deutschen  Protestanten zu vielem schweigen ließ, worüber sie hätten

reden sollen. Sie schwiegen zu viel Unrecht, Jammer und Herzeleid, wie Freiherr von Pechmann selbst sagt.

Die Vergewaltigung der Kirche ist unprotestantisch. Das Blutvergießen aber ist unchristlich. Wann werden die deutschen   Protestanten hierzu ihre Stimme erheben und dem herodianischen Staat zurufen:

Wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen? Argus.

eine Reihe von Zoll- und Niederlassungsfragen zwischen bei­den Ländern geregelt werden.

Zu den deutsch  - polnischen Beziehungen bemerkt das Blatt, daß die Sowjets die deutsch  - polnische Erklärung vom Februar so ausgelegt habe, als ob sie die Aufteilung West­rußlands zum Gegenstand habe, weil das das einzige Mittel wäre, um Kombinationen in die Wege zu leiten, bei denen sich die Unabhängigkeit Polens   mit der deutschen   Revanche in Ginklang bringen lassen könnte. Eine solche Absicht sei aber wohl nicht durchführbar, und es bestehe vermutlich kein derartiger Plan. Psychologisch gesehen, sei diese deutsch­polnische Februar- Erklärung aber gefährlich, denn sie suche die polnische Politik von der geraden Linie, mithin also von der französischen   Politik abzubringen. Mit dem Hinweis auf die Tatsache, daß Barthou   vor seiner Abreise nach Warschau  und Prag   in Paris   noch Titulescu sprechen wird, verbindet das Echo de Paris" die Folgerung, daß in 14 Tagen nach der Rückkehr Barthons nach Paris   die französische   Politik in allen ihren wesentlichen Punkten definiert sein werde.