Die verschobene Arbeitsschlacht
oder Reichsstatthalter Mutschmanns erster Spatenstich
Wahre Nachrichten aus Deutschland flingen oft unwahrscheinlich. Wir versichern darum, daß der nachfolgende Bericht aus allerbester Quelle stammt und buchstäblich wahr ist! Red.
Am 21. März eröffnete Hitler die Arbeitsschlacht". Er selber sprach in Unterhaching , wo der erste Spatenstich am Bau einer Autostraße getan wurde anscheinend zerbrach diesmal nicht der Spaten wie voriges Jahr bei der Grundsteinlegung für den neuen Münchner Glaspalast der silberne Hammer in des„ Führers" Hand.
Hitlers Rede wurde in ganz Deutschland gehört. Auf öffentlichen Pläßen, in den Gaststätten und Rundfunkgeschäften dröhnten die Lautsprecher, und Plakate forderten die Passanten auf, einzutreten und die Rede des Führers" alt= zuhören. Allgemeine Arbeitsruhe gab der Stunde die Weihe. Ju Dresden wurde sogar die Gerichtsverhandlung gegen 52 Sozialdemokraten auf einige Stunden unterbrochen, weil der Schwurgerichtssaal für die Uebertragung der Hitlerrede vor den versammelten Justizbeamten gebraucht wurde; in den Nachmittagstunden wurde dann der Kampf gegen den inneren Feind mit erfrischten Sinnen weitergeführt, und da Hitler in seiner Rede soeben versichert hatte, daß Deutschland ein sozialistisches Land sein konnte man mit um so besserem Gewissen die Zuchthausurteile gegen Marristen austnobelit.
Wie in Unterhaching und wie gleichzeitig noch an verschiedenen Stellen Deutschlands wurde zur selben Stunde auch bei Dresden der erste Spatenstich an einer zu bauenden Autostraße getan. Es geschah in Kemniß- Steßsch, einem Dresdner Vorort am Rande des Stadtgebietes. Auch hier war das ein großartig aufgezogener Aft. SS. und SA., Stahlhelm, Arbeitsdienst, Polizei, Eisenbahner, Straßenbahner standen parademäßig aufmarschiert. Auch die Arbeitslosen waren zur Stelle; man hatte sie an den Stempelstellen sammeln und geschlossen nach Kemnih marschteren lassen. Run fonnten sie hier mit eigenen Ohren und Augen hören und sehen, wie die Arbeitsschlacht begonnen und der Arbeits= losenfrage der Garaus gemacht wurde.
Reichsstatthalter Mutschmann , der mit belgischen Garngeschäften den Weltfrieg für seine Person gewonnen hat und alfo weiß, wie man Schwierigkeiten beifommt, stand hier im Namen des„ Führers". Er schritt die Front ab und hielt eine große Rede, in der er noch einmal das„ Novembersystem" verdammte, das den Menschen weder Arbeit noch Brot gegeben habe, und die Regierung Hitler lobte, die schon 3,5 Millionen Arbeitslosen Beschäftigung gebracht habe wenn das so weiter geht, wird das„ dritte Reich" bald in alle Welt depeschieren müffen: Sendet sofort Arbeitslose, sonst Arbeitsschlacht unmöglich!
Nach dem Reichsstatthalter sprach der Gauleiter. Dann dröhnte aus dem Lautsprecher die Stimme des„ Führers",
Elendslöhne
Für Uniformschneider
Aus einem Brief: Die Frau eines Schneidergehilfen aus Norddeutschland schreibt an eine befreundete Familie in Frankreich u. a.:
" Bei der Sipo- Lieferung war der Durchschnittsverdienst 13 bis 15 Reichsmark die Woche. Ja, in einer Woche hatte er nur 8,95 Reichsmart verdient und das bei 48 Stunden
Arbeit. Leider find so die 30 Reichsmart, die ich von Dir
erhalten habe, mit draufgegangen und ich sollte mir doch einen Mantel dafür kaufen. Nun nähen wir fleißig, um aus alten Sachen Neues zu machen."
Die in vorstehendem Briefe angegebenen Lohnbeträge sind im Afford verdient. Der Mann ist ein guter flotter Schneider und verdiente immer Epißenlöhne. Die Familie besteht aus 4 Röpfen. Man sieht, daß die Arbeitsbeschaffung im Schneidergewerbe nur zu Hungerlöhnen reicht.
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dem deutschen Volke, Arbeit und Brot, Frieden und Freiheit versprechend. Und dann fam der feierliche Augenblick:
die ersten Spatenstiche.
Der Reichsstatthalter tat sie eigenhändig. Dann gab er den Epaten dem Gauleiter. Auch dieser grub und gab den Spaten einem dritten Würdenträger, der auch einige Schollen abstach - für eine Autostraße war das schon ein ganz hübscher Anfang. Und als somit die Arbeitsschlacht auch in diesem Gefechtsabschnitt eröffnet und alles richtig begonnen war, marschierte die ganze Parade unter den Klängen des HorstWessel- Liedes ab.
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Das war am 21. März. Am 22. März pilgern einige Arbeitslose aus der Stadt hinaus nach Kemnitz der Andrang dort wird zwar groß sein und wahrscheinlich kommt ohne Proteftion feiner an, aber man muß es versuchen; vielleicht haben sie doch Glück.
Gegen Mittag fommen sie zurück. Enttäuscht und hohnlachend: Nein, so was haben sie noch nicht erlebt. Nicht einmal im„ dritten Reich"! Gestern dieser Tamtam und heute? Kein Mensch ist an der Baustelle, ja,
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es gibt überhaupt keine Baustelle! Und die ersten Spatenstiche? Die sind geschüttet, eingeebnet - find verschwunden!
Des Reldiskanzlers Quartiermacher
Ein lustiger Gaunerstreich
T
Jm Juli 1933 erschien bei einer Kommerzienrats witwe int Garmisch ein schlanker, eleganter Herr in einer etwa fantastischen goldbordierten Uniform und stellte sich als Flieger= fapitän der Westfalen" vor. Er sei beauftragt, so erklärte er weiter, für den Reichskanzler Adolf Hitler Quartier zu machen, der demnächst nach Garmisch fomme und sich die Villa der Kommerzienrätin zur Wohnung ausersehen habe. Die treuherzige Frau glaubte dem Fremden aufs Wort, stellte ihm ihr Auto mit Chauffeur zur Verfügung und händigte ihm auf sein Verlangen auch 220 Marf als lebensTänglichen Mitgliedsbeitrag" für die Frauenschaft der NSDAP . ein. Am nächsten Tage ließ sich der„ Herr Kapitän" mit dem Auto nach München zum Flughafen fahren, vollführte hier ein höchst wichtiges Hin- und Herlaufen, zeigte dem Chauffeur ein soeben landendes Flugzeug als das des Reichskanzlers und ließ sich schließlich zum„ Braunen Haus" fahren. Hier blieb er einige Zeit im Innern, erschien dann wieder, ließ sich nach Fürstenfeldbruck fahren und von dort rach Augsburg , wo er fürs erste entschwand, indes die Garmischer Kommerzienrätin alles für die Ankunft des Reichskanzlers vorbereitete.
Ein Wiedersehen gab es erst jetzt vor dem Schöffengericht in der Au, woselbst der„ Quartiermeister des Reichsfanzlers", in Wirklichkeit der etwa zwanzigmal vorbestrafte Seemann Mar Heinkel sich wegen Betrugs im Rückfall ver= antworten mußte. Er bat zwar um 3ubilligung mildernder Umstände, hatte aber fein Glück damit: das Urteil lantete nämlich auf ein Jahr Zuchthaus, 50 Mark Geldstrafe und darüber hinaus auf Sicherheitsverwahrung auf unbestimmte Zeit.
Unser Gewährsmann, dem sie das erzählen, glaubt es ihnen einfach nicht. Das muß er erst selber gesehen haben! Gleich am Nachmittag fährt er hinaus nach Kemniz- Steßich; einen der Erwerbslosen nimmt er mit. Und nun stehen sie auf dem Schauplatz des gestrigen Theaterzaubers. Es ist kein Irrtum möglich, die Spuren des Aufmarsches find deutlich zu ,, Unterricht über politische Tagesfragen" sehen, Leute, mit denen sie s, cechen, schildern ihnen die Feier. Und hier ist die Stelle, wo der Mutschmann grub wahrhaftig: die ersten Spatenstiche" sind sauber eingeebnet, damit niemand stolpert, denn Ordnung muß sein. Und da steht sogar eine große Tafel mit der Aufschrift: Arbeiter werden nicht angenommen, Arbeitsaufnahme für
drei Monate verschoben.
Die„ Arbeitsschlacht" ist verschoben; man kann getrost von einer Schiebung sprechen. Wie lang werden diese drei Monate sein? Das geht die Maulforbträger im„ dritten Reiche" gar nichts an. Sie haben den Tamtam durch den Rundfunk mitanhören dürfen. Nun mögen sie ruhig glauben, daß die Arbeitsschlacht im Gange ist, daß nun auch in Kemniz Steßsch bei Dresden die Leute arbeiten wie die Bienen wenn sies nur glauben! Glauben macht felig.
Es soll aber doch geschehen, daß die Leute über diese ,, ersten Spatenstiche" stolpern. Und das merfwürdige ist: sie stolpern, gerade weil das Loch eingeebnet worden ist!
Berlin , 12. April. Reichswehrminister Generaloberst von Blomberg hat folgende Verfügung erlassen:
Das erste Jahr der nationalsozialistischen Staatsführung hat die Grundlagen für den politischen und wirtschaftlichen Neubau der Nation gelegt. Das zweite Jahr stellt die Nots wendigkeit der geistigen Durchdringung der Nation mit den Leitgedanken des nationalsozialistischen Staates in den Vordergrund.
Ich ordne daher an, daß fünftig dem Unterricht über politische Tagesfragen in der Wehrmacht von allen Dienststellen erhöhte Bedeutung beizumessen und gesteigerte Aufmerksamkeit zuzuwenden ist. Um eine einheitliche Durchführung des Unterrichts über politische Tagesfragen zu gewährleisten, wird das Reichswehrministerium. fünftig gedruckte Richtlinien für den Unterricht über politische Tagesfragen" als Anhalt herausgeben."
Aus dem„ Nenen Vorwärts". Dengesamten Hausrat gepländet
Der Verkehr sinkt weiter
( Inpreß.) Aus dem Bericht der Allgemeinen Lokalbahn 1. Straftwerke AG., Berlin , entnehmen wir:„ Der Rückgang der Verkehrszahlen bei den Bahnunternehmungen und Autobusbetrieben ist merflich geringer geworden; doch fonnte hier eine weitere Senfung der Verkehrseinnahmen nicht verhütet. werden. Die Ueberschüsse aus den eigenen Betrieben und die Erträgnisse der selbständigen Unternehmungen sind von 3,60 Millionen im Vorjahr auf 3,32 Mill. Reichsmart ge=
( Inpreß.) Die Zivilfammer des Breslauer Landgerichts hat gegen einen Juden, der nach Myslowitz in Polen auswandern wollte, ein unerhörtes Urteil gefällt. Es hat die Pfändung des gesamten Hausrats für zulässig erklärt, obwohl die Zivilprozeßordnung bestimmt, daß der notwendigste Hausrat unpfändbar ist. Das Gericht hat sein Urteil damit begründet, daß die betreffende Vorschrift der Zivilprozeß ordnung nicht für einen Haushalt besteht, der ins Ausland verlegt werden soll".
Warum nicht? Wenn man doch so viele Frauen und Kinder von Emigranten von Staats wegen um alles bestohlen hat.
Verkehr nicht mehr so start zurück, jedoch wird eine weitere Minderung der Einnahmen verzeichnet.
Ein Sachkundiger
Ein früherer Schußhäftling hatte sich in einem Lofal in Altona sehr abfällig über ein Konzentrationslager, dessen Insasse er gewesen war, geäußert. Das Altonaer Sondergericht verurteilte ihn zu acht Monaten Ge fängnis.
( Inpreß.) Die„ Klinische Wochenschrift" berichtet über einen Vortrag des Nationalsozialisten Loofs„ Zur Verhütung der Entstehung lebensunwerten Lebens, insbesondere zur euge nischen Sterilisation". Loofs hat nach diesem Bericht gerade= zu ungeheuerliche Forderungen aufgestellt. Er verlangt, daß zum Zwecke einer Entscheidung über die Sterilisation, die unter Fürsorge Stehenden" und die„ Armen- Unterstützungsempfänger" amtsärztlich untersucht werden.
Eine wahre Geschichte aus Deesden
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Hiermit beginnt die Arbeitsschlacht!
Siegheil!
Vorbei das Fest!
ARBEITER
WERDEN NICHT angenommen