Dienstag, den 17. April 1934
Herr Bornstein kam zurück
„ Grundlos verängstigt"
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Am 10. Februar 1934 fuhr Herr Benno Bornstein nach Berlin zurück. Sozusagen direkt auf freundliche Einladung des Herrn Innenministers. Herr B. B.( wie man ihn in seinem Geschäft rücksichtsvoll genannt hatte) war bis Frühjahr 1933 Teilhaber der von ihm gegründeten Berufskleiderfabrik Gebrüder Wiesel gewesen. Da er nie einer politischen Partei angehört und kaum ein nachweisbares Verbrechen begangen hatte, konnte er sich mit Recht als einer der ,, durch Hegblätter der Systemparteien grundlos Verängstigten" betrachten. Die hatte der väterlich besorgte Minister doch nahezu gastfreundlich aufgefordert, zum Wirtsvolke zurückzukehren.
Herr B. B. kehrte zurück. Schon im D- Zug Zürich - BaselStuttgart dachte er: ,, Recht haben sie, die forschen Leute von der Regierung, daß sie zwischen den ewig unzufriedenen Elementen, die jetzt draußen weitermeckern, unterscheiden und unsereinem, der manche rigorose Maßnahme gewiß nicht unterschreiben, aber immerhin aus der Einstellung des neudeutschen Menschen heraus begreifen kann."
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Herr B. B. dachte tatsächlich in solch langen Sätzen. Schon seit seiner Einjährig- Freiwilligen- Zeit. Weiterhin philosophierte er: Wie schön, wieder in einem deutschen( er dachte sogar doitschen") Wagen zu sitzen, in knapper, aber reeller Weise von einem geschulten Speisewagenkellner bedient zu werden. Einmal hat man doch genug von den ewigen Maidlis mit ihren schlimmen Kehllauten und dem hohen Frankentrinkgeld." Und als ihn hinter Schaffhausen der prompt erschienene Kontrolleur zackig anfuhr ,,, Fahrkarte bitte!!", fühlte er sich wieder ordentlich heimisch. Bahnpolizei und SS. waren schon dagewesen und hatten bei einem Blick in den Speisewagen nicht mehr Notiz von ihm genommen, wie von einer gebrauchten Serviette. Dann schlief er bis kurz vor Berlin . Erwachend betrachtete Herr B. B. gerührt die Häuserfronten von Steglitz , seiner früheren Wohngegend. Es schienen ihn sogar weniger Hakenkreuzflaggen an diesem aus irgendeinem Grunde festlichen- Abend zu grüßen, als vor seiner Abreise. Die Stadtbahnhöfe glänzten abendlich sauber, die Lichtreklamen in den Vergnügungsvierteln leuchteten so bunt wie ehemals und Herr B. B. fühlte eine wohlige Schwäche unter seinem jüdischdeutschen Herzen. ,, Heimgekehrt," dachte er.
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Dann passierte leider die kleine Rempelei am Bahnhof Zoo . Herr Bornstein wurde nicht erwartet. Da er sparsam war, trug er mit mühsam abgespreiztem Arm selbst seine Rindledertasche. Und da wollte es der unglückliche Zufall, daß aus der Hardenbergstraße ein schmucker SS.- Mann geschritten kam, der mit aufgestemmten Armen über den schmalen Bürgersteig ging. Wahrscheinlich in keiner anderen
Der Aufbruch
Absicht, als seine gutsitzende schwarze Montur besser zur Geltung zu bringen. Aber er stieß in dieser ein wenig selbstgenießerischen Haltung an den Herrn B. B. Dieser, wohlabgewogen, weder zu knapp noch zu höflich, sagte deutlich: Pardon". Und hielt das als ehemaliger Großkaufmann wahrscheinlich für geistesgegenwärtig. Aber der Schwarzweise reagierte in unerwarteter Weise und rief in markigem Ton: ,, Pardong? Du Saujud sachst zu mir Pardong?!- Ick wer Dir Pardong!!" Und schon flog Herrn Bornsteins Hut infolge des unsanften Stoßes vor die Brust aufs Pflaster. Es war kein Wunder, daß auf diese laute Szene unterm hallenden Stadtbahnbogen hin beherzte Jünglinge von der HJ. und einige SA.- Leute stehenblieben, um sich den hutlosen Mann näher anzusehen, der sich also an deutschem Sprachgut verging. Die wenigen Zivilisten hasteten so unbeteiligt wie nur eben möglich vorbei. Mochte es eine atavistische Reflexbewegung aus liberalistischen Zeiten sein oder was immer, jedenfalls, Herr B. B. hob abwehrend den linken Arm in Augenhöhe. Das hätte er nicht tun sollen. Es war mindestens angedeuteter Widerstand gegen die nationalen Verbände. Kein Wunder, daß die erregte Menge eine bedrohliche Haltung einnahm. Was wiederum den anlaßte, im Laufschritt mit gezogenem Gummiknüppel den streng rechtlichen Schupobeamten vor dem Ufa- Theater verDamm zu überqueren und dem bedrohten SS.- Mann zu Hilfe zu eilen. Besser gesagt, den völlig aufgelösten Heimkehrer zu seiner eigenen Sicherheit in Haft und mit auf die Wache zu nehmen. Die disziplinierte Volksmenge folgte.
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Schien es nicht mehr als recht und billig, Herrn B. B. nach dem Woher und Wohin zu fragen, so geriet der Zurückgekehrte schon bei der zweiten Frage des sehr höflich inquirierenden Beamten in Verlegenheit. Sie lautete, was er denn im Auslande gesagt hätte, wenn er nach den deutschen Verhältnissen befragt worden sei. Er habe nichts darauf gesagt und derartige Gespräche über die Heimat möglichst vermieden, entgegnete Herr Bornstein. Und das war ebenso diplomatisch wie unklug. Denn der verhörende Beamte hatte strikte Anweisungen in bezug auf rückkehrende Nichtarier und mußte verordnungsgemäß erwidern: Schweigen über deutsche Verhältnisse ist auch Greuelpropaganda!" Darum war es ganz in der staatlichen Ordnung, daß Herr B. B. der Gestapo zur weiteren Befragung übergeben wurde.
Als er nach vier Wochen das Westsanatorium verließ und einer von der Umgebung heimkehrenden Standarte auf der Tauentzien begegnete, kehrte Herr Bornstein nicht etwa um, sondern machte kurz Front und salutierte. Soweit es die beiden Stöcke erlaubten, mit deren Hilfe er sich fortbewegte. Und war von da ab nicht mehr grundlos verängstigt. Charlie Kaschno.
dec Kommißköppe
Es läßt sich nicht länger lengnen: der geistige Umbruch der deutschen Nation ist Tatsache geworden. Unter der glorreichen Aegide der Herren Johst, Blunk usw., usw. feiert der neuerstandene deutsche Genius wahre Orgien in Schönheit und Kultur. Wer es nicht glaubt, lese die Feuilletons deutscher Zeitungen. Wir wollen ihm dabei behilflich sein, indem wir nachstehend ein besonders schönes Exemplar der neudeutschen Geisteshaltungsprodukte im Auszug wiedergeben, das gegenwärtig die Runde durch die deutsche Presse
macht.
Leider können wir nichts für die Verbreitung des ruhmvollen Namens des Literaturherstellers tun, da selbiger sich schamhaft hinter einem kleinen-f- versteckt hat.
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Das war wie man sehen wirdwirklich falsch ange. wandte Bescheidenheit. Das Kunstwerkchen ist überschrieben: Die Mannschaftsstube. Und es heißt darin:
,, Was ist die Mannschaftsstube? Na das weiß am Ende sogar der Herr Einjährige. Also, Herr Doktor?"
,, Die Mannschaftsstube ist der Aufenthaltsraum für die Mannschaften..."
,, Nu hör mal einer den Herrn Professor!... Und dabei sage ichs doch jeden Tag hundertmal: ,, Die Mannschaftsstube ist stets reinlich und sauber zu halten. Sitzen! Damit wir in der Stube Ordnung haben, haben wir eine Stubenordnung. Woraus setzt sich die Stubenordnung zusammen?" ,, Die Stubenordnung setzt sich zusammen aus dem Stubenältesten und dem Stubendiensthabenden..."
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,, Richtig! Und woraus besteht der Stubenälteste?" ,, Der Stubenälteste besteht aus einem Gefreiten oder Gemeinen und den Befugnissen eines Vorgesegten.. ,, Recht! Bei was vor allem ist der Stubenälteste Euer Vorgesetter?"
,, Bei Unordnung usw...."
,, Auch in seinem Schranke muß sich der Soldat jederzeit vorschriftsmäßig verhalten. Was gehört zu einer guten Schrankordnung?"
,, Zu einer guten Schrankordnung gehören Reinlichkeit, Ordnungsliebe und ein Vorhängeschloß..." .Recht! Sigen! Sehen Sie, Herr Doktor, das war eine Antwort, wie sichs gehört... Ich prophezeie Ihnen, daß Sie mir die einfachsten Fragen nicht beantworten können. Wieviel Paar Stiefel hat ein Soldat?"
,, Zwei Paar Stiefel..." " Wovon?"
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Von Rindsleder..."
,, Unsinn! Wovon stets ein Paar geputzt sein muß. In was trägt der Soldat sein Geld bei sich?"
,, In seinem Geldbeutel..."
,, Blech! In kleineren Mengen... Um was?" ,, Um notwendige Einkäufe zu machen."
Lauter Zimt! Um den Hals trägt er es... Was sind
Bezüge?" ,, Die Bezüge sind die Ansprüche der Militärpersonen auf Gehalt oder Löhnung..."
,, Hat jemals ein Mensch einen solchen Grünkohl verzapft? ... Die Bezüge sind beim Einstreifen der wollenen Decken auf gesäuberte Tische und nicht auf den Fußboden zu legen..."
Und so geht das immer weiter. Der Verfasser wie der gleichgeschaltete Leser schwelgen in der behaglichen Situation, in der der Vorgesette kraft Lige und Knopf den Untergebenen malträtiert, nur weil er vermutlich klüger ist als der Schikaneur. Sie schwelgen darin wie Schweine im Futtertrog.
Der Bürgermeister und die Dienstmagd
Wir wollen der Fränkischen Tageszeitung", dem offiziellen, unter Aufsicht Streichers stehenden Nazi- Blatt Frankens nicht unrecht tun. Nicht jeden Tag wird gegen Juden. gehetzt. Nicht jeden Tag sind sie internationale Hyänen, blutgierig auf Christen versessen. Nein, es gibt in dieser Zeitung auch eine andere fränkische Kunde, Dorfidyllen mit reizenden Einlagen, Liebesgeheimnisse und Seitenhiebe, die die Lektüre der ,, Fränkischen Tageszeitung" angenehm machen.
Am 10. April fanden wir hier im Fettdruck diesen Bericht: ,, In verschiedenen Tageszeitungen erschien dieser Tage unter Gerichtsnachrichten ein Bericht über eine Verhand
lung, in der angeblich der Bürgermeister von Großhabers.
Rotationsreptilien
Von Kurt Doberer:
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Wir drucken auf rollender Ewigkeit mit stinkender Farbenschmiere. Wir nageln die grinsende Frage der Zeit auf holzige Zeitungspapiere.
Wir mengen aus Blut und Eisen die Welt und notieren die Börsentabellen.
Wir machen aus Tod und Teufel Geld und liefern was sie bestellen.
Wir machen den Volkszorn und auch den Krieg und montieren die Heldentaten.
Bis zum dreckigen Ende verkünden wir Sieg, dann melden wir: Barrikaden.
Es wechselt der Chef, es wechselt der Kopf, schon stinken sie frisch, die Latrinen.
Leicht schläft das Volk und schnell wächst der Zopf, rasch rollen die Schwindelmaschinen.
Hier nützen nicht Palmzweig, nicht Zetergeschrei und nicht Paragrafenprothesen.
Hier hilft nur: den ganzen faulenden Brei auszukehren mit eisernem Besen.
,, Hühnereigelbes"
in Hitler- Deutschland Verhinderter Bildersturm in Braunschweig
Man hat die ruhmreichen Farben der deutschen Republik, denen Freiligrath seine schönsten Lieder sang, zugunsten des schwarzweißroten Kompromißlappens von Versailles solange verhöhnt und in den Schmutz gezerrt, bis der Haß gegen die jahrhundertealten Farben schwarzrotgold auch dem letten Hitlerjugendpimpf in Fleisch und Blut übergegangen Und nun befindet man sich nach dem Siege der nationalen Revolution in Bezug auf die Flaggenfrage in einer geradezu grotesken Situation.
war.
In der noch immer geltenden Reichsverfassung heißt es, daß die Farben des Deutschen Reiches schwarzrotgold seien. Die Nazis behaupten, das neue Deutschland sei das Reich des Nationalsozialismus, dessen Feldzeichen das Hakenkreuz bildet. Hindenburg ordnet an, respektive bekommt angeordnet, daß neben der Fahne von Potempa die alte schwarzweißrote Fahne gleichberechtigt gezeigt werden
müsse.
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Kein Mensch in aller Welt findet sich in diesem Wirrwarr zurecht. Auch die SA. und SS. hat große Schwierigkeiten bei der Lösung dieses Problems. Darum laufen sie Sturm gegen alle Embleme des Reiches die irgendwie an den Staat der Freiheit und der Volksherrschaft erinnern. So verlangte die braunschweigische SA. von ihrem Ministerium, in dem neben dem verkrachten Mittelschulrektor und Ministerpräsidenten Dietrich Klagges der mit mangelhaftem Examen ausgerüstete Rechtsanwalt Alpers als Justizminister sitzt, trotzdem er an einer Reihe von Morden an wehrlosen Bürgern beteiligt war, daß die Amtsschilder der Reichsbehörden, die bekanntlich noch immer den rotbewehrten schwarzen Adler auf goldenem Grunde zeigen, schleunigst beseitigt werden müßten. Daraufhin hat der braunschweigische Ministerpräsident folgende Verlautbarung er
lassen:
" Aus nationalsozialistischen Kreisen sind in letter Zeit wieder Einwendungen gegen die Amtsschilder der Reichsbehörden, die den schwarzen, rot bewehrten Adler auf goldenem oder goldgelbem Untergrund zeigen, mit der Begründung vorgebracht worden, die Beibehaltung dieses Untergrundes bedeute eine Konzession an die Anhänger des bisherigen Systems.
Bereits im Vorjahre ist in einer durch das Reichsministerium des Inneren veranlaßten Pressemitteilung darauf als Reichshingewiesen worden, daß der Reichsadler wappen schon seit Jahrhunderten und insbesondere seit dem Jahre 1871 auf goldenem oder goldgelbem Grunde dargestellt werde und daß es daher nicht angängig sei, in der Beibehaltung der alten Amtsschilder eine Erinnerung an das Weimarer System zu erblicken. Es handelt sich somit bei dem goldgelben Untergrund im Wappenschild um eine alte Tradition, von der abzuweichen jedenfalls vorläufig kein Anlaß besteht."
Aber Herr Ministerpräsident! Warum denn so schüchtern? Warum denn so goldgelb? Sagten Sie früher nicht hühnereigelb dazu?
Zeit- Notizen
Bergner- Film in Rumänien verboten!
Der Bergner- Film ,, Katharina die Große " ist nun auch in Rumänien verboten worden. Der Zensor erklärte, daß königliche Personen im Film in einem ungünstigen Lichte gezeigt würden und daß daher der Film nicht freigegeben
werden könne...
dorf mit seiner Dienstmagd ein Liebesverhältnis unterhalten haben soll. Der Bürgermeister von Großhabers dorf legt Wert auf die Feststellung, daß der Berichterstatter in jener Verhandlung sich, allerdings unverständlich, gründlich verhört hat, und daß in der Verhandlung nicht das Wort Großhabersdorf , sondern Rehdorf gefallen ist. Der Bürgermeister von Großhabersdorf ist außerdem noch Ortsgruppenleiter der NSDAP . Wir möchten deshalb alle diejenigen, die die falsche Notiz in jenen Zeitungen gelesen ,, Akademie " für Rassen- und Gesundheitspflege haben, dringend bitten, in ihrem eigenen Interesse von unserer heutigen Notiz Kenntnis zu nehmen. Den Zeitungen jedoch möchten wir im Interesse der Wahrung des Ansehens unserer Bewegung nahelegen, bei der Auswahl derartiger Berichte mehr Vorsicht walten zu lassen. Der Vollständigkeit halber sei nämlich noch hinzugefügt, daß von dem betreffenden Berichterstatter Bindungen zu gleichgeschalteten Herrschaften des früheren Systems nicht ganz mit Unrecht vermutet werden, Bindungen, die einen Hieb auf den jetzigen Bürgermeister von Großhabersdorf nicht ungern gesehen
hätten."
Soll man das so verstehen, daß nicht der Bürgermeister von Großhabersdorf , sondern derjenige von Rehdorf es gewesen ist, der der lockenden Sünde wider das Blut erlag? Die verführerische Dienstmag hat, wie dem auch sei, einen Die verführerische Dienstmag hat, wie dem auch sei, einen hochgezüchteten Edelarier zu Fall gebracht, vielleicht als cine Delegierte der Weisen von Zion, die zwecks Vergiftung des deutschen Liebeslebens überall ihr Unwesen treiben.
Das sächsische Staatsministerium des Innern hat beschlossen, in Dresden eine Staatsakademie für Rassen- und Gesundheitspflege einzurichten, die am folgenden Samstag bereits eröffnet werden wird. Die Staatsakademie ist, wie der Lokal- Anzeiger" meldet, dazu berufen, die wichtigsten Lebensfragen des Volkes namentlich auf dem Gebiete der Rassenkunde, der Rassenhygiene, der Vererbungslehre und der Bevölkerungspolitik zu behandeln und zum Wissensgut aller Deutschen zu machen. Sie soll ein geistiges Kraftzentrum völkischen Lebens im ,, dritten Reich" werden... Mehr Geld für Propaganda
Vor den Intendanten des deutschen Rundfunks erklärte Göbbels , daß es ihm gelungen sei, für den Rundfunkhaushalt neue Geldmittel in erheblichem Umfange zur Verfügung zu stellen, die weit über das hinausgingen, was er schon zu Anfang dieses Jahres aufgewandt habe,