Deutsche   Stimmen Beilage sur Deutschen Freifieit" Ereignisse und Geschichten

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Mittwoch, den 18. April 1934

Heinrich George   in Braun

Die Wandlung eines Edelkommunisten

Heinrich George  , der deutsche   Schauspieler, war schon in jungen Jahren sehr beliebt. Aber die Shakespearesche These, daß Leibesfülle das Kennzeichen eines sanftmütigen Charak­ters sei, trifft auf ihn nicht zu. Er hat nicht nur auf der Bühne, der er eindrucksvolle Gestalten geschenkt hat, getobt und gebrüllt: Er war auch im Privatleben eine Nummer für sich: exaltiert und prügellustig. Regisseure und Bühnen­arbeiter haben häufig seine harte Hand zu spüren bekommen. Vor allem aber, er war unter den Edelkommunisten der deutschen   Bühnen einer der wildesten. Der Sowjetstern klebte düster und drohend an seiner Brust. Er hob die Faust zu ,, Rot Front" und wollte nach Rußland   gehen, um am Busen Moskaus   das in ihm zehrende heilige Feuer wahrer Kunst endlich zu löschen.

Heute ist er leidenschaftlicher Nationalsozialist. Der Funke ist nach der andern Seite gesprungen: von Lenin   zu Hitler  . Kürzlich gab er einer Mitarbeiterin des Völkischen Be­obachters" ein Interview anläßlich einer Tell"-Aufführung. Das aber muß man im Wortlaut lesen:

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,, Da ist die Bühne. Die seltsam aufreizende Kulissenluft, die gemischt zu sein scheint aus Staub, Leim, Pappe und dem Ewig- Unerklärlichen, umweht uns. Da stehen Tannenbäume, da leuchten die Matten von Uri, Felsen türmen sich auf in der Welt des schönen Scheins.

Heinrich George   rennt vorauf. Ein paar Minuten später sigen wir alle, in heimlicher Erwartung brennend, in der kleinen Garderobe.

Der Führer kommt... In wenigen Minuten muß er im Theater sein...!

Ist es möglich, daß ein einfaches Wort hundert Herzen aus dem gleichmäßigen Takt bringt? Wir sind seltsam beschwingt.

Was wollte ich eigentlich fragen? Ach, ja richtig... Aber George beginnt schon von selbst.

,, Ich will mit meinem Lebenslauf anfangen. Von Geburt bin ich Pommer...

Ja... es ging hoch her bei uns. Wir waren bei Ypern  , an der Marne  , in den Karpathen und in den Rokitno­Sümpfen... nun, lassen wir das heute. Der Krieg hatte ja auch ein Ende. Dann kam für mich Dresden  , später Berlin  , das Staatstheater und die Volksbühne."

, Welche Rollen haben Sie am liebsten gespielt?" Den Göt!"

,, Und was, Herr George, erhoffen Sie von der großen Wendung der Dinge? Was erwarten Sie für das Leben der Kunst von ihr?"

Da reißt Achaz, ohne anzuklopfen, die Tür auf und drei Worte nur fallen in den Raum, mit seinen Spiegeln, Kostümen und Schminkstiften...

,, Er ist da!!!"

Wie eine Fackel ist das. Die Unruhe wird stark hinter den

Kulissen. Stimmen klingen auf, Glockenzeichen gehen auf­geregt nach hinten. Lachen. Erregung wispert durch das Haus. Aber die Zeit drängt.

Ja..." George hebt den verlorengegangenen Faden

wieder auf.

,, Sehen Sie, ich komme eben von dem Schauspielertee bei Dr. Göbbels  . Da habe ich selbst zu dem Führer die Ansicht ausgesprochen, daß das Theater endlich aus der Front der Parteikämpfe herausgezogen werden mußte. Kunst muß deutsch   sein und bleiben. Das ist der Anfang und das Ende. Unser Theater war krank. Jent wird es gesunden.

Ich bin ein ewiger Optimist. Aber, ich glaube, berechtigter als heute war ich es nie. Eine solche Bewegung im Volk hat es noch nie gegeben und wird es in Menschheitsgedenken nicht wieder geben. Sie setzt neues Leben voraus. Und ich glaube unerschütterlich an das Theater, die Bewegung und- an Deutschland  !

Wir hatten keine Regisseure, keine Idee

kein Werk.

Jetzt haben wir alles. Großartiger, eindrucksreicher noch als das Theater spielt jetzt das Leben. Unsere Regisseure haben wir in Potsdam   und auf dem Tempelhofer Feld erlebt...

Ein Kind fragt

Von Georg Wilman

,, Sag mal, Vater, warum gibt es Krieg? Warum schlagen sich die Menschen tot? Warum schreien sie Hurra und Sieg?" Fragt das Kind. Jedoch der Vater schwieg. ,, Vater, sag mir, warum gibt es Not?

Warum müssen denn so viele leiden?

Warum müssen Kinder barfuß gehn? Warum können Du und ich uns kleiden Und die andern nicht? Sind wir denn Heiden, Daß wir alles das so ruhig ansehn?

Warum überhaupt gibts arm und reich? Warum haben viele nichts und andre viel? Sind denn nicht die Menschen alle gleich? Vater, hör doch, daß ich Antwort heisch! Vater, das ist Ernst! Das ist kein Spiel.

Vater, kann man das nicht anders machen? Hör doch, daß ich Antwort haben will! Kann man denn nicht ändern solche Sachen?" Doch der Vater blickte in die wachen, Hellen Augen seines Kindes

Ich sage Ihnen, ich habe eben erst, als ich in Magdeburg   Paul Scheffer  

gastierte, die deutschen   Feuer auf den Harzer Bergen durch die Nacht glühen sehen... Ich werde es nie vergessen. Ich habe mich gebeugt vor dem Leben, das zur Szene wurde, und vor der Szene, die Leben war...

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Also Heinrich George   und seine Ausfragerin. Früher war das Theater krank, sagt der große Mime. Es war so krank, daß Heinrich George Bombenrollen erhielt, die er mit Verve spielte. Jetzt erst wird es nach seiner These gesund.

Aber wir fürchten, daß ihm diese Gesundheit schlecht bekommen wird. Er sieht das braune. Leben ringsher als ,, Theater  " an, und die ,, Führer" in Potsdam   und auf dem Tempelhofer Feld das waren die Regisseure. Das ist eine tolle Respektlosigkeit gegenüber dem spontanen Aufbruch der Nation, denn nun ist auf einmal alles Theater, diese ,, Bewegung im Volk", die unseren George so hinreißt.

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Wir müssen dazu eine Anekdote erzählen nein, eine Sache, die Heinrich George   jüngst bei einem Ausbruch spontan theatralischer Begeisterung passiert ist. Vor einiger Zeit, ge­rade, als er den Tell" spielte, wurde er ans Mikrophon der Berliner   Funkstunde gerufen. Er sollte etwas von sich und seinen Eindrücken erzählen, und er tat es sprühend und überschwenglich. Zwar sei, so sagte er, das Theater nicht sehr gut besucht gewesen. Aber er sei entschädigt worden, denn die Anwesenheit des ,, Führers" habe ihn doppelt angespornt und beflügelt.

Seiltänzers Schicksal

und schwieg still...

Das nationalsozialistische Parteiorgan für das Ruhrgebiet  , die Westfälische Landeszeitung" befaßt sich mit dem Leit­artikel ,, Tu felix austria..." des eilfertig gleichgeschalteten neuen Chefredakteurs des Berliner Tageblatts", Herrn Paul Scheffer  . Das Naziblatt erklärt sich bereit, Herrn Scheffer einen Stoß Leitartikel aus verflossenen Zeiten um seine Löffel zu schlagen". Einen Kommentar zu den ,, inti­men" Erkenntnissen eines sich wahrscheinlich gleichgeschal­tet und ungehemmt fühlenden bürgerlichen Schreiberlings" hält das Blatt für überflüssig. Es will Scheffer, obwohl er sich so sehr bemüht, offenbar beseitigt wissen, denn er ruft: ,, Her mit dem Schriftleitergesetz!"

,, Mehr Mut, Herr Redakteur!"

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Die Pommersche Tagespost" veröffentlicht den Wortlaut eines ihr zugegangenen Briefes, in dem sich ein Leser über die deutsche Presse belustigt. Sehr geehrte Redaktion!" schreibt der Leser. Warum bringen Sie eigentlich neuer­dings nichts über die Hühnerzucht bei den Papua? Der Herr Propagandaminister hat doch selbst gesagt, daß die Presse ihre Meinung offen sagen soll. Also mehr Zivilcourage, meine Herren Redakteure! Ihr Abonnent..."

Ach, ich möchte vor meinem Führer einmal meine Lieb- Courths Mahler in Oesterreich  

lingsrolle, den Gög von Berlichingen, spielen dürfen," so fügte er mit vibrierender Stimme hinzu.

Zensur in aller Welt Beleidigung fremder Staatsoberhäupter

Das dritte Reich  " scheint in der letzten Zeit eine ganze Reihe von Vorstößen unternommen zu haben, um die Gegner des Naziregimes in ihrer Agitation zu behindern und einzu­schüchtern, ja, um ihre Tätigkeit in den Nachbarstaaten Deutschlands  , wenn möglich, überhaupt zu unterbinden. Und es muß gesagt werden, daß der Reichsregierung das in ver­schiedenen Fällen geglückt ist.

Symptomatisch hierfür ist der Fall Heinz Liepmann  , der wegen seines Romans ,, Vaterland" in Holland   zu vier Wochen Gefängnis verurteilt worden ist. Ein holländischer Reserve­offizier Brandenburg   hatte Liepmann   wegen Beleidigung des deutschen   Staatsoberhauptes, Reichspräsident Hindenburg  , in seinem Buche eingeklagt, und zwar wegen der Frage der Osthilfegelder, des Gutes Neudeck und der Berufung Hitlers  . Liepmann   anerbot sich, den Wahrheitsbeweis für seine Aus­führungen anzutreten. Sein Antrag wurde aber nicht ange­nommen ,,, weil nach internationalem Recht Staatsoberhäupter einer fremden Macht keiner diskreditierenden Handlung beschuldigt werden dürfen, auch wenn diese Handlung be­wiesen ist". So interessant dieser Fall an und für sich schon ist, er wird noch interessanter dadurch, daß Liepmann   nun auch in England durch einen hitlerfreundlichen Journalisten

wegen einer anderen Stelle seines Buches eingeklagt wird. Wohl auf einen direkten Vorstoß der deutschen   Regierung hin erfolgten die neuen Presseerlasse des Bundesrates in der Schweiz   und die fast gleichzeitige Rede des Außenministers Benesch in der Tschechoslowakei  .

Der schweizerische Presseerlaß ermöglicht die Verwarnung

Die von Humanität faselten.. Ein deutscher   Arzt lebt mit Lust in dieser Zeit

Das Aerzteblatt für Sachsen" schreibt in seinem ersten Heft von 1934: Die Einsteinsche Relativitätstheorie und die Freudsche Psychoanalyse sowie ihre Verkünder waren Kräfte jener Art, die an den Grundlagen unserer arisch- germanischen Kultur nagten wie der giftige geringelte Nidhögger an den Wurzeln der Weltesche Ygdrasil   in unserer tiefsinnigen Edda  ...

Wie die Nachtschatten und Fledermäuse vor der auf­gehenden Sonne flüchten und schwinden, so flüchten Scharen solcher Nachtgespenster wie Einstein, Kerr, Bernhardt, Isidor und andere bolschewistische Kulturmörder,

aus

Deutschland   und gingen ins feindliche Ausland, um dort den

Wir haben nichts mehr hinzuzufügen.

der Presseorgane, die durch besonders schwere Ausschrei­tungen die guten Beziehungen zu anderen Staaten gefähr­den". Bei Nichtbefolgung der Verwarnung kann ihr Er­scheinen durch den Bundesrat verboten werden. Andere Druckschriften können sofort vom Vertrieb ausgeschlossen oder eingezogen werden.

In seiner Rede vor den Außenausschüssen des tschechischen Parlaments erklärte Benesch, daß man niemals das Staats­oberhaupt einer fremden Macht angreifen solle, das für alle Völker und Staaten ein Symbol bedeute, und daß er gegen gewisse Kategorien von Injurien und Unrichtigkeiten pro­

testieren und intervenieren müsse.

Die Gleichzeitigkeit dieser beiden Erklärungen läßt fast mit Sicherheit darauf schließen, daß auf die schweizerische und die tschechische, und wahrscheinlich auch noch auf andere Regierungen von Deutschland   aus ein Druck erfolgt ist. Es ist dabei übrigens interessant festzustellen, daß z. B. die Schweizer Presse bei ihren Kommentaren zum bundesrät­lichen Erlaß die tschechische Parallele gar nicht erwähnte.

Haben diese Erlasse nur den Zweck, unnütze Beschimpfun. gen und Injurien zum Verschwinden zu bringen, wofür die Erläuterungen zum schweizerischen Bundeserlaß und Beneschs

in

Bemerkung, in anderen Staaten mache man das geschickter" sprechen, so kann ja nicht viel gegen sie eingewendet werden. Sollten sie aber zur Gefährdung der Pressefreiheit führen, so müßte energisch gegen sie Stellung genommen werden, bei aller Hochachtung für die Staatsoberhäupter fremder

H. A. Frei.

Krieg gegen Deutschland   und seine wahre Kultur mit, an­deren Mitteln fortzusetzen"! Daß nunmehr in unserem teuren Vaterland nur kerndeutsche Kultur und Wissenschaft rein und unverfälscht wachsen, blühen und gedeihen sollen, da­für hat unser Volkskanzler kerndeutsche Kultusminister ein­gesetzt, die ein scharfes Auge besigen und das Gewissen der deutschen   Nation wach halten werden! An unseren Universi­täten werden nur ernste Biologen Aufklärung verbreiten, unbeeinflußt von den lächerlichen, unhaltbaren Phrasen der sogenannten ,, Großen Französischen" Revolution und ihren Verfechtern, die ,, alles für gleich erklärten, was Menschen­antlity trägt",( bekanntlich ein Wort J. G. Fichtes!) die von Humanität faselten... Nein, dieser Nachtspuk ist im Hitler­Reich endgültig verschwunden und wir dürfen mit unserem herrlichen Ulrich von Hutten   sagen: Es ist eine Lust, in dieser Zeit zu leben"

Vor der Wiedereröffnung der Arbeiterbibliotheken in Oesterreich   hat der Staatskommissar für das Bibliotheks­wesen Kurse für die neuen Bibliothekare veranstaltet. Wie ein Sonderberichterstatter der Jüdischen   Telegrafen- Agentur aus gut informierter Quelle erfährt, wurde den neuen Bib­liothekaren die Instruktion erteilt, zahlreiche bisher in den Bibliotheken zum Ausleihen gestandene Werke Franz Wer­fels, Arthur Schnitzlers, Lion Feuchtwangers von der Ver­leihung auszuschließen. Hingegen wurden als für das Volk besonders empfehlenswerte literarische Werke die Romane der Courths Mahler  , Adlersfeld- Ballestrems und eben­falls als Volkslektüre das Buch des früheren Unterrichts­ministers Czermak ,, Ordnung in der Judenfrage", das einer rassenantisemitischen Lösung der Judenfrage das Wort redet, in das Verzeichnis aufgenommen.

Schirach oder Ferusalem?

Schirach oder Jerusalem  

das sind diesmal nicht etwa jüdische, sondern ernste arische Begriffe. Der gegen­wärtig wie nie in die Halme schießende Byzantinismus weiht den Hierarchen des neuen Staates auch viele Straßen. So sollte, wie die Basler ,, National- Zeitung" berichtet, auch der 28jährige Reichsjugendführer Baldur von Schirach   in Braun­ schweig   zu seiner Straße kommen. Was war natürlicher, daß die Jerusalemstraße dafür hätte verschwinden sollen. Aber die Braunschweiger Bürgerschaft setzt sich zur Wehr. Denn Jerusalem   heißt jene Straße nicht zu Ehren der jüdischen Hauptstadt, sondern des großen Menschenfreundes Pastor Jerusalem  , der vor etwa 50 Jahren in Braunschweig   wirkte und aus Schottland   stammte, wo die Familie unsprünglich Wessel hieß.

Zeit- Notizen

So singen sie!

In der neuesten Ausgabe einer SA.  - Liedersammlung be­findet sich folgendes Sturmlied 22- III- 140":, SA.- Sturm zweiundzwanzig marschiert ins Morgenrot, Wir fürchten nicht den Teufel und fürchten nicht den Tod! Die Ostmark zu befreien, Sieg Heil, Viktoria! Wolln wir das Leben weihen! Sieg Heil Viktoria! Wir werden nimmer rasten, SA.- Kame­raden, schwört, Bis daß die deutsche Ostmark dem Deutschen Reich gehört. Von den verdammten Polen  , Sieg Heil Vik toria! Wolln wir sie wieder holen, Sieg Heil, Viktoria! So steht Sturm zweiundzwanzig zum Freiheitskampf hereit. Gebt uns die Marschbefehle. mit Gott  ! frischauf zum Streit! Für Ostland kämpft und Danzig  , Sieg Heil, Viktoria! SA.. Sturm zweiundzwanzig, Sieg Heil, Viktoria!"

,, Groschenkarten"

Das Krefelder   Stadttheater gibt sogenannte Groschen­karten" aus, die wenig bemittelten Beziehern erhebliche Preisermäßigungen gewähren. In den Richtlinien der Theater­verwaltung für die Spielzeit 1934/35 wird als Vorbedingung für die Preisermäßigung gefordert: Der Antragsteller muß arischer Abstammung sein."