,, Deutsche Freiheit", Nummer 94
Das bunte Blatt
Die Trüffelschnitte
Als ich heute die kleine Konditorei betrat, um etwas Buttergebäck zum Abendtee zu besorgen, verließ den Laden gerade ein junger magerer Mensch, ohne Mantel trotz der Kälte, der offenbar eben ein längeres Gespräch mit dem Verkäufer beendet hatte. In dem weißbekleideten Konditorjüngling schien das eben Gehörte noch nachzuschwingen, denn während er mein Gebäck abwog und mit geübtem Nachdruc ein Plätzchen nach dem anderen in die Tüte schleuderte, um die Waage zum Nachgeben zu bringen, schüttelte er mitleidvoll das blondgelockte Haupt
„ Das ist ein Elend," seufzte er, vierzig Pfennige verdient der Mann in der Stunde als Malergeselle, und auch das nur drei Tage in der Woche."
,, Dann hat er also gerade eine Mark vierzig zum Leben am Tag." gab ich verständnisvoll zu bedenken, wenig genug für Wohnung, Kleidung und Essen."
" Ja, ja," nickte der Lockige betrübt,„ aber-" und dabei ging ein hoffnungsvolles Lächeln über sein pickliges Gesicht, „ trotzdem kauft er sich jeden Abend eine Trüffelschnitte für zwanzig Pfennig. Jeden Abend um halb sieben. Er geht sonst nirgends hin, in fein Kino, fein Theater, aber seine Trüffelschnitte muß er haben."
Der Lockige schien bereit, je nach Wunsch das verzeihlich zu finden oder mit mir in moralische Entrüstung auszubrechen. Aber ich enttäuschte ihn, ich äußerte nur ein undefinierbares„ So, so". zahlte und ging einigermaßen nachdenklich. Ich überlegte: da war also ein junger Mensch, der rund ein Siebentel seines Einkommens für Schledereten" verausgabte, wie der Moralist mit deutlicher Mißbilligung äußern würde Für zwanzig Pfennig fönnte er sich täglich ein Pfund Brot faufen, zweifellos, und bei einem Monatsetat von achtundreißig Mark vierzig blieb vermutlich nicht mehr als diese zwanzig Pfennig für das Abendbrot übrig, das er offenbar eben durch jene Trüffelschnitte ersezte. Ein merkwürdiger Asfet des Lurus also, bereit, sich Entbehrungen aufzuerlegen, um das unsinnige, aber vielleicht von Kindheit an gehegte Verlangen nach jener Trüffelschnitte befriedigen zu können, die für ihn das Symbol des Wohllebens und des unbefümmerten Lebensgenusses war. Wie heißt es in der Bibel? Der Mensch lebt nicht vom Brot allein! Allerdings ist dort nicht gerade an Trüffelschnitte gedacht, sondern an geistigere Güter. Aber trotzdem, auch diese Trüffelschnitte ist eine Art ideellen Gutes, eine Art Verheißung, der Abglanz einer besseren Welt, und
diese schon fast symbolische Trüffelschnitte gibt dem jungen Menschen Kraft und Mut, das graue Elend seines Alltags zu ertragen. Vielleicht ist er sie übrigens nicht einmal selber, sondern bringt sie seinem Mädchen als Liebesgabe mit, aber auch das änderte nichts, auch so gibt er sein Geld für eine Süßigkeit aus. Mögen die Sozialpolitiker und Nationalökonomen sagen was sie wollen, nichts ist so notwendig wie das Ueberflüssige. Und jeder Mensch braucht seine Trüffelschnitte notwendiger als das liebe Brot, ganz gleich welche Gestalt nun diese Trüffelschnitte annimmt. Und wer noch den unbekümmerten Heroismus aufbringt, sich diese Trüffelschnitte zu leisten, obwohl oder gerade weil er sie sich nicht leisten kann, der ist noch nicht ganz verarmt, auch wenn er Hunger leidet. Die großen Fürsten und Herren früherer Zeiten haben das besser gewußt und verstanden als wir. Sie waren unbedenkliche, aber praftische Psychologen. Sie ließen ihre Untertanen vielleicht in Hunger und Elend verkommen, um sich für die erpreßten Groschen der Armen ein Luftschloß zu bauen oder unerhörte Feste zu feiern, aber dafür gaben sie den armen Teufeln ab und zu die Trüffelschnitte in ungeheurer Dimension, ein märchenhaftes Schlaraffenland mit Saufen und Fressen, wo ganze Ochsen am Spieß für jeden Hungrigen bereit waren und Wein in Strömen aus den Brunnen floß, genug, um ein ganzes Jahr des Elends vergessen zu machen. Wie dürftig und phantasielos wirkt dagegen das soziale Unrecht von heute in der fümmerlichen Maske ernster Sorge um das allgemeine, Wohl. Wenn man schon gewissenlos genug ist, nicht für das tägliche Brot zu sorgen, sollte man wenigstens die Trüffelschnitte nicht vergeffen. Uebrigens bin ich natürlich auch durchaus Ihrer Meinung, Herr Generaldirektor, daß die Tarife der Arbeiter noch immer viel zu hoch sind. Die Leute treiben einen unverantwortlichen Lurus, kaufen sich Trüffelschnitte, während die Wirtschaft an den übersteigerten Löhnen zugrunde geht und auf die Großmut des Staates angewiesen ist. Unerhört, unerhört sowas!
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Dienstag, 24. April 1981
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Hunger im Salpetergebiet
In Chile hungert ein Großteil der Bevölkerung. Nach der großen Revolution vor etwa zwei Jahren ist das Land noch immer nicht zur Beruhigung gefommen. Aber keine Revolution fann einem Land Brot bringen, dessen einziger Reichtum der Salpeter ist.
Das Salpetergebiet Chiles , das die einzigen abbauwürdigen Salpeterlager der Welt aufweist, umfaßt eine Fläche, die etwa 800 kilometer lang und stellenweise bis zu 50 Kilometer breit ist. Diese Zone, die der Chilene Pampa nennt, liegt zum größten Teil auf den Hängen der mittleren Anden in einer Höhe von 900 bis 2000 Meter über dem Meere, aber auch selbst in Höhen von 4000 Meter wird noch Salpeter gefunden. Als Entdecker der Salpeterlager Chiles gilt der Naturforscher Thadäus Hänke, der in Bolivien ansässig war und 1809 nach eigenen Plänen die erste Salpetersiederei errichtete. Aber erst um 1830 hat man den Natronsalpeter als ganz vorzügliches Düngemittel erkannt, das seither in riefigen Mengen nach Europa verschifft wird. In den jetzt be= stehenden 160 Fabriken, die rund 65 000 Arbeiter beschäftigen, steckt ein Kapital von annähernd 500 Millionen Dollar; die Jahresproduktion bewegte sich um 3 000 000 Tonnen.
Es ist ganz natürlich, daß die Weltwirtschaftskrise mit der finfenden Kauftraft der Völker auch auf den Geschäftsgang der Salpeterindustrie ungünstig einwirft. Sie trägt aber feineswegs die Hauptschuld an jener Krise, die augenblicklich ganz Chile erschüttert. Eine andere, weit ernstere Ursache ist die Entdeckung des Verfahrens zur Herstellung von fünstlichem Stickstoff aus der Luft, durch die dem Chilesalpeter eine gefährliche Konkurrenz erwachsen ist. Nicht weniger bedeutsam für die revolutionäre Stimmung des Landes ist aber auch die Tatsache, daß die Methoden der Gewinnung und Verarbeitung des Salpeters in den letzten Jahren immer weiter verbessert worden sind: diese Verbesserungen laufen nämlich letzten Endes auf eine immer stärkere Mechanisierung der Arbeit hinaus. Der auf die Straße geworfene Arbeiter ist plöglich überflüssig geworden im Wirtschaftsleben und rebelliert... MTP.
Aber, wie ich mit Erstaunen sehe, bin ich sehr gegen Mit sechs Unzen um ein Mädchen
meine Absicht- im besten Zuge, hier eine Apologie für Hitler zu liefern. Nur daß dessen„ Trüffelschnitte" sozusagen jedes materiellen Nährwertes entbehrt. Oder sollten doch schon Feuerwerke pyrotechnische und rhetorische-, verbunden mit Auf- und Fackelzügen, Paraden und Demonstrationen den Hungrigen genügen?
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Gehirnoperation mit Kurzwellen
Aufsehenerregende Versuche in Wien
Im Wiener Psychologischen Institut berichtete Professor Scheminsky dieser Tage von Aufsehen erregenden Versuchen, die er seit einiger Zeit an Tieren vornimmt, um die Wirfung von Kurzwellen auf das Gehirn festzustellen. Besonders interessant waren seine Demonstrationen an einem lebenden Huhn.
Läßt man durch das Gehirn des Huhns Kurzwellenströme hindurchgehen, so wird die Tätigkeit dieses Organs sofort ausgeschaltet, als ob es durch einen Eingriff entfernt worden wäre. Es handelt sich hier also um eine Operation ohne Messer, ohne Blutverlust und ohne Wunde. In dem Augenblick, als das unsichtbare Instrument in Wirfjamfeit tritt, verliert das Versuchshuhn jedes Bewußtsein. Es bleibt regungslos, wie versteinert, stehen, seine Willensimpulse find ausgeschaltet und es reagiert nur noch durch unwillkür liche Reflegbewegungen.
Man kann dem Huhn mit dem„ weggezauberten" Gehirn das schmackhafteste Futter vorsezen: es macht keine Miene, auch nur ein Körnchen aufzupicken. Man muß es fünstlich füttern und tränken. Merkwürdig ist sein Verhalten, wenn man es auf den Rücken legt. Dann meldet sich reflerartig das gestörte Gleichgewicht. Das Tier ist sofort wieder auf den Beinen und verharrt weiter regungslos in dieser Stellung.
Marconis elektrisches Messer"
In Chelmford wurde vor einer Gesellschaft von Aerzten und Gelehrten ein neuartiges Instrument vorgeführt, das von Marconi und seinen Mitarbeitern zu chirurgischen 3mecken konstruiert wurde, und das unblutige Operationen mit Hilfe von Kurzwellen ermöglicht. Dieses elektrische
Clerc.
Messer" ist eigentlich ein Stäbchen ohne Schneide, das mit einer Kurzwellen- Apparatur verbunden ist. Wird es zum Beispiel an ein Stück Fleisch herangeführt, das auf einer Metallplatte ruht, und der Stromfreis geschlossen, so fann man mit virtuoser Sicherheit das Fleisch entzweischneiden.
London , 22. April. In North Shields in England wurde der Kampf zweier Borer um die Gunst eines Mädchens nach allen Regeln des Faustkampfes im Ringe entschieden. 3wei Malthefer, Joe Nicholo und Emanuel Philipps, beschlossen, die Konkurrenz um ein von beiden geliebtes Mädchen ein für allemal durch sportliche Entscheidung aus der Welt zu schaffen. Mit sechs Unzen Handschuhen und harten Bandagen trugen sie diesen Kampf um ihr ferneres Leben aus, während das Streitobjekt mit liebenden Augen im Zuschauerraum saß und interessiert den Kampf verfolgte. Die Polizei machte zuerst Einwände, aber der Manager versicherte den Beamten, daß behördlicherseits fein Grund zum Einschreiten vorlag. Als die beiden Rivalen den Ring betraten, sah man, daß Emanuel den kleinen Joe um Haupteslänge überragte. Und das Glück schien sich auch zu Anfang dem Mann mit der langen Reichweite zuzuwenden. Doch der kleine Joe fonnte sich im Laufe des Kampfes durchsetzen und den Langen nach Punkten besiegen. Emanuel Phillipps nahm die Entscheidung an und wird Trauzeuge bei dem jungen Ehepaare MTP. sein.
Eine glatte, trockene Schnittfläche bleibt zurück, kein Tropfen Eine Frau schlägt Jack Dempsey K. o.
Blut geht verloren.
Wenn auch die Erfindung im Prinzip nicht neu ist, so wurde sie doch von Marconi zu einer bisher ungekannten Vollkommenheit entwickelt. Das Geheimnis ihrer Wirksam feit besteht darin, daß der Zauberstab eine mit Hochspannungsstrom geladene Elektrode darstellt. Beim Schließen des Stromkreises entwickelt sich eine solche Hize, daß die Zellen, die sie berührt, radikal getötet werden. Die Blutgefäße ziehen sich unter der Einwirkung des Stabes zusammen und werden gewissermaßen versiegelt. Ein beson derer Wert dieses Verfahrens liegt darin, daß nach der Operation an der amputierten Stelle keine lebenden Zellen zurückbleiben, die den Verlauf der Heilung gefährden könnten. Geschwüre. Wucherungen usw. fönnen vom Arzt mit dem ,, elektrischen Messer" entfernt werden, ohne daß die Gefahr einer Infektion eintreten kann.
Der„ Flohtöter"
Außer dieser Erfindung ist Marconi vor furzem noch mit einem anderen Heilapparat vor die Oeffentlichkeit getreten. Er beruht auf dem Prinzip, daß man mit Hilfe von UltraKurzwellen im Körper fünstliches Fieber erzeugen kann. Marconis Flohtöter", wie ihn die englischen Aerzte in humoristischer Weise nennen, soll imstande sein, Bazillen im franfen Organismus abzutöten. Der Apparat wird gegen wärtig in einer Reihe von Kliniken erprobt.
Die große Krise hat auch das Vermögen des ehemaligen Weltmeisters Jack Dempsey schwinden lassen. Er mußte sich wieder bequemen, in den Ring zu steigen, und da er nicht mehr der jüngste ist, fann er auch nicht mehr gegen die großen Kanonen antreten. Der Ex- Champion der Welt muß froh sein, in irgendwelchen mittleren und kleinen Städten Amerifas, bei kleinen Börsen, mäßigen Partnern gegenübergestellt zu werden. Jetzt stand er in Alexandria , einer fleinen Stadt im Norden der Vereinigten Staaten , dem Borer Plumer gegenüber. Der Schiedsrichter war nicht energisch genug, um darauf zu achten, daß dieser Kampf in aller Fairneß geführt wurde. Plumer gelang es, den ErChampion in der siebenten Runde für furze Zeit zu Boden zu bringen, aber diese Zeit nutte er aus, um dem Gegner cinige Fußtritte zu verabfolgen. Dempsey sprang auf, ein Wort gab das andere, der alte müde Kämpfer wurde wieder zum Löwen und mit ein paar wohlgezielten upper- cuts war der Abend für Plumer beendet. Nicht aber für seine Frau, die am Ring jaß. Ohne daß es jemand verhindern konnte, sprang fie in den Ring und ging wie eine Furie auf Jad Dempsey los, zerriß ihm das Trifot, raufte ihm die Haare und der große Jack fonnte nichts anderes tun, als ins Publifum zu flüchten, um der wütenden Amazone zu entgehen. Nun drohte der Kampf zwischen dem Schiedsrichter und der Gattin des Borers Plumer weiterzutoben, aber diesem weit weniger fräftigen Mann gelang es schließlich, die Dame aus dem Ring zu heben und Jack Dempsen unter dem Heulen der Zuschauermenge zum Sieger zu erklären.
Ein unfreiwilliger fakir
Zwei Operationsnadeln 23 Jahre im Körper
Vor dem Zivillandgericht in Wien ist seit fünf Jahren ein Prozeß anhängig, den der Vertreter Alfred Vollrath gegen den Krantenanstaltsfonds angestrengt hat. Dieser Prozeß, der bereits alle Instanzen durchlaufen hat, muß jezt neuerlich in erster Instanz durchgeführt werden, ohne daß es wohl gelingen wird, die Frage zu lösen, wie ein Mensch 23 Jahre lang mit zwei spizen Nadeln im Leib zu leben vermag.
Vollrath wurde 1910 in einem Wiener Krankenhaus einer Blinddarmoperation unterzogen und fühlte von diesem Zeitpunft ab immer wieder Beschwerden, ohne daß es gelungen wäre, die Ursache dieses Uebels festzustellen. Erst eine im Jahre 1929, also nach 19 Jahren, durchgeführte Röntgenuntersuchung brachte das überraschende Ergebnis, daß Vollrath in seinem Körper eine einen Zentimeter und eine zwei Zentimeter lange Operationsnadel beherberge.
1 gelangt sein müssen ,, daß jedoch die behaupteten Beschwerden nur zum Teil auf diese Fremdkörper zurückgeführt werden fönnten. Der Prozeß wurde weiter vertagt. Inzwischen hat sich Vollrath entschlossen, zum Zwecke der Entfernung der Nadeln eine neuerliche Operation vornehmen zu lassen.
Vollrath behauptete nun, daß diese beiden Nadeln aus Un= achtsamkeit bei der seinerzeitigen Operation in seinen Körachtsamkeit bei der seinerzeitigen Operation in seinen Kör per gelangt waren und begehrt 5000 Schilling( 5000 Zloty) Schmerzensgeld, 5000 Schilling Verdienstentgang und eine monatliche Rente von 150 Schilling( 150 Zloty). Der Kläger will in den letzten Jahren durch die verursachten Beschwerden außerstande gewesen sein, seinem Vertreterberuf, der ihn ständig auf den Beinen hält, nachzukommen.
Die beklagten. Krankenanstalten bestritten jede Schuld und gaben sogar der Meinung Ausdruck, daß der Kläger die Nadeln verschluckt haben müßte. In den ersten Instanzen wurde dann auch die Klage abgewiesen, erst der Oberste Gerichts hof ordnete eine nochmalige Durchführung des Beweisver fahrens an. In dieser Revisionsverhandlung erklärte der medizinische Sachverständige Prof. Dr. Stejskal, daß die Nadeln wohl bei der Operation in den Körper des Patienten
Flaschensammlung zu versteigern
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Menschen gibt's, die sich verrammeln hinter eigenartigen Schäßen, und die nichts als Flaschen sammeln, die sie auf Regale sezen." In Paris wird jetzt eine der fomischsten Sammlungen der Welt, eine Sammlung von Gläsern und Flaschen zur Versteigerung fommen. Es wird wohl faum jemand wissen, welche, seltsamen Formen Flaschen haben können. Bei der Vorbesichtigung konnte man neben kostbaren Kristallflaschen vor allem Monarchenbüsten, Frauenporträts und Denkmäler bewundern. Recht sinnig ist bei den meisten Büsten, daß die Köpfe als Pfropfen gedacht sind und abnehm bar sind. Bei Napoleon kann man aus dem Hut trinken, bei Julius Cäsar hingegen dient der hohle Kopf als Glas und der übrige Körper als Flasche. Das seltsamste aber ist, daß der Auktionator auf hohe Preise hofft, da viele dieser Flaschen einmalig sein sollen.