beleidigimg angeklagt, und wurde auch nach nichtöffentlicher Ver-' Handlung zu zwei Monaten Gefmigmß verurtheilt. Der Thatbestand ist nach der„Hart. Ztg." ungefähr folgender: Ende Juni des Jahres lö9S kam die Angeklagte in die Behausung des Besitzers Gronwald, woselbst sie noch andere Personen anwesend fand. Das Gespräch lenkte stch auf die hohen Tagelöhne, welche die Besitzer letzt ihren Arbeitsleuten zahlen müßten, und als Ursache dessen wurde die Agitation der Sozialdemokratie bezeichnet. Dem wider- sprach die Graap, bezeichnete vielmehr die Sozialdemokraten als die Anwälte der arbeitenden und armen Bevölkerung. Ohne die Sozialdemokraten würde es de» Armen noch viel schlechter ergehen. Und hierbei äußerte die in Rage gerathene Fran auch die Majestätsbeleidigung. Nach langer Zeit fand sich ein Denunziant, der die Frau bei der Staatsanwaltschaft und somit dem Gefängniß überlieferte.— Wegen Majestätsbeleidigung war vor mehreren Monaten der Gast- wirth Rösler aus Wittowo von der Strafkammer in Gnese» zu drei Monaten Gefängniß verurtheilt worden. Auf die angemeldete Revision des Berurtheilten hob das Reichsgericht das Urlheil anf und verwies die Sache an das Landgericht in Posen. Ter Angeklagte hatte in der Haupt- Verhandlung zu seiner Entschuldigung angeführt, daß er bei dem, unter Anklage stehenden Vorgange sinnlos betrunken gewesen sei. lnsch habe er bereits einen Anfall von delmuni tremens gehabt Hierüber halte er eine» Arzt zu vernehmen beantragt, was aber vom Gericht abgelehnt worden war. Hierin erblickte das Reichs- gericht eine Beschränkung der Vertheidigung, welche zur Aushebung des Urtheils führen mußte. Heute wurde nun Rösler nach Ver- nehmung von achtzehn Zeugen und drei ärztlichen Sachverstäudigen freigesprochen. •• Deutsches Reich . — Da« Standesamt als Agitationsstätte fs-r k i r ch l i ch e Handlungen. Der mehrerwähnte, an den Ober° Präsidenten und den Regierungspräsidenten zu Sigmaringen ge- richtete, vom 5. März d. I. datirte Erlab des Justizministers und des Ministers des Innern über die Ergänzung der Formulare zu Bescheinigungen über Aufgebote, Eheschließungen und Geburts- Urkunden lautet: Einer Anregung von kirchlicher Seite gern entsprechend, ordnen wir nach Benehmen mit dem Reichs- amt des Innern und dem Reichs- Justizamt hiermit an, daß 1. die Vorschrift des Z 82 des Persouenstauds- Gesetzes vom S. Februar 1875 auf den Formulare» zu Bescheinigungen über das angeordnete Aufgebot, über die Eheschließung und zum Zweck« der Taufe durch Abdruck ihres Wortlautes am Fußende der Formulare in Erinnerung zu bringen ist, 2. die Standesbeamten bei Aufnahme der Verhandlungen über Aufgebote, Eheschließungen und Geburten die Betheiligten auf ihre kirchlichen Verpflichtungen hinzuweisen haben. Hiernach wollen Sie das weitere veranlassen; die Ergänzung der Formulare hat erst bei ihrem Neudruck zu erfolgen. Am liebsten würde man die Zivilehe ganz abschaffen.— — R e i ch s t a g s- K a n d i d a t u r e n. In Königsberg stellen die Nationalliberalen die Landtags-Abgeordneten Dr. Krause auf. In Wiesbaden II kandidirt die freisinnige Volkspartei den Landtags- Abgeordneten Wintermeycr, die freisinnige Vereinigung hat denLandes- gerichtsrath Dave in Aussicht genommen, die Konservativen scheine» auf eine Kandidatur verzichten zu wollen.— Liebcnwerda, 12. April. Bei der R e i ch s t a g s- S t i ch- wähl im Wahlkreise Lieben werda-Torgau am 3. d. M wurde nach amtlicher Feststellung Prediger emer. K n ö r ck e« Zehlendors(freisinnige Volkspartei)»>it 9467 von 16 342 abgegebene» Stimmen gewählt. Generalarzt a. D. Dr. B u s s e» i u s- Torgau(deutsche Reichspartei) erhielt 6875 Stimme». Unter der Flagge, die Herr v. Stumm hochhält, zu kandidiren, ist ein Pech, das auch nicht gelindert wird, wenn der Oeberste des Bundes der Landwirlhe snr den Kandidaten eintritt. Die Wahl fand statt unter dem Eindrucke der Zentenarfeier und der Mariuefordcrungcn. Daß gerade da ein Kandidat, der die Opposition vertritt, gegen einen Kandidaten, der sonst alle Vor- theile für sich hatte, gewählt wurde, ist eine sehr lehrreiche That- fache. Werden diejenigen die Lehr« beherzigen, für die sie über- raschend kommt?— — Armer Stumm! Nicht einmal der regiernugsfromme „Hamburger Korrespondent" glaubt mehr an seine Arbeiter- sre undlichkeit. Das Blatt schreibt: Frhr. v. Stumm veröffentlicht in der„Post" eine Erklärung über seine Stellung zu der Resolution Hertling u. Gen. betreffend Ausdehnung der Arbeiterschutz- Vorschriften auf das Handels- gewerbe, die de» Hauptpunkt sorgfällig»»igeht. Daß Herr v. Stumm ebenso wie die Konservativen für den ersten Absatz der Resolution gestimmt hat, wonach die Regierungen die Frage. ob und inwieweit in der bisherigen Richtung vorzugehen ist. er- örtern sollen, war völlig selbstverständlich. Dagegen hat Herr v. Stumm gegen den zweiten allein streitigen Absatz der Resolution gestimmt, der die Vorlegung eines entsprechenden Gesetzentwurfs verlangt. Ohne diese Aufforderung hatte der Antrag nur eine platonische Bedeutung. — AnhängerdersozialkouservativenRichtung. welche in der weiteren Oeffentlichkeit durch Namen wie Berlepsch, Rottenburg , Hintzpeter, Massow zc. vertreten wird, beabsichtigen, sich ein eigenes Organ zu schaffen, und zwar ist zunächst die Gründung bezw. der Erwerb eines Wochenblattes ins Auge gefaßt worden. Wie die„Welt am Montag" hört, steht die Realistrung de? Planes schon in allernächster Zeit bevor. Es handelt sich wohl um den Ankauf der„Welt am Montag", welches Blatt seit Monaten zum Kaufe ausgeboten war.— — Zweihundert Mann vom Eisen bah n-Regi- m e n t werden demnächst behufs Ausführung der Arbeiten an der neuen Eisenbahnstrecke Liegnitz-Rawitsch-Kobylin nach R a w i t s ch ausrücken und dortzunächst an zwei Tage» Privat- quartiere beziehen. Im nächsten Monat sollen dann noch etwa 666 Mann der Eisenbahn-Brigade zu gleichem Zwecke auf längere Zeit sich nach dort begeben. Auf diese Weise wird also die Truppen- Abtheilung für d i e unternehmende Banfirma Lenz u. Co.-Stettin Eisenbahn-Arbeiten ausführen, wodurch min- bestens einer gleichen Anzahl freier Arbeiter die Möglichkeit genommen wird, bei dem Bah«bau ihren Unterhalt zu finden.— Die Soldaten mit Steuer- geldern erhalten, durch sie Arbeite» ausführen lassen, wobei die Verdienstgelegenheit für die Steuerzahler vermindert wird, ist eine eigenartige Sozialpolitik und schafft dem Militarismus sicherlich keine Freunde.— Kiel, II. April.(Eig. Ber.) Die Denunziation der National- liberalen gegen den Pastor Paulsen ans Hellewett wegen seiner Festpredigt aus Anlaß der Zentenarfeier am 21. März(siehe Nr. 80 des„Vorwärts" unter Kiel ) scheint jetzt die Behörden zur Ein- leituug einer Untersuchung gegen den Pastor Paulsen bewogen zu haben. Ende dieser Woche haben nämlich der Landrath des Kreises Apenrade und der Kreisschulinfpektor eine Anzahl Personen in dieser Sache vernommen. Es wäre aber auch zu schrecklich, wenn ein Pastor über Wilhelm I. anderer Meinung wäre. alS sie oben herrscht, und dieser Meinung auch Ausdruck giebt.— — Die sächsische Regierung und die Umsatz- st e u e r. Wie das„Dresdener Journ." von zuständiger Seite er- fährt, ist von der sächsischen Regierung eine endgiltige Entscheidung über die Belastung der Konsumvereine mit einer Umsatzsteuer noch nicht erfolgt. Nach den„Chemnitzer Neuesten Nachrichten" Nr. 77 soll in jener Sitzung Oberbürgermeister Dr. Beck erklärt haben: „Es liege jetzt eine neuerliche Kundgebung des Ministeriums vor, wonach die Einführnng von Umsatzsteuer», weil unberechenbar in ihren Wirkungen, alS nicht geboten angesehen werde." Wie viel Meinungen hat die sächsische Regierung über die Umsatzsteuer? — Der Großherzog Friedrich Franz III. von Mecklenburg- Schwerin ist Sonnabend Abend 8 Uhr 40 Min. in Cannes an Herzläbmung verschieden. Für de» noch nicht voll- jährigen Erben tritt Herzog Johann Albrecht, der durch sein Interesse für die Kolonialpolitik bekannte Bruder des Verstorbenen, die Regentschaft an.— — Die Errichtung eines selbständigen Fabrik- inspektorats für Sachsen-Koburg-Gotha ist vom Landtage»in- stimmig beschloffen worden.— —„Wenn man in Berlin wüßte," so schreibt der „Germania " ein Mitarbeiter in Bayern ,„wie schwer verletzt man bei uns durch gewiffe Vorkommnisse ist, so würde nian sich sorg- fällig vor Taktlosigkeiten hüten. So ist man zur Zeit sehr erregt, daß eine Berliner Behörde i» Schreiben an Reichstags-Abgeordnete — es handelt sich um die Mittheilung, daß ihnen die Zentenar- medaille verliehen sei, statt die Bezeichnung Königreich Bayern zu benützen, das Wort Provinz stehen ließ, das für die Herren in Preußen vorgedruckl war, so daß zu lesen war: Provinz Bayern . Wir sind nun der felsenfesten Ueberzeuguna, daß kein Mensch dabei eine Absicht hatte, sondern daß der betreffende Schreiber einfach aus Bequemlichkeit die Aendernng unterließ. Wie hier aber die Sacke aufgefaßt wird, davon kann man sich in jedem öffentlichen Lokal überzeugen, und dabei ist die Entrüstung bis oben hinauf zu finden. Viel taktloser als die, er Flüchtigkeitsfehler erscheint uns die Schmückung einer Kaserne in Münster am 22. März mit Tafeln. auf denen die Schlacht bei Kissingen als von den Preußen ge- wonnen aufgeführt wird. Wir dächten, daß das betreffende Re- ginient wohl eine stattliche Anzahl von Schlacht« und Siegeslagen aufzuweisen hat, vielleicht rühmlickere, als die Kissinger Schlacht, weshalb man leicht die Enipfindlichkeit anderer Leute schonen könnte, besonders wenn der zweitgrößte Bundesstaat in Frage steht. Wie peinlich würde man solches in Berlin empfinde»? Auf solche Weise tritt immer wieder alles in den Hintergrund, was möglicherweise von anderer Seite gut gemacht wurde. Wer die thatsächliche Stimmung des Volkes kennt, der ist weit entfernt, zu behaupte», daß die Gefühle der Bayern den Preußen sehr sreundschaftliche sind. Schuld daran sind nicht wir, sondern die Preußen selbst."— — Dr. W. W e n d l a n d t, Generalsekretär de ?„Bundes der Industriellen", schreibt uns mit Berufung auf das Preß- gesetz mit bezug auf unsere Korrespondenz aus Nürnberg in Nr. 84 des„Vorwärts": In Nr. 84 des„Vorwärts" und Nr. 85 der„Freisinnigen Ztg." ist ein Bericht über die i» Nürnberg am 6. ds. Mts. erfolgte Kon- stituirung eines BezirksvereiuS Nürnberg- Fürth des„Bundes der Industriellen" enthalte», i» welchem unter anderem behauptet wird, daß ich in meinem dortigen Bortrag gesagt hätte, der„Bund der Industriellen " sei aus der Freisinnigen Vereinigung hervor- gegangen; er beabsichtige bei Ablauf der Handelsverträge 1903 einen „Coup", nach welchem de» Industriellen bedeutende Bortheile bevor- ständen. Hierauf habe ich z» erwidern: I. Es ist nicht wahr, daß ich gesagt habe, der Bund der Industriellen fei aus der Freisinnigen Vereinigung hervorgegangen; vielmehr habe ich die Behauptung eiueS Nürnberger Blattes, daß die Bestrebungen des Bundes mit denen der Freisinnigen Vereinigung identisch seien, eingehend durch den Nachweis widerlegt, daß der Bund der Industriellen jeglicher Parteipolilik fern stehe. 2. Es ist nicht wahr, daß ich gesagt haben soll, der Bund„de- absichtige eine» Conp bei Ablauf der Handelsverträge 1903", viel- mehr habe ich ausgeführt, daß der Bund das einschlägige Material aus alle» Branchen der Industrie für die künftige Gestaltung des deutschen Generaltariss öffentlich einzusammeln und der Regierung für die bevorstehende Revision des Generaltarifs einzureichen be- absichtige. Es ist nicht wahr, daß ich gesagt haben soll, die österreichischen Industriellen hätten ihren Haudelsininifter windelweich geschlagen z ich habe überhaupt nicht vom österreichischen Handel.sminifter, son- der» vom Eisenbahnminister gesprochen und zuni Beweise, wie man es nicht machen solle, ausgeführt, daß die österreichische» Industrielle» gegen ihren Eisenbahnminister theilweise in einer Form vorgingen, als ob sie ihn windelweich schlagen wollten. 4. Es ist völlig erfunden, daß ich dem Minister v. Bötticher die Worte in de» Mund gelegt haben soll:„Ich weiß es, die Industrie muß entlastet werden, aber jetzt geht es noch nicht." Bei Besprechung der Arbeiterversicherungs-Gesctze war lediglich von einer Berein- fachung und Vereinigung der den Industriellen auferlegten versichernngStechnischen Arbeilen die Siede, nicht aber von einer Verminderung der gesetzlichen Fürsorge für die Arbeiter. Auch ist der Name des Herrn von Bötlicher von mir in diesem Zu- sammenhange garnicht erwähnt worden. 5. Es ist unrichtig, daß ich gesagt haben soll, der„Bund der Landwirthe" sei lediglich zu politischen Zwecken gegründet worden. vielmehr habe ich den„Bund der Landwirthe" als einen seinem Ur- spruuge nach rein wirthschafllichen Verein bezeichnet, der sich durch Verfolgung von parteipolitischen Zwicken in der Folge selbst ge- schadet habe." So leicht eS wäre, auf die Schwächen der Wendlandt'schen Berichtigung schon auf grund ihres Wortlautes einzugehen, so wollen wir doch erst die Darlegung unseres mit uns seit lauger Zeit in Beziehung stehenden und uns als durchaus vertrauenswürdig be- kannten Korrespondenten abwarten.— Oesterreich. — Selbstmorde im Heere. Laut der seht erschienenen amtlichen Statistik über das Jahr 1895 betrug der Gesammtfiand des.österreichisch -ungarischen Heeresj in diesimj Jahre 282 562 Man». Unter diesen kamen 247 Selbstmorde und 82 Selbstmordversuche vor. Die amtliche Statistik weist sehr charakteristische Daten auf. So ereigneten sich die m e i st e n S e l b st m o r d e bei den Rekruten. Im Monat Oktober wurden 26 Selbstmorde verübt. Anf den Monat November, wo der Rekrut nach einigen Wochen Kasernen- leben am erbittertsten ist, fielen die meisten Selbstmorde, nämlich 35. Der überwiegende Theil der Selbstmorde wird in de» erbst- und Wintermonaten verübt, während die Soldaten in der aserne beschäftigt sind. Im Frühling, während der einzelnen Uebungs- Märsche und Exerzitien im Freien scheint sich die Unzufriedenheit der Soldaten zu lindern, denn wir sehen, daß. während im April die Zahl der Selbstmorde noch 25 betrug, diese im Mai nur mehr 15 beträgt. In, Juni und Juli sinkt diese Zahl noch tiefer herab, in den Tagen der an- strengende» große» Manöver steigt sie plötzlich auf 21, im September be- trägt sie 8, uin alsdann, wie wir schon sahen, im Oktober aus 26 über- zugehen. Das größte Kontingent anSelbstmorden weiftdaszweiteKorps (Wien ) auf: hier wurden 35 Selbstmorde verübt, während beim Krakauer Korps die Zahl der verübten Selbstmorde 29 beträgt. In bezug aus die Truppenkörper finden wir selbstverständlich die größte Anzahl bei der Infanterie, 144, Kavallerie 46, Artillerie 16, Jäger 13, bei den bosnisch -herzegowinischen Bataillonen 2. 170 machten ihrem Leben durch Waffengewalt ein Ende, 61 haben sich erhenkt. Interesse erregen noch folgende Daten: Das Motiv ist nur von 151 Selbstmorden und 58 Selbstmordversuchen bekannt. Und zwar war das Motiv bei 53 Fällen Furcht vor der Strafe(20 Versuch«), bei 85 Fällen Ueberdruß des Dienstes, bei 16 Fällen unglückliche Liebe(?). bei 13 Fällen Familienverhältnisse, bei 10 Fällen Geistes- störung oder Unzurechuuugsfähigkeit, bei 7 Fällen schlechte BeHand- lung, bei 4 Fällen Geldkalamitäten, bei je 6 Fällen Lebensüberdruß und Heimweh, in einem Falle körperliches Leiden. Das Motiv der übrigen ist uubekannt. Man kann also sagen, daß jährlich eine Kompagnie Soldaten(KriegSstand) an Selbstmord zu gründe geht. �rallkreich, Paris , 10. April. (Eig. Ber.) Di« Umschmiedung der Reform des Arbeitsnachweises in ein reaktionäres Werkzeug ist nun von der Kammer vollendet worden. Die privaten Arbeitsnachweis-Anstalten, die bisher kraft des Pvlizeidekrets von 1852 blos geduldet wurden, sind gesetzlich anerkannt. Der unent« geltlicke Arbeitsnachweis der Gewerkschaften, in Abänderung der frei- heitlichen Bestimmung des Gewerkschaftsgesetzes von 1884, ist der polizei- lichen Kontrolle unterworfen. Ter winzige Vortheil der Befreiung der Geiverkschafte» von den Stempelgebühren verschwindet gänzlich gegen- über der Thatsache, daß die„Reform" dem unentgeltlichen Arbeits- Nachweis den Lebensfade» unterbindet, indem sie die Entwickelnng der von den Unternehmern bevorzugten ausbeuterischen Anstalten fördert. Während nämlich der Pariser Präfekt, angesichts des heftigen Widerstandes des Proletariats und des Gemeinderaths, seit sieben Jahren keine einzige neue Privatanstalt genehmigte,, wird er dazu durch die„Reform" verpflichtet. Desgleichen können und werden sicherlich neue Raubanstalten wie Pilze aufschießen in allen industriellen Orten, wo sie bisher nicht zugelassen wurden. Die systematischen Betrügereien der Privatanstalten werden dagegen nach wie vor bestehen bleiben. Das Beaufsichtigungsrecht der Präfekien wird sich nicht wirksamer gestalten, weil es nun in einem Gesetz. anstatt in einem Dekret, eingeschrieben ist. Von den sozialistischen Verbesserungsanträge» wurde zufälligerweise nur ei» einziger an- genommen, der den Besitzern der Anstalten das Vermittelungs- geschäst im Verkauf von kommerziellen Betriebseinrichtungen ver- bietet. Alle übrigen Anträge unserer Genossen wurden systematisch verworfen aus demselben blinden sozialistentödlerischen Geiste heraus, der die ganze arbeiterfeindliche„Reform" durch- dringt.... So kam es, daß die Sozialisten, die nach jahrelange» Bemühungen die Verhandlung über den wirklich resormerischcn Kommissionsentwurf erlangt hatten, gegen das von der Regierung znslande gekrackte Machwerk stimmen mußten. Die vor der Gesammt- abstimmung verlesene Protesterklärung unserer Genossen kennzeichnet das neue Gesetz treffend als„ein Werk der Verdächtigung und des Hasses der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse". Der ehemalige radikale Handelsminister Mesureur protestirte seinerseits im Namen der linksradikalen Gruppe gegen das Gesetz,„welches den bestehenden Zustand verschlimmert".— Paris , II. April.(Eig. Ber.) Zum dritten Mal hat sich die Kammer auf Verlangen der Opposition mit der P a n a m a- Affäre beschästigen müssen— u»d zum dritten Male hat sie die panamistenretterische Arbeit des Kabiuets, wenn auch nur mit 18 Stininien Mehrheit, gebilligt. Das Ereiguiß der gestrigen Sitzung war das zynische Geständniß Rouvier's, als Ministerpräsident Geld von den ihm befreundeten Finanz in än» er» verlangt und angenommen zu haben. Allerdings nicht zu persönlichem Gebrauch, sondern zur Bekämpfung des Bonlangismus, zur Rettung der Republik . Der schamlose Panamist, der aus diese Weise die ganze Opportunist enpartei für seine Mogeleien verantwortlich machte, vergaß aber die Kleinigkeit, daß zur fraglichen Zeit, im Jahre 1887, die bonlangislische Bewegung erst in sehr bescheidenen Ansängen stand. Kein Mensch glaubte übrigens den komödienhaft-pathetischen llnschuldsverstcherungen Rouvier's, nachdem feine unbedingten Ableugnungen in der zweite» Panama -Sitzung sich als freche Lüge erwiesen hatten. Moralisch ist er bereits gerichtet, wenn es ihm auch gelingen mag, der Meline'schen Justiz zu entwischen. Und mit ihm ist die ihn schützende Ordnungspartei ge- richtet. Hat sich doch kein Mitglied dieser Partei erhoben, um gegen Rouvier's Rechtfertigung des Panamismus durch daS„Interesse der Republik" zu protestiren. Das that im Namen der Sozialisten Genosse G r o u s s i e r, zugleich das mitschuldige Schweigen Meline's brandmarkend, der sich darauf beschränkt hatte, die sofortige Einsetzung der im Prinzip bereits beschlossenen parlamentarischen Untersuchungskommission in der Panama -Affäre zu bekämpfen. Nun haben die panamistischen Parlamentarier und ihre Re- gierung für fünf Wochen Ruhe. Vergebens wies Goblet auf die drohende Lage im Orient, auf die Fruchtlosigkeit der bisherigen Tagung, auf die Unmasse der Erledigung harrender Gesetzentwürfe hin. Dem Beispiel des Senats, der Hochburg der Panamisten, folgend, hat sich die Kammer bis zum 18. Mai vertagt. Der Vertagungsbeschluß wurde votirt, weil er in erster Linie die Ber- tusckung der Panama -Untersuchung ermöglichen soll. Ein Neben- gewinn ist eS sodann für die Regierung, während der bevorstehenden — möglicherweise entscheidenden— Wendung im Orient die uner- müdliche Kontrolle der Opposition los zu sein. Ein U e b e r b l i ck über die Leistungen der Regierungsmehrheit während der nun abgeschlossenen größeren Hälfte der ordentlichen Session ist bald gemacht. Sie hat mit Ach und Krach daS Schlendrian- Budget für 1397 erst volle drei Monate nach der ordnungsmäßigen Frist fertiggestellt, die guckermillionäre auf Kosten der BoUSmaffe um weitere 18 Millionen jährlich bereichert, die Margarine zum Vorlheil der Butter-Agrarier und den Rosinen- und Kunstwein zum Vortheil der Weinbau-Agrarier vertheuert, schließlich die Ausbeutung der arbeilSsuchenden Proletarier durch die privaten Arbeitsnachweise- Anstalten gesetzlich sanktionirt. Die Steuerreform dagegen schlummert noch immer in der Budgetkommission, die sich mit der Regierung noch nicht hat«inigen können über die geeignetste Methode, den Pelz der Bourgeoisie zu waschen, ohne ihn naß zu machen... Man sieht, die Gesammtintereffen der Bourgeoisie und die Sonder- interessen der einzelnen Ausbeuterflrnppen sind beim Kabinet Meline vortrefflich aufgehoben, so vortrefflich und so konsequent, wie unter keinem seiner opportunistischen Vorgänger.— — Zur Affäre Arton liegen auS Paris folgende Meldungen vor: Untersuchungsrichter Le Poittevin arbeitete Sonnabend in der P a n a m a- A f f ä r e mit den Kommissären, die in verschiedenen Banken und bei einigen Ministerialbeamten Nach- forschungen angestellt hatten. Es schien hieraus hervorzugehen, daß der frühere Deputirte Saint-Marlin zur Zeit der Emission der Panamo-Loose eine Reihe von Finanzoperationen vorgenommen hatte, obwohl er damals arg verschuldet war. DaS Sauptinteresse de? Tages konzentirte sich indeß auf den ekretär Älrton's, Basteliea. der von der Polizei vergeblich gesucht, aber von einem Journalisten, Gasto» auf- gefunden worden war. Letzlerer hatte dem Untersuchungsrichter ver- sprocheu, ihm Basteliea zu bringen. Derselbe war jedoch zu dem hierfür geplanten Rendezvous nicht erschienen und Gaston Msry erklärte es mit seiner Berufsdiskretion nicht vereinbar, seine Adresse anzugeben. Diese wurde schließlich von dem früheren Polizei- präfekten Andrieux beigebracht und Basteliea als Zeuge vor- geladen. Als er im Justizpalast erschien, erging sich Arton gerade in dem Gange vor dem Kabinet des Uutersuchungs- richterS. Wie er Basteliea bemerkte, trat er auf ihn zu, klopfte ihm auf die Schulter und sagte:„Du bist aber grau geworden, alter Freund." Der Richter verHörle nun Arton und Basteliea gleich- zeitig. Letzterer bestätigte alle Erklärungen Arton's und die Existenz einer Liste von 26 Namen von Parlamentariern, die sich im Besitze des Herrn Le Poiltevin befindet. Das interessante Verhör dauerte biS nach Mitlernacht. Es stellte sich dabei heraus, daß der Deputirte Naquet alle seine Verhandlungen mit Arton in italienischer Sprache gejährt halte. „Lanterna" konstatlrt, daß die Opportunisten durch daS Organ Rouvier's«ingestehen, aus der Panamakasse geschöpft zu habe», um den Bonlangismus zu bekämpfen. Die boulangistische Bewegung entstand jedoch erst einige Monate später.— Belgien . — WassichderKönig der Belgier, der bekanntlich einige deutsche Zeitungsredaktenr« wegen Beleidigung verklagt hat. von seinen eigenen Landsleuten sagen lassen muß, ohne Strafantraq zu stellen. Im„Peuple " lesen wir:„Der König, der soeben erst von England zurückgekehrt ist, will demnächst nach den italieni - scheu Seen abreisen. Wir sind weit davon entfernt, das zu beklagen. aber Herr Leopold, hat er nicht das Gefühl, daß er durch seine hänsige Abwesenheit aufs eklatanste beweist, daß er eine rein dekorative Rolle spielt?" England. — Gegen die Beeren wird jetzt eine förmliche Hätz orga- nisirt, um ihnen die Volkssympathien zu entziehen. Es heißt— und auch in sozialistische Kreise ist diese Auffassung gedrungen—, die
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