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, Deutsche Freiheit", Nummer 98

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Das bunte Blatt

Weltkrise bis ins Südseedorf

London , im April.

Die Lagune um die Insel herum, abgeschlossen gegen den Ozean durch das Korallenriff, blendet die Farben von einer Vielfalt und Leuchtkraft, die der Nordländer nicht für mög­lich hält, bevor er sie nicht gesehen hat. Steil, wie die Klippen in den Dolomiten, ragen die Reste eines alten, vor Urzeiten explodierten Vulkankraters über dem vom Urwald bedeckten Berg empor, der die Insel bildete: romantische Schauer neben der heiteren Lyrik der Farben. Die Abende am Strande. an der Bucht mit dem Wrack, unter der goldgelben Tropendämmerung sind von einer erdrückenden Stille: auch der Melancholifer kommt auf seine Kosten. Der Wunsch­traum von der seligen Insel ist hier erfüllt- wenn man nicht so genau hinsieht.

Jm Dorf der Eingeborenen geht es politisch lebhafter zu, als man denken sollte. Bei uns flagt der Landwirt über zu niedrige Butter- und Eierpreise. in der Südsee der Ein­geborenen über zu billige Kopra- und Vanillepreise. Seit der Europäer die Eingeborenen durch Erhebung von Steuern in Geld aus dem Zustand der Naturalwirtschaft heraus­drängte, ist der Chinese mit seinem Warenladen wirtschaftlich der Herr der Insel geworden. Er ist es also, der so schändlich wenig für die Kopra zahlt. Tarum ist er der bestgehaßte Mann auf der Insel.

In Wirklichkeit liegt die Sache etwas anders. Der Ein­geborene kommt einfach nicht darauf, es einmal selber mit dem Handel zu versuchen, er hat hoffnungslos wenig Talent dafür. Da also doch irgend iemand dasein, muß, der es tut, so tui es der Chinese. Er kauft die Kopra auf, um sie nach dem nächsten großen Hafen zu schiffen, wo der Dampfer nach Amerika oder Australien anlegt, und gibt dem Ein­geborenen das Geld, das er haben muß, wenn der weiße

Verpaßter Frühling

Im Eisenbahnabteil fißen dieselben Leute, die man immer dort antrifft, der Geschäftsreisende, der aus einem Durch schreibebuch seine Aufträge und Provisionen ausrechnet; der Intellektuelle, der Kreuzworträtsel löst, die farblose Dame, die gar nichts tut, gar nichts denkt, vielleicht gar nicht eri­stiert. Aber dann steigt in Duisburg ein Mensch ein, der weniger üblich ist. Ehe man ihn recht sieht, riecht man ihn schon: seltsame, aber nicht einmal unangenehme Mischung von Tee und Schnaps. Man denkt an Matrosen; aber hier ist nicht das Meer, hier ist nur Duisburg , der große Hafen für die Schleppfähne. Und dahin gehört denn auch der kleine bewegliche Mann mit der blauen Schiffermütze, dessen ver­trocknetes braunes Gesicht ebenso gut vierzig wie sechzig Jahre alt sein kann.

Ein Gespräch fommt bald in Gang; der fleine Mann sorat schon dafür mit seinen lebhaften Augen von diesem gewissen ausgewaschenen Bau, in dem man die ganze Weite des Wassers spürt, das sie täglich überblicken und mit sei... m wie aus Holz geschnitzten Mund, in dem er ruhig einen Priem hin- und he wälzt. Jawohl. er fährt auf dem Rhein , immer zwischen Mannheim und Duisburg ; schön ist das, o ja. Imaer was zu tun und immer was zu sehen. Jetzt haben fie in Duisburg ausgeladen und fahren erst in zehn Tagen wieder aufwärts. Und inzwischen gibts Urlaub. Drei Monate war man nicht daheim.- Wo das denn sei? Ein Strahlen

Beamte mit der Steuerforderung kommt; der Chinese schafft die Waren heran, die der Eingeborene braucht oder nicht braucht, aber kauft, wie Eisenwerkzeuge, die notwendig sind und Leinenschuhe, die nicht notwendig sind. Der Eingeborene will auch einmal ins Kino gehen, falls eins da ist, ein Rad oder eine Nähmaschine besißen und damit fängt das Un­glück an: er nimmt Vorschuß bei dem Chinesen. Und eines Tages treibt der Chinese seine Außenstände ein, daran hat der Eingeborene überhaupt nicht mehr gedacht. Das endet dann regelmäßig damit, daß der Eingeborene dem Chinesen das Land hergeben muß, von dem er lebt. Der Haß gegen den Chinesen steigt weiter.

In einem Dorf entlud sich dieser Haß eines Nachts in der Weise, daß einige Eingeborene beim Chinesen einbrachen und den Laden ausräumten; der Chinese, in berechtigter Furcht vor Prügeln oder Schlimmerem, blieb unsichtbar. Der An­führer der Bande war übrigens der braune Diakon", der hiesige Stellvertreter des weißen Geistlichen, der auf einer anderen Insel wohnt.

Aber der Chinese rührte sich am andern Morgen. Er konnte sich sogar auf den weißen Gendarmen berufen, das Recht der Europäer war durchaus auf seiner Seite, und die geraubten Waren kehrten in seinen Laden zurück.

Die Weltkrise macht sich auch auf den Südseeinseln schlimm bemerkbar

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Versteigerte Liebe

Samstag, 28. April 1984

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06. Zwei Millionäre aus Bridgeport in den Vereinigten Staaten , die beide schon hoch in den Sechziger waren, hatten sich gemeinsam in ein wunderschönes Mädchen von 26 Jahren verliebt. Miß Gertrude Schultheiß, die heiß Umwor bene, fonnte sich nicht entscheiden. Schließlich einigten sich die beiden Millionäre darauf, jeder von sich aus der An­gebeteten ein Angebot zu machen, man wolle dann sehen, auf welches von beiden das junge Mädchen einging. Herr Mundet, der erste der Millionäre, bot ihr ein Einfommen von 10 000 Dollar pro Jahr, eine weitere beträchtliche Summe als Sicherheit" und zwar nicht weniger als 350 000 Dollar und natürlich außerdem seine Liebe. Herr Muller, der zweite Millionär, war auch nicht kleinlich. Er bot erst einmal dasselbe und obendrein noch ein spesenfreies Lurusappartement in der vornehmsten Gegend von Neu­yorf. Fräulein Schultheis afzeptierte das Angebot des zweiten Millionärs und Herr Mundet zog sich verärgert vom Kampfplatz zurück. Nun aber geschah etwas, mit dem die junge Braut nicht gerechnet hatte. Vierzehn Tage nach diesem Angebot legte sich der alte Millionär hin und starb. Die Erben erkennen natürlich den Vertrag nicht an, meil er unsittlich sei. Der erste Millionär will von Fräulein Schultheiß nichts mehr wissen und nun haben die Richter das Wort.

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Es lohnt kaum mehr noch, Sopra zu ernten. Polizei kämpft gegen Regenschirme

Die Eingeborenen haben in den Zeiten, wo es ihnen gut ging, die Bananen im Busch verkommen lassen und sich von australischen Konserven genährt. Nun droht ihnen Hunger.

Und wer ist wieder schuld? Wäre der Chinese an der Macht, wäre vielleicht der Europäer der Sündenbock; solange der Europäer an der Macht ist, ist es der Chinese ,, denn ein Sündenbock muß auf alle Fälle da sein, wenn es den Leuten schlecht geht es ist überall auf der Welt dasselbe.

nicht gesehn haben. Alles ganz weiß vor lauter Blüten, die ganzen Gärten weiß den Berg herauf. Und all die Bienen summen dadrin. Und der Duft, der Duft. Soviel Jahr hab ich das nicht mehr mitgefriegt. Aber dies Mal hats geklappt mit dem Urlaub."

Der Geschäftsreisende sieht von seinem Durchschreibebuch dem Schiffer ein bißchen spöttisch gerade in die Augen. Tja, mein Lieber, wenn Sie sich da mal nicht irren. Die Obst­

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Ein Polizeipferd muß seine Nerven behalten, es muß gegen alle Gefahren der Straße gewappnet sein. Es darf fich nicht aus dem Viertaftgleichschritt bringen lassen, menn es rundherum trompetet und schießt, und schreit und hupt, es darf nicht scheuen, wenn Steine geworfen werden, es muß mutig in die dichtesten Menschenhaufen hinein traben- denn Ordnung muß sein und ein Polizeipferd ist eben ein Hüter der Ordnung. Gegen alle diese Gefahren wer den die Pferde auf dem Rafernenhof ausgebildet, sie famen als junge Refruten in die Ställe, und wenn Polizeipferde avancieren könnten, dann hätten sie schon alle nach der Aus­bildung die Treisen. Nur ein Fehler stellte sich bei einem der besterzogenen Schlachtroffe heraus. Bei einer Demon­stration hatte es mutig die Gegner zurückgedrängt, hatte Steinwürfe und Schimpforgien über sich ergehen lassen, bis ein wild gewordener Bürger seinen Regenschirm züdte und ihn gegen das Pferd aufspannte. Das Pferd scheute und warf seinen Reiter in die Masse. Seither gibt es einen Extrafurs Polizeipferdekampf gegen aufgespannte Regen­schirme.

blüte bei Boppard ist nämlich schon vorüber. Doch, doch, vor- Avignon das Paradies der Katzen

gestern bin ich noch in der Gegend gewesen. Da blüht nichts mehr."--Ja, aber," stammelt der Schiffer, woher denn, wie denn?"- Der Herr hat ganz recht," mischt sich der Intellektuelle ein und lugt bedeutend durch seine Brillen­gläser. In dieser Gegend ist es ja viel wärmer als hier. Da beginnen die Obstbäume mindestens eine Woche früher zu

blühen."

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Und hören auch früher wieder auf," fügt

der Geschäftsreisende hinzu und lacht wie über einen guten Wiz.

Der Schiffer fann und will nicht begreifen. Das kann doch nit sein; all die Blüten! Und all die Bienen! Wie lang hab ich das nit mehr gesehen! Und all die Tage jetzt auf dem Schiff hab ich alleweil gedacht und mich gefreut, mal wieder die Kirschbäum daheim blühen zu sehen."- Die beiden Herren lächeln sich amüsiert zu. Dann nimmt jeder wieder

Avignon , die berühmte Stadt der sieben Päpste, ist das Paradies der Raßen. Stolz verfündet jeder Einwohner dieser Stadt, daß in den Mauern der alten und ehrwürdigen Stadt noch niemals eine Raße brutal behandelt worden sei. Die Tiere beherrschen die Straßen und fühlen sich glücklich wie nirgends auf der Welt. Zum Danf dafür hat Avignon feine einzige Ratte aufzuweisen. Sind aber die Bewohner von Avignon Raßenfreunde, so ist jeder Automobilist ein Raßenfeind Eine Katze, die über die Fahrbahn gelaufen ist, bedeutet für jeden Fahrer ein Unglüd. Deshalb hat die weise Stadtverwaltung von Avignon ein Warnungsschild aufgestellt: Automobilisten, fahrt langsam und gebt acht auf die Kazen!"

geht über die holzgeschnitten Züge. Da, wo's am Rhein am seine Beschäftigung vor, der Reisende sein Durchschreibebuch. Die jüngste Großmutter

Der Zug fährt durch die trübe Flachlandschaft; in einigen Gärten suchen ein paar kümmerliche Obstbäume sparsame Blüten herauszustecken, um auch ihrerseits etwas für den Frühling zu tun. Geringschäßig streifen die Augen des Schif­fers darüber hin. Das ist ja alles gar nichts. Die paar Bäume. Aber bei uns, das ist eine Obstblüte. Wenn ich jetzt heimkomm, dann blühen alle Kirschbäume bei uns in Salzig. Nee, das können Sie sich nicht vorstellen, wenn Sie's

ihr Nichts. Nur der vertrocknete kleine Mann schüttelt immer noch den Kopf und seine harten braunen Hände, die er zwi­schen den Knien herunterhängen läßt, zittern ein wenig. Sein Mund hat ganz vergessen, den Priem hin- und herzu­schieben, und er murmelt: Nee, daß man den Duft nit mehr einziehen kann, den Duft--" und seine lebhaften hellen Augen streifen traurig und verächtlich die kümmerlich blühen­den Obstbäume an der Strecke. 2. A.

Die Heirat eines 94jährigen Greises hat in Rom einiger maßen Aufsehen erregt, da er dadurch, daß er ein 21jähriges Mädchen heiratete und als seine Frau heimführte, zugleich ein originelles Familienleben schuf. Aus seiner ersten Che hatte der alte Mann einen derzeit 67jährigen Sohn, der auch bereits zwei Töchter, die im 32. und 34. Lebensjahre standen, hatte, die Enfel also erheblich älter sind als deren Stief­großmutter.

Begegnung mit einem Attentäter

Der Mysteriöse unter dem Friedensengel

Es war ein wundervoller Oktobersonntag. Die Möven stürzten sich freischend aus dem blauen Dunst zur Isar hin­ab und Buben rauften sich um reife Kastanien.

Da lief ein dunkler halbmodern gekleideter Mann un­ruhig am Friedensengel umher, blieb sinnend vor dem Wasserbecken auf der Treppe stehen und wurde dann wieder unruhig. Ich wartete auf eine Frau, und wenn man eine Frau erwartet, benimmt man sich ähnlich. So famen wir beide ins Gespräch.

In seinem ganzen Auftreten zeigte er sich als Angehöriger der intellektuellen Kaste des Süd- Ostens. Das sind die Leute, die sich- menigstens bei uns stets eines forrekten zuvorkommenden und doch reservierten Benehmens be= fleißigen, selbst wenn sie nur Gummimantel und Dauer­wäsche tragen.

" Sind Sie Bulgare?", frage ich, nachdem er mir ein leicht melancholisches Lied von der Schönheit Münchens gesungen hatte. Er verneinte und die Art der Verneinung ließ den Albanesen erkennen. Ich ersetzte aber dieses Wort sofort mit Schtschüpetar( Adlerssohn). Ein stolzer Schimmer glitt über sein Antlig, und als ich ihm erklärte, daß ich sein Land und sein Volf kennen und schäzen gelernt hätte, wurde er zutraulich.

Er suche jemand, sprach er, dem er eine wichtige Erfindung chemischer Art vermachen möchte. Mich hätte er dazu aus­ersehen. Als ich ihm zu verstehen gab, daß es mir viel­leicht möglich sei, ihn mit einem Geldmann in Verbindung zu bringen, wies er dies höflich ab, da er an der Sache, die

Seltsam: oft mußte ich an den mysteriösen Menschen unterm Friedensengel denken. Ich verfolgte die Zeitungen und wartete auf ein Ereignis, in dessen Mittelpunkt diefer Mann stehen müsse.

Natürlich hatte ich nicht an ein Attentat gedacht. Und wenn dieses doch der Fall gewesen wäre, so wäre es mir gar nicht

für die Menschheit von großer Bedeutung sei, keinen Nuzen möglich gewesen, ein Attentat zu verhindern. Wie hätte ich haben wolle und auch nicht haben könne.

Seine Worte enthielten dunkle Andeutungen, die man in verschiedener Weise auslegen konnte. Er sprach von Paris , von Gerechtigkeit, vom gäßlichen Daseinskampf in Amerika . Seine Wäsche trug er schon sehr, sehr lange, und manches an dere ließ darauf schließen, daß sein Leben in letzter Zeit recht unruhig gewesen war.

Ich schlug ihm einen Treffpunkt zu einer bestimmten Zeit vor, er wies es ab.

Ich bat um seine Adresse- höflich wich er aus. Als er dann merkte, daß ich mißtrauisch zu werden begann, zog er

das tun sollen? Die Polizei alarmieren? Welche? In allen Weltstädten?

Ich dachte eher an eine fürchterliche Erfindung, etwa an eine Zerstörung des Sauerstoffes in einem Gebiete inner­halb einiger Minuten oder an so etwas ähnlich Schreckliches.

Und dann eines Tages füllten Telegramme die Zeitung und ein Bild stand dabei. Und dieser Mann auf dem Bilde war der mysteriöse Mensch unterm Friedensengel. Er war ein albanesischer Attentäter Buciterna.

ſeine Papiere, um zu zeigen, daß er kein Betrüger fei. Nun Tausend Franken für eine Wimper

lehnte ich ab, sie auch nur anzusehen, da ich an die Ge­pflogenheit vieler Deutscher, bei jeder Gelegenheit den Kriminalisten zu spielen, andere Leute auszuschnüffeln und zu bevormunden, nichts halte. Außerdem wußte ich, daß ich es mit feinem Gauner zu tun hatte, wohl aber mit einem psychisch unklaren Menschen. Auch begriff ich, daß ich hier zwischen frohen Ausflüglern und der lachenden Feier­tagswelt der Großstadt - plößlich in ein düsteres Ereignis getreten war, ich war es mir bewußt, jedoch nicht imſtande,

es zu deuten.

Als ich am anderen Tage verabredungsgemäß- dort­hin kam, wohin er mich bestellt hatte, erfuhr ich, daß er am selben Abend vorher bereits abgereist war. Morgens fam er an, abends fuhr er weiter.

Eine junge Kinofchauspielerin hatte sich während der Auf­nahmen durch die Schuld des Regisseurs die Wimpern ab gesengt. Erst fiel sie in Ohnmacht und am nächsten Tage machte sie durch ihren Rechtsanwalt bei der Filmgesellschaft einen Schadenersatzanspruch von 50 000 Franken geltend. Bei den Verhandlungen vor dem Schiedsgericht brachte der An­walt vor, daß diese Summe einem Preis von 1000 Fr. pro Augenwimper so viel Wert sei. Da sprang der Anwalt der Wimper entspreche, und er hätte noch nie gehört, daß eine Klägerin auf: Meine Herren, meine klientin befizt nichts weiter als ihre beiden wundervollen Augen und die Wimpern find der vollendete Rahmen für diese Schönheit. Der Rahmen ist zerstört, die liebliche Harmonie zwischen Auge und Wimper verloren." Das Schiedsgericht beschloß die Ladung eines Sachverständigen für Augenwimpern, der den Wert der Wimper einer Schauspielerin tagieren soll.