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1. Mai im Wandel der Zeiten

1890 ,, Was hat er denn getan?" ,, Er hat den 1. Mai gefeiert!"

B

1934

,, Was hat er denn getan?"

,, Er hat den 1. Mai nicht gefeiert!"

Der Mord an dem Arbeiter Lukas

Die in Saarbrücken erscheinende Wochenschrift ,, West­land" schreibt:

Die Berliner Zeitungen haben am 20. Dezember 1933 be­richtet, daß vier Neuköllner Arbeiter vom Schwurgericht Berlin wegen Mords zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt worden sind.

Mehr ist der Oeffentlichkeit nicht bekannt gegeben wor­den. Uns liegt jetzt ein Auszug aus den Akten vor nebst einem Rapport der Brigade 31, Berlin Südost. Wir geben in dem, was hier folgt, nur die aktenmäßig festgestellten Tat­sachen wieder, enthalten uns jedes Kommentars, jeder Schlußfolgerung. Die Akten sprechen ob für oder gegen die SA., ob für oder gegen das Dritte Reich, ob für oder gegen seine Rechtsprechung, das mag jeder halten nach dem Eindruck, den diese Geschehnisse auf ihn machen.

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In der Nacht von Samstag den 2. auf Sonntag den 3. Dezember gehen die SA.- Leute Leopold Pansegrau und J. Ochsenfort, die in der SA.- Kaserne ,, Bärwinkel" an der Stein­bockstraße zu Berlin- Neukölln stationiert sind, in eine Gast­wirtschaft an der Lahnstraße. Sie finden dort vier SS.- Leute aus der SS. - Kaserne auf dem Industriegelände am Oberhafen. Und einige Arbeiter.

Im Lokal ist ein Grammophon. Die Uniformierten spielen pausenlos nationale Platten. Und singen den Text dazu. Das Lied: Lore, Lore..." wird nach Aussage der Zeugen zehn­mal und öfter hintereinander gespielt. Gegen zwölf Uhr sagt der Arbeiter Max Lukas aus Neukölln , Schönweide­straße, 34 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder, stets parteilos gewesen- zu den SA.- Leuten: Kinder, hört doch mit dem dämlichen Gesinge auf!"

Die SA. und SS. - Leute haben dies Ansinnen nach ihrer Aussage als eine Beschimpfung der nationalsozialistischen Idee empfunden. Sie vermögen das jedoch im Verfahren nicht näher zu begründen. Es kommt jedenfalls in der Nacht zu einem heftigen Wortwechsel. Die Uniformierten ver­langen von Lukas, daß er sich in aller Form entschuldige. Der lehnt das ab, weil er niemanden und nichts beschimpft habe.

Darauf schleppen ihn die sechs auf die Straße. Dort wird er mit Fäusten und mit Gummiknüppeln so lange geschlagen, bis er bewußtlos am Boden liegt. Das dauert, nach Aussage der Zeugen, eine halbe Stunde, möglicherweise hat es auch fünf Minuten länger gewährt. Den Arbeiter Lukas, den sie

Die Kameraden der sechs in den Kasernen widersetzen sich der Festnahme, dem ruhigen, nachdrücklichen Verhalten des Polizeioffiziers gelang es jedoch, die Leute herauszu­bekommen.

Am anderen Morgen bereits, am Sonntag, den 3. Dezember, verlangt die Feldpolizei, die im ehemaligen Generalkom­mando auf der General Papestraße domiziliert und der SA. und SS. als Disziplinarbehörde unterstehen, vom Polizeiamt Neukölln die Herausgabe der sechs. Gleichzeitig werden die Zeitungen über die Reichspressestelle dahin informiert, daß sie über diesen Fall nicht berichten dürfen.

Am Montag, am 4. Dezember, verlangt der Untersuchungs richter die Herausgabe der Gefangenen zwecks Vollstreckung des inzwischen erlassenen Haftbefehls. Die Feldpolizei lehnt das ab.

Noch am Nachmittag des gleichen Tages verlangt der Staatsanwalt von Haacke von der Zentralstaatsanwaltschaft aus demselben Grund die Herausgabe. Die Feldpolizei

lehnt ab.

Am Abend des 4. Dezember ersucht der Justizminister Kerrl , der von den Justizbehörden alarmiert wurde, vom Gruppenführer Ernst, daß er für die Auslieferung der sechs sorge. Ernst muß dem Minister melden, daß er dem Wunsch des Ministers nicht habe nachkommen können. Die Feld­polizei hat sein Ansuchen abgelehnt.

Dienstag, am 5. Dezember, beschließt ein Ministerrat unter Vorsitz des preußischen Ministerpräsidenten Göring , daß die sechs des Mords Beschuldigten an die Gerichte auszuliefern

seien.

Die Auslieferung soll am Mittwoch erfolgen. Am Mittwoch früh leben von den sechs nur noch vier. Zwei werden in der Zelle der Feldpolizei- Kaserne erhängt aufgefunden.

Eine Aufklärung dieses Vorfalls in der General Pape­straße ist offenbar nicht versucht worden, in den Akten ist nicht davon die Rede. Auch die Namen der beiden Toten finden sich nicht. Nach dem Rapport der Brigade soll der eine der Sturmführer Frig Krause vom Sturmlokal ,, Kaiser­Friedrich- Turm" in der Kaiser Friedrichstraße zu Neukölln gewesen sein. Der andere ein gewisser Richard Hamann , der viele Jahre Führer des Rotfrontbunds und der Antifa, Neu­

für tot halten, packen die sechs an Schultern und Beinen, Nette kleine Beschlagnahme

schleppen ihn die Lahnstraße herunter bis zur Brücke. Dort werfen sie ihn in den Schiffahrtskanal.

Das Wasser steht nicht tief, es ist ja Winter. Die Kälte bringt Lukas wieder zum Bewußtsein. Er schwimmt und es gelingt ihm nach einiger Zeit, das Ufer zu erreichen.

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Die sechs haben von der Brücke, die in der Verlängerung der Lahnstraße über den Kanal führt, beobachtet, daß Lukas durch das eisige Wasser wieder zu sich kommt. Als er das Ufer erreicht, greifen sie ihn sofort. Sie schlagen etwa 12 Minuten auf ihn ein, dann ist er tot. Sie nehmen ihre Messer auf denen nach der Anklageschrift ,, Blut und Ehre" steht schlitzen dem Lukas den Bauch von oben nach unten auf, schneiden ihm die Geschlechtsteile ab. Sie reißen der Leiche die Kleider herunter, zerfetzen den Körper mit Messerstichen, fünfzehn werden später bei der Obduktion allein auf dem Rücken gezählt. Den fast nackten Leichnam schleifen sie am Ufer entlang und dann übers Feld, sie werfen ihn vor den Straßenbahnhof Mittelbuschweg. Die Identitätspapiere des Lukas nehmen sie an sich. Worauf sie sich in ihre Kasernen begeben.

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Der Vorfall ist beobachtet worden, doch hat es niemand die gewagt. SA. und SS. in den Arm zu fallen Immerhin Polizei wird sofort benachrichtigt. Um 12% Uhr bereits werden Pansegrau und Ochsenfort in der Kaserne Bär­winkel", die anderen kurz darauf in ihrem Lokal auf dem Hafengelände verhaftet

In der Reichshauptstadt, Unter den Linden 3, haben seit alten Zeiten zwei bekannte Berliner Klubs ihren Sitz, die ,, Ressource von 1784" und der ,, Klub von 1880".

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Klubs im Berliner Sinn. Dort man gut, dort wurde hin und wieder einmal getanzt. Vor allem aber dort wurde gespielt. Hoch. Sehr hoch! Zehntausende wurden dort jeden Abend umgesetzt. Das war bekannt. So bekannt wie der Umstand, daß die Klubmitglieder in der Hauptsache nicht­arischen Geblüts waren. Die anderen waren im Union . Club". Und in der ,, Deutschen Gesellschaft von 1914", da war man so wohl als auch.

Das Dritte Reich brach auf. Es wurde zu Berlin höher gespielt als je zuvor. Nicht gerade im Klub von 1880", da hatte man andere Sorgen. Vielmehr in jenen luxuriösen Räumen, wo wenige Wochen vor der Umwälzung offiziell das Braunhemd dem Smoking gleichgesetzt und zugelassen wurde.

Den Klubs Unter den Linden 3 fiel die Zeit auf die Nerven, sie verlegten ihren Sitz nach der Viktoriastraße. Sie benahmen sich in den neuen Räumen höchst unauffällig. gespielt wurde nicht mehr, man saß halt beisammen und tauschte die zeitgemäßen und unausbleiblichen Sorgen aus. Der Polizeipräsident von Berlin aber verfügte die Schließung. Vor einigen Tagen wurde vor dem Stadtverwaltungs­gericht die Sache verhandelt. Die Klubleitung führte an,

kölln war, Anfang 1932 zur NSDAP . übertrat und sich erst­malig als Belastungszeuge gegen seine ehemaligen Kameraden in dem Prozeß wegen der Ermordung des Gastwirts Böwe in der Richardstraße zu Neukölln bewährte.

Die Abendzeitungen des 5. Dezember berichteten kurz, daß in der Nähe des Straßenbahnhofs Mittelbuschweg ein Lustmord an einem Unbekannten geschehen sei; die vier als Schuldige Festgestellten wurden im beschleunigten Verfahren abgeurteilt.

Am 19. Dezember stehen die vier Ueberlebenden vor dem Schwurgericht Berlin unter der Anklage wegen Mords. Unter Hinweis auf die Begleitumstände wird die Oeffent­lichkeit ,, wegen Gefährdung der Sittlichkeit" für die ganze Dauer der Verhandlung ausgeschlossen. Aus den Akten geht nur hervor, daß Pansegrau und Ochsenfort bereits im April 1933 unangenehm aufgefallen sind. Als das Haus des Ver­bands für Freidenkertum und Feuerbestattung e. V. in Berlin SO., Gneisenaustraße, von der SA. besetzt wurde, hatten sie aus dem Magazin des Verbandes einen Sarg ge­nommen und einen Verbandsangestellten hineingeworfen. Den geschlossenen Sarg hatten sie dann durch die Straßen gefahren Der Angestellte ist jetzt, wie in den Akten ver­merkt wird im Irrenhaus. Weiterhin sagen die Akten, daß ein Anlaß, gegen Pansegrau und Ochsenfort vorzugehen, da­mals nicht als gegeben erachtet worden sei.

Von den vier Angeklagten wurden je zwei zu 15 und 14 Jahren Zuchthaus verurteilt. Wegen gemeinschaftlichen Mordes. Die Zeitungen vom 20. Dezember geben das Urteil kurz wieder, sie erwähnen jedoch weder durch Wort noch durch Andeutung, daß es sich um Angehörige der SA. und SS. handelt, auch die Kasernen werden nicht erwähnt.

Auf Anweisung des Justizministeriums hat der Staats­anwaltschaftsrat von Haacke gegen das Urteil Revision an­gemeldet, weil hier Todesstrafe am Platze sei. Ueber die Re­vision ist unseres Wissens noch nicht entschieden.

Es scheint, daß der Fall Lukas auch in den Kreisen der braunen Bataillone Eindruck gemacht hat. Denn in dem Rapport heißt es, daß die Führung der Brigade 31, welche die SA. und SS. von Berlin - Südost umfaßt, nunmehr ener­gisch durchgegriffen habe. Insbesondere habe der Stabs­führer Karl Ose aus der Bergstraße in Neukölln eine erheb­liche Anzahl von Schlägern" disziplinieren" lassen. Unter der Disziplinierung ist offenbar der Abtransport nach Oranienburg zu verstehen.

daß das Spiel völlig eingestellt sei und daß man sich nur noch zu geselligen Zwecken treffe. Die Stadtverwaltungs­richter aber bestanden auf der Schließung, weil ein großer Teil der Mitglieder des Klubs von 1880 nach den An­schauungen des Dritten Reichs nicht einwandfrei sei".

Welche Einwände gegen das gesellige Zusammensein von Nichtariern vorgebracht werden könnten, wurde nicht ge­sagt. Sie sind generell und von Geburts wegen nicht ein­wandfrei", also ist ihnen keine Art und keine Form von Geselligkeit zu gestatten. Sagte das Gericht.

Der Polizeipräsident von Berlin bemühte sich nicht so sehr, eine Begründung zu finden. Er erklärte kurz und bündig die Auflösung des Klubs von 1880" und beschlag­nahmte das Klubvermögen.

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Dies Klubvermögen aber so berichtet die unverdächtige Berliner Börsenzeitung umfaßt 4 Millionen Mark! Der Klub wird aufgelöst, weil der Herr Polizeipräsident diese nette kleine Summe gebrauchen kann. Sagt er selbst. Wenn die Nichtarier morgen wieder einen Klub aufmachen wollen, so steht dem anständige Finanzierung vorausgesetzt- offenbar nichts im Wege. Wenn dann in einiger Zeit das Klubvermögen wieder ansehnliches Format gewonnen hat, so wird sich schon ein Anlaß finden, der zur Auflösung des Klubs zwingt, mit der die Beschlagnahme des Vermögens dann unabwendbar verbunden ist. Ob Sie es glauben oder nicht der neue Klub ist schon

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in Gründung! Faites votre jeu, Messieurs..."