on bab

Freiheit

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands  

Nummer 100-2. Jahrgang Saarbrücken  , Dienstag/ Mittwoch, 1./2. Mai 1934 Chefredakteur: M. Braun

Friedrich Adler  

Überraschende Fahrt des sozialdemokratischen Führers nach Wien  - Ein große Geste für den sozialistischen   Kampimai

Zürich  , 30. April. Der Sekretär der sozialistischen   Inter: nationale, Friedrich Adler  , der als stellvertretendes Mitglied dem österreichischen Parlament angehört, wird sich heute nach Wien   begeben, um an der Sigung des Parla: mentes, die von Dollfuß   einberufen worden ist, teilzunehmen. Er hat vor einigen Tagen an den Präsidenten des öster: reichischen Parlamentes einen Brief gerichtet, in dem er von seiner Absicht, zu der Sigung zu kommen, Kenntnis gibt. Er erklärte in diesem Schreiben, daß er erscheinen werde, um gegen die Geseglosigkeit und die Verfassungswidrigkeiten der gegenwärtigen österreichischen   Regierung zu protestieren. Er werde die Reise machen, selbst auf die Gefahr hin, von der österreichischen   Regierung ebenso wie die übrigen sozia: listischen Führer ins Konzentrationslager gebracht zu werden.

Da die österreichischen Sozialisten zur Sigung des Parla mentes nicht eingeladen worden sind, ist es wahrscheinlich, daß man Adler den Eintritt in das Parlament verwehren wird. Welche Schritte man gegen ihn unternehmen wird, bleibt abzuwarten.

Friedrich Adler  , der Sohn des im Jahre 1918 verstorbenen großen österreichischen Sozialistenführers Viktor Adler  , setzt

mit dieser starken kämpferischen Geste die heroische Art seiner sozialistischen Betätigung fort.

Er hat während des Krieges den österreichischen Minister­präsidenten Grafen Stürgfh erschossen, weil er dessen Diktaturpolitik für ein Verhängnis Desterreichs hielt. Friedrich Adler   hat sich der Verantwortung für seine Tat nicht durch die Flucht entzogen, wie die nationalistischen Attentäter nach der Ermordung Erzbergers, Rathenaus und anderer. Adler, der offen die Waffe gegen den Mann erhob, den er für den Todfeind der österreichischen Nation und des österreichischen Volkes hielt, hat tapfer zu dem gestanden, was er getan hat. Seine Verteidigungsrede vor Gericht wurde zu einer gewaltigen Anflage und zu einem großartigen tod­bereiten Bekenntnis für den Sozialismus. Er wurde zum Tode durch den Strang verurteilt. Der alte Kaiser wandelte die Strafe in lebenslängliches Zuchthaus um. Die Revo­lution hat Friedrich Adler   befreit.

Seine Fahrt nach Wien   zeigt seine Verbundenheit mit der illegalen österreichischen Sozialdemokratie und wird auf­rüttelnd wirken. Sie ist zugleich ein Symbol der Glaubens­kraft des internationalen Sozialismus am Vorabend seines unsterblichen Maitages.

Marseillaise gegen Internationale

,, Die Außenpolitik verpflichtet"

Paris  , 30. April 1984.

In der mit großer Spannung erwarteten Stichwahl in Mantes   bei Versailles   hat der Kandidat der nationalen Union, der nationale Radikale Sarret, den unabhängigen Radikalen Bergery geschlagen. geschlagen. Der nationalistische Führer Franklin Bouillon selbst hat die Wahlkampagne ge­leitet und konnte als Sieger nach Paris   zurückkehren.

Weite Kreise Frankreichs   messen dem Wahlausgang große

Das hat zu einem Aufstand der Jungradikalen geführt, der den Generalsekretär zwang, seinen Posten niederzulegen. Man darf für den Mitte Mai in Clermont- Ferrand  zusammentretenden radikalen Parteikongreß heftige Kämpfe voraussagen. Wahrscheinlich wird der dem Kabinett als Minister angehörende Herriot   seine Parteipräsidentschaft. niederlegen.

allgemein politische Bedeutung zu. Der Abgeordnete Zusammenstöße

Bergern hat sein Deputiertenmandat als Protest der Links­wähler gegen die Bildung der nationalen Union und Ueber­tragung der Gesezesvollmachten durch das Parlament an die Regierung niedergelegt. Er wollte einen Protestsieg der Linkswähler gegen die nationale Union  . Das Ergebnis hat aber im Gegenteil zu einem Erfolg der Regierung und der Anhänger des nationalen Blocks geführt.

In der Hauptwahl hatte der Er- Deputierte Bergery von 16 500 rund 7700 Stimmen erhalten, während der nationale Radikale Sarret 7600 Stimmen auf sich vereinigte. Nun ist in der Stichwahl Sarret mit 8788 gegen 8489 Stimmen, die Bergery erhalten hat, durchs Ziel gegangen.

Der Sieg Sarrets in dem Wahlkreis Bergerys, den dieser rücksichtslose und hochbegabte Bolfstribun sicher zu halten glaubte, wird als Zeichen für die wachsende nationalistische Strömung in Frankreich   gewertet. Die Parole, die der " Temps" am Tage nach der Ueberreichung der französischen  Note an den britischen Botschafter zum Abbruch der Rüstungsgespräche als patriotische Ermahnung ausgegeben hat: Die Außenpolitif verpflichtet", ist offen­fichtlich die Meinung der großen Mehrheit des französischen  Volfes. Auch die Spardefrete des Kabinetts Doumergue  und die scharfe Opposition, die von den Sozialisten gegen die Finanz- und Wirtschaftspolitik getrieben wird, hat diese Stimmungswoge nicht erschüttern fönnen. Die deutsche Gefahr" steht am Horizont; sie überschattet alles, und der Wille zur nationalen Selbstbehauptung wird gemäß viel­jähriger Ueberlieferung zum tragenden Faftor der inneren Politif Frankreichs  .

Die übersteigerte Bedeutung, die von der Presse der Rechten dieser Nachmahl beigelegt wird, hat sie zweifellos nicht. Bergern hat auch bei den allgemeinen Wahlen das Mandat mit nur etwa 200 Stimmen Mehrheit geholt. Da ser ein Eingänger ist, der feine Partei hinter sich hat, fämpft er im Grunde nur für sein persönliches politisches Prestige. Seine Energie und sein Ehrgeiz sind so groß, daß die Nieder­lage ihn nicht erschüttern wird.

Wichtiger ist die Frage, welche Wirkungen ein mit der Nachwahl zusammenhängender Zwischenfall auf die radikal­sozialistische Partei baben wird. Deren Generalsekretär hat sich in einem Briefe für die Unterstüßung des Kandidaten der nationalen Union Sarret gegen Bergery ausgesprochen.

DNB. Paris, 30. April. In Mantes  , wo am Sonntag der linksradikale Abgeordnete Bergery in einer Kammer­erjazzwahl von dem Kandidaten der nationalen Einigung Sarret geschlagen wurde, kam es im Anschluß an die Ver­fündung des Wahlergebnisses zu äußerst heftigen Zwischen­fällen, bei denen es sowohl auf seiten der Kundgeber wie auch der Polizei zahlreiche Verlegte ga b. Die Anhänger Bergerys hatten sich gegen 20 Uhr zusammengeschlossen und durchzogen unter dem Ge sang der Internationale die Straßen der Stadt. Schließlich begaben sie sich vor das Hotel, in dem Sarret und seine Freunde, u. a. auch der bekannte Abgeordnete Franklin Bouillon, ihr Hauptquartier aufgeschlagen hatten, und versuchten, es im Sturm zu nehmen. Der Hotelbesizer hatte vorsichtshalber die eisernen Gitter schließen lassen. Die Polizei war zeitweise machtlos, um dem Ansturm der Kund­geber standzuhalten. Fensterscheiben wurden eingeschlagen und genau wie in Paris   die eisernen Gitter von Bäumen ausgerissen und, in fleine Stücke zerschlagen, als Wurfgeschosse gegen die Hüter der Ordnung benutzt. Franklin Bouillon und seine Freunde verließen schließlich das Hotel, gefolgt von mehreren hundert Anhängern, und begaben sich zum Kriegerdenkmal, wo sie einen Kranz niederlegten. Auf der einen Seite standen die Anhänger Bergerys und sangen die Internationale, auf der anderen die Freunde Sarrets, die die Marseillaise   anstimmten. Zwischen ihnen versuchte eine starke Polizeifette, Handgreiflichkeiten zu verhindern. Kurz vor Mitternacht versuchten die Kommunisten mit zwei schweren Lastkraftwagen, die sie als eine Art Tanks benutzten, ein Kaffeehaus zu stürmen, wo sich der Polizeihauptmann und einige Anhänger Sarrets aufhielten. Die Polizei konnte die beiden Pastkraftwagen noch im letzten Augenblick zum Stehen bringen. Bis in die späten Nachtstunden war die ganze Stadt in eine Art Belagerungszustand versetzt. Erst als Polizeiverſtärkungen aus Versailles   und Paris  eintrafen, gelang es, die Ruhe wiederherzustellen. Zahlreiche Verhaftungen murden durchgeführt.

Der größte Teil der Parifer Morgenpresse begrüßt die Wahl Sarrets als eine gründliche Umwandlung der poli­tischen Auffassung des ganzen Landes. Der sozialistische Führer Leon Blum   erklärt, wenn die Regierung und die Reaktion das Wahlergebnis wirklich als einen nationalen Erfolg betrachteten und daraus die Schlußfolgerung zögen, daß sich das ganze Land hinter den nationalen Blod ftelle, dürfte man bei den Wahlen von Mantes   nicht haltmachen, sondern sollte ganz allgemein Neuwahlen ausschreiben.

Aus dem Inhalt

Deutschlands   drei Musketiere

( Hitler  , Göbbels   und Göcing in

amerikanischem Ucteil

Seite 2

Das deutsche Maigeschenk

Seite 3

Die Kaisecin und Frau Seger Kosten der Diktatur

Deutschlands   Aufrüstung

Seite 7

Seite 3

Gestern und fieute

-

-

Die Nationalsozialisten tun heute so, als ob sie den 1. Mai erfunden hätten. In Wirklichkeit haben sie die Feier der Arbeit den Arbeitern nur gestohlen das weiß heute noch jeder. In ein paar Jahren aber wissens so rechnen sie vielleicht nur noch wenige, denn die Menschen vergessen schnell. Sofern Hitler und die Seinen in ein paar Jahren überhaupt noch Gelegenheit haben, den 1. Mai oder sonst etwas zu feiern.

Tatsächlich feiern sie aber etwas, was sie vor kurzer Zeit noch buchstäblich bis aufs Blut und bis aufs Messer bekämpft haben. Niemals sollte vergessen werden, wie Hitler   und Gö­ ring   vor 11 Jahren mit Maschinengewehren und Handgrana­ten den 1. Mai in München   zu feiern" versuchten.

Die Nationalsozialisten bildeten damals den Kern einer so­genannten Arbeitsgemeinschaft vaterländischer Kampfver­bände, deren Rückgrat die damalige nationalsozialistische SA. unter dem Befehl Görings war. Diese Verbände wollten da­mals die Maifeier der Arbeiter mit Gewalt verhindern. Wir besitzen noch die Situngsprotokolle dieses famosen Vereins, die von der Polizei beschlagnahmt und später auf Drängen der Sozialdemokratie im bayerischen Landtag veröffentlicht worden sind. In der Sitzung am 26. April kam es zu folgender Debatte( wörtlich nach dem Protokoll):

Hitler   fordert Bereitschaft und Antreten der Arbeitsge­meinschaft am 1. Mai. Das allein würde den Umzug der Roten verhindern.

Frage: Wird der Umzug verhindert oder nicht?

Hitler  : Man muß die Regierung davon verständigen, daß der Zug der Roten   verhindert wird.

Auf diesen Antrag Hitlers   wurde dann folgende Erklä­rung an die damalige bayrische Regierung abgesandt:

,, Die Staatsregierung hat bis jetzt anscheinend nicht nur keine Maßregeln zum Schute des Bürgertums getroffen, son­dern sogar die als ein Schlag in das Gesicht der bayrischen Bevölkerung zu empfindende aufreizende und gefährliche Demonstration genehmigt. Deshalb hat die Arbeitsgemein­schaft sich entschlossen, den von den Sozialisten und prole­tarischen Kampfverbänden geplanten öffentlichen Aufzügen

entgegenzutreten."

Es kam nun zu aufgeregten Verhandlungen zwischen den Nationalsozialisten und der bayrischen Regierung. Ueber eine Sitzung der Kampfverbände vom 30. April 1923 berichtet das Protokoll:

Hitler   macht aufmerksam auf die aufgeregte Stimmung seiner Leute. Hitler und Göring   verlangen aggressives Vor­gehen mit Anwendung von Waffengewalt.

Diese Drohung mit den Waffen haben Hitler   und die Seinen dann unablässig wiederholt. So hat der Polizeioberst von Salzer später in einem Prozeß ausgesagt:

Hitler   hat davon gesprochen, daß die Angehörigen der Arbeitsgemeinschaft am 1. Mai bewaffnet antreten und die Züge der Sozialisten auseinanderhauen würden."

Die gleiche Sprache führte Göring  . Er suchte als damaliger oberster SA.- Führer zusammen mit seinem Kameraden Krie­bel den stellvertretenden Ministerpräsidenten Dr. Matt auf. Dieser berichtete über die Unterredung später vor dem Un­tersuchungsrichter des bayrischen Landtags:

,, Bald darauf kam eine Abordnung, bestehend aus den Herren Kriebel, Göring   und noch einem oder zwei Herren zu mir. Hauptwortführer war Göring  . Er erklärte rundweg: die Kampfverbände könnten es unter keinen Umständen dulden, daß die Sozialisten mit den roten Fahnen durch die Stadt ziehen. Das werde unter allen Umständen verhindert, wenn es nicht anders gehe, mit Gewalt. Auf meine Frage, wie er sich das vorstelle, meinte Göring  , es werde dann eben geschossen."

Um sich freie Schußbahn zu schaffen, verbreiteten die Kampfverbände ein von Hitler verfaßtes Flugblatt, in dem es hieß:

,, Es ergeht an die gesamte anständige Bevölkerung, ins­besondere an die vernünftig denkende Arbeiterschaft, die dringende Aufforderung, am 1. Mai nicht auf die Straße zu gehen, damit nicht Unschuldige durch die Hetze der Arbeiter­und Volksverräter zu Schaden kommen. Insbesondere war­nen wir Frauen und Kinder, die Straße zu betreten."

Tatsächlich haben damals die SA. und andere Kampfver­bände einen bewaffneten Haufen gebildet, der mit Ma­schinengewehren und Panzerwagen die Demonstrationen ver. hindern wollte. Im letzten Augenblick entsank den Helden aber doch der Mut, sie marschierten aus der Stadt ab und ließen sich dann im Freien entwaffnen. Die Feier des 1. Mai wurde damals nicht verhindert. Damals nicht und später nicht. Und als die Herren sahen, daß sie den Gedanken des 1. Mai auch mit Maschinengewehren nicht töten konnten, haben sie ihn eben gestohlen.

-

Solange das nur gut geht pflegte Lätitia Bonaparte  , Argus. Napoleons   Mutter, immer zu sagen.