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Freiheit

Nummer 101-2. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Donnerstag, 3. Mai 1934

Aus dem Inhalt

Maifesthalle niedergebrannt

Deutsche   Aufrüstung

Göring   kaltgestellt

Nationalsozialistisches

Seite 2

Seite 3

Seite 4

Strafrecht

Seite 4

Englischer Brief

Seite 7

Chefredakteur: M. Braun

Hitler vor enttäuschtem Volk

Der Kanzler ohne Glaube und ohne Ziel

Neue Drohungen an Miesmacher und Nörgler- Schweigen der Masse

D. F. Nach der Ankündigung seines Reichspropaganda­ministers hatte der deutsche   Reichsfanzler vom Tempelhofer Feld bei Berlin   zu 40 Millionen begeisterten und dank­erfüllten Deutschen   zu sprechen. Zwei Millionen davon waren vor der Tribüne des Partei- und Staatsführers auf­gebaut. Wenn je, so mußten an diesem nationalen Feiertage Freude und Stolz über das Erreichte und gläubige Prophetie für die Zukunft Sprecher und Massen hinreißen. Dies um so mehr, als unter blauem Frühlingshimmel, unter Fahnen, Gesang und Musit mit aller Raffinesse der Volkspsychologie und mit allen Regiemitteln politischer Werbekunst die größte Kundgebung versammelt war, die je diese Erde gesehen hat. Was aber geschah? Der Kanzler und Führer verlas eine matte müde Verteidigungsrede ohne Schwung und ohne Widerhall. Seine Phantasie war nicht gehoben von einem festlichen Volke, sondern bedrückt von dessen innerer Zer­riffenheit und dem mächtig wachsenden Unmut über die Zu­stände im Reiche und die Lenker seines Schicksals. Immer wieder brachen Aerger und Angst aus dem Redner hervor gegen die Tadler und Kritiker und Nörgler, ja gegen die Brutstätten der Volkszerreißung"..

Die Millionen Menschen vor ihm schwiegen erstaunt. Viele von ihnen, durch terroristisches Kommando hier zusammen­getrieben, wären auch von einer großen rhetorischen Leistung nicht berührt worden. Die vielen anderen aber waren ent­täuscht. Da hatten sie seit Tagen und Wochen in Betrieben und Zellen und Häuserblocks organisatorische Vorarbeit für diesen Tag geleistet, waren an diesem ersten Mai seit den frühesten Morgenstunden durch die endlosen Straßen Ber­ lins   marschiert und marschiert, um den einen Mann zu hören, dessen Wille und dessen Zielklarheit ihr ganzer Glatbe ist, und nun gab es ein ganz großes Versagen: es ging diesem berühmten Adolf Hitler   wie ihnen; er stand ratlos vor den riesenhaften Schwierigkeiten und klagte und klagte wie sie über die unermeßlich vielen, die an das neue Reich, an seine Führung und seine Dauer nicht glauben. Klagte über die, die Vergleiche zogen und zu vernichtenden Urteilen über den Nationalsozialismus famen.

Die große Mehrheit der Versammelten lehnte den Mann ab, der da oben sprach wie gegen eine Wand. Schon als er die turmhohe Rednertribüne betrat, wurde das kund. Die Begrüßung, die einige Tausend in der nächsten Umgebung ihm spendeten, war lau und kurz. Nichts von dem minutenlangen Volksjubel, über den die Offiziösen so gern berichten und auch diesmal berichtet haben. Hunderte Lautsprecher hallten über das Paradefeld. Es gab niemanden auf der weiten Fläche, an dessen Ohr nicht jedes Wort der Rede des natio­nalen Volkstages gedrungen wäre. Nur ganz selten aber gab die Masse Widerhall. Viele lange Minuten war es still wie bei einer professoralen Kathederrede. Gerade auch dann, wenn Hitler   seine alte, früher so wirksame Leier drehte von den schrecklichen fünfzehn Jahren der Verzweiflung, den früher üblichen vierzehn Jahren hat er diesmal noch eins hinzugegeben. Gerade auch dann, wenn er seine eigene große Leistung in üblem Selbstlob pries gegenüber der Unfähigkeit und Selbstsucht aller früheren Regierungen. Ja auch dann, als er unmittelbar die Hunderttausende anrief, die als von ihm aus der Erwerbslosigkeit Erlöste in dieser riesenhaften Versammlung standen. Nicht einmal die riefen Dank zu ihm empor. Die am wenigsten, denn sie als das Fußvolk der Arbeitsschlacht glauben nicht an die weltenwendenden Siege, die ihnen der Generalfeldmarschall da oben in schwindel­haften Heeresberichten einreden will.

Nur einige Male ging der Beifall über die uniformierte Claque rings um die Tribüne hinaus, und nur an einer Stelle wurde er beinahe allgemein. Das war aber nicht da, wo der Reichskanzler immer wieder gegen die böswilligen Elemente wetterte, und nicht da, wo er sich als den Heiland des Volkes von Streit und Hader feierte, und auch nicht da, wo er sich der Vernichtung des Parteiwesens und die Er­oberung der Gewerkschaften rühmte, sondern das war sehr lehrreich für jeden Schwärmer da, wo er dem schnöden Materialismus seine Reverenz erwies. Große Zustimmung fand Hitler   nur, als er, um endlich etwas Leben in die Massen zu bringen, gegen die Unternehmer loslegte, die über die Lohnzahlung für den 1. Mai zu meckern wagten. Da riefen die Gefolgschaften Beifall, aber ihre Führer blieben

kühl.

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Aber wo war das große Ziel, das Führer und Gefolg schaften, beide schon ifeptisch geworden, von ihrem obersten Führer aufgestellt wissen wollten? Er meiß feins und er hat feins. Wie refigniert flingt es, als er die Hoffnung ausspricht, daß es dereinst gelingen wird, das deutsche   Volk

aus Not und Untergang zu retten, daß er langsam, aber sicher" die neue Volksgemeinschaft bilden will, daß mit fom­menden Generationen erreicht werden wird, was mit der heutigen Generation nicht gelingt. Das sind also viel mehr als die wenigen vierzehn Jahre, in denen die Republik   von Weimar   unterwühlt und umdroht arbeiten konnte. Diese Republik  , auf die gerade dieser Redner die Schuld von Jahrhunderten gehäuft hat. Nun bittet der sonst so erbar­mungslose Kritiker für sich und seine Sache um Geduld auf unabsehbare viele Jahre und Jahrzehnte.

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Und wer die Geduld nicht hat? Wer nicht glaubt, daß dieses verfahrene und ziellose System zur Rettung Deutsch­ lands   führt? Nun, der wird zermalmt und ausgetilgt. Zwar bat der Diktator einmal um gegenseitige Nachsicht", aber nur, um an zehn anderen Stellen zu verkünden, daß nur die Herrschenden diese Nachsicht zu verlangen haben. Denn jede Kritif, die von der herrschenden Clique nicht als aufbauend anerkannt wird und welche wäre für sie positiv? foll rücksichtsloser unterdrückt werden denn je. Wir gestehen dem Mann zu: er fann gar nicht anders. Sein Gewaltstaat kann nirgendwo so etwas wie Meinungsfreiheit zulassen, weil sofort eine Lawine losbräche, die ihn hinwegfegen würde. Und wenn noch so hohe Fahnenmasten tief in Betonblöcke eingebaut werden: das System, das die Fahnen in der Höhe symbolisieren sollen, hat keine neuen kräftig sich verklam­mernden Wurzeln. Wo der Mann, der es sozusagen geistig repräsentiert, konkret zu werden versucht, kommt er über das alte liberale Schlagwort nicht hinaus Freie Bahn dem Tüchtigen!" Er hat zwar aus Demagogie das Wort Sozia­lismus" im Namensschild seiner Bewegung, aber gegen jede Planung der Produktion und Distribution, die allen Schwäßern zum Troß das Grundproblem des Jahrhunderts bleibt, hat er den armseligen uralten liberalen Spießer einwand von der Bürokratisierung unseres gesamten Wirt­schaftslebens".

Wir haben diesem Hohlkopf nie eine konstruktive Idee zu­getraut. Er kann keine haben und er hat keine. Und wenn er das ganze Volf hinter sich gebracht hätte, und wenn ihm Europa   und die Welt zujauchzte: wir würden uns nicht einen Augenblick blenden und täuschen lassen. Mit diesem Manne, - wieviel Besessenheit dieses Willenszentrum auch erfüllen mag- zieht nicht die neue Zeit. Er sucht mit neuen groß­artigen Propagandamitteln alte überlebte Kräfte zu retten. Das ist alles. Die neu heraufsteigenden Mächte werden ihn vernichten.

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Ehre der Arbeit!" Er gibt es als seine neue Losung aus. Als wenn nicht die ganze große sozialistische Arbeiter= bewegung ein einziges Loblied auf jede echte förperliche und geistige Arbeit gewesen wäre. Nun tun diese Talmisozialisten, als hätten sie das Ehr- und Selbstgefühl des Arbeiters wecken müssen. Der Arbeit hoch! Der Arbeit Ehre!" So flang es schon seit Jahrzehnten durch unsere Maifeierlieder. " Volksgemeinschaft." Davon predigen sie, als hätten sie dieses Ziel erfunden, und dennoch war die Gemeinschaft das Ziel des Klassenkampfes von jeher:

Der Erde Glück, der Sonne Pracht, Des Geistes Licht, des Wissens Macht, Dem ganzen Volke seins gegeben, Das ist das Ziel, das wir erstreben.

Mit diesem Lied marschierten die deutschen   Sozialisten an jedem ersten Mai und mit dem anderen:

Wir strecken aus die Bruderhand, das Volk vom Elend zu erretten, Aus geistger Schmach das Vaterland.

Nie aber haben wir daran geglaubt, daß die neue große Gemeinschaft dem Volke nur eingeredet oder durch irgendein ausgeflügeltes ständisches Verfassungssystem vorgetäuscht werden könnte. Nie werden wir es glauben.

Auch die Massen auf dem Tempelhofer Feld glauben es nicht. Die Geschulten wissen und die Nichtwissenden ahnen und fühlen, daß ein großes neues System aller geistigen und moralischen Erneuerung vorausgehen muß: die gemein­nüßige Organisation der Wirtschaft, die aus der anarchischen fapitalistischen Verheerung und ihren ewigen Krisen eine planvolle Gemeinwirtschaft und volle Entwicklung der über­reichen Produktionsmittel der Gesellschaft bringt. An dieser Forderung und an diesem Willen scheiden sich die Geister für ein Jahrhundert, und die Episode Hitler   wird diese groß artige geschichtliche Wegscheide nicht aufhalten können.

Der deutsche   Reichskanzler, in dessen Namen die größten Barbareien verübt werden, die unsere neuere deutsche   Ge­

Gestern und heute

Der Reichsminister Göbbels  , der es unter dem Namen Mahatma Propagandhi zu einer gewissen Berühmtheit ge­bracht hat, forderte, die deutsche Presse kürzlich auf, sie solle doch Mut bekommen. Sie sind langweilig, meine Herren, sagte er, aber sie brauchen es nicht zu sein; auch im national­sozialistischen Staat kann man Kritik üben, probieren sie

es nur!

Einer hat es probiert.

Die postwendende Folge war ein Ukas, datiert auf den Tag vor Hitlers   ersten Mai, der begann: ,, Die im Verlag Ull­stein erscheinende Zeitung Die Grüne Post" ist auf die Dauer von drei Monaten wegen des Artikels ,, Herr Reichs­minister, ein Wort bitte!" von Thomas Trimm   in der Aus­gabe vom 29. April 1934 verboten worden."

Auf diese kräftige Reklame hin haben wir uns natürlich sofort das Blatt gekauft und nachgelesen, was der üble Bursche eigentlich geschrieben hat. Nun, er nahm sich zum Beispiel heraus, Herrn Göbbels persönlich folgendermaßen anzureden: ,, Sie gehen zwar immer wieder unters Volk, aber mit uns, den Angehörigen der Nichtparteipresse, kommen Sie nicht so sehr in Berührung. Da ich aber auch nicht zu Ihnen kommen kann, denn Sie wohnen in einem großen Haus mit tausend Zimmern, da sitzen tausend Männer drin, und tau­send Vorzimmer sind da, da siten wahrscheinlich schon zehn­tausend Menschen drin...

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Armer Thomas Trimm, dieser Satz war ein schwerer Feh­ler! Du hast es gewagt, die Vorzimmerbeamten zu beleidigen, indem Du durch die Blume zu verstehen gabst, daß sie Dir ziemlich überflüssig erschienen, und eine Unterhaltung mit ihnen noch überflüssiger. Thomas, das war, gelinde gesagt, nicht weltklug.

Dann schriebst Du Unseliger: ,, Sie sind, Herr Reichs­minister, ein Freund des Wiges und der Ironie. Wer so ar­beitet, wird nicht leicht gleichförmig. Unsere Grenzen sind da aber enger gezogen" hast Du damit sagen wollen, Thomas, daß die Verhöhnung der geknebelten deutschen  Presse durch Herrn Göbbels   ganz von fern sozusagen ein wenig an Feigheit erinnere? Schließlich fuhrst Du fort und das war das stärkste Stück:

,, Früher, da konnten wir zum Beispiel diese geistige Uebung( nämlich Wit und Ironie) gelegentlich auch an be­hördlichen Maßnahmen und behördlichen Personen erproben Herr Reichsminister, bei aller Aufforderung von Ihnen: ich weiß nicht recht

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Ja, zum Donnerwetter, da könnte ja einer auf den Ge­danken kommen, früher sei dies oder jenes womöglich besser gewesen als heute. Thomas, Du bist mit Recht verboten worden.

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Und außerdem mit einem guten, saftigen Grund wenn er auch im Erlaẞ Deines Chefs Göbbels   nicht drin steht. Du hast in Deinem auf Mut stilisierten Artikel auch den Seufzer gewagt: Wenn man heute in so vielen deutschen   Ländern die von uns gefundene Form des Blattes bis in zufällige Ein­zelheiten kopiert und den Inhalt zu kopieren versucht und so eine traurige Gleichförmigkeit auch noch der Sonntags­Zeitungen in Deutschland   schafft..."

Um es kurz zu sagen: die Nazis geben seit etwa zwei Jah­ren eine sogenannte ,, Braune Post" heraus, die tatsächlich Dein Blatt, Thomas, bis auf die Gestalt der Buchstaben nach­äfft. Sie scheinen der Ansicht zu sein, daß sie nun genug von Dir gelernt hätten und daß Du darum überflüssig ge­worden bist. Also war das Verbot eine Selbstverständlichkeit. Denn auch für geschäftliche Konkurrenten, die zugleich die Herren im Staate sind, gilt das Wort: Man tut, was man kann. Und wenn künftig wieder einmal ein Naziminister be­hauptet, er wünsche Kritik, und Denken sei in Deutschland  keineswegs verboten und außerdem stehe die öffentliche­Meinung freiwillig hinter der Regierung dann werden wir an Dich und Deine, Grüne Post" denken, Thomas, und wissen, was wir davon zu halten haben. Argus.

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schichte fennt, hat Gottes Segen angerufen. Darüber mögen sich die Gottgläubigen mit ihm auseinanderseßen. Wir stellen nur fest, daß ihm der Fluch von Millionen und aber Millionen Deutschen   antwortet. Deser gesegnete Fluch sprach gewaltig