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Feldpolizei gegen S.A.  

Racheprozeß

für Horst Wessel  

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Pacis Warschau  - Genf  

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Mit dem Tode wird bestraft

cuft die deutschen Bischöfe

Der Papst

Nummer 103-2. Jahrgang

Saarbrücken  , Samstag, 5. Mai 1934

Chefredakteur: M. Braun

Seite 7

Das Reich der..Schlachten'

Die Kriegserklärung an die Miesmacher und Nörgler

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So also hat der Volkskanzler zu seinem Volfe gesprochen: In einem Karree von Bewaffneten, die im Stahlhelm truzig auf die Massen schauen. Zwischen dieser Leibgarde und dem Volke standen noch dichte Kolonnen von SA.  - nund SS.­Leuten. Das sieht nicht so aus, als hätte der Reichskanzler den Wunsch gehabt, daß die angeblich so begeisterten Massen ihm allzu nahe kommen. Das Bild zeigt den wahren Zu= stand in Deutschland  : hoch oben die Nazi- Bonzokratie. Zwischen ihr und Millionen von Miesmachern und Nörg­Iern" die gekaufte Prätorianergarde des Systems. Die be­waffneten Söldnerscharen allein sind die Stüße der Diktatur. Die Volksmassen lehnen das dritte Reich" längst ab. Darum soll jetzt die ganze Partei mit ihrer riesenhaften Apparatur gegen die Unzufriedenen eingesetzt werden. Nicht um sie zu überzeugen, sondern um durch eine neue gewaltige Terror­welle des Machtstates die Volksmassen einzuschüchtern.

Es fällt dem Reichspropagndaministerium diesmal schwer, in der Auslandspresse auch nur wenige Stimmen zu finden, die fich innerpolitsch als Nachklang für den stimmungslosen Staatsaft vor indifferenten Massen auf dem Tempelhofer  Felde ausnutzen lassen. Nur einige nationalistische fran­ zösische   Blätter, die den gewaltigen Aufmarsch zur Verstär­kung der französischen   Besorgnisse vor der organisatorischen

Kraft und dem Machtwillen Deutschlands   ausgewertet haben, glänzen mit vorsichtig ausgewählten und retuschierten Zitaten in der deutschen   Presse. Unterschlagen wird aber, daß selbst diese Zeitungen zugeben, wie gleichgültig und matt das Bolt diesmal die Kanzlerrede aufnahm. Die englische Presse ist spöttisch und höhnisch. Daily Telegraph  ", der nicht immer gerade voreingenommen gegen Hitler   gewesen ist, läßt sich durch seinen Berliner   Korrespondenten melden: Die Rede Hitlers   hat nicht den gleichen begeisterten Beifall er­zeugt wie die vor einem Jahr. Kleine Gruppen Berliner SA., die sich in seiner Nähe befanden, gähnten während der Rede ungeniert oder vertrieben sich die Zeit mit Spielereien."

Die nationalsozialistische Presse gibt sich zu Beginn der großen Propagandaschlacht gegen die Miesmacher und Nörgler den Anschein, als gelte der Stoß den reaktionären Schichten und nicht den Arbeitermassen, die treu zum neuen Reiche ständen. Daß dies Schwindel ist, wissen wir nicht nur aus zahllosen illegalen Breichten, die uns erreichen, sondern auch aus den unzweideutigen Niederlagen der National­sozialisten bei den Wahlen der Vertrauensräte", die In­preß" meldet:

Im Ullstein Verlag wurden von etwa 4100 Arbei tern und Angestellten 2070 gültige Stimmen für den Ver­trauensrat abgegeben; 2030 Stimmzettel waren durch strichen und admit ungültig. Die Wahl wurde unter Aufs ficht der Personalbteilung durchgeführt.

Bei der Berliner   Bolts wohlversicherung" ers zielten die Nazis 175 Jaftimmen bei einer Belegschaft von rund 500 Mann. Bei der Deutschen   Hollerith  - Ges

Gestern und heute

Der preußische Ministerpräsident Hermann Göring   hat ein Maienerlebnis gehabt, das in den Spalten der deutschen  Presse mit allen Einzelheiten geschildert wird. Hier lassen wir die Tatsachen nach der ,, Deutschen Allgemeinen Zeitung" atsprechen.

Göring   hatte sich, als er sich dem Aufmarsch eingliedern woltle, verspätet. Da sah er die Belegschaft des AEG.- Werkes. Ein Isolierer entdeckte ihn. Der Mann hört auf den Namen Kot. Er brachte sofort ein Siegheil auf Göring   aus, und die gesamte Gefolgschaft stimmte mit großem Beifall ein, wenn wir dem genannten Blatte glauben dürfen.

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er war

Daraufhin unternahm der Ministerpräsident schlicht und einfach, mit einer hellgrauen Uniform ohne eine Abzeichen, doch mit dem Pour- le Mérite bekleidet Tat von unvergleichlicher Loyalität. Er sprang- wörtlich, er sprang! in die zweite Reihe des Zuges, zwischen den Installateur Merzig   und den Einrichter Sommerfeld.

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Alle schwigten sehr. Die gemeinsame. Transpiration er­zeugte aber bei dem Herrn Ministerpräsidenten eine nahezu proletarische Klassensolidarität. Er fragte seine Nebenmänner über Löhne und Abzüge. ,, Die Abzüge sind noch hoch," sagte Merzig  , aber der Geist ist wieder gut, und ich bin froh, daß die Pflaumen von früher abgewirtschaftet haben." Göring  sprach ihm Trost zu: ,, Habt, so sagte er, noch zweieinhalb

260 Jahre Geduld! Haltet durch! Dann sind wir über den Berg."

fellschaft stimmten von etwa 500 Beschäftigten ebenfalls nur 175 mit Ja. Bei Pitius, Berlin   SO., lehnte die Belegschaft die Wahl überhaupt ab, so daß der Unternehmer sich an den Treuhänder wenden mußte. In der Berliner  . Fabrik von Holz stimmten von 1000 Mann nur 300 für den Nazikandidaten. In der Schuhfabrik Simson, Röpes nider Straße, erhielt der Nazi- Vorsitzende des Vertrauens: rates von der 73 Mann starken Belegschaft 36, die nächst= folgenden Kandidaten der Liste, die feine Nazis find, ers hielten 59, 63 und 69 Stimmen.

In Glauerburg, an der holländischen Grenze, bes schäftigen die Textilwerke Povel u. Co. 2300 Mann. Davon wählten nur 1351. Von dieser Hälfte der Belegschaft wähl= ten wieder nur 700 Mann für die Naziliste.

Die nationalsozialistische Führung macht dieselbe Erfah­rung wie der Kaiser und seine Generäle während der

großen Zeit" des Krieges. Erst ein Rausch der Begeisterung, eine vorgetäuschte Volksgemeinschaft, die durch schärfste

Unter solch munteren Gesprächen gingen sie weiter. Da sah eine junge Wirtin( Berliner   Bürgerbräu auf der Friesen­straße) den schwigenden Göring  . Sofort durchbrach sie die Reihe mit einem Kruge schäumenden Bieres. ,, Herr Minister­präsident, bitte trinken Sie mir die Blume ab." Göring   tat es mit leutseligem Durst. Den Rest trank sie selbst.

Damit ist diese Geschichte eigentlich zu Ende. Sie hat gar keine Pointe, aber der Leser wird sie reizend finden. Es ist eben nicht so, daß Göring   Schrecken ersinnt und Blut schreibt. In Wahrheit ist er ein heiterer Zeitgenosse, am glücklichsten in enger Tuchfühlung mit dem schlichten Werkstättenmann, dessen Gedanken er mitdenkt, dessen Leiden er mitleidet. Das wahre Charakterbild Hermann Görings wird, traun für­wahr, in der Geschichte fortan nie mehr schwanken.

Aber nicht nur Göring   hat ein Erlebnis gehabt. Angeregt durch das seinige, habe auch ich mir eines verschafft. Es be­gann mit einer lieben Erinnerung. An unserem Gymnasium gab es jedes Jahr zur österlichen Versetzungszeit eine fest­liche Szene. Der Rektor rief die braven Knaben und schenkte ihnen zum Zeichen, daß sie das Ziel der Klasse erreicht

Unterdrückung aller kritischen Stimmen äußerlich jahrelang hätten, einen Luxusband: Unser Kaiserpaar. aufrechterhalten werden soll. Auch damals der unmögliche Versuch, die Wahrheit über den wirklichen Zustand im Felde Nörgler zu verbergen. Auch damals der zum Scheitern ver­

und in der Heimat durch Anprangerung der Miesmacher und

urteilte Versuch, das Volk auf Jahre und Jahre zu Opfern zu zwingen, die über Menschenkräfte hinausgehen. Auch da­mals der Wille, Widerspenstige auszutilgen. Freilich ge= stehen wir zu, daß die Kriegsgerichte wahre Vorbilder an Gerechtigkeit und Milde waren, verglichen mit dem Volks­ gerichtshof  ", der zu Massenurteilen für den Scharfrichter nun zusammentreten soll. Wir bringen an anderer Stelle die un­geheuerlichen Strafandrohungen. Sie beweisen mehr als alles andere, wie stark die Auflehnung gegen den Hitlerwahnwiz in Deutschland   schon gestiegn ist. Nur ein System, das sich innerlich schwach fühlt und von tausend Gefahren bedroht ist, greift zu so verzweifelten blutigen Maßnahmen.

Unsere Freunde, die im Reiche unter so furchtbarem Druck stehen, werden dadurch noch vorsichtiger, aber nicht fahnen­flüchtig werden. Die Männer und die Frauen, die dem Henfer zum Troß ihre sozialistische Glaubensarbeit verrich­ten, sind geschult genug, um gerade aus den bestialischen Drohungen der Reichsregierung zu erkennen, daß die schein­bar allmächtigen Diftatoren sich vor den kleinen Gruppen fürchten, die gefährliche Herde sind, weil sie den passiven Widerstand der Volksmassen mehr und mehr aktivieren.

Sogar dem Mann, der reihenweise Todesurteile unter­zeichnet, dem wankenden preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring   dämmert die Erkenntnis, daß Ideen mit Gewalt nicht auszurotten sind. Er hat am Abend des Mai­tages in seiner Rede zu Berlin   trübe Ahnungen über die Lebenskraft des Marrismus, also der sozialistischen   Ideen­welt in den Volksmassen, entwickelt.

Nun will man Gewalt und Propaganda, Terror und Täu­

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Der Leser wird es nicht glauben: auch ich habe ihn er­halten. Wahrhaftig, der stand ja noch hinten auf dem Regal! Nach Jahrzehnten sahen wir uns wieder, und ich fand, daß ich seit langer Zeit eine solch aufschlußreiche Lektüre nicht mehr gehabt habe. Was hatten wir doch für einen arbeiter­freundlichen, kunstbegeisterten, kinderlieben Monarchen! Aber warum ist das heute so antiquiert, so simpel und so schlicht? Der Grund ist sehr einfach. Hitler und Göring  , Göbbels   und Streicher ist es in einem Jahre gelungen, den dreißigjährigen Rekord der Familie Wilhelms II. an Legenden und Anekdoten zu schlagen. In der Aera der Hohenzollern­chronisten schwächte manchmal ein sanftes Schamgefühl die Tendenz ab. Heute? Zitternd- demütige Knechte tragen der Tyrannis täglich den mundenden Schmeichelbrei auf.

Wir hüten uns, was das deutsche   Volk betrifft, vor Ver. allgemeinerungen. Doch manchmal fragen wir uns, ob denn die hinter uns liegende Aera der Selbstbestimmung und der Volkssouveränität so wenig die Substanz dieser deutschen  Menschen erschüttert habe, daß es in Jahresfrist möglich war, aus Hitler   einen Gott und aus Göring   einen Götzen zu Argus. machen.

schung gemeinsam ansetzen, um den Widerstand zu brechen. Man wird aber nur erleben, daß nach der Arbeitsschlacht und der Währungsschlacht auch die Propagandaschlacht zu einer Niederlage führen wird.

Das dritte Reich" kann die Erscheinungen seines Verfalls nicht mehr verbergen und die Millionen seiner Gegner un­möglich alle erschlagen. Das Ende wird kommen und hinter chaotischem Sturz ein sozialistisches Beginnen zur Ordnung und Wohlfahrt.