„Deutsch- Freiheit»», Nummer 103Das bunte BlattGin bißchen Heimweh25 Fahre beim Filmoder: llied an der Keine- Von Äxel Bell2mal Metro Allerretour 1,708 Pfund Brot 8,—2 Gervais 1,80Zeitung 0,50Wolter krault ein wenig ratlos in seinen struppigenbraunen Haaren und setzt unter die Rechnung des Tageseinen energischen Bleistiftstrich, der den aufdringlichenZahlen eine entschiedene Grenze setzt. Die Kassenlage istverzweifelt:„Völlig Untergrund!" verkündet er Alex und legt dabei inseine Jungenstimme den rollenden Klang eines geschlage-nen Bühnenfeldherrn. Aber Alex, dieser verfressene Kerl,macht aus ihn die tragische Bankrotterklärung des geplagtenFinanzministers vielleicht den geringsten Eindruck?! Ersteht an die halbhohe Bar des Kaffees gelehnt und schimpftkauend auf das dreimalverfluchte, schlabbrige Frqnzosen-weißbrot, das er nun schon nicht mehr„verknusen" könne.„Wahrscheinlich ziehst du Wassersuppe und Prügel inOranienburg vor!" stichelt Walter und bereut es gleichdarauf, als er in die traurigen Augen des Kameraden sieht.Dann klingelt er die letzten Sous auf die Zinkplatte und daes nicht mal mehr für ein Trinkgeld reicht, ziehen die beidenDeutschen sich den bitterbösen, verächtlichen Blick des Kell-ners zu.Ohne bestimmtes Ziel schlurfen die Freunde an der Seineentlang. Alex hat sich die große Ziehharmonika über dieschmalen Jünglingsrücken gehängt und ist schlechter Laune.Nun ist es schon fünf Wochen her, daß sie von der Spree andie Seine fliehen mußten. Als Ernst Reiter, der Obmannihrer Fünfergruppe, geschnappt wurde, war keine Zeit mehrzu verlieren gewesen. Zu Fuß, auf Lastautos, die alten Tor-nister auf dem Buckel und die Musikinstrumente untermArm, waren sie an die Grenze gekommen, und als sie zumersten Mal über einem Amtsgebäude an Stelle des Haken-kreuzes LIBERTE EGALITE FRATERNITE fanden, schlugAlex dem Gefährten jubelnd auf die Schulter:„Mensch,frei!", so daß Walters Geige erschüttert mitbrummte.Das war damals. Sie glaubten ins Paradies zu ziehen.Aber jetzt? Gewiß, das Land war reich und schön. Sicher,Paris war unvergleichlich herrlicher als das graue Berlinund die Menschen heiter, sorgenfreier. Aber manchmal packtbesonders den empfindsamen Alex ein Schmerz, fast ein Haßgegen das fremde Land. Er fragt. Man versteht ihn nicht.Er hört und begreift nicht. Jedes Plakat, das er nicht lesenkann, alle Eigenarten des fremden Volkes verletzen undempören ihn.An einer belebten Brücke reißt Walter ihn aus seinenTräumereien.»Los, hier ist ein knorker Platz!" und er beginnt denbraunen Umzug von seiner Geige zu streifen, während Alexsich an die Wachsverpackung seines Schifferklaviers macht.„Unser heutiges Programm?"„Na, wie immer„Nun ade, du mein lieb Heimatland!""Sie haben dieses Lied für ihre Straßenfängerei gewählt,weil die französischen Zuhörer doch wenigstens an dem Wort„adieu" ungefähr erraten sollen, was die seltsamen Ausländermit ihren Brummstimmer ihnen vorsingen. Furchtsam undzitternd irrt Walters Geigenstimme durch den Lärm derStraße. Jetzt rückt das Klangheer der gutmütigen Zieh-Harmonikakkorde dem schwachen Partner zu Hilfe und nunvagabundieren die Töne gemeinsam über die Seine-'aio,öffnen die Fenster, locken Passanten. Immer dichter wirbder Kreis der Zuhörer. Da beginnt Alex' Schulbubenstimmedas Lied.Wie, da steht ihr nun, ihr Pariser, und begreift kein Wort!Da gafft ihr neugierig auf uns zwei!„Heimatland...adieu..." Ach, ihr könnt uns nicht verstehen, selbst wennihr unsere Sprache sprächet. Wie könnt ihr wissen, was wirda singen, ihr Conciergen, ihr Steuerbeamten, Arbeiter,Rentiers, Buchhändler, die sparen, gern gut essen, ihrekranken Lebern pflegen und am Sonntag auf Fischfanggehen?! Wie könnt ihr es begreifen? Ihr seid doch— beiEuch!So spottet es in Alex, während er mechanisch singt. Datauchen sie bann plötzlich vor ihm auf, die„Länder, Berge,Täler, Höhn", die er besingt und eine wahnsinnige Sehn-sucht packt ihn nach all dem Blattgrün, dem Weizengelb undZiegelrot der Heimat. Er denkt zurück an die grauen Häuser,die rotznasigen Straßenjungen, die Sandkästen Berlins undhört den frechen, geliebten Klang des Stadtdialektes. Aberdann weiß er plötzlich auch wieder von d<m Mißhandlungenund Qualen des letzten halben Jahres, vom ängstlichenFlüsterton, vom dummen Hordengeheul und fühlt es ganzschmerzlich tief: Dorthin zurück? Nein:»Adieu..."All das klingt mit in dem banalen kleinen Volksliebchenund auch die anderssprachigen Zuhörer müssen wohl etwasdavon gespürt haben, den als der letzte Tan verklungen ist,bleiben sie alle ein Weilchen stumm stehen am Gebrüll desVerkehrs. Da löst sich ein kleiner schwarzer Briefträger inseiner nachlässigen Uniform aus dem Kreis und--eicht demratlosen Alex stumm die Hand.„Laß nur, wir verstehen dichdoch!" sagen seine lustigen Kugelaugen und dann läßt er ausseinem umständlichen Portemonnaie eine Münze in denTeller Walters fallen, der mit gutem Erfolg und vielem:„Merci bien!" einsammelt.Als sie wieder allein sind, sagt Alex verträumt:„Das war schön! Und weißt du, hier sögt man gar nicht„adieu", hier heißt es„au revoir",„Aus Wiebersehen!"Aber das versteht Walter nun nicht ganz. Glücklich stapelter Nickelstücke aufeinander und zieht stolz Bilanz:„Kasseheute„Hochbahn"!"Friedliches ChikagoVon H. FrsenkelNeuyork,im Mai.Wir haben viel zu viel Schlagwörter. Dinge, Menschen,Städte, Völker ein für allemal klassifiziert zu haben, ist jarecht bequem. Aber es ist nicht immer ganz richtig. Ganzso einfach sind meistens weder die Dinge, noch die Menschen,noch die Städte, noch die Völker. Man soll es sich nicht zuleicht machen.Das gemütliche Wien— Das Berliner Tempo— Chikago,die Berbrecherstadt— Der quecksilbrige Franzose— Derphlegmatische Engländer— das klingt so nett und spricht sichso leicht hin. Nur stimmt es nicht immer ganz oder ist docheine Regel mit so vielen Ausnahme», daß es schon kaummehr eine Regel ist.Man hüte sich, um Irrtümer oder gar Fälschungen zu ver»meiden, vor solch billiger Sprachmünze, die so abgegriffenist, daß man kaum mehr die Prägung erkennt.Es kann nämlich auch in Wien sehr ungemütlich— und werwill das noch bestreiten— und in Berlin höchst gemütlichsein,' es gibt sehr viele phlegmatische Franzosen und sogareinige fwenn auch gewiß nicht viele) quecksilbrige Engländer,und in der berühmten Verbrecherstadt Chikago kann man—muß man meistens sogar— so friedlich leben, wie irgendwoauf der Welt.Ich war ein paarmal in Chikago. Aber ich habe dort nichtdie leiseste Revolverschießerei erlebt, und ein Maschinen-gewehr habe ich, offen gestanden, nicht einmal von weitemgesehn. Einmal hörte ich, erschauernd, eine Polizeisirene.Nachher wars aber doch nur die Feuerwehr.Dabei habe ich einmal einen ganzen Abend und eine ganzeNacht unter sachverständiger Führung dem Studium derChikagoer Unterwelt gewidmet. In ihren eigenen Schlupf-winkeln habe ich die Herren Gangster aufgesucht. Aber diehaben sich so manierlich benommen, daß sich mein sehrliebenswürdiger und heimatstolzer Führer richtig geschämthat.Wirklich— wenn man es nicht ganz genau wüßte, daßChikago eine berühmte Berbrecherstadt ist. Kern des berüch-tigten Bandenunwesens und Zentrum einer weltumspannen-de» Verbrecherorganisation—, man würde eS nicht fürmöglich halten, man würde eher zu glauben geneigt sein, daßdies eine besonders friedliche, saubere, fleißige und betrieb-samc Stadt ist, die trotz mammuthäfter Ausmaße und Gebäude doch noch einen irgendwie provinziellen Charakterbewahrt hat.Vielleicht liegt das an jenem wunderschönen Lake ShoreDrive, einer fast idyllischen und wundervoll gepflegtenStraße, die, im feinsten Wohnviertel der Stadt, am Strandedes Michigan-Sees entlang führt, der aussieht wie ein rich-tiges Meer und doch nur ein zwar sehr großer, aber Harm-loser See ist, der noch dazu so gutmütig ist, sich alljährlichfür viele Dollarmillionen neuen Grund und Boden ab-zwacken zu lassen, so daß, wo früher sich nur Segel blähtenund allenfalls die Seejungfrauen kühne Fischer in dieFluten zogen— daß da heute die Immobilienmakler all-jährlich neue fette Hypotheken pflanzen können.All die schönen wundervoll gepflegten Anlagen jenseits derMichigan Avenue sind erst in den letzten paar Jahrzehnten,Schritt fürSchritt.demSee abgerungen worden und wenn auchdie großartigen Dränierungsanlagen Millionen kosten— eslohnt sich hundertfach, da man in dieser Gegend den Grundund Boden mit Goldstücken pflastern könnte, ohne seinenWert zu überschreiten. Die Dränierungsarbeiten werdenübrigens stetig sortgesetzt, so daß also die Stadt Chikagogewissermaßen imcker weiter in den Michigan-See hinein-wächst.Die Amerikaner sind alle große Lokalpratioten. Aber nir-gends ist man heimatstolzer als in Chikago, wo jeder neueRekord— etwa eine prozentual größere Bevölkerungs-zunähme als in Neuyork— mit frenetischem Jubel begrüßtwirb.Am stolzesten aber ist man in Chikago jetzt aus das neue„Museum of Sience and Jndustry", ein ebenfalls im„Neu-land" des Userdistrikts wunderschön gelegenes Museum, wo,sei es in Originalen, sei es in Nachbildungen und vom pri-mitivsten Steinhammer bis zur kompliziertesten Maschinealle Handwerksartikel, Apparate und Maschinen ausgestelltsind, die in der Entwicklung menschlicher Zivilisation«inewesentliche Rolle gespielt haben.Hoffentlich ist, um Chikagos Renommee als Verbrecher-stadt nicht zu schmälern, in dem Museum auch eine Sonder-abteilung, wo, vom einfachen Dietrich bis zum raffiniertestenSauerstosfgebläse, vom Holzhammer bis zum Maschinen-Gewehr, auch die Entwicklung desjenigen Gewerbezweigesgewürdigt wird, mit dem das bequeme Schlagwort denBegriff Chikago zu verknüpfen pflegt.Lionel Barrymore hält diesen schönen Rekord...Im Jahre 1900 ist er das erstemal aus der Leinwand er-schienen. Heute ist er einer der berühmtesten Schauspieler,mehrfacher Preisträger der„Akademie der FilmischenKünste". Unter den vielen Rollen, die er in diesem Viertel-jahrhundert gedreht hat, erwähnt Lionel Barrymore nureinige wenige, die interessantesten, wie er sagt. Darunter„Peter Jbbetson",»The Jest",„The Copperhead".„DerLöwe und die Maus",„Rasputin"— und„Grand Hotel". Indem letzteren Film begeisterte ihn seine Rolle als Kringeleinvollends:„Das war eine ausgezeichnete menschliche Studieund das ist immer eine interessante Arbeit für einen Schau-spieler."Elastische HühnereierEin Hühnerzüchter aus Kalifornien, Hermann Krumland,hat nach langjährigen Versuchen seine Hühner so gezüchtet,daß sie elastische Eier legen. Er hat dem Futter eine Gummi-pflanze beigemischt, natürlich in sehr geringen Mengen, diedie Hühner gerne als Nahrung annehmen. Nach und nachsteigerte sich die Quantität, bis sich der Gummi mit der Kalk-nahrung verband. Die Kalkschale wird durch den Gummi-zusatz nicht mehr so spröde, die Eier zerbrechen nicht soleicht und sind bei gleichwertigem Geschmack von einerTransportfähigkeit, die den einfachen Hühnereiern bisherfehlte. Herr Krumland hofft, baß seine Spezialeier bald denMarkt beherrschen werden.11 Millionen FingerabdruckeSeit der Benutzung von Fingerabdrllcken im kriminali-stischen Erkennungsdienst sind bisher nicht weniger als 11Millionen Abdrücke für die Verbrecheralben der ganzen Weltgenommen worden. Allein in London waren im Jahre 1932etwa 732 000 Verbrecherhände in der Polizeizentrale vonScotland Aard schwarz auf weiß aufgestapelt und nach denBerichten der britischen Polizei ist mit einem jährlichenDurchschnittszugang von etwa 20 000 Exemplaren zu rechnen.Elf Millionen Straffällige, das ist ein schöner großer Völker-stamm. Paris und Neuyork zusammen haben kaum sovieleEinwohner, wie sie das Verbrecheralbum zählt.Der drahtlose KchuhmannEine bisher nur von Witzblattzeichnern erdachte Figur istWirklichkeit geworden: der drahtlose Schutzmann! Dieamerikanischen Polizisten werden jetzt aus ihren Streif-gangen einen kleinen Radiosendeapparat bei sich tragen, der,unter der Jacke verborgen, kaum sichtbar ist. Mit diesemkleinen Sendeapparat, der aus einen Empfangsapparat imPolizeirevier abgestimmt ist, werden sie sofort wichtige Mel-düngen durchgehen können. Die ersten Versuche mit diesemApparat haben zu überraschend befriedigenden Ergebnissengeführt.Wissen sne schon...... wie„hoch" das Meer geht. Die höchsten Brandungs-wellen der Nordsee erreichen im Winter eine Höhe von 8 bis9 Meter, aber auf den großen Ozeanen gibt es Wellen biszu 20 Meter Höhe.... wieviel Geld„abgestrichen" wird? Der Restaurateurisi sicher sehr geübt im Füllen der Biergläser. Aber trotz-dem gehen jährlich durch das Abstreichen des Schaumes etwa200 Millionen Liter Bier auf der Welt verloren.... daß die Ameisen„Schnelläufer" sind? Wenn wir un-sere Beine genau so schnell bewegten wie die Ameise, wür-den wir es auf eine Stundengeschwindigkeit von— 1200Kilometer bringen!Kein Trick„Ich verstehe nicht, daß Sie bei den schlechten Zeiten sogute Geschäfte machen. Mir kaust kein Mensch etwas ab. Wiemachen Sie das bloß?—„Ganz einfach. Wenn mir eineFrau aufmacht, frage ich immer:„Fräulein, ist Ihre Mutterzu Hause?"Der beste RegisseurEs ist eine amerikanische Angewohnheit, immer preiszu-krönen. Was es auch immer sei, man sucht immer das Beste.Man krönt in einem fort. So vor allem auch beim Film.Jedes Jahr wird neu gewählt. Prominente Jury, pro-minente Preisträger. Alle haben sie ihre Könige ober König-innen, seien es Operateure, Schauspieler oder Regisseure.Man krönt den besten„jugendlichen Liebhaber", den be-liebtest" Komiker, den geschicktesten Kameramann. DieseReklame ist bei den interessierten Kreisen sehr beliebt, unddas Publikum freut sich, wenn es hört, daß es wieder einenneuen Preisträger unter seinen Lieblingen gibt, wenn derPreis selbst auch nur die„Ehre" ist. Im Verlause eineSgroßen Balles wurde dieses Iah e Frank Llyod, derRegisseur von„Cavalcade", als der„beste Regisseur" be-zeichnet. Sein Film hat auch wirklich emen Siegeszug umdie ganze Welt angetreten.Die Platane als PrangerIm alten Athen war es Sitte, Athenerinnen, die sich durchauffälliges Benehmen oder durch ihre Kleidung den Tadelder Sittenbehörde zugezogen hatten, anzuprangern, indemman ihren Namen und ihr Bergehen auf ein Täfelcheuschrieb, das man an einer Platane befestigte, so daß eS jederSpaziergänger sehen mutzte.