Sonntag- Montag, den 6. und 7. Mai 1934
Goethe und das Hakenkreuz
Von Otto Mane
Das hätte sich der Olympier" wohl nicht träumen lassen, sich mit dem Hakenkreuz auf einer Münze vereinigt zu sehen! Anstatt einen großen Artikel zu schreiben, will ich heute Johann Wolfgang selbst ein wenig aus seinem Faust
Das Alter macht nicht kindisch wie man spricht Es findet uns nur noch als wahre Kinder.
G
Von Zeit zu Zeit seh' ich den Alten gern
Und hüte mich mit ihm zu brechen.
Es möcht kein Hund so länger leben.
Refugé im Ausland
Hier bin ich Mensch hier darf ich's sein.
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Daß diese Fülle der Gesichter
Der trockne Schleicher stören muß.
Propaganda ministerium
Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört
Es müsse sich dabei auch etwas denken lassen.
Auf diverse Geistliche o dos Ich hab' es öfters rühmen hören
Ein Komödiant könnt einen Pfarrer lehren Ja, wenn der Pfarrer ein Komödiant ist.
Auf Faulhaber
Vor jenem droben steht gebückt Der helfen lehrt und Hilfe schickt.
Deutsche Studentenschaft Uns ist ganz kannibalisch wohl
Als wie 500 Säuen.
Aus dem Konzentrationslager.
Ihr Mann ist tot und läßt sie grüßen.
Nürnberger Kongreẞ
Ein großer Aufwand schmählich ist vertan.
Gebesserte Wirtschaftslage
Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehl der Glaube
G. S. P.
Nichts Bessres weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei.
Auf einen anderen Dichter!
R 36
Das Pergament ist das der heil'ge Bronnen Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt? Erquickung hast Du nicht gewonner'
1. Blut ist ein ganz besondrer Saft 2. Nun soll es an ein Schädelspalten! Skeptiker über den Reichstagsbrand Sie gehn den Flämmchen auf die Spur Und glaub'n sich nah dem Schatze Auf Teufel reimt sich Zweifel nur Da bin ich recht am Platze.
Auf Streicher
So haben wir mit höllischen Latwergen
In diesen Tälern, diesen Bergen
Weit schlimmer als die Pest getobt
Ich habe selbst das Gift an Tausende gegeben
Sie welkten hin, ich muß erleben Daß man die frechen Mörder lobt. Greuelmärchen
dada
Wer darf das Kind beim rechten Namen nennen Die wenigen, die was davon erkannt,
Die töricht genug ihr volles Herz nicht wahrten Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten bo Hat man von je gekreuzigt und verbrannt. Für das Ausland
Gib nur erst acht, die Bestialität Wird sich gar herrlich offenbaren.
1. Was hinkt der Kerl auf einem Fuß? 2. Den Teufel spürt das Völkchen nie Und wenn er sie beim Kragen hätte. Auf Röhm
den
Da sieh mir nur die schönen Knaben Es ist wahrhaftig eine Schmach Gesellschaft könnten sie die allerbeste haben, Und laufen diesen Mägden nach!
Auf Hitler
Wenn eben wo Begriffe fehlen
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein Mit Worten läßt sich trefflich streiten sid Mit Worten ein System bereiten.
An Worte läßt sich trefflich glauben. Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.
Auf das
dritte Reich"
Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln. Was Ihr den Geist der Zeiten heißt, Das ist im Grund der Herren eigner Geist, In dem die Zeiten sich bespiegeln.
Da ist's denn wahrlich oft ein Jammer! Man läuft auch bei dem ersten Blick davon Ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer Und höchstens eine Haupt- und Staatsaktion Mit trefflichen pragmatischen Maximen Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen! Zum 1. Mai 1934
Wenn ich euch auf dem Blocksberg finde Das find' ich gut; denn da gehört ihr hin.
Das Auditorium maximum der tschechischen philosophischen Fakultät ist zum Erdrücken voll. Auf eine einfache Zeitungsnotiz, daß der Führer der Schwarzen Front im Rahmen eines von Professor Radl veranstalteten Zyklus über die Philosophie des deutschen Nationalsozialismus sprechen werde", sind hunderte und hunderte Zuhörer in den amphitheatralisch aufsteigenden Fakultätssaal geströmt, Freunde und Gegner, jung und alt, Tschechen und Deutsche , Juden und Arier. Da sieht man in der vordersten Reihe den edelgeformten Kopf des Prager Dichters Oskar Baum , dort das feurige Profil des ehemaligen Kommunistenführers Kreibich, aus der rückwärtigen Bänkereihe taucht der ehemalige Minister der Karolyi- Regierung Oskar Jaszi auf, tschechische Journalisten machen eifrig Notizen, während die deutsche bürgerliche" Presse bis auf eine Ausnahme es vorgezogen hat, durch ihre Abwesenheit zu glänzen. Ueberhaupt: daß ein deutscharischer Freiheitskämpfer in Prag nicht in der deutschen, sondern in der tschechischen Universität zu Wort kommen darf, zur gleichen Zeit, wo die deutschvölkische Studentenschaft den Ruf anstimmt: ,, Wo kein Recht, dort keine Ehre", gehört zu jenen blutigen Ironien der Zeitgeschichte, die allein schon geeignet wären,
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gebe, deren Sinn die Verwirklichung eines wahren deutschen Sozialismus als ,, Schicksals, Not- und Brotgemeinschaft" sei. Die heutigen Krudelitäten gegen die Juden bezeichnete er auf eine Anfrage des Vertreters der Wahrheit" als die bloßen anfänglichen Erscheinungen der Zweiten Revolution, als ihr erstes negatives Antistadium", während ihr positiver Gehalt nach der schöpferischen sozialen Nation- Werdung unter voller Anerkennung der Gleichwertigkeit der anderen Nationen und Rassen tendiere. Wenn Otto Straßer auch in diesem Punkte manche Widersprüche und Unklarheiten in seinem Vortrag nicht restlos zu bereinigen verstand( manches konnte in der auf den Vortrag folgenden Diskussion klarer gefaßt und gesehen werden), so gab doch über den himmelweiten Abstand zwischen ihm und dem Hitler - Regime folgender Satz erschöpfenden Aufschluß:
,, Die Autonomie des Individuums im Liberalismus ablösen wollen durch die Auslöschung die Individuums im Faschismus hieße nur das Vorzeichen vertauschen." Georg Mannheimer in der Wahrheit",
einen Straßer- Vortrag in Prag zu einem Ereignis besonderer Die Imprimatur
Prägung zu erheben. Aber wir kennen sie ja allzugut- die Wir erinnern uns ja noch, ..Freiheit", die sie meinen. welchen Knallfrösche gebrauch sie von dieser Freiheit beim Löbe- Vortrag in Prag gemacht haben. Das war allerdings noch zu einer Zeit, wo ihnen die autoritäre Demokratie noch nicht auf die Finger geklopft hat... Es dürften auch nicht wenige jener gekommen sein, die lieber mit Knallfröschen als mit geistigen Projektilen um sich werfen. Man wollte es sich offenbar nicht entgehen lassen, bei einem allfälligen Eklat des Antihitlerianers Straßer mit dabei gewesen zu sein. Aber die Herrschaften sind nicht auf ihre Rechnung gekommen.
Otto Straßer hat sich strenge an die ihm als Gast und Ausländer gezogenen Grenzen des Taktes und der Neutralität gehalten. Er hat die, unseren Lesern bereits aus der von der Wahrheit" veranstalteten Enquete über die Philosophie des Nationalsozialismus bekannten, Gedankengänge wiederholt, hat die Männer der Gegenwart und des Gegenparts nur durch geistvolle geschichtliche Parallelen aus der englischen und französischen Revolution gestreift und neuerlich aufzuzeigen gesucht, daß das heutige Geschehen in Deutschland nur das erste noch unklare Lallen der deutschen Revolution wieder
990.
keine Bedenken erhoben"
„,
Der Vorsitzende der Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des nationalsozialistischen Schrifttums" gibt eine Aenderung der Verfügung Heß bezüglich der Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des nationalsozialistischen Schrifttums" bekannt:
1. Die Prüfungskommission übermittelt dem Verlag die Entscheidung: entweder a) ,, Diese Schrift darf nicht als nationalsozialistisch bezeichnet werden", oder b) ,, Gegen die Herausgabe dieser Schrift werden seitens der NSDAP. keine Bedenken erhoben."
2. Der Verlag ist berechtigt, die unter 1b aufgeführte Entscheidung auf der 1. Seite der Schrift abzudrucken.
3. Der Absatz 6 der ersten Ausführungsbestimmungen tritt damit außer Kraft.
Die Prüfungskommission wird im Einvernehmen mit Reichsminister Dr. Göbbels ab 1. Mai 1934 in das ,, Braune Haus " in München verlegt. Alle Zahlungen sind zu leisten auf das Postscheckkonte München 23 319( Reichsleitung der NSDAP .)
Ereignisse und Geschichten
Lied der braunen Bankrotteure
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Ein Jahr Hitler, und wir sind schon pleite. Doch wir haben ja den Doktor Schacht, Der aus Schulden uns Kanonen macht. Doch dies Thema lassen wir beiseite.
Oft begehen festlich wir die Pleite. Uniformen gibt es wie noch nie, Und es blüht die Waffenindustrie. Doch dies Thema lassen wir beiseite.
Unsre Bonzen leben in der Pleite Wie die Prinzen im Schlaraffenland, Und wir sind gerüstet bis zum Rand. Doch dies Thema lassen wir beiseite.
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Sind wir erst am Gipfel unsrer Pleite, Nun, dann segen alles wir auf Sieg Und eröffnen markig einen Krieg. Geht es schief, dann suchen wir das Weite. Horatio.
Neue Bücher
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Bücher haben heute einen neuen Sinn bekommen. Dostojewski schreibt einmal an einen Freund: Wir schreiben ja alle noch Gutsbesitzerliteratur" und will damit sagen: wir schreiben noch für die Leute auf dem Lande, die die langen Winterabende um den Tisch unter der Petroleumobwohl wir doch in den großen Städten lampe siten leben und eigentlich gar nicht Zeit haben, so dickbändige Romane zu lesen. In Ilja Ehrenburgs, Der zweite Tag" sagt der Arbeitsstudent Korobkow: ,, Ich schätze Tolstoi nicht seiner Ideen wegen... Aber Tolstoi ist für mich ein Lehrbuch. Kein Lehrbuch der Chemie. Leben lerne ich bei ihm. Empfinden. Fremdes Leben verstehen." Das ist es.
Wir können keine Bücher mehr lesen, nur um die Zeit totzuschlagen oder Stoff für ästhetische Gespräche zu haben, das Buch ist uns auch kein Lebensersatz mehr. Selbst Zolas Satz: ,, En l'oeuvre d'art, je cherche l'homme" hat nur noch bedingte Bedeutung. Hinter den Worten des Buchs suchen wir nicht nur den Menschen, der sie formte, sondern die Gesinnung, die diese Formung notwendig machte, hinter der Gesinnung die dynamischen Kräfte der Zeit, die diese Gesinnung bedingte. Wir leben nicht mehr in einem Raum, wir leben in einer Flucht von Räumen.
So hat das Buch für uns einen ganz anderen Wert bekommen: in einer Zeit, in der uns die Gefühle zu übermannen drohen, in der Haß gegen unsere Feinde, Liebe zu unseren Freunden, Heimweh nach unserem zerschlagenen anderen Deutschland und Wille zu einem neuen Deutsch land unseren Verstand zu überschatten drohen, wird das Buch, wie Ehrenburg es ausdrückt, zum Lehrbuch, zum Werkseien wir gehetzte Illegale oder gezeug, mit dem wir hetzte Emigranten ohne Raumden neuen Raum, unseren Raum konstruieren.
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Jakob Wassermanns letzter Roman( Joseph Kerkhovens dritte Existenz" Querido- Verlag Amsterdam , 691 Seiten) ist so ein Buch. Wie Marta Wassermann- Karlweis in einem kurzen Nachwort mitteilt, hatte Wassermann die Absicht, diesem Werk ein Nachwort beizugeben, in dem er sich mit der neuen Umwelt ,, nicht nur leidend sondern kämpfend" auseinandersetzen wollte. Außerdem habe der Dichter, den ,, innerhalb seiner Dichtung noch etwas wie bergender Schug zuteil geworden war", die Absicht gehabt, Korrekturen an dem Buch vorzunehmen.
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Es ist gut, daß Wassermann es vor seinem Tode nicht mehr getan hat. Denn dieses Buch hat man, man fühl es auf jeder Seite, seine endgültige Form. Es ist in einem tieferen WasserSinne Wassermanns letzter Roman. Denn es ist mann selbst gebraucht darin auffallend oft das Wort endgültig die endgütige Formung jener bürgerlich- liberalistischen Welt, deren geistige Landschaft allemal versunken ist. Hier ist die große Apotheose des Individualismus liberaler Prägung und seine Götterdämmerung zugleich. Hier wird eine Gesellschaftsschicht transparent, so daß man hinter ihren barocken Werten von Altruismus und seelischer Feinfühlig keit ihren Egozentrismus und ihren brutalen Egoismus sieht. All diese seelischen Konflikte lassen uns unberührt. Manchmal reizen sie uns zum Lächeln, manchmal fordern sie unseren Spott heraus. Aber gerade wegen seiner Gefühlsbetontheit spricht dieses Buch zu unserem Verstande. Es ist ein Have. Lehrbuch.
Kaffeekannenschlacht beginnt
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Der Neue Görlitzer Anzeiger" bringt unter der Ueberschrift ,, Ein neuer Brauch? Nein, wie's früher war" einen bemerkenswerten Aufsatz zur Eẞkultur, darin er sich für alte deutsche Bräuche begeistert, die nicht durch die gedankenlose Oberflächenzivilisation verschüttet" werden konnten: ,, Eine solche in manchen Gebieten noch erhaltene Sitte ist die gemeinsame Mahlzeit aus der gemeinsamen Familienschüssel... Ich glaube, daß es im Zuge der allgemeinen Individualisierung, der Auflösung aller Gemeinschaft lag, wenn an Stelle der gemeinsamen Schüssel das eigene Besteck, der eigene Teller getreten ist." Diesem scheußlichen Brauch muß gesteuert werden und der Wandel wird sich allgemein vollziehen... wir werden nicht mehr jeder sein eigenes Kaffeekännchen haben wollen, sondern wir werden uns wieder um den gemütlichen und verbindenden Familienkrug setzen... Tritt gefaßt!"
Gebet von drüben
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Lieber Gott , mach mich stumm, is daß ich nicht nach Dachau kumm'. Lieber Gott, mach' mich blind, daß ich alles herrlich find'.
Lieber Gott, mach' mich taub,
daß ich an den Schwindel glaub'.
g
Mach' mich blind, stumm taub zugleich,
daß ich paẞ' in's ,, dritte Reich".