Fretheil
Nummer 105-2. Jahrgang
Aus dem Inhalt
Wie schlecht es den Nazis geht
Seite 2
Seite 3
Frankreichs Generalstab
am Horizont
Seite 7
Reichskanzler und Ritualmord
Seite 7
Chefredakteur: M. Braun
Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Saarbrücken, Dienstag, 8. Mai 1934
Hochspannung im Reiche
Der Reichskanzler am Krankenlager Hindenburgs- Hochpolitische Konferenz der Generalität Die ,, Schlacht" gegen die kritische Vernunft
Berlin , 6. Mai. Die deutsche Presse darf noch immer über die nun schon seit Wochen anhaltende ernste Erkrankung des Reichspräsidenten nichts berichten. Der im 87. Jahre stehende Herr leidet an einer akuten Verschlimmerung eines alten Blasenleidens. Die Krankheit hat sein Allgemeinbe: finden so geschwächt, daß wiederholt unmittelbare Lebensge= fahr bestand. Professor Sanerbruch ist dauernd um den Kranten bemüht, und es ist ihm bis iegt gelungen, das Aeußerste abzuwenden. Der Zustand des Reichspräsidenten ist aber immer noch sehr ernst. Auch wenn die Katastrophe diesmal vermieden werden sollte, wird die Krankheit eine wesentliche Abkürzung der wenigen Lebensjahre bedeuten, die der greise Reichspräsident sonst noch vor sich gehabt haben
tönnte.
Schon der Umstand, daß der Reichspräsident am National: feiertag nirgendwo sichtbar werden konnte, zeigt an, wie bedenklich sein körperliches Befinden ist. Trotzdem hat am Samstagvormittag eine hochpolitische Besprechung zwischen dem Reichspräsidenten und dem Reichskanzler stattgefunden. In unterrichteten Kreisen nimmt man an, daß dem Reichskanzler gewiffe Volls machten im Falle einer dauernden Behinderung des Reichs
präsidenten oder seines plöglichen Ablebens gegeben worden sind. Solche Vorkehrungen sind schon wegen der großen per: sönlichen und sachlichen Spannungen im Reichskabinett not: wendig, die sich infolge der politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten noch immer verschärfen. Jedenfalls mißt man dem Besuche des Reichskanzlers am Krankenbett de? Reichspräsidenten sehr hohe Bedeutung bei.
Nicht minder wichtig ist, daß der Chef der Heeres. Leitung General der Artillerie Freiherr von Fritsch die höheren Führer des Reichsheeres zum 7. Mai nach Bad Nauheim berufen hat. Es sind drei Tage für die Konferenz in Aussicht genommen. Die Zusammenkunft wird mit militärtechnischen Fragen getarnt, gilt aber in Wirklichfeit den Gefahren der innerpolitischen Situation. Der Chef der Heeresleitung und seine. Generalität wollen bei einer Präsidentenkrise die Macht der Reichswehr zur Geltung bringen, denn der Reichspräsident ist ja zugleich Oberbefehls: haber des Reichsheeres. Die konservativen Generale wollen eine chaotische Entwicklung, die gefahrdrohend vor ihnen steht, verhindern und einheitliches Handeln der Wehrmacht verbürgen.
Notrufe der Wirtschaft
Die Wahrheit gegen die Schwindelpropaganda der Marktbelebung
Während der Reichsminister Dr. Göbbels sich in Zweibrücken hinstellt und dem Saargebiet für den Fall der Rückgliederung goldene Berge verspricht, können die Handelsteile der deutschen Zeitungen, soweit sie wirtschaftlich noch einigermaßen ernst genommen werden mollen, die Wahrheit über den tiefen Wirtschaftspessimis mus nicht mehr verbergen. Wir bringen nachstehend zwei Zeugnisse aus hochkapitalistischen Zeitungen:
Die Kölnische Zeitung " sagt u. a.:
Der Mai ist gekommen, aber die Bäume der Börse haben feine Neigung zum Blühen oder Ausschlagen verspüren lassen. Die Geschäftstätigkeit ist auf einen denkbar geringen Grad zusammengeschrumpft. Die allgemeine Lustlosigkeit hat in der letzten Woche sogar noch zugenommen. Die Zurückhaltung hat sich auch nicht durch eine ganze Reihe günstiger Wirtschaftsberichte, wie sie z. B. vom Eisenmarkt , aus der Kabel- und Kunstseidenindustrie und nach wie vor auch aus der Autoindustrie vorlagen, beleben Lassen. Die Tendenz neigte daher fast auf allen Gebieten zur Schwäche. Einige unangenehme Devisenüberraschungen, wie bei Schuckert und Julius Berger, wirften recht verstimmend und beein flußten die Gesamttendenz noch weiter nach unten. Die Geschäftsunlust rührt nach wie vor von der Unge visheit über die Transferverhandlungen her. Unterstrichen wurden die damit zusammenhängenden Ueberlegungen noch durch das im letzten Reichsbankausweis weitere Schwinden der Goldbestände und die an
anderer Stelle besprochene neuerliche Kürzung der Devisenfontingente. Revor hier feine entichei dende Ergebnisse vorliegen, dürfte an ein Wiederaufleben des Börsengeschäfts faum zu denfen fein.
Eine weitere Verstimmung ging vom Markt der Neubejizzanleihe aus, der anscheinend nicht zur Ruhe kommen soll. Hier scheinen immer noch spekulative Engagements lösungen eine Rolle zu spielen. Das Papier hatte sich bereite auf 18 19 Prozent wieder erbolt, aing aber im Laufe der Woche erneut zurück und schloß weiter schwach mit rund 15 Prozent. Auch die anderen festverzinslichen Märkte blieben vernachlässigt.
Wie ein Verzweiflungsschrei liest sich der Börsenbericht der schwerindustriellen Deutschen Bergwerkszeitung" vom 4. Mai. Wir entnehmen, ihm:
Berlin , 4. Mai. ( Drahtb.) An der Börse war der Anfang auch heute sehr still; manche Beute meinten noch stiller als gestern, was allerdings viel bedeuten würde. Die Nachrichten aus dem Wirtschaftsleben lauten dabei wieder fast durchweg günstig Die Dividendenvorschläge und zuversichtlichen Auslas= fungen in den Jahresberichten und Hauptversammlungen
haben sich direkt gehäuft. Günstige Nachrichten hat man insbesondere aus der Eisen- und aus der Kunstseidenin dustrie Aber die schönsten Motive gleiten jest an den Märkten ab, sie erzielen höchstens einen Achtungserfolg, oder die kurie ant worten auf gute Nachrichten sogar mal mit Rückgängen, wie heute Montan- und Kunstseidenwerte. Es fehlt jede Unternehmungslust. Man verweist immer wieder auf die Transferkonferenz. Vor allem aber fehlen die Käufer. Ob tatsächlich das Geschäft noch geringer war als gestern, fann man zahlenmäßig nicht feststellen. Sicher aber ist, daß die Geschäftsunlust weiter wahre Orgien feiert. Welch blutige Jronie: die Nachrichten aus der Wirtschaft lauten günstig", aber die Kurse sinken, sinken, jinken.... Deutlicher kann es nicht gesagt werden: daß die Fachleute die günstigen Nachrichten einfach nicht mehr glauben, weil jeder aus dem eigenen Betrieb weiß, daß auch der andere auf höheren Befehl eben nur günstig berichten darf. Die Börse weiß ferner, daß selbst eine scheinbar günstige Entwicklung einzelner Unternehmungen bedeutungslos ist gegenüer der Ausblutung und Aushungerung der gesamten Volkswirtschaft. Es ist wie im Welt krieg: aus dem großen Kampfquartier kamen ständig die günstigen Nachrichten, und inzwischen ging der Krieg verloren.
Düstere Anhnungen
Die NSBO.- Bonzen im Hotel Atlantic
Jeder Hamburgbesucher kennt das vornehmste Hotel dieser Stadt, von dessen hohe Fenstern man einen wunderschönen Blick auf die beiden Alfterbecken genießen kann. In diesem fabelhaft teuern Hotel fand in diesen Tagen eine Sigung des Bezirks Nordmart der Deutschen Arbeitsfront statt, auf der sich insbesondere die Bonzen der NEBO. und der Deutschen Arbeitsfront zusammenfanden. Auf dieser Tagung erflärte der Treuhänder der Arbeit, Dr. Völzer, folgendes:„ Wenn es uns nicht gelingt, zu erreichen, daß unser deutscher Außenhandel, dessen Ausfalltor Hamburg ist, wieder belebt wird, dann wird es uns auch nicht gelingen, die Massen der Arbeiterschaft in Groß- Hamburg in Arbeit und Brot zu bringen."
Es ist auffallend, wie die Erklärungen solcher Unterführer aft die Siegesmeldungen der braunen Regierung demen Mieren. Schließlich muß der Treuhänder der Arbeit doch darüber informiert sein, ob tatsächlich ganze Massen der Arbeiterschaft" noch in der Arbeitslosigkeit schmachten.
Gestern und freute
Ein nationalsozialistischer Gauleiter hat jetzt erklärt, daß man in Deutschland künftig auch gegen die Wige vorgehen werde. Ob es nur ein Zufall ist, daß dieser humorvolle Mann, der so gegen den Wit eiferte, ausgerechnet Schmalz heißt?
Die Sache war eigentlich schon lange fällig. Eine Bewegung, die so stark wie der Nationalsozialismus aus verkorkstem Gefühl besteht, kann nun mal die Lacher nicht auf ihrer
Seite haben.
An sich etwas Natürliches. Ueber Regierungen ist zu allen Zeiten gewigelt und gelacht worden. Sogar ein so empfindlicher Mann wie Wilhelm II. war verständig genug, einzusehen, daß gute Witze die Vollstümlichkeit eines Herrschers heben, auch wenn sie auf Kosten seiner Erhabenheit gehen. Beim regierenden Nationalsozialismus ist das aber etwas anderes. Die Herrschaften haben rasch begriffen, daß gar nicht über sie gelacht wird. Darum macht es sie allmählich schon nervös, wenn überhaupt gelacht wird.
Sage niemand: wie schlimm muß es mit Hitlers Herrlich. keit stehen, wenn bereits harmlose Wine verfolgt werden. Die Wige im dritten Reich" sind nicht harmlos. Man erzählt sie sich nicht, weil sie hübsch sind, weil sie eine kitelnde Pointe haben, mit einem Wort: weil man lachen möchte. Sondern weil man eine Bosheit, einen Angriff, eine Kritik nicht anders anbringen kann. So hat ein Jahr Hitlerscher Herrschaft die Aeußerungen des Gefühls schon verderbt: wenn man Mut hat, bleibt nichts übrig, als zu lachen.
Vor diesem Wutgelächter zergeht das schönste Schmalz wie auf einer heißen Herdplatte. Darum wird das Gelächter jetzt verboten. Die Wut selbst aber...?
Man kann sie nicht verbieten. Man kann sie nicht einmal mehr verheimlichen. Ein Gegner, dem der Krieg erklärt wird, muß immerhin vorhanden sein. Von oben wird ihm der Titel ..Miesmacherei" verliehen, man könnte auch Müdigkeit, Aus Gleichgültigkeit oder Mangel an Vertrauen sagen. mancherlei Anzeichen schließen wir, das es schon etwas mehr, daß schon ein Stück richtige Wut dabei ist. Man kann sie auch bekommen, wenn man nicht einmal mehr Lametta Lametta nennen darf.
Denn die zehntausend Schmalze, die heute Deutschland regieren, können nicht verhindern, daß jeder der von ihnen Regierten weiß, wer Lametta- Hermann ist.
Es wird wahrscheinlich noch so weit kommen, daß man wegen Augenzwinkern ins Konzentrationslager gesperrt werden kann.
schädige. So sprach Schmalz. Gegen jeden Wig werde vorgegangen, der die Bewegung schädige. So sprach Schmalz.
Aber wer schädigt eigentlich? Die Wige? Oder diejenigen, über die die Wige gemacht werden?
In Saarbrücken lief in den Kinos jetzt die Wochenschau von der Maifeier auf dem Tempelhofer Feld. Man kann von dem Publikum der Stadt Saarbrücken sagen, daß es wahrscheinlich das gleichgeschaltetste des Erdballs ist. Es hat die Enttäuschungen im Reich noch nicht erlebt, die Beflaggung ist
hier dichter, als in Deutschland selbst, die Stimmung gespannter.
Dieses Publikum sah den Führer" auf dem Wagen durch die Menge fahren; es sah ihn über die Tribüne wandeln und die Würdenträger begrüßen: Meißner, Schacht... In dem Kino, von dem hier die Rede ist. blieb dabei alles ganz teilnahmslos. Man hat das schon zu oft gesehen.
Auf einmal lachte alles. Durchgehend und nachdrücklich, wenn auch nicht laut. Man saß im Dunkeln und konnte so ungesehen vor sich hinlachen. Und die Leute taten es auch. Es war eigentlich gar nichts Komisches zu sehen, und die Lacher waren auch bestimmt keine Marxisten. Sie lachten ganz einfach, denn
es war, wie gesagt, in Saarbrücken , wo es vorläufig noch keine Offensive gegen die guten Wige und keine Konzentra tionslager gibt; sie lachten also, denn-
in gewissen Situationen, die eigentlich nicht weiter komisch sind, lacht man eben doch, weil einem unwiderstehlich irgend ein besonders guter Wit einfällt; darum also lachten sie,' denn
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und überhaupt, eine Sache oder Person kann durchaus ernsthaft sein, aber man lacht trotzdem darüber, weil man sich eben daran gewöhnt hat darüber zu lachen Kurz und gut: auf der Bildfläche sah man Göring .
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Argus.