Saar im Vordergrunde

Ein Sonntag der Kundgebungen- Göbbels hält in Zweibrücken cine provokatorische Hetzrede

In der Geschichte der Kämpfe um die Saar , die immer stär fer in den Mittelpunft der europäischen Schicksalsfragen tre­ten, wird der 6. Mai 1934 besonders vermerkt werden müssen. In 3 weibrücken in der Pfalz , unmittelbar an der Grenze des Saargebiets, fand eine Propaganda- Kundgebung mit Göbbels als Redner statt. Er hielt hier eine jener

Hezreden, durch die er sich vor der Machtergreifung durch die ,, nationale Revolution" vor Seinesgleichen auszeichnete. Kernstücke von Schimpfereien auf die Enrigranten, die sein Publikum teilweise in Raserei versetzten. Wir kommen noch an anderer Stelle auf diese Rede zurück. Wir sind der Auf­fassung, daß sie noch ein diplomatisches Nachspiel haben wird.

Der französische Abgeordnete:

Wir sind durchdrungen von der Achtung der Freiheit, von der Achtung vor dem ges gebenen Wort, von der Achtung vor dem Völkerbund, der in unsern Augen die große Hoff­nung für den Frieden und die Verständigung der Menschen bildet.

Infolgedessen ist unser erstes Ziel an der Saar die Sicherung der religiösen Freiheit der Bevölkerung. Gemäß unserer Auffassung der Menschenrechte verlangen wir, daß alle, Katholiken, Protestanten oder Juden frei, absolut frei in der Ansübung ihrer religiösen Bekenntnisse seien.

Unser zweites 3iel ist die Sicherung der politischen Freiheit für die Saarländer . Ob sie dem Zentrum angehören, ob sie Sozialisten, Kommunisten, Libe­rale oder Konservative sind, wir fordern gemäß unserer Auffassung der Staatsbürger­rechte, daß jeder im Saargebiet frei seiner politischen Meinung Ausdruck geben kann.

Unser drittes Ziel ist die Sicherung der wirtschaftlichen und sozialen Fretheit für die Saar . Wir wünschen, daß ihre Gewerkschaften weiterhin unabhängig bleiben, daß das Koalitionsrecht den Arteitern erhalten bleibe, daß die Saarländer durch die Zoll- und Währungsgemeinschaft mit Frankreich weiterhin die Vorteile eines Geldes genießen können, das durch seine Basierung auf einer enormen Golddeckung gesichert ist. Wir wün: schen, daß fie nicht von den einschränkenden Geseßen der Devisenausfuhr betroffen werden, daß sie dem wirtschaftlichen Belagerungszustand entgehen, dem Karten- und Bezugschein system, daß das landwirtschaftliche Eigentum im Saargebiet unangetastet bleibe, so daß der Landwirt sein Vermögen und sein Gut zwischen seine Kinder nach seinem Gutdünken vers teilen kann.

Aber die politische Linie, die Frankreich der Saar gegenüber einhält, wird nicht allein von ideellen oder politischen Gesichtspunkten geleitet.

Wir fordern, daß die französischen Privatinteressen ebenso wie die großen Interessen des französischen Staates als Eigentümer der Gruben und Kohlen restlos sicher gestellt werden.

Ob es sich um hypothekarische Darlehn von in der Industrie oder im Grundbesitz an­gelegter Kapitalien handelt: wir werden alles Notwendige tun, um sie sicher zu stellen. Ich bin überzeugt, daß sich eine Mehrheit 1935 für den Status quo aussprechen wird, aber man möge auch wissen, daß, falls die Saar zum Reich zurückkehrt und wir die Gruben und die Privatbesize des Staates und französischer Privatpersonen ab­treten müssen, wir, wie es unser striftes Recht ist, auf blanker Barzahlung bestehen werden. Wir haben keineswegs die Absicht, Obligationen anzunehmen, ganz gleich unter welchen Garantien. Es find so viele Dawes und Youngobligationen in den Brieftaschen der ges samten Welt, daß wir genau wissen, welchen Wert diese Art Papiere haben.

Andererseits ist Frankreich bereit, den Saarländern wirtschaftlich mit ganzer Straft zu helfen. Frankreich ist bereit, bei sich die Produkte der saarländischen Fabriken und seine Kohlen unterzubringen, aber man möge nicht vergessen, daß die französische Ausfuhr in die Saar nur 5 Prozent beträgt, während die saarländische Ausfuhr nach Frankreich 60 Prozent ausmacht.

Zusammenfassend und als Folgerung der von mir zu Beginn dieser Ausführungen auf­gestellten Prinzipien stelle ich fest, daß unsere Haltung dem Saargebiet gegenüber bedingt wird durch den Respekt vor dem einmal gegebenen Wort, vor dem Völkerbund und dem Frieden und durch unsere Respektierung der menschlichen Freiheit.

Die Saarländer werden frei ihre Meinung sagen, ob sie zu Deutschland zurückgehen wollen, zu Frankreich fommen oder unter der Herrschaft des Völkerbundes bleiben wollen. Wir werden uns strikt an ihren Willen halten. Aber wir werden nicht vergessen- da wir unser gegebenes Wort halten werden und den Text des Versailler Vertrages erfüllen wollen, daß die Bevölkerung des Saargebietes vor, während und nach der Abstimmung geschützt werden muß. Wir werden, im gegebenen Fall, unter gar keinen Umständen zu: laffen, daß sich ähnliche furchtbare Geschehnisse wiederholen, wie sie unferem Rüdzug aus dem besetzten Rheinland folgten.

Das ist eine Ehrensache für Frankreich !

Göbbels ,, Programm"

"

Die Volfs stim me" bemerkt zur Göbbels - Rede: Zwei Reden, zwei Programme? Nein! Einem flaren Programm, das der französische Politiker Fribourg in seiner Rede entwickelt hat, hat Herr Göbbels fein Programm, son: dern nur leere verlogene Phrasen gegenüberstellen können. Kein Programm ist aber auch ein Programm. Die Rede von Göbbels hat gezeigt, daß nicht einmal ein großer Meister der Lüge", um in einem von ihm angeführten Zitat zu sprechen, ein fonfretes Programm, ein Rettungsprogramm für den Fall der Rückgliederung aufzustellen imstande ift. Die Wiedergabe des DNB. hat die Rede von Göbbels an vielen Stellen forrigiert. Während Göbbels an mehreren Stellen davon sprach, was man versuchen" will, hat das offizielle Büro Herrn Göbbels sagen lassen, was man an­geblich vollbringen will. Die Rundfunkhörer haben von der Rede einen noch schwächeren Eindruck bekommen, als ihn die Leser haben.

Was hat Herr Göbbels über die Besserung der Transportverhältnisse, für, den saarländischen Absatz ge= sagt. Wo ist der berühmte Saar - Rhein - Kanal? Wo ist die Seilbahn, auf der Herr Röchling seine Seiltänze vortanzen will, geblieben? Was hilft dem Saarbergmann die Er: schließung von neuen Gruben, wenn sogar den bestehenden der Verlust der Absatzmöglichkeiten drohen wird? Es ist leicht zu sagen, daß man für die Absazmöglichkeiten sorgen will. Es fragt sich: Wie und wo?

Die absolut eindeutige Klarstellung der Fronten, die gestern erfolgt ist, bedeutet zweifelsohne einen, man ist versucht zu sagen, historischen Wendepunkt in der Entwic lung der Saarpolitif. Man wird jest flarer als je zuvor sehen können, welche Perspektiven die Saarbevölkerung von jeder der möglichen Lösungen zu erwarten hat. Herr Göbbels war sich zweifelsohne der Bedeutung der Stunde bewußt. Den Schwierigkeiten des Saarproblems, wie es sich infolge des nationalsozialistischen Sieges in Deutschland gestaltet, stand er rber völlig hilflos gegenüber. Und da er nichts an­deres und nichts besseres bieten fonnte, so widmete er den größeren Teil seiner Rede der Aufpeitschung von niedrig ften Leidenschaften und Instinkten.

Der Schwerpunkt der Göbbelschen Rede lag nicht in den programmatischen Ausführungen, die wir oben abgedruckt

Wo blieben

Am gleichen Sonntag sprach in Sathon an der franzö fische Abgeordnete Fribourg , Vizepräsident der Kommis­sion für Auswärtige Angelegenheiten und gleichzeitig thr Berichterstatter über Saarfragen. Wir stellen die beiden Re­den mit Absicht einander gegenüber. Diese Gegenüberstellung mag für sich selbst sprechen...

Propaganda- Göbbels:

Einig und geschlossen stehen wir auf dem Boden unseres Rechts, und bekennen vor aller Welt, daß keine Willfür und feine Gewalt uns von diesem Recht und seiner Verfechtung jemals abbringen fann! Soweit man in den anderen Fragen der Außenpolitik auch gehen mag, will oder kann:

In der Saarfrage fennen wir fein Zurüdweichen und kein Kompromis. Niemand glaube, daß Schikane und kleinliche Quälerei einem deutschen Mann oder einer deutschen Frau das deutsche Gefühl und Bewußtsein aus der Brust herausreißen

fönnte.

Wir werden nicht rasten und ruhen bis die Schranken der Willtür, die uns heute noch trennen, niedergerissen sind, die Willtür, der Euch eine fremde Regierung, bestehend aus vier Ausländern und einem Saarländer ( Pfui) unterstellt hat. Bis eine Regierungs­tommission beseitigt ist, die Euch mit fleinen lächerlichen Schifanen, mit Zollschwierigkeiten und Paßschwierigteiten, mit Zeitungsverboten kommt und das deutsche Leben unterdrückt. Da gehen Männer im Lande herum, die Euch Saarländern weis machen wollen, daß im Reich der Terror herrsche und deshalb es das beste sei, die Fremdherrschaft des Völkerbundes auch für die Zukunft freiwillig auf sich zu nehmen. Nach denselben Methoden, wie früher im Reich, suchen sie jetzt im Saargebiet zu kämpfen.

Rämen fie heute ins Reich zurüd, die Regierung brauchte sich gar nicht mit ihnen zu befassen, sie würden von ihren eigenen früheren Genossen totgeschlagen werden.

Wenn aber eine hohe Regierungsfommission diese Emigranten zu ihren politischen Beratern macht, so kann man ih nur zurufen: Es tut mir in der Seele weh, daß ich dich in der Gesellschaft seh!

Wir haben in unserem Programm ohne Bindung an ein bestimmtes Bekenntnis profla­miert, daß wir auf dem Boden eines positiven Christentum 3 stehen. Dieser Satz hat heute, wie gestern und morgen seine Gültigkeit. Der Staat leiht den Kirchen, wenn sie christliche Gesinnung verfechten, seine Stärke, seine schützende Hand, und überläßt die Uebersehung christlicher Gesinnung ins praftische Leben nicht nur den Kirchen, sondern betreibt selbst Christentum der Tat.

Die nationalsozialistische Regierung hat das Recht, Saboteure des Staates, die sich in ein firchliches Gewand hüllen, in die Schranken zurückzuweisen. von uns verlange Ihr meine Männer und Frauen von der Saar , fönnt mit Recht von uns verlangen, daß wir im Saarland fein Grenzland, sondern Heimatland sehen, ewiges Deutschland . Vor allem Ihr Saararbeiter seid überzeugt, daß niemand größeres Verständnis für Eure Bedrängnis hat, als wir. Wir wollen auch nicht den Stab brechen über jene, die aus Ver­zweiflung und Sorge dem Terror zum Opfer gefallen sind.

Wir planen große Maßnahmen: Erschließung des Warndtkohlengebietes durch Neus anlegung von Gruben, Instandsetzung der alten Gruben, technische Verbesserungen, Schafs fung ausreichender Absatzmöglichkeiten für die Saarfohlen. Die faarländische Landwirts schaft werden wir gleichfalls durch Beschaffung ausreichender Absahmöglichkeiten wieder lebensfähig zu machen versuchen.

Das gesamte Saarvolf werden wir eingliedern in das große und umfassende Siedlungs­werf des Reiches, unter besonderer Berücksichtigung der in und bei dem Saargebiet liegen­den Möglichkeiten.

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Ein großer Plan des Wiederaufbaues des deutschen Saargebietes nach der Rückgliede= rung ins Reich ist in Bearbeitung. Es wird das kann ich wohl auf Grund der hinter uns liegenden Leistungen mit Fug und Recht sagen:- fein Plan sein, der in Aften­schränken verschimmelt, sondern ein Plan, der in das lebendige Leben umgesetzt wird.. Dann lebt Ihr national, völkisch, kulturell und wirtschaftlich unter der starken Hand des Reiches. Seid getrost, steht aufrecht, verliert nicht den Mut und nicht die Nerven! Laßt Euch nicht beugen und nicht brechen! Erweist Euch als deutsche Männer und Frauen, über die das Schicksal Not und Bedrängnis nur schickte, um sie härter, bewährter und tüchtiger im Rampf zu machen.

die Hunderttausende"?

Im Rundfunk wurden 250 000 Teilnehmer der Zweibrücker Rungebung angekündigt. Die wirklichen Zahlen, die uns an­gegeben wurden, liegen zwischen 30 000 und 50 000, davon aber nicht weniger als die Hälfte der Teilnehmer aus Zwei: brüden selbst und aus dem übrigen Reich. Die Zahl der Teil: nehmer aus dem Saargebiet darf höchstens auf 20 bis 25 000 geschätzt werden. Im Einklang mit diesen Schäßungen steht die Tatsache, daß von den 15 bestellten Sonderzügen nur 9 Sonderzüge in Saarbrüden abfuhren. 6 Sonderzüge wur: den wieder abbestellt! Waren also die Erwartungen schon sehr bescheiden, so mar die Wirklichkeit noch bescheidener.

Einem unserer Mitarbeiter gegenüber gestand ein Mit­glied der deutschen Front":" Ich bin tief ent­täuscht." Auf die weiteren Fragen hat dieser Mann ge= sagt, daß er namentlich von den SA.- Leuten enttäuscht wurde, da sie auf ihn durchweg einen moralisch minderwertigen Ein­druck machten. Einem der Berichte entnehmen wir folgendes Stimmungsbild:

Der große Platz war bei weitem nicht voll besetzt. Vorne an der Festhalle, standen die Leute noch ziemlich dicht, und man merfie: Das sind Fanatifer! Sonst waren es meistens fleine lockere Gruppen, häufig drei, vier Mann. Etwas weiter zurück fonnte von einem Gedränge feine Rede sein. Fast überall fonnte man ruhig spazier en gehen, was auch viele getan haben, als das Interesse für die Göbbelssche Rede abflaute."

Im ersten Teil seiner Rede fand Göbbels ziemlich all­gemeinen Beifall, namentlich, wenn er auf die Emigranten ichimpfte. Dann flaute die Stimmung ab, zumal Göbbels selbst seine Rede zwar wirkungsvoll an­

gefangen hat, dann aber merflich schwächer sprach. Bielleicht

hat er als empfindsamer Redner selbst unter dem Abflauen der Stimmung gelitten. Er fing an, mit fünstlichem Pathos zu sprechen, zog die Säße in die Länge, wiederholte fich mehreremale und als er zum Schluß fam, so fonnte er halt nicht zum Schluß fommen. Seine Schlußiäße dauerten min= destens 20 Minuten. In der Zeit gingen viele hin und her, man hörte ziemlich laute Unterhaltungen, als ob man auf einer Promenade und nicht auf einer so wichtigen Kund:

gebung war. Nur die Fanatiker, die die Festhalle, von deren Balkon Göbbels sprach, umlagerten, begleiteten bis zum Schluß die Rede mit dem Beifall.

haben, sondern in einer unerhörten Pogromheße gegen die Herr Reichsminister!

im Saargebiete wohnenden deutschen Flüchtlinge. Diese Teile der Rede fonnten von den Zuhörern nicht anders, als eine Aufreizung zu Gewalttätigkeiten, zum Mord und Tot: schlag gedeutet werden.

Sie haben in Zweibrüden geredet, wie es Ihrem Wesen entspricht: als der gerichtsnotorische 2 der, der Sie in Ihrer Agitation immer gewesen sind.

leber die Emigranten selbst erübrigt sich jedes Wort." So begannen Sie eine Partie Ihrer Rede. Dann haben Sie über die Emigranten dennoch tausend Worte gemacht. Viele Schimpfworte, aber fein wahres Wort.

Unter anderm sagten Sie:

,, Einige von ihnen hatten eine gute Witterung und gin­gen ein paar Stunden vor dem Eflat unter Mitnahme dicker Bankdepots über die Grenzen. Nun beglücken sie euch!( Lebh. Zurufe.) Und ihr seid in der Tat wenig darum zu beneiden."

Wir fordern Sie auf, uns die politischen Emigranten im aargebiet zu nennen, die unter Mitnahme dicker Banf­depots geflohen sind.

Sie, der Sie duzende Male im Deutsche. t Reichstag , in hunderten deutschen Zeitungen und auch von Ihren nächsten politischen Freunden den Vorwurf eines abgefeimten lüg­nerischen Burschen einstecken mußten, werden nicht ant­worten.

Sie werden nicht antworten, weil Sie nur aus Ihrer frankhaften Verleumdungssucht Ihre Ehrabschneidereien in die Welt hinausgeschrien haben.

Die politischen Emigranten im Saargebiet werden die Tatsache, daß gerade Sie, der deutsche Reichspropaganda­minister, öffentlich gegen diese freien Deutschen an der Saar getobt haben, als den stärksten Beweis dafür ansehen, wie sehr Sie die Eristenz der politischen Emigration fürchten. Ein politischer Emigrant

Die Probeabstimmung

Schwindel mit der Mitgliedschaft der ,, deutschen Front"

Der Landesleiter der sogenannten deutschen Front" des Saargebietes hat in einer schwülstigen Proklamation be­hauptet, daß 93 Prozent aller Abstimmungsberechtigten, näm­lich 455 174 Abstimmungsberechtigte, in den Reihen der soge­nannten deutschen Front" fest organisiert seien. So grob hätten wir uns den Schwinder doch nicht vorgestellt. Die deutsche Front" hat mehr Abstimmungsberechtigte als überhaupt im Saargebiete vorhanden sind.

Pirro hütet sich wohlweislich anzugeben, wie er die Zahl der Abstimmungsberechtigten errechnet. Es ist mit diesen Zahlen genau so, wie mit der angeblichen Besucherzahl bei der Zweibrüder Rundgebung.